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Humoristische Meister-Novellen
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Sein Freund Reimers

Der Detektiv Ewald Spürfelder erhielt eines Morgens einen Eilbrief. Quer über die Vorderseite des Umschlags lief ein schwarzer Vordruck. Spürfelder besah sich kopfschüttelnd das merkwürdige Schreiben, welches aus einer bekannten – – Irrenanstalt kam.

Behutsam öffnete er den Brief und überflog mit erstaunten Blicken den kurzen Inhalt der Botschaft. Die Direktion der Anstalt ersuchte Herrn Spürfelder höflich, wenn irgend möglich, sofort hinzukommen. Ein Kranker, ein gewisser Herr Reimers, behaupte, mit ihm befreundet zu sein, und wünsche ihn baldigst in dringender Angelegenheit zu sprechen.

Spürfelder ließ erschrocken das Blatt sinken: »Mein guter Reimers,« murmelte er, »armer Kerl! Wie in aller Welt konnte dieser kerngesunde Mensch in eine Irrenanstalt geraten?«

Reimers reiste viel in der Welt umher und hatte seit etwa Jahresfrist nichts von sich hören lassen. Das fiel bei ihm jedoch nicht weiter auf. Man war daran gewöhnt, daß er entweder plötzlich dastand, wie aus der Erde gestampft, oder ebenso unvermutet aus irgendeinem fernen Weltteil Karten sandte. Zuweilen blieb er längere Zeit verschollen.

Doch diese letzte Schreckensnachricht traf Ewald Spürfelder vollkommen unvorbereitet. Reimers, der stets heitere, lebensfrohe Mensch – – irrsinnig? Er konnte es nicht fassen . . . Sechs Stunden später saß er ihm gegenüber.

Reimers war grau geworden. Er sah verstört und bleich aus. Im übrigen fiel nichts Abnormes bei ihm auf. Nach den ersten Begrüßungen begann er ruhig und zusammenhängend zu erzählen:

»Hier hat man mich nun als einen an einer fixen Idee leidenden Kranken eingesperrt, und dabei bin ich so normal wie du! Ich bitte dich, hilf mir!«

Spürfelder nickte zustimmend. Er wußte, daß jeder Irre sich für gesund hält, und daß man diese unglücklichen Kranken nicht durch Widersprüche reizen darf. So gab er ihm scheinbar ohne weiteres recht und versprach ihm, was er wollte.

Reimers strich sich gedankenvoll über die Stirn und fuhr fort:

»Es war vor einem Jahre, in einem kleinen Badeort, als ich gleich in der ersten Nacht durch leises, aber regelmäßiges Schnarchen am Schlafen gehindert wurde. Ohne Zweifel drang das unangenehme Geräusch aus dem Nebenzimmer. In der folgenden Nacht war es genau dasselbe. Ich beschwerte mich, und man stellte mir bereitwilligst ein anderes Gemach zur Verfügung. Dort erging es mir aber um kein Haar besser, obgleich das Nebenzimmer unbewohnt war. Das Schnarchen mußte also von oben oder von unten kommen. Da in dem leichtgebauten Hause alles zu hören war und der Wirt nicht meinetwegen alle Gäste fortschicken konnte, so blieb mir nichts anderes übrig, als auszuziehen.

Ich wählte ein Hotel, dessen Wände – wie mir der Wirt versicherte – so dick sein sollten, daß das lauteste Kindergeschrei nicht durchdringen könne. Trotzdem nahm ich aus Vorsicht ein Eckzimmer, dessen einziges Nebengelaß, wie auch die darüber und darunter befindlichen Räume, leer war.

Froh, eine Nacht ungestört schlafen zu können, legte ich mich nieder. Kaum aber war ich – wie gewöhnlich – schnell eingeschlafen, als das entsetzliche Schnarchen mir wieder zu Ohren drang.

Der Wirt, dem ich am folgenden Morgen mein Leid klagte, lachte mich aus und sagte mir unverblümt ins Gesicht, ich litte an Einbildungen. Er vermochte aber nicht zu bestreiten, daß in einigen anderen, entfernten Zimmern Gäste schliefen, von denen der eine oder andere möglicherweise schnarchte.

Und warum konnte mein Gehör nicht so fein sein, daß in der Stille der Nacht dieses durchdringende Geräusch sich mir auch noch in größerer Entfernung unangenehm bemerkbar machte?«

Reimers hatte die Stimme eindringlich fragend erhoben. Seine Augen forschten aufflackernd in den Zügen des Freundes. Ewald Spürfelder stimmte ihm wiederum bei.

»Was blieb mir schließlich übrig,« fuhr Reimers seufzend fort, »als – – einen Arzt um Rat zu fragen. Denn durch diese elende Schnarcherei, die mich nun auch schon am hellen Tage verfolgte, sobald ich versuchte, mich ein wenig aufs Ohr zu legen, wurde ich tatsächlich sehr nervös.

Der Arzt gab mir Schlafmittel, die vorübergehend wirkten und mich dann nur noch nervöser machten. Schließlich brachte er mich, da er mich ohne Zweifel gern los sein wollte, auf den Gedanken, nach Afrika zu reisen und dort für einige Zeit inmitten der Wüste mein Zelt aufzuschlagen, fern von Menschen und menschlichen Geräuschen. Gesagt, getan. Sei es nun, daß meine Diener oder einer der Führer schnarchte – obgleich sie in ziemlicher Entfernung von meinem Zelte lagerten –, sei es, daß der Wind oder die Luftwellen, wie bei der drahtlosen Telegraphie, die Leiter waren, kurz, alles blieb beim alten. Selbst in den Schutzhütten der höchsten Berge, deren gewaltige Einsamkeit ich gegen das Wüstenlager eintauschte, verlor sich das schauderhafte Geräusch nicht.

Es kommt mir beinahe so vor, als bestehe irgendeine geisterhafte Verbindung zwischen meinen Ohren und irgendeinem geheimnisvollen, unbarmherzigen Schnarcher – –«

Reimers stockte und blickte den Freund hilflos fragend an.

Spürfelder wurde jetzt klar, daß Reimers tatsächlich an einer fixen Idee litt; er schwieg aber und nickte nur teilnehmend und zustimmend.

»Ich wurde von Pontius zu Pilatus gesandt,« berichtete Reimers weiter. »Ein Arzt empfahl mich dem andern, und der letzte sperrte mich hinterlistig in diese Anstalt. Mein Gott, wozu denn? Ich bin doch ein ganz normaler Mensch! Vernünftiger als mancher Narr, der frei herumläuft. Ich rede mir wahrhaftig nichts ein! Aber wenn ich hierbleiben soll – unter lauter Verrückten – dann werde ich verrückt! Muß es werden! – Ewald, rette mich! Hier kann ich nicht bleiben!«

Spürfelder sann nach. Zu einer gewaltsamen Entführung mochte er seine Hand nicht bieten. Aber helfen wollte und mußte er. Er wollte wenigstens versuchen, den Freund von der seltsamen Krankheit zu befreien.

Zunächst ließ er sich den ganzen Zustand nochmals auf das genaueste erklären; besonders erbat er die Schilderung kleinster Einzelheiten aus den Stunden, in welchen Reimers das Schnarchen zu vernehmen glaubte. Er zergliederte in schärfster Gedankenanspannung jede Angabe des Kranken, jede Bewegung, jede Empfindung, die bei ihm im Ruhezustande eintreten mußte – und plötzlich kam es wie eine Erleuchtung über ihn – er hatte die Lösung des Rätsels gefunden. So nur war es, so nur konnte es sein. Armer Reimers! Du leidest nicht an einer fixen Idee, du narrst dich selber! – – Alles spielt sich im Leben logisch ab. Man braucht also nur logisch zu denken, um den rettenden Faden zu finden.

»Kannst – willst du mich retten?« fragte der Unglückliche mit bebender Stimme, beunruhigt, weil Spürfelder gar so lange schwieg. Die Tränen traten ihm in die Augen.

»Ja,« sagte Spürfelder fest, »von heute an wirst du ungestört schlafen. Ich glaube jetzt schon zu wissen, wer der Störenfried ist.«

»Wer? Wo?« schrie Reimers auf und rüttelte den Freund an den Schultern.

»Darüber später mehr. Jetzt wollen wir einen schönen Spaziergang durch die Anlagen der Anstalt machen, dann essen wir zu Abend und gehen zu Bett. Ich schlafe mit dir in einem Zimmer, und es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir den Bösewicht nicht abfaßten.«

Sie taten so. Reimers schlief erschöpft von den Aufregungen des Tages bald ein, während Spürfelder in höchster Spannung auf der Lauer lag. Er brauchte nicht lange zu warten. Bald ließ sich erst leises, dann lauteres Schnarchen hören, und gleich darauf fuhr Reimers empor.

»Da ist es wieder!« rief er in höchster Erregung. »Hast du es auch gehört?«

»Ja,« sagte Spürfelder, »meine Vermutung stimmt, ich weiß jetzt den Täter.«

Reimers sprang in höchster Erregung aus dem Bett und packte den Freund.

»Um Gottes willen!« rief er. »Wer ist es?«

»Du selbst,« rief Spürfelder aus, sich sanft losmachend.

»Ich – – –???«

»Ja, du! So schwer die Lösung anfangs schien, so einfach ist sie. So naheliegend – im wahrsten Sinne des Wortes. Du hörtest im Halbschlummer – dein eigenes Schnarchen!«

Und so war es in der Tat. Reimers begann, sich selber sorgfältig zu beobachten, und überzeugte sich sehr bald davon.

Eine leichte Operation befreite ihn von dem häßlichen Schnarchen, und er war gerettet.

*


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