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Italienische Novellen. Dritter Band
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Giovanni Battista Giraldi

Rinieri und Cicilia

Imola ward einst von eigenen Herren regiert, jetzt gehört es zum Gebiete der Kirche. Dort lebte vor Zeiten ein Edelmann namens Horatio, der mit Glücksgütern reichlich versehen und durch seine Liebenswürdigkeit in der ganzen Stadt beliebt war. Wiewohl er nun im Äußern milde schien, so zeigte er sich doch, sobald ihm eine Unbill widerfuhr, so entsetzlich, daß er seinen Zorn den Beleidiger schwer fühlen ließ. Dieser hatte nur eine einzige Tochter namens Cicilia, und diese war zu solcher Schönheit erwachsen, daß die Bewohner von Imola glaubten, sie sei die schönste Jungfrau des Landes. Der Ruf ihrer wunderbaren Schönheit verbreitete sich über alle Gaue der Romagna und kam auch einem Jüngling in Forli namens Rinieri zu Ohren, der nicht weniger schön war unter den Jünglingen, als Cicilia unter den Jungfrauen. Wie sehr ihn aber auch die Natur mit Körpergaben ausgestattet hatte, so karg war das Glück gegen ihn gewesen im Vergleich mit dem Vermögen Messere Horatios. Der Jüngling nahm sich so sehr die Schönheit des Mädchens zu Herzen, obwohl er sie nie gesehen hatte, daß er fühlte, es koste ihm das Leben. Alle, die von dort kamen, fragte er, ob sie Cicilia gesehen hätten und ob sie wirklich so schön sei. Jeder, der so glücklich gewesen war, sie zu sehen (denn nur selten ließ sie der Vater irgendwo sich zeigen), berichtete ihm, sie sei zum Verwundern schön; darum beschloß er, nach Imola zu gehen, um sie zu sehen.

Als er in die Stadt kam, fragte er nach dem Hause Messere Horatios, ging dahin und fing an, sich auf die Lauer zu stellen, ob er die Jungfrau zu sehen bekomme. Da aber bei der Geburt des Mädchens die Mutter gestorben war, hielt, wie gesagt, Messere Horatio sie unter so strenger Obhut, daß sie nie einen Fuß vor das Haus setzte außer zur Messe und unter dem Geleite der ehrbarsten Frauen aus ihrer Verwandtschaft, weshalb er tagelang sich umsonst bemühte, bis es ihm gelang, sie zu Gesicht zu bekommen. Der Jüngling unterließ aber darum nicht, durch die Straße zu gehen, und begnügte sich damit, da er nicht weiter konnte, wenigstens die Mauern zu betrachten, die eine so große Schönheit in sich schlossen. Dem Hause ihres Vaters gegenüber wohnte ein Duftkrämer, der eine alte Frau hatte, die gewöhnlich in dem Laden stand. Rinieri trat hinein und tat, als wollte er etwas kaufen, und als dies auch wirklich geschehen war, ließ er sich mit der Alten, welche Nastagia hieß, in ein Gespräch ein und fragte sie freundlich, was für Frauen in dieser Straße wohnen. Nastagia antwortete ihm sogleich, es seien viele daselbst, und unter andern eine, die ihrem Laden gegenüber wohne, die sei wie ein Engel des Himmels. »Aber«, fügte sie hinzu, »der Vater hat sie so streng unter der Hut, daß man sie nur höchst selten sieht.«

Während sie nun so miteinander sprachen, begab es sich, daß Cicilia, indem sie von einem Zimmer ins andere ging, sich ein wenig am Fenster zeigte. Sie sah die Duftkrämerin, grüßte sie, und diese erwiderte den Gruß. Bei diesem Gruße erblickte Rinieri, der schon aufgestanden war, die Jungfrau. Er zog das Barett ab und machte ihr eine Verbeugung. Bei dieser Gebärde gefiel er dem Mädchen, so daß auch sein Bild sich ihrem Herzen so wirksam einprägte, daß sie, begierig, ihn zu sehen, nicht aufhören konnte, mit Nastagia zu reden. Es kam aber ihre alte Muhme dazu, die sie ins Haus zurückrief und ihr drohte, wenn sie sie wieder am Fenster finde, werde sie es ihrem Vater sagen und sie dafür züchtigen lassen.

Beim Anblick der Jungfrau meinte Rinieri, alles, was er von ihr gehört hatte, sei nur ein Traum gewesen neben der Wahrheit, und das Feuer wuchs in ihm so an, daß er ganz zur Flamme wurde. Nie war es ihm so leid, arm geboren zu sein, wie jetzt, denn er meinte, wenn er an Vermögen dem Messere Horatio gleich wäre, wäre Cicilia seine Gemahlin geworden.

Die Duftkrämerin stand auf sehr vertrautem Fuße mit jenen Frauen und sie mit ihr, denn es verging keine Woche, wo nicht Nastagia in ihr Haus kam oder sie in das Haus Nastagias, wohin sie auch manchmal Cicilia mitbrachten. So kam die Alte in Messere Horatios Haus und fing an, mit der Jungfrau zutraulich zu plaudern. Diese fragte sie alsbald, wer der Jüngling sei, den sie in ihrem Laden gesehen habe, Sie antwortete, sie wisse nicht, wer es sei, doch komme er ihr sehr höflich und gebildet vor.

»Es ist unmöglich«, antwortete Cicilia, »daß mit so großer Schönheit nicht jeder Vorzug verbunden sein sollte.«

Nastagia verwunderte sich über diese ihre Rede und fragte sie: »Wie hat er Euch gefallen?«

»So sehr«, entgegnete sie, »wie nur irgendeiner, den ich jemals gesehen habe, und es wird mir sehr lieb sein, wenn er öfters wieder hinkommt. Erkundigt Euch, wer er ist, und tut es mir zu wissen!«

Die gute Alte versprach es ihr und ging nach Hause. Gleich als hätte sie ihr ins Herz gesehen, erkannte sie deutlich, daß sie in den jungen Mann verliebt war, und sah daraus, daß manchmal ein Blick beim ersten Begegnen, verbunden mit einem entsprechenden Wesen, mehr Kraft hat als sonst eine lange anhaltende Dienstbarkeit.

Als Rinieri zu Mittag gegessen hatte, kehrte er in den Laden zurück, und Nastagia brachte nun ihre Fragen an, wer er sei und woher er komme. Der Jüngling antwortete, er sei Rinieri Chelini aus Forli. Um die Ursache seines Hierherkommens befragt, sagte er: »Madonna, ich will und kann die Wahrheit nicht verbergen. Das Gerücht hat mir den Ruf der großen Schönheit dieser Eurer Nachbarin bis nach Forli getragen, so daß ich mich gedrungen fühlte, meine Heimat und all das Meinige zu verlassen und hierher zu eilen, um mit Augen jene Schönheit zu sehen, die ich schon lange Zeit nach den Reden anderer im Geiste angeschaut habe. Ich habe sie auch bei ihrem ersten Erscheinen so gefunden, daß, wenn ich sie früher liebte, ich jetzt sie anbete.«

»In der Tat«, entgegnete Nastagia, »ich glaube, Ihr habt Eure Liebe nicht schlecht angebracht; denn ich bin der Ansicht, wenn Ihr für Cicilia glühet, so steht sie für Euch in voller Lohe.«

Rinieri war dies sehr angenehm, und er bat sie, ihm zu sagen, wie sie das wisse. Nastagia erzählte ihm nun, was die Jungfrau gesagt und wie dringend sie sie gebeten hätte, sie möge ihr ausführlichen Bericht über ihn verschaffen. Rinieri bat sie hierauf dringend, sie möge diese seine Liebe begünstigen, er werde sich gegen sie so halten, daß sie nicht bereuen solle, sich für ihn bemüht zu haben; eine Schande könne ihr daraus nicht erwachsen, denn er liebe das Mädchen nur, um sie zur Frau zu nehmen. Bei diesen Worten gab er ihr einen gar zierlichen Ring mit zwei ineinanderverschlungenen Händen mit dem Auftrag, ihn der Jungfrau als Geschenk anzubieten und ihr zu sagen, mit diesem Ringe schicke er ihr sein Herz. Dabei schenkte er der Botin einige Kleinigkeiten und versprach ihr reichliche Geschenke, wenn es ihm etwa gelinge, die Jungfrau zur Gattin zu bekommen, worin sein höchster Wunsch läge.

Die gute Frau versprach ihm ihre ganze Mitwirkung, sagte ihm übrigens, da jene einst das ganze Vermögen ihres Vaters erbe, so verlangten viele sie zur Frau; dennoch habe er noch bei keinem seine Einwilligung gegeben, denn seine Absicht sei, sie nur mit einem Manne zu verbinden, der ihm an Vermögen gleichkomme; aus diesem Grunde scheine es ihr fast unmöglich, daß er jemals seinen Zweck erreiche.

»Nichts ist der Liebe unmöglich«, antwortete Rinieri; »ich bitte Euch nur, daß Ihr bei Eurer Mitwirkung nichts versäumt: so werdet Ihr sehen, daß Amor sie für mich aufgehoben hat.«

Nastagia wartete eine schickliche Zeit ab, um ihren Plan auszuführen, und ging nun zu Cicilia. Und kaum erblickte sie sie, als sie fragte, ob sie den jungen Mann gesehen habe. Sie antwortete ihr, sie habe ihn gesehen und sogar mit ihm gesprochen. Sie habe gefunden, daß, wenn er ihr gefalle, sie nicht minder ihm gefalle, und er sei, vom Rufe ihrer Schönheit angezogen, von Forli nach Imola gekommen, um sie zu sehen und ihr zu beweisen, wie sehr er sie liebe.

»Und bin ich denn«, fragte sie, »bin ich denn so schön, Nastagia, daß die Männer auf den Ruf meiner Schönheit hin sich in mich verlieben?«

»Freilich«, antwortete Nastagia, »und ich kann Euch noch weiter sagen, daß er mit mir von Eurer Schönheit und von der großen Liebe gesprochen hat, die er zu Euch hegt, und mich ersucht hat, ihn Euch zu empfehlen und Euch zu bitten, ihn so herzlich zu lieben, wie er Euch liebt. Auch hat er mir ein Geschenk gegeben, das ich Euch in seinem Namen überreichen soll.«

»Und was denn?« fragte das Mädchen.

»Es ist das holdeste Ringchen«, antwortete jene, »das Ihr je gesehen habt.«

»Wie, ein Ring?« entgegnete Cicilia. »Was soll ich denn damit anfangen?« »Nichts anderes«, antwortete Nastagia, »als daß Ihr ihn als Pfand des Zieles anseht, um dessen willen er Euch liebt.«

»Und was ist dieses Ziel?« fragte sie.

»Euch zur Frau zu bekommen«, war die Antwort, »wenn es Euch nicht unlieb wäre.«

»Keineswegs«, antwortete Cicilia, »vielmehr äußerst lieb; wenn es aber auch wahr ist, daß er mich liebt, wie du sagst, so kann ich ihm doch nicht versprechen, um was er mich bittet. Aber wo ist der Ring, von dem du sagst, daß er so hold anzuschauen sei?«

»Hier habt Ihr ihn«, antwortete Nastagia, »und er hat mir gesagt, daß er Euch damit sein Herz schicke.«

Bei diesen Worten lächelte das Mädchen, nahm den Ring in die Hand und lobte ihn sehr, indem er ein Zeichen der Treue an sich trug. »Wie mache ich's nun aber«, fragte sie, indem sie ihn an den Finger steckte, »um ihn tragen zu können?«

»Ihr müßt«, antwortete Nastagia, »den, der ihn Euch schickt, zum Manne nehmen.«

»Wäre nur«, entgegnete sie, »mein Vater damit so zufrieden, wie ich es wäre.«

Sie behielt den Ring und übergab ihr ein hübsches Paar Handschuhe, um sie dem Jüngling zu überbringen als Gegengabe für das ihr geschickte Geschenk und zum Zeichen, daß sie ihn so aufrichtig liebe wie er sie. Nastagia brachte dem jungen Manne diese Kunde und gab ihm zugleich die Handschuhe, welches Geschenk ihm große Freude machte. Er meinte nun, es fehle jetzt nichts mehr zur Erfüllung seiner Wünsche, als daß er Cicilias Vater bestimme, sie ihm zur Frau zu geben. Er versuchte dazu alle möglichen Wege, aber alles war umsonst wegen seines im Vergleich zu Messere Horatios Reichtum geringen Vermögens.

Während nun die Liebe zwischen den beiden jungen Leuten auf diese Weise fortging, fand Rinieri Gelegenheit, ein Fest zu besuchen, bei dem auch Cicilia anwesend war. Er tanzte mit, und am Ende des Fackeltanzes fügte es sich so glücklich, daß beim Wechsel der Orte und Personen, wie das bei einem solchen Tanze gewöhnlich ist, Rinieri Cicilia bei der Hand faßte; er drückte sie fest und sie die seinige.

»Mein Leben«,flüsterte ihr der Jüngling zu, »ich brenne.«

Und sie gab ihm zur Antwort: »Und ich bin schon verbrannt, Rinieri, und fast nichts mehr als Asche.«

Als der Tanz aus war, verabschiedete sich der Jüngling und sprach zu ihr: »Ich lasse mein Herz in Euren Händen.«

Und sie zu ihm: »Und ich meine Seele.«

Weiter konnten sie sich nichts sagen und schieden voneinander, beider Herzen aber waren voll der glühendsten Flammen.

Als Rinieri sah, daß Cicilias Vater ihren beiderseitigen Wünschen entgegenstand, gedachte er durch Vermittlung Nastagias seinen Zweck zu erreichen. Als er eines Tages mit ihr sprach, sagte er zu ihr: »Nastagia, ich sehe, wie genau Ihr mit Cicilia bekannt seid und wie sie sich mit ihren Frauen in diesem Euren Garten ergeht.« (Bei dem Hause des Duftkrämers war nämlich ein zwar kleiner, aber doch wohl der schönste Garten in ganz Imola.) »Ich weiß«, fuhr Rinieri fort, »daß, wenn Ihr wollt, Ihr mir leicht Gelegenheit verschaffen könnt, Cicilia zu heiraten und mich ihrer Liebe zu freuen. Darum bitte ich Euch, habt doch Erbarmen mit mir, und wenn alles andere mir widerstrebt, laßt Ihr mich nicht ganz zugrunde gehen, da Ihr so geschickt und ohne Nachteil helfen könnt!«

Nastagia war nicht von Stahl; sie wünschte die Liebschaft, wie sie sie eingeleitet hatte, auch zu Ende zu führen, und sagte, sie wolle es gern tun, wenn die Jungfrau damit einverstanden sei.

»Daran zweifle ich nicht«, sagte Rinieri, »da sie mich so feurig liebt, wie ich weiß, und wenn Ihr die Mittlerin macht, bin ich sicher, daß sie sich auf eine so ehrenhaft bezweckte Sache einlassen wird.«

Die gute Alte versprach ihm wiederholt ihre Dienste, ging zu der Jungfrau und sagte ihr, was ihr Rinieri aufgetragen hatte. Cicilia war schon völlig mit ihrem Liebhaber ein Wesen geworden; sie antwortete daher, wofern sie nur ihre Ehre dabei unverletzt bewahren wolle, sei sie bereit, zu tun, was ihr gefalle.

Nastagia kehrte also zu Rinieri zurück und bewies ihm, daß Cicilia ganz bereit sei, ihn zum Manne zu nehmen, weshalb sie unter sich sorgfältig verabredeten, was zu tun sei.

Nach einigen Tagen ließ die Muhme, die das Mädchen unter ihrer Obhut hatte, der Duftkrämerin sagen, sie wolle morgen mit ihrem Mädchen in ihren Garten kommen. Daher ordnete Nastagia mit den Liebenden die Feier der Vermählung an. Die Frauen kamen in das Haus der guten Alten und traten in den Garten; während nun Cicilia Blumen pflückte, an denen der Ort sehr reich war, ließen sich die beiden Alten in ein Gespräch ein über ihre Einkäufe, über Leinwand und Spinnerei. Unter anderem sagte Nastagia zu der andern, sie wolle ihr eine bewundernswürdige Webearbeit zeigen, die eine ihrer Töchter außer dem Hause mache, wenn sie jemand hätte, der sie ihr holte.

Die Frau sagte: »Wir wollen meine Magd danach schicken.«

Cicilia, schon von allem zum voraus unterrichtet, sagte: »Ach nein, Muhme, schickt nicht hin! Wenn es Euch recht ist, möchte ich lieber, wir gingen nach Hause, denn es überfällt mich ein solcher Schlaf, daß ich die Augen kaum offenhalten kann.«

»Ei«, sagte Nastagia, »Gott sei Dank, ich habe auch Plätze zum Schlafen in meinem Hause.«

Dann wandte sie sich zu der Magd und sagte: »Geh, wohin dich die Frau sendet! Cicilia wird schon eine Ruhestätte finden.«

Die Magd ging hin, Nastagia aber nahm die Jungfrau bei der Hand und führte sie samt der Muhme in ein Zimmer, legte sie aufs Bett, schloß die Fenster und endlich auch die Tür und gab der Muhme des Mädchens den Schlüssel. Sodann gingen beide in den Garten und erwarteten die Magd, die das Gewebe holen sollte.

Die gute Alte hatte, kurz ehe die Frauen kamen, Rinieri in jener Kammer verborgen. Sobald er nun hörte, daß seine Cicilia eingeschlossen wurde, kam er aus seinem Versteck hervor, ging an das Bett, nahm die Geliebte in den Arm, preßte sie fest an seine Brust und gab ihr Tausende von Küssen – und ebenso sie ihm. Nach vielen gegenseitigen Liebkosungen vermählte sich Rinieri mit ihr, und auf die Versicherung des ehelichen Bundes pflückte er zu großer Wonne beider die ersehnte Frucht ihrer Liebe; ja, sie hatten so viel Muße, daß sie sich mehrmals von neuem ihrer Wonne hingeben konnten. Unterdessen war nämlich die Magd eingetroffen, und durch Nastagias Geschicklichkeit kamen beide Frauen in ein langes Gespräch über die Webearbeit.

Schon war es mehr als Abend geworden; da schien es Cicilias Muhme, es sei nun Zeit, sich nach Hause zurückzuziehen. Sie ging mit Nastagia an das Zimmer, wo Rinieri sich in sein Versteck zurückgezogen hatte, und sie öffneten Tür und Fenster. Das Mädchen schlief, denn nach der ausgestandenen Ermüdung hatte sie wohl Grund dazu; die Muhme weckte sie und sprach: »Willst du Schlafhaube den ganzen Tag verschlafen? Es ist Zeit, daß wir nach Hause gehen.«

Cicilia rieb sich die Augen, stand auf und kehrte, viel heiterer, als sie gekommen war, nach Hause zurück.

Unterdessen war Messere Horatio zu Ohren gekommen, was auf dem zuvor erwähnten Balle zwischen den beiden Liebenden vorgefallen war. Daher faßte er den festen Entschluß, daß seine Tochter nirgends hin mehr weder allein noch in Begleitung gehen dürfe, und befahl, freilich zu spät, daß sie in seinem Zimmer schlafe. Nur allein vor Nastagia hütete er sich nicht, durch deren Vermittlung Cicilia von einer Jungfrau zur Frau geworden war; denn das Schicksal scheint zu wollen, daß man sich in solchen Fällen vor jedermann in acht nimmt, nur vor denen nicht, wo es am nötigsten wäre. Die beiden Liebenden waren über die neuen Beschränkungen unsäglich betrübt, und da sie sich den Weg abgeschnitten sahen, zusammenzukommen, brachte den Bekümmerten nur das noch einigen Trost, daß Nastagia Botschaften hin und her trug.

Kaum aber war ein Monat verflossen, seit Rinieri die Zusammenkunft mit Cicilia gehabt hatte, da fing ihr an, die Eßlust zu vergehen, und sie fühlte Übelkeiten, was sie Nastagia mitteilte.

»Meine Tochter«, sagte diese, »Ihr werdet wohl schwanger sein.«

»Das fürchte ich auch«, antwortete sie; »und so bin ich das unglücklichste Geschöpf, das je mit einem Manne zu tun hatte; denn wenn das mein Vater merkt, so wird er mich ganz gewiß ums Leben bringen; auch wäre es leicht möglich, daß er Rinieri ermordete: denn ich weiß, wie weit sein Zorn geht, wenn er beleidigt ist.«

Nastagia tröstete das Mädchen, ging weg und berichtete alles Rinieri, der sich schnell besann, seine Frau in seine Heimat fortzunehmen. Bis er aber verschiedene Vorkehrungen getroffen hatte, die ihm nötig schienen, um sie sicher dahin zu bringen, gingen einige Monate vorüber, und ihr Vater merkte inzwischen, daß Cicilia schwanger war. Er war darüber so betrübt, wie man nur über ein heftiges Unglück sein kann. Doch verschloß er sein Leid in sich, wollte auch nicht wissen, von wem sie schwanger war, und sein ganzes Trachten ging darauf, sie ums Leben zu bringen. Doch beschloß er, nicht selbst sich mit ihrem Blute die Hände beflecken zu wollen. Er rief einen gewissen Maltrova, seinen alten Diener, dessen er sich bediente, um denjenigen den Tod zu geben, die ihn beleidigt hatten. Er entdeckte ihm seinen Plan und brachte ihn mit leichter Mühe dazu, Cicilia zu ermorden; dann aber solle er so weit weggehen, daß man in Imola nichts mehr von ihm erfahre. Er versprach ihm dafür so viel Geld, daß er genug hätte, um überall davon leben zu können.

Nachdem die Sache unter ihnen abgeschlossen und die Art der Ausführung verabredet war, führte Horatio Cicilia aufs Land unter dem Vorwand, einen Ausflug zur Erholung zu machen. Nachdem er einige Tage mit erheuchelter Heiterkeit dort gewesen war, kam eines Abends der verruchte Maltrova mit seiner Gattin, die nicht minder gottlos war als er. Sie kamen in Messere Horatios Haus und taten, als kämen sie ganz unversehens an und wollten ihre Pferde etwas ausruhen lassen, die den Wagen zogen, auf dem seine Frau mit einigen Habseligkeiten saß. Der Verräter ward samt seinem Weibe von Cicilia mit dem heitersten Gesichte empfangen; Messere Horatio war nämlich gerade abwesend, da er, um den Unmut zu zerstreuen, der ihm das Herz beklemmte, mit einem Sperber auf die Wachteljagd gegangen war. Als er nach Hause kam und den Henker erblickte, hieß er ihn willkommen; es war schon spät, man setzte sich zu Tische, und bei dem Essen fragte Messere Horatio, wo ihre Reise hingehe. Die Alte antwortete, sie wollten ein paar Hochzeiten von Verwandten mitmachen, die in Massa gefeiert würden. Cicilia wich gerne den Blicken ihres Vaters aus in Besorgnis, er möchte merken, was er schon längst gemerkt hatte. Daher sagte sie bei dieser Mitteilung: »Wie gerne ginge ich mit dahin, wenn es mein Vater erlaubte!«

»Und warum sollte er es nicht zugeben?« sagte die Alte.

»Weil«, antwortete Messere Horatio, vorsätzlich seinen eigentlichen höchsten Wunsch verbergend, »weil meine Tochter gar nicht gewohnt ist, umherzureisen.«

»Ei«, sagte die gottlose Alte, die in den ganzen Plan eingeweiht war, »wollt Ihr, Messere, daß das Mädchen wie eine Nonne sich immer im Hause vergrabe? Vergönnt Ihr doch auch je und je eine anständige Zerstreuung! Der Ort, wohin wir gehen, ist nicht weit, der Weg gut und ungefährlich, die Jahreszeit lädt zu Vergnügungen ein, bei den Hochzeiten werden viele adlige Fräulein sein, wie Cicilia, und ich will schon über sie wachen und ihr Gesellschaft leisten, als wäre es mein eigen Kind. Daher bitte ich Euch, mir zu erlauben, daß sie mit mir kommt und mit meinem Manne; wir haben sie ja von Kindheit auf schon gepflegt und gewartet.«

Messere Horatio tat noch immer, als sei er nicht einverstanden, und die unglückliche Cicilia, die nicht wußte, was das für Folgen haben werde, um was sie so einfältig bat, bestürmte ihren Vater unablässig, ihr die Erlaubnis zu erteilen. So bat also einerseits die Tochter, andererseits die böse Alte und die andern, die im Hause waren, und am Ende stellte er sich zufrieden. Am Morgen ließ Messere Horatio Cicilia ein karmosinrotes Zendelkleid anziehen und übergab sie Maltrova und dem gottlosen Weibe auf ihren Wagen. Messere Horatio tat, als wollte er seiner Tochter noch eine alte Frau zur Gesellschaft mitgeben; die andere aber sprach: »Ihr habt wenig Zutrauen zu mir, Messere, daß Ihr meint, sie brauche noch ein anderes Geleite, wenn ich bei ihr bin. Sollte ich etwa nicht verstehen, sie zu bedienen?«

Der Vater schien sich auf diese Worte der Gottlosen zu beruhigen; das unglückliche Fräulein meinte eine Lustreise anzutreten und machte sich auf den Weg mit solchen, die sie zum Tode führten.

Maltrova schlug den Weg gegen Ravenna ein, und als sie in einen dichten Wald kamen, tat er, als sei ein Holz am Wagen gebrochen, und sagte zu seinem Weibe und der jungen Frau, sie sollten aussteigen, damit er die zerbrochene Stange wieder in Ordnung bringe. Die zwei Frauen stiegen ab, und als Cicilia auf dem Boden stand, nahm sie Maltrova beim Arme und sprach: »Empfiehl deine Seele Gott, denn hier mußt du durch meine Hand sterben!«

Die junge Frau war bei diesen Worten halb tot und fing an, laut zu weinen und zu schreien. »Ach, Maltrova«, sagte sie, »sind das die Hochzeiten, zu denen du mich führen willst? Behandelt man so Frauen meinesgleichen?« »Ja«, antwortete der Verruchte, »so behandelt man Weiber, die ohne Rücksicht auf die Ehre ihrer Familien tun, was du getan hast, schnödes Weib! Hier soll deine Hochzeit gefeiert werden, wie es sich für dich gehört.« Aus diesen Worten erkannte die Unglückliche, daß der Vater ihren Fehltritt bemerkt und sie deshalb diesem Manne übergeben habe, damit er sie umbringe. Dessenungeachtet warf sich die Unglückliche vor Maltrova auf die Knie und sprach weinend zu ihm: »Ich leugne nicht, gefehlt zu haben; aber nichtsdestoweniger habe ich ja dich niemals beleidigt und dir keine Schmach angetan, wofür du dich rächen müßtest. Ach, wenn du nicht mit mir Erbarmen haben willst, so habe wenigstens Mitleid mit dem unglücklichen Geschöpfe, das ich unter dem Herzen trage! Gib nicht außer mir auch ihm den Tod, das noch nichts verbrochen hat, ja noch gar nicht geboren ist!«

Dann stand sie auf und wandte sich an die grausame Alte: »Ach, meine Mutter«, sprach sie, »ich bitte Euch, erlaubt doch nicht, daß ich von Eurem Gatten, dem ich immer, wie Ihr wißt, nur Freude machte, so grausam hingemordet werde!«

Die mitleidslose Alte sagte nichts anderes zu ihr als: »Wenn dein Vater sich deiner nicht erbarmt hat, wie willst du, daß wir es sollen? Sterben mußt du: darum hab acht, nicht mit dem Leib auch die Seele zu verlieren!«

Da nahm sie Maltrova bei den Haaren und hob das Schwert auf, um ihr den Kopf abzuschlagen. Während er aber ausholte, faßte die Alte, in der das Erbarmen Platz gegriffen hatte, doch das Mitleid mit dem jungen Weibe; sie hielt den Arm des Gatten auf und sprach zu der unglücklichen Cicilia: »Wenn du uns versprichst, so weit wegzugehen, daß dich niemand kennt und nie jemand sagt, daß du noch am Leben bist, so will ich dir das Leben schenken.«

Cicilia meinte, es sei eine Stimme vom Himmel in ihre Ohren gedrungen; sie versprach es ihr und schwur ihr bei Gott, es so zu machen. Da bewog die Alte ihren Gatten, wiewohl mit Mühe, sie nicht umzubringen. Man nahm ihr nun den Rock von Zendel und alle Zierate ab, die ihre edle Abkunft andeuten konnten, und ließ sie im bloßen Hemde. Da schenkte ihr die Alte einen schlechten, sehr abgetragenen Unterrock von ihr, den sie anlegte. Maltrova ließ sie im Walde allein, stieg auf seinen Wagen und fuhr weiter samt den Kleidern der unglücklichen jungen Frau und allem, was Messere Horatio ihm zu seinem Zwecke gegeben hatte. Aber kaum hatte er sich von Cicilia zehn Meilen weit entfernt, als eine Räuberbande sie überfiel und ihm und seiner Frau den verdienten Tod gab; und mit Cicilias Kleid nahmen die Räuber ihnen alles, was sie von Messere Horatio bekommen hatten und was sich auf mehr als viertausend Gulden in Gold belief. Aber die göttliche Gerechtigkeit fügte es, daß auch sie bald hernach den Lohn für ihre verbrecherischen Taten bekamen: denn sie begegneten dem Polizeimeister von Ravenna, der mit einer starken Schar ausgezogen war, sie gefangennahm und vor den Richter führte, wo sie nach geleistetem Geständnis ihrer Mordtaten die gebührende Strafe fanden.

Die unglückliche Cicilia hatte eingenäht in einen Gürtel, den sie unter dem Hemd auf dem bloßen Leibe trug, ein paar hundert Goldgulden und einige Kleinode; denn da sie mit Rinieri von ihrem Vaterhause fliehen wollte, hatte sie schon angefangen, wertvolle Sachen zusammenzusuchen, um sie mit sich zu nehmen. Sie zog daher zwei Paar Goldgulden heraus und ging so lange durch den Wald weiter, bis sie den Weg nach dem Meere fand. Sie stieg in eine Barke, die gegen Loretto ging, und ließ sich nach dem Hafen von Ricanati führen. Dort fand sie ein frommes und ehrbares altes Weiblein, mit der sie ihre armselige Lebensweise teilte; sie hieß Isabella von Narne. Zwei Tage darauf fing Messere Horatio an, sich zu verwundern, daß Cicilia nicht zurückkehre. Er schickte einen seiner Leute nach Massa, wohin Maltrova nach seiner Angabe hatte auf die Hochzeit gehen wollen. Der Diener kehrte zurück und meldete, er sei nicht nur nicht dorthin gegangen, sondern es sei dort gar keine große Hochzeit gefeiert worden. Als Messere Horatio dies hörte, fing er an zu schreien und zu wehklagen und den größten Schmerz zu heucheln und sich und sein Unglück zu verfluchen, das ihn verleitet habe, seine Tochter einem solchen Manne und Weibe anzuvertrauen. Er schickte Reitende nach allen Seiten, um zu sehen, ob man nicht eine Spur von Maltrova finden könne. Alle Leute in der Stadt bejammerten mit ihm einen so unerklärlichen Vorfall, wunderten sich aber unter sich, daß Messer Horatio sich diesem Manne in einer Sache von solcher Wichtigkeit anvertraut habe. Man wußte darüber nichts anderes zu sagen, als, nachdem Messere Horatio mit Hilfe dieses Menschen andern tausendfach Schmach angetan, habe Gott endlich diesen Vorfall gestattet, um zu zeigen, daß aus böser Handlungsweise und aus dem Umgang mit Bösen weiter nichts zu ernten ist als Böses.

Die Leute, die ausgegangen waren, um Maltrova zu suchen, kehrten zurück und sagten, er sei gar nirgends zu finden; sie hätten aber gehört, im Hafen von Ravenna sei ein Schiff von Kaufleuten, die nach Otranto gesegelt seien, um von dort nach Konstantinopel zu fahren; sie halten es für sicher, daß er mit diesem Schiffe entflohen sei und Cicilia dem Großtürken bringe, indem er denke, da sie so schön sei, einen großen Gewinn daraus zu ziehen. Messere Horatio schickte nach Otranto und erfuhr, das Schiff sei schon über acht Tage weggefahren. Nun stellte er sich als den unglücklichsten Vater, der da lebe (obwohl ich glaube, daß sein Schmerz nicht ganz nur Verstellung war), und trauerte tief.

Während dies in Imola vorfiel, gebar Cicilia im Hause der guten Alten einen wunderschönen Knaben, dem sie den Namen Rinieri beilegte, um durch den Namen ihres Kindes die Sehnsucht nach ihrem Gemahl zu lindern, die sie verzehrte, und dem sie sich doch nicht zu entdecken wagte, teils wegen des Eides, den sie Maltrova hatte schwören müssen, um nicht wider Gott zu sündigen, teils weil sie fürchtete, es könnte ihrem Vater zu Ohren kommen, und er würde dann sie beide umbringen lassen, nachdem sie schon einmal seine Grausamkeit erprobt hatte.

Cicilias Schicksal ward in der ganzen Romagna bekannt und kam auch zu Rinieris Ohren, der höchst betrübt darüber nach Imola ging und von Nastagia zu erfahren suchte, was an der Sache sei. Als er nun kein Mittel sah, Cicilia wiederzufinden, nahm er den Dolch, den er an der Seite trug, und wollte sich erstechen. Nastagia aber gab es nicht zu und überredete ihn, seine Frau aufzusuchen: denn sie sei versichert, wenn er eifrig suche, werde er sie finden und einst noch glücklich mit ihr zusammen leben. Rinieri befolgte diesen Rat und ging, ohne weiteres Merkmal anzugeben, nachdem er erkundet hatte, welchen Weg Maltrova eingeschlagen habe, nach dieser Richtung hin. Nachdem er lange gesucht hatte, fand er einen Schäferknaben, der sagte, er habe gesehen, wie einer eine junge Frau umbringen wollte, die er auf dem Wagen gehabt, und er glaube auch, er habe sie umgebracht, denn er habe sie später nicht mehr gesehen. Auf diese Kunde war Rinieri so betrübt, daß es nicht zu sagen ist. Als er weiterging, fand er einen andern, der ihm sagte, der Mann auf dem Wagen sei nebst einem alten Weibe von Räubern umgebracht worden, eine junge Frau habe er aber nicht bei sich gehabt. Rinieri dachte, nun brauche er nicht weiterzugehen, denn er war nun überzeugt, daß nach der Aussage des Hirtenknaben seine Geliebte tot sei. Er wollte daher nach Imola zurückkehren und sich auf demselben Bett den Tod geben, auf welchem sie ihre Vereinigung gefeiert hatten. Aber siehe da, während er diesen Gedanken nachhing, sah er einen Mann kommen, der das Kleid anhatte, das Cicilia trug, als Maltrova sie umbringen wollte. Rinieri erkannte es sogleich als dasselbe, das das Fräulein auch an dem Tage trug, wo er und sie ein Paar wurden. Er fragte ihn freundlich, wo er es herhabe, und erhielt zur Antwort, er habe es in Ravenna in einem Judenladen gekauft. Rinieri bat ihn, mit ihm nach Ravenna zurückzukommen, und er war es zufrieden. Sie gingen beide nach der Stadt; der Fremde führte ihn dahin, wo er das Kleid gekauft hatte, und Rinieri erfuhr von dem Juden, es habe einigen Räubern gehört, die in Ravenna gehenkt worden seien. Rinieri begab sich zu den Richtern und den Notaren des Amtes, erforschte, was sie bei den Räubern gefunden und von ihnen erfahren hätten, und diese zeigten ihm denn unter anderem einen Brief, den sie Maltrova nebst einer Geldsumme abgenommen. Er hatte denselben gleich, nachdem er Cicilia verlassen, geschrieben, um ihn dem ersten vertrauten Boten zu übergeben, den er fände; er benachrichtigte darin Messere Horatio, daß er seinem Auftrage gemäß seine Tochter umgebracht habe. Rinieri nahm den Brief und kaufte das Kleid zurück, mit dem festen Entschluß, Rache zu nehmen für die Frau, die er wie sein Leben liebte. Er begab sich daher zu dem Präsidenten der Romagna, der gerade in Cervia war, überreichte ihm den Brief und bat, ihm Gerechtigkeit nicht zu versagen. Dem Präsidenten war der Vorfall mit Cicilia bereits gemeldet worden, und er hegte bei sich die Überzeugung, daß der Vater um das ihr zugestoßene Schicksal sicher wissen müsse. Als er daher den Brief sah, verfügte er sich alsbald nach Imola und ließ in der folgenden Nacht Messere Horatio verhaften und ins Gefängnis setzen. Am Morgen ließ er ihn vorführen und fragte ihn, was aus seiner Tochter geworden sei. Bei dieser Frage ging ihm ein Stich durchs Herz. Doch machte er, so gut er konnte, ein heiteres Gesicht und sagte, er wisse nicht mehr davon als die ganze Stadt. In diesem Augenblicke trat Rinieri unvermutet hinter einem Bett hervor, wo ihn der Präsident hatte verbergen lassen, trat Messere Horatio entgegen und zeigte ihm Cicilias Kleid mit den Worten: »Ha, alter Schurke, kennst du dieses Kleid? Übergabst du nicht dem Maltrova deine Tochter in diesem Aufzuge, damit er sie umbringe? Gabst du ihm nicht so und so viel Goldgulden und Kleinodien?« (Er war nämlich vom Amt in Ravenna vollständig unterrichtet, weil die Räuber bekannt hatten, welche Habseligkeiten dem Maltrova abgenommen worden waren.) »Gabst du sie ihm nicht, damit er dies ausführe? Kennst du diesen Brief, gottloser Mensch?«

(Bei diesen Worten zeigte er ihm Maltrovas Brief.)

»Lies ihn, und du wirst sehen, grausamer Mann, daß der verruchte Henker dein Verlangen erfüllt hat!«

Der arme Alte las den Brief, sah das Kleid, und da er sich so bis ins Einzelne den Hergang vorerzählen hörte, wußte er nicht, was er antworten sollte, und stand wie versteinert da; denn er konnte sich gar nicht erklären, wie dieser Mensch das alles wisse. Da nun der Präsident sah, daß er in diesem Grade allen Mut verloren hatte, hielt er ihn mit Überzeugung für schuldig und sprach zu ihm: »Behandeln Väter ihre Töchter so, Messere Horatio? Aber Ihr sollt so dafür gestraft werden, daß es Euch jammern soll!«

Der arme Schelm antwortete: »Ja, so machen es die Väter, wenn sie die Schmach nicht ertragen können, die ihre Töchter der Familie antun, indem sie sich Männern hingeben, die nicht ihre Gatten sind.«

Darauf erwiderte Rinieri: »Nur ihrem Gatten hatte sich Cicilia hingegeben, Verruchter; von ihm war sie schwanger, sonst von keinem; und dieser bin ich. Aber ich danke Gott, daß deine Züchtigung dich erwartet; und nicht mit einem Tode allein solltest du gestraft werden, sondern mit zweien, wenn du zweimal sterben könntest, da du mit einem Male die Tochter und den unschuldigen Enkel ums Leben gebracht hast.«

Da sprach Messere Horatio zu Rinieri: »Hätte ich dich nur früher gekannt als jetzt, so hättest du nicht Zeit gefunden, mich anzuklagen; jetzt aber sterbe ich nur darum ungern, weil du am Leben bleibst; dir aber gebührte eine weit größere Strafe als mir, weil du die erste Ursache des ganzen Unheils bist. Und der Herr Präsident handelt unrecht, wenn er dich nicht züchtigt und dich nicht lehrt, den Vätern freie Hand zu lassen in Verheiratung ihrer Töchter.«

»Die Ehen sind frei, Messere Horatio«, antwortete der Präsident, »und wenn die Töchter sich nach ihrem Wunsche verheiraten, darf man sie deshalb nicht umbringen.«

Nach diesen Worten ließ er Messere Horatio wieder ins Gefängnis unter sorgfältige Bewachung bringen und zeigte dem Papste an, wie die Sache stehe. Dieser schrieb ihm zurück, er solle ihm ihn nach Rom schicken. Der Präsident schickte ihn hin, der Papst ließ ihn sogleich verhören und fand ihn zweier Tode schuldig; darum wurde er verurteilt, geköpft zu werden, – nicht sowohl, um ihn für die Ausführung des Todes zu bestrafen, als weil er jenen Mörder mit Geld zu einer so verbrecherischen Tat bewogen hatte, – damit er ein abschreckendes Beispiel würde für die Welt und zeigte, welche Strafe diejenigen verdienen, die solche Bösewichte zum Morde anderer, namentlich der eigenen Angehörigen, mit klingender Münze dingen.

Messere Horatio war, wie wir gesagt haben, in seiner Heimat ein Mann von edlem Hause und großem Vermögen; deshalb hatte er auch einen weiten Ruf, und kaum war er zum Tode verurteilt, als sich das Gerücht davon da- und dorthin verbreitete. So kam es auch nach Recanati zu Cicilias Ohren. Diese Nachricht berührte sie schmerzlich, und sosehr sie Rinieri liebte, so hörte sie doch mit großem Mißfallen, daß er es gewesen sei, der ihren Vater zum Tode gebracht habe. Sie beschloß daher, ihn zu retten, und meinte, den Eid, den sie dem Maltrova habe leisten müssen, sich nicht zu offenbaren, dürfe sie unter solchen Umständen wohl brechen, und sie könne das tun, ohne Gott zu verletzen. Daher nahm sie Abschied von der guten Alten, machte sich mit ihrem Söhnchen auf den Weg und kam gerade an dem Tage in Rom an, wo Messer Horatio zur Richtstätte geführt wurde. Als Cicilia auf den Platz kam, wo das Todesurteil vollzogen werden sollte, und den Henker mit dem Schwert in der Hand sah, bereit, ihm den Kopf abzuschlagen, da drängte sie sich gewaltig durch das Volk und fing an zu schreien, was sie konnte: »Halt ein mit deinem Schwert, halt ein mit deinem Schwert, Scherge! Der wackere Mann hat den Tod nicht verdient: denn sie lebt samt ihrem Kinde, um derenwillen er zu diesem grausamen Tode verurteilt wurde!« Alles anwesende Volk wandte seine Blicke nach diesem Schreien und sah die junge Frau mit dem Knäblein im Arme: das war das schönste Kind, das je ein sterbliches Auge erblickte; und wegen des Mitleids, das alle mit Messere Horatio hatten, ließ man die Hinrichtung nicht vollziehen, denn man dachte, es könne die Tochter des Edelmanns sein. Cicilia kam mit ihrem Söhnchen im Arme auf das Schafott, wo der Unglückliche mit auf den Rücken gebundenen Händen kniete, indem er den tödlichen Schlag erwartete. Sie fiel ihrem Vater um den Hals und rief: »Ach, liebster Vater, seht hier Eure unglückliche Tochter, die Gott sei Dank noch lebt und die Euch in so großer Not auch das Leben bringt, gänzlich vergessend, daß Ihr sie dem verruchten Maltrova übergeben habt, um sie zu ermorden! Seht hier bei ihr Euren Enkel, um dessentwillen Euch auch mit ein so schlimmes Los getroffen hat! Verzeiht mir, lieber Vater, wenn ich Euch beleidigt habe, und nehmt von mir Euer Leben an!«

Bei diesen Worten fühlte ihr Vater seine Empfindungen sich so das Herz beklemmen, daß er keine Silbe hervorbrachte. Er weinte vor Rührung und hätte seine Tochter gern umarmt und ihr das liebe Kind abgenommen, wenn dem Armen nicht die Hände gebunden gewesen wären.

Rinieri, der dabei war, um dem Schwiegervater den Kopf abschlagen zu sehen, und seine Frau lebendig und mit dem wunderschönen Söhnlein auf den Armen erblickte, erkannte sie sogleich. Wie närrisch lief er auf sie zu und umarmte sie vor allem Volk nebst dem Kinde, und auch sie umarmte ihn. Daraus erkannte denn jedermann, daß es die Tochter des Messere Horatio und daß der Jüngling ihr Gatte war. So kamen aus Freude und Mitgefühl allen die Tränen in die Augen.

Der Gerichtshauptmann tat dem Papste den Vorfall zu wissen, der denn höchlich verwundert Messere Horatio und die andern vor sich führen, sich alles einzelne genau erzählen ließ und Gott lobte, daß die junge Frau so zeitig eingetroffen sei. Er tadelte die Tochter, daß sie ohne Wissen ihres Vaters sich vermählt habe, und Messere Horatio, daß er darum sie hatte ans Messer liefern wollen. Am folgenden Tag aber ließ er ein kostbares Mahl bereiten und die unter den zwei Liebenden heimlich geschlossene Ehe von neuem in seiner Anwesenheit feierlich einsegnen nach vorangegangener Zustimmung des Vaters. Dieser ließ seiner Tochter und seinem Enkel all sein Vermögen als Erbgut und ging, der Welt satt, in ein Mönchskloster, wo er sein Leben fromm beschloß. Rinieri aber lebte mit Cicilia fortwährend in glücklicher Eintracht, und beide dankten Gott, daß er sie nach solcher Bekümmernis für so große Wonne aufgespart.


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