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Filippo Sala, ein edler ferrarischer Bürger, war von Natur mit schönem Äußern, sehr einnehmendem Geschick zur Unterhaltung, Rede und Verhandlung ausgestattet, und auch sonst war das Glück nicht karg mit seinen Gaben gegen ihn gewesen; denn durch Erbschaften, die ihm von seinem Vater sowie von andern Verwandten zufielen, erlangte er einen anständigen Reichtum. Wenn nun dieser Reichtum jedem andern hätte genügen können, der nicht über seine Kräfte hinausgestrebt, so gab er, obwohl ein geborner Bürger, sich doch das Ansehen eines großen Herrn und fing unbedachtsamerweise an, große Summen in Spiel, Kleidern, Pferden, Jagden, auf die er sich zu Lande wie mit Falken gründlich verstand, zu verschwenden, und dehnte seine Liebeshändel so weit aus, daß er in kurzer Zeit alles ausgegeben hatte, was er besaß, und in Armut versunken war. Er pflegte oft nach Venedig zu kommen, das einen Überfluß an leichtfertigen, für Geld käuflichen Frauen besitzt; dort lebte er mit vielen von ihnen äußerst vertraut; er bezahlte und schenkte reichlich, als wäre er ein großer Fürst; sein Äußeres war sehr einnehmend; er konnte singen, spielte verschiedene Instrumente, besonders die Laute, sehr geschickt und erwarb sich solche Beliebtheit bei derartigen Frauen, daß keine war, die nicht gewünscht hätte, sich ihm zu ergeben, um seiner ritterlichen Freigebigkeit teilhaftig zu werden und sich seiner Anmut zu erfreuen. Da geschah es, daß eine dieser Dirnen, die in ihrem schändlichen Gewerbe eines großen Rufes genoß, für Filippo so heftig entbrannte, daß ihr gar nicht wohl war, als solange sie in seiner Gesellschaft verweilte, und auch er verliebte sich in ihre außerordentliche Schönheit dergestalt, daß er auch, als er nicht mehr viel zu verschwenden hatte, nicht unterließ, sein Verlangen nach ihr zu befriedigen und durch Geschenke ihre Liebe zu nähren.
Als es nun aber mit seinem Vermögen ganz zu Ende war, schied er, ehe die Frau seinen Verlust bemerkte, unter einem guten Vorwande von ihr, hinterließ ihr jedoch eine Menge von Versprechungen und namentlich die, daß er in wenigen Tagen wieder zu ihr zurückkehren werde. Als er nach Ferrara kam und ihm nun nichts übriggeblieben war von seiner reichlichen Verschwendung als der Verdruß, hielt er sich ärmlich zu Hause. Doch hatte er die ihm angeborene Seelengröße keineswegs eingebüßt und ertrug seine gedrückten Verhältnisse mit eben der hohen Gesinnung, womit er seine Reichtümer durchzubringen wußte, und obwohl er alles verloren hatte, glaubte er doch in seinen Gedanken noch auf silbernen Gefäßen Fasanen, Rebhühner, Hasen und andere Leckerbissen zu verspeisen, gleich als ob er sie in der Tat noch in so reicher Menge wie vordem besessen hätte, als er sie zu bezahlen imstande war. Ebenso pflegte er es mit seiner Kleidung und andern Bedürfnissen des Lebens zu halten, an denen es ihm gebrach. Wie große Not er aber auch litt und wie viele Edelleute ihm auch aus Mitleid mit seiner Armut ihre Unterstützung anboten, so wollte er doch durchaus nicht das mindeste von ihnen annehmen, sondern behauptete, er könne ebensowohl ihnen Geschenke geben als sie ihm.
Es lebt in Ferrara der Graf Paolo Costabili, nicht weniger freigebig und edel gesinnt, als sich bei seinem großen Reichtum schickt; dieser, als ein Freund tüchtiger Menschen, fühlte sich von Filippos Festigkeit, seiner Anmut in der Unterhaltung, seiner Geschicklichkeit in Geschäften und andern seiner obengenannten Eigenschaften, die jedem großen Fürsten teuer sein müssen, so angezogen, daß er ihn ins Haus nahm, nicht als Diener, sondern als lieben Freund, und alle seine Bedürfnisse mit freigebigster Hand befriedigte, so daß er sagen konnte, er habe in diesem edeln Hause, was er wünsche.
Derweil nun Filippos Schicksal diese Wendung genommen hatte, erwartete die obenerwähnte Buhlerin in Venedig sehnsüchtig seine ihr zugesagte Rückkehr; und da sie Monate, ja vielleicht Jahre verstreichen sah, ohne daß er zu ihr kam, fürchtete sie von ihm vergessen und verschmäht zu sein, und da sie weder Brief noch Botschaft von ihm erhielt, beschloß sie, getrieben vom scharfen Stachel der Liebe, die Filippos Liebenswürdigkeit und ritterlich freigebiges Wesen in ihr entzündet hatte, nach vielem Besinnen, nach Ferrara zu gehen, um ihn aufzusuchen; denn sie meinte, er sitze in demselben Reichtum, wo er reichlich spenden und geben könne, wie er es in Venedig seinerzeit geübt habe. Sie schickte also einen Diener nach Ferrara voraus, um eine Wohnung auf einige Tage zu mieten; dann ließ sie eine Barke für sich zurechtmachen, bestieg sie in Gesellschaft ihrer Dienerinnen und fuhr nach Ferrara ab. Als sie sich bei ihrer Ankunft nach einem Herrn Filippo Sala erkundigte, fand sie keine Spur von ihm auf, weil die Armut, worin er versunken war, seinen Namen fast in gänzliche Vergessenheit begraben hatte; außerdem ließ er sich in Venedig Herr Filippo nennen, während er in Ferrara nur unter dem Namen Filippino oder Philippchen bekannt war und ihm niemand den Titel »Herr« gab, den er sich durch seine Freigebigkeit in Venedig erworben hatte.
Die Frau bereute nun fast, die Reise um seinetwillen unternommen zu haben. Während sie nun so darüber nachdachte, erblickte sie zufällig einen der Gefährten Filippos, der in Venedig gleichfalls ihre Bekanntschaft gemacht hatte. Sie rief ihn zu sich und fragte nach Herrn Filippo. Er kannte seine Verhältnisse genau, antwortete ihr aber vorsichtig, er habe ihn schon geraume Zeit nicht gesehen, weil er in bedeutenden Geschäften seines Herrn zu tun gehabt habe, halte aber dafür, daß es ihm wohlergehe. Auf diesen Bescheid konnte die Frau noch in der Hoffnung beharren, ihn in guten Umständen wiederzufinden und mit ihrem Besuche in Ferrara ihm nicht ungelegen zu kommen.
»Seid doch so gut«, sagte sie, »zu ihm zu gehen und ihm zu sagen, ich sei, von meiner großen Liebe zu ihm angetrieben, nach Ferrara gekommen, um ihn zu sehen, und veranlaßt ihn, mich zu besuchen! Ihr könntet mir keinen größeren Gefallen und Freundlichkeit erzeugen, als damit.«
Filippos Freund antwortete ihr, sobald er ihn sehe, wolle er mit Vergnügen sich dieses Auftrages entledigen. Er nahm von ihr Abschied und begab sich sogleich zu Filippo, um es ihm zu melden.
»Du weißt wohl nicht,« sagte er, »daß die Wohlbekannte nach Ferrara gekommen ist und dich eifrig aufsucht. Ich fürchte, sie erlangt am Ende Kunde von deinen jetzigen Umständen und geht unzufrieden mit dir und mit den geringen Ehren, in denen du stehst, nach Venedig zurück, und während du dort bisher für einen großen Herrn gegolten hast, gibt man dir am Ende einen von dem jetzt erworbenen sehr verschiedenen Namen.«
Diese Worte gingen Filippo durchs Herz, und er fragte seinen Freund, wie er zu dieser Nachricht gekommen sei. Der Freund erzählte alles, was zwischen ihm und der Kurtisane besprochen worden sei, und was er zu seinen Gunsten gesagt habe, und Filippo dankte ihm vielmals dafür, daß er sich so behutsam gegen sie ausgedrückt habe, ward aber ganz betrübt und niedergeschlagen, als er nach diesem Gespräche bedachte, wie er doch auf keine Weise auch nicht im geringsten imstande sei, dem Rufe zu genügen, den er sich in Venedig erworben und in dem ihn jener neuerdings gegen die Frau bestätigt hatte.
Der Graf, der gewohnt gewesen war, ihn heiter und aufgeräumt zu sehen, und nun mit einem Male diese unendliche Schwermut an ihm entdeckte, derzufolge Scherz und Spaß und alle gute Laune und Heiterkeit von ihm gewichen und vertrieben waren, sagte zu ihm: »Was hast du, Filippo? Was wandelt dich so plötzlich an, das dich so außer dir selbst bringt und dich so ganz anders erscheinen läßt, als du warst? Wo ist deine Munterkeit und dein fröhliches Wesen hin?«
Filippo kannte zwar den Grafen als einen freigebigen, großmütigen Herrn; es schien ihm jedoch unmäßig viel dazuzugehören, der hohen Meinung, die jenes Weib in Venedig von ihm gefaßt hatte, zu genügen, so daß er nicht wagte, seinem Beschützer die Ursache seiner Betrübnis zu entdecken.
»Graf«, antwortete er daher, »der Grund des mich bedrückenden Kummers liegt allzu tief, und da ich weiß, wenn ich ihn ausspräche, würdet Ihr um meinetwillen betrübt werden, so schweige ich, um Euch nicht zu belästigen, und ertrage ein Übel, dem nicht abzuhelfen ist, für mich allein.«
Hierauf sprach der Graf mit sehr wohlwollendem Gesicht: »Ei, Filippo, solange wir noch leben und atmen, gibt es in allen Dingen Rat und Hilfe. Verbirg mir die Ursache deiner Schwermut nicht! Vielleicht ist das, was du als so unrettbar aufgibst, doch nicht so ganz verloren, wie du glaubst, und du siehst wohl deine hoffnungslose Niedergeschlagenheit noch in völlige Genüge übergehen. Sage es mir, ich bitte dich! Wenn es etwas ist, worin ich dir mit allem, was mir zu Gebote steht, helfen kann, so sollst du mich so bereit finden, es zu tun, als wenn es für mich selber wäre.«
Diese Worte erweckten in Filippo große Hoffnungen, er könne auch in seiner Armut die schöne Venezianerin glauben machen, der Titel »Herr« gebühre ihm in Ferrara so gut, als er ihn in Venedig erworben hatte.
»Herr Graf«, sagte er daher zu dem Grafen, »während mir das Schicksal noch lächelte, liebte ich in Venedig eine sehr schöne feine Kurtisane, und zu meinem Glück oder Unglück entbrannte auch sie in solcher Leidenschaft gegen mich, daß sie alle andern verschmähte, welchen sie vorher gefällig gewesen war, und ihr ganzes Sinnen und Trachten ausschließlich auf mich allein richtete, und daß ich der Besitzer dieser seltenen Schönheit wurde, die jeden mit Bewunderung erfüllte, für alle die zu grenzenlosem Neide, die sich früher von ihr für besonders begünstigt erachteten. Diese Liebschaft hielt aus so lange wie mein Beutel; nicht etwa, als ob sie mich nun weniger hochgeschätzt hätte: sondern weil ich mich in der Unmöglichkeit sah, längere Zeit auf demselben Fuße wie seither mit ihr zu leben. Ich hielt es demnach für geratener, mich von ihr zu entfernen und sie in der über mich gefaßten Meinung zu lassen, als länger bei ihr zu bleiben, das Ansehen zu verlieren, das ich bei ihr gewonnen, und am Ende unter großer Schmach den andern zum Gelächter zu werden, die sie um meinetwillen verlassen hatte. Ich setzte daher Versprechungen an die Stelle, wo ich mit Taten nicht ausreichte, schützte ein unvorhergesehenes wichtiges Ereignis vor, das mich nach Ferrara zurückrufe, und trennte mich von ihr. Die Augen standen ihr voll Tränen, als ich von ihr Abschied nahm, und als sie mich das letztemal umarmte, bat sie mich, unsere baldige Wiedervereinigung nicht zu verzögern. Ich ging nur mit dem innigsten Mißvergnügen von ihr fort, und wenn ich außer dem vergeudeten noch weiteres Vermögen gehabt hätte, so schwöre ich Euch bei meiner Ehre, ich würde es zu Geld gemacht haben und hingegangen sein, um sie noch ferner zu genießen. Aber mein Schicksal wollte, daß ich schon meinen letzten Heller mit ihr durchgebracht hatte. Ich meinte nun längst von ihr vergessen zu sein und sie denke nicht mehr an mich, – siehe, da kommt sie nach Ferrara und spürt mir eifrig nach. Nun fürchte ich sehr, sie möge mich finden und für den armgewordenen Edelmann erkennen, der ich bin, wenigstens der Tat, ob auch nicht dem Geiste nach, und das erregt mir unendliches Leidwesen; denn ich sehe klar, daß der Ruf, den mir mein früheres Leben bis hierher erhalten hat, mir nunmehr von meinem jetzigen ganz entrissen wird, und meine Armut selbst, die ich stets mutvoll ertragen habe, ist mir nie so lästig gewesen wie jetzt, wo ich mir die Mittel fehlen sehe, sie nach meinem Wunsche und nach dem Verdienste ihrer Handlungsweise zu ehren, indem sie herkommt, mich aufzusuchen.«
Der Graf, dessen Sinn nicht dahin ging, Schätze aufzuhäufen, wie diejenigen zu tun pflegen, die ihren Reichtum nicht besitzen, sondern vielmehr von ihm wie Sklaven in der Weise besessen werden, daß sie keinen Heller für sich selbst, geschweige denn für andere auszugeben wagen, sagte, als er die ihm von Filippo erzählte Geschichte vernommen hatte: »Wie nun, Filippo? Hast du so wenig Vertrauen zu mir, daß du nicht glaubst, ich werde dir das Unrecht vergüten, das dir dein schlimmes Geschick antut? Sei gutes Mutes: denn es ist mein Wille, daß, wenn dich dieses Weib in Venedig für einen Herrn gehalten hat, sie dich in Ferrara für einen König halten soll. Die Meinigen sind, wie du weißt, in Viconovo, und ich bin hier mit acht oder zehn Dienern, Pferden, Wagen und allen Dingen, die nur irgend vonnöten sein würden, irgendeiner großen Dame die schuldigen Ehren anzutun; Mein Haus samt allem, was darin ist, sei für zehn Tage dein! Hole deine Geliebte mit meinem Hofwagen zu dir ab! Ich lasse dir alle diese Diener auf diese Zeit zu Befehl und gehe die wenigen Tage aufs Land. Du magst indessen in meinem Hause gebaren, wie du von mir voraussetzen würdest, daß ich täte, um ein zärtlich geliebtes Weib ehrenvoll darin zu empfangen.«
Filippo fühlte sich durch die Worte des Grafen vollkommen getröstet, schämte sich jedoch, zuzugeben, daß der Graf sein Haus verlasse, es ihm ganz einräume und ihn nicht nur über das Haus, sondern auch über das, was darin war, schalten lasse.
»Eure Gefälligkeit gegen mich«, sagte er zu dem Grafen, »ist mir zwar teuer, und ich konnte von Eurer Großmut nichts anderes erwarten; aber da ich nicht durch Annahme Eures mir gütigst gemachten Anerbietens, während ich meine Achtung vor andern zu erhalten suche, nicht mich Euch gegenüber in ein nachteiliges Licht setzen möchte, kann ich dieses Erbieten nicht in seinem ganzen Umfange annehmen. Es genügt mir, mit einer oder zwei Abendmahlzeiten diese meine Geliebte ehrenvoll zu empfangen und sie anständig auszustatten, um nach Venedig zurückzukehren; das Weitere will ich mit Worten abmachen und bin gewiß, sie wird zufrieden wegreisen.«
Der Graf, dessen Großmut den Umfang seiner Reichtümer noch übersteigt, ließ sich durch Filippos Worte nicht von seinem Plane abbringen.
»Filippo«, sagte er, »wenn du auch, wie du mir gesagt hast, zufrieden wärest, so wäre doch ich noch nicht zufrieden, da ich sonst nicht das Bewußtsein hätte, für einen Freund alles getan zu haben, was ich in ähnlichem Falle um meinetwillen täte. Darum bleibe es dabei, und wenn es dir zu viel scheint für deine Bescheidenheit, so scheint es mir noch viel zu wenig für das, was ich einem Freunde wie du zu tun verpflichtet bin.«
Nachdem er dies gesprochen, rief er alle seine Diener vor sich und sagte zu ihnen: »Ich lasse in meinem Palaste auf zehn Tage Filippo als unumschränkten Gebieter über das Haus und alles, was darin ist, zurück, und es ist mein Wille, daß ihr ihm gehorchet und dienet, nicht anders, als wenn ich es selbst wäre. In dieser Zeit sagt ihr der Frau, die er hierher bringt, das Haus und alles, was darinnen ist, gehöre Filippo; und wer von euch hierin mir zuwiderhandelt, hat meine Ungnade zu gewärtigen.«
Dann faßte er Filippos Hand: »Du wirst«, sagte er zu ihm, »ihnen befehlen, was dir erforderlich scheint, um diese deine Dame hier in Ferrara zu ehren und sie nach Venedig zurückzubringen, so ehrenvoll, als dir zweckmäßig scheint; und diese meine Leute sollen deinen Befehlen aufs bereitwilligste gehorchen, wie wenn ich selbst die Befehle erteilte.«
Filippo wollte durchaus so viel nicht annehmen; aber der Graf gestattete keine fernere Widerrede, ließ ihn im Besitz von allem und begab sich auf das Land. Filippo zog nun die vornehmsten Kleider an, die der Graf besaß, bestieg das schönste Reitpferd mit reichem Geschirr und suchte mit vier Reitknechten seine Geliebte auf, die ihm, als sie ihn erblickte, mit offenen Armen entgegeneilte.
»Ach, Herr Filippo«, rief sie ,»wie habt Ihr es so lange können anstehen lassen, ohne mich zu besuchen! Euer langes Ausbleiben hat mich auf die Vermutung gebracht, Ihr liebtet mich nicht mehr. Fürwahr, wenn Ihr das Feuer der Liebe so sehr gefühlt hättet, wie ich es fühle, so hättet Ihr mir gegenüber das getan, was Ihr seht, daß ich Euch gegenüber getan habe: Ich konnte die Bedrängnis des Wartens nicht länger mehr aushalten und habe mich genötigt gesehen, Euch endlich aufzusuchen, während doch Eure unbestreitbare Schuldigkeit war, daß Ihr, Eurem Versprechen gemäß, zu mir kamet.«
»Lassen wir«, sagte Filippo, »die Beschwerden beiseite, liebes Herz, und denken nunmehr an die Freude, da Ihr jetzt hier seid!«
Er brachte sodann dieselbe Ausrede vor, die schon sein Freund gegen sie geäußert hatte: »Nur das eine«, sagte er, »will ich zu meiner Entschuldigung anführen, daß ich im Dienste meines Herrn in sehr wichtigen Angelegenheiten beschäftigt war; er hält mich fortwährend in Arbeit und läßt mich kaum Atem schöpfen. Wenn ich aber auch nicht nach Venedig gekommen bin, so ist doch mein Herz immer bei Euch gewesen, und ich habe fortwährend gewünscht, es möge sich mir eine Gelegenheit bieten, wo ich mit dem Einverständnis meines Fürsten abkommen könnte, um Euch aufzusuchen. Da ich aber dies nicht tun konnte, bin ich Euch um so dankbarer für die mir betätigte Liebe, indem Ihr mich hier aufsuchtet. So angenehm mir aber auch dies ist, so kann ich dennoch nicht umhin, mich deshalb sehr über Euch zu beschweren, daß Ihr bei Eurer Ankunft in Ferrara in eine Mietwohnung gezogen seid, statt bei mir selbst in meinem Palaste abzusteigen. Ich komme aber Euch aufzusuchen, sobald ich von Eurem Hiersein vernommen, um Euch abzuholen aus diesem Hause und in das Eurige zu bringen; denn der Palast, in dem ich wohne, soll ebensogut der Eure sein, wie er mir gehört.«
Damit wandte er sich zu einem der Diener und sagte: »Geh schnell und laß meinen Wagen rüsten und herbringen, daß wir die gnädige Frau in den Palast führen!«
Während der Diener hineilte, blieb Filippo bei der Frau in süßen Gesprächen, bis der Wagen kam. Als dies geschah, stieg sie mit ihren Frauen hinein und fuhr, begleitet von Filippo, in den Palast. Als sie diesen sah, der vielleicht seinesgleichen nicht in der Stadt hat – denn er sieht eher wie das Schloß eines großen Fürsten aus als wie das eines Edelmanns –, als sie in die Gemächer trat und alle mit den reichsten Tüchern behangen und mit reichen und sehr schönen Betten ausgestattet sah, dachte sie, der habe wohl mit Recht in Venedig den Titel »Herr« geführt. Wenn nun die Essensstunde kam, so stand immer morgens und abends der Tisch voll der besten Speisen und köstlichsten Weine; es waren Diener umher, die alle ein so anständiges Aussehen hatten, daß sie lauter Herren schienen. Dies alles setzte sie in Erstaunen. Auf solche Weise ging es sechs Tage fort.
Endlich begehrte sie nach Venedig zurückzukehren und sagte eines Abends nach dem Essen: »Herr Filippo, ich bin lange von Hause weggewesen; mit der Zeit, wo ich Euch gesucht habe, mit der, in welcher ich bei Euch gewesen bin und mich hier aufgehalten habe, sind zwölf Tage hingegangen. Nachdem ich Euch nun aber gesehen und zu meiner großen Freude einige Tage Euren Umgang genossen habe, will ich mit Eurer Erlaubnis nach Venedig zurückkehren; nicht als ob ich nicht wünschte, mit Euch mein ganzes Leben hinzubringen, sondern weil, wie Euch die Angelegenheiten Eures Fürsten vollauf beschäftigen, so auch meiner in Venedig Geschäfte von nicht geringem Belange warten und mich dahin abrufen, da sie sonst einen ganz schlimmen Gang nehmen möchten, wenn ich nicht dabei wäre.«
Filippo wollte nun die ganze Vollmacht ausüben, die die Großmut des Grafen ihm gestattet hatte.
»Liebe Seele«, sagte er, »es scheint, Ihr seid so lange bei mir gewesen, daß es Euch genügt, und mir ist es, als wäret Ihr erst gestern abend hierhergekommen. So wünsche ich denn, daß Ihr wenigstens noch zehn Tage bei mir bleibet.«
Er sagte dies, weil er schon die Eile sah, womit die Frau sich zur Abreise rüstete, und daher sicher war, daß sie einen so langen Aufschub nicht annehmen würde. Er täuschte sich auch in diesem Gedanken nicht, denn sie sagte: »Ich wünschte ganz und auf immer hierbleiben zu können, wie ich Euch schon sagte; aber die Verhältnisse zwingen mich wider meinen Willen zurückzukehren. Darum bitte ich Euch, zufrieden zu sein und mich zu entlassen.«
Filippo spielte darüber den Verdrießlichen:
»Ich werde glauben müssen«, sagte er, »daß Ihr mich nicht im Ernste liebt, wenn Ihr Euch nicht noch zehn Tage bei mir aufhalten mögt.«
»Ich kann nicht, mein Herr, meiner Treu, ich kann nicht«, antwortete sie; »wenn ich so lange wegbleibe, so bin ich sicher, daß alle meine Angelegenheiten in Venedig schief gingen. Ich weiß aber, daß Ihr meinen Schaden nicht begehrt.«
»Keineswegs«, antwortete er; »und wenn Ihr nicht noch zehn Tage bleiben wollt, so bleibt wenigstens sechs!«
Sie behauptete von neuem, es sei ihr unmöglich, und so brachte er sie dahin, noch die vier Tage zu bleiben, mit welchen sein Regiment ablief. So ging denn die Lebensweise und die Bedienung in derselben Ordnung und Überfülle fort, daß sie Filippo für nichts anderes als einen großen Herrn halten mußte.
Am Morgen des zehnten Tages kam der Graf zurück nach Ferrara, ließ Filippo zu sich rufen und sprach: »Nun, Filippo, wie ist die Sache abgelaufen? Hast du deiner Geliebten Ehre erwiesen?«
»Ja, gnädiger Herr«, antwortete er, »Dank Eurer Güte, und ich wollte, ich hätte tausend Zungen und eine Stimme von Stahl, um Euch vollständig und anhaltend danken zu können für so große Gefälligkeit, für die ich Euch immer unendlich verbunden sein werde, solange ich lebe.«
Der Graf versetzte: »Ich weiß nicht, ob du nicht vielleicht noch länger im Besitze des Meinigen zu bleiben wünschest; sage mir's: du wirst keine Fehlbitte tun!«
»Nur zu lange, Herr Graf, habt Ihr mich darin gelassen«, antwortete er, »und es war nahezu eine Unzartheit, daß ich gestattete, daß Ihr so lange aus Eurem Hause wegbliebet, um mich, der ich Euer Diener bin, Eure Stelle darin einnehmen zu lassen. Überdies will die Dame morgen früh unfehlbar nach Venedig zurückreisen, und ich habe sie nur mit Mühe bis heute aufgehalten.«
»Da sie nun weggehen will»«, sagte der Graf, »möchtest du ihr nicht gerne ein Geschenk machen, damit sie dich im Andenken behalte?« »Wenn ich nur so viel hätte, Graf«, fügte Filippo bei, »als ich ihr zu geben wünschte! Da ich aber sonst nichts habe, so werde ich sie mit Versprechungen befriedigen, so gut ich kann.«
»Ich wünsche aber«, sagte der Graf, »daß du sie mit einem Geschenk entläßt, das der ihr getanen Kundgebung entspricht. Darum nimm diesen Ring und schenke ihr ihn!«
Bei diesen Worten gab er ihm einen kostbaren Diamant. Filippo wollte ihn durchaus nicht annehmen in der Überzeugung, daß der Graf bis hierher nur allzuviel getan habe, und daß er ihn nicht noch weiter beschweren dürfe. Aber er war genötigt, ihn doch anzunehmen, was denn seine Freude verdoppelte. Hierauf wollte der Graf auch mit ihm nach Hause gehen, um zu sehen, ob der Ruhm der Schönheit, den Filippo der Frau zuerkannt, in der Tat derart sei, wie er geschildert. Er trat in den Palast, und Filippo tat, als wäre es ein ihm befreundeter Edelmann, der ihn besuche. Er zeigte ihm die Frau und ließ sie ihm die Hand reichen. Da glaubte der Graf, Filippo habe noch wenig gesagt im Verhältnis zu dem, wie er es gefunden hatte, und konnte sich nicht satt an ihr sehen.
Filippo wußte, daß der Graf ein großer Verehrer von schönen Frauen war und keine Ausgabe scheute, um den Besitz einer jeden zu erwerben, die ihm wünschenswert schien. Er stellte sich daher vor, der Graf habe sich auch in diese Frau verliebt, und sagte zu ihm: »Graf, sie ist weder meine Tochter noch meine Frau noch meine Schwester, sondern ein Weib, das zwar nicht jedermann angehört, aber doch gegen vornehme Herren, die nach ihr trachten, nicht karg ist. Da mir nun vorkommt, ihre Schönheit habe Eindruck auf Euch gemacht, so gestattet mir, wenn es Euch recht ist, daß ich Euch bei ihr lasse; und damit Ihr ungestört mit ihr seid, will ich mich von Hause entfernen und ihr andeuten, daß ich nichts dawider habe, wenn sie zu Euch hält, nicht als wollte ich auf diese Weise Eure Großmut vergelten, der ich nicht im geringsten es gleichtun könnte, und wenn ich mein Leben für Euch ließe, – sondern ich möchte nur nicht für einen niedrigen Menschen gelten und Euch das verweigern, was ich ohne allen Nachteil für mich Euch zu Eurer Genugtuung gewähren kann.«
Der Graf, der zu anderer Zeit und unter andern Umständen den ihm angebotenen Besitz der schönen Venezianerin nicht nur mit Freuden angenommen, sondern selbst gern um den höchsten Preis erkauft hätte, wollte doch nicht durch eine törichte Lust die Handlung der Edelmut beflecken, die er im Dienste seines Freundes geübt hatte. Er sagte daher: »Filippo, deine Geliebte ist weit schöner, als du mir gesagt hast, und die Lust könnte mich wohl dahin bringen, auf deinen Vorschlag einzugehen. Behüte aber der Himmel, daß mich ein loses Feuer dazu verführe! Ich habe sie zur Genüge genossen, indem ich deiner Leidenschaft zu ihr Vorschub leistete, und wie du sie hierhergebracht hast als die deinige, so führe sie auch als solche von hinnen!«
Ohne weiter ein Wort hinzuzufügen, ging er aus seinem Hause fort und ließ Filippo in Freiheit, alle nötigen Vorkehrungen zur Abreise seiner Schönen zu treffen. Er brachte sie, reichlich mit Lebensmitteln versehen, in ehrenvollster Begleitung zu Schiffe und gab ihr, als er mit ihr die Barke bestiegen hatte, den schönen Ring, den ihm der Graf geschenkt, mit den Worten: »Nehmt dies und behaltet es zum Andenken an Euren Filippo!«
Dann verabschiedete er sich zum letztenmal von ihr und verließ sie äußerst befriedigt über ihn.
Als in der Folge öffentlich verlautete, was der Graf für seinen Freund getan hatte, erachtete ihn jedermann für den allervollkommensten Edelmann seines Landes, zählte ihn unter die wenigen, die ihren Reichtum dann wahrhaft zu besitzen glauben, wenn sie ihn freigebig im Dienste ihrer Freunde und Diener verwenden, und man wünschte nur, daß in der Stadt unter den reichen Edelleuten viele, die ihm glichen, gefunden würden.