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Wie man einen Weinreisenden los wird · Kleine Leiden auf einer Landpartie · Drei Gedichte
Manche werden sagen, das sei überhaupt unmöglich, ich weiß aber, daß es geht, denn ich habe es mit Erfolg probiert. Freilich war ich nicht unvorbereitet, sondern hatte mir die Sache in Gedanken eingeübt. Die Firma J. G. Pfropfenberg & Co. in Frankfurt a. M. hatte mich wissen lassen, daß in einigen Tagen ihr Vertreter die Ehre haben würde, bei mir vorzusprechen und meine Aufträge entgegenzunehmen. Mit einiger Spannung erwartete ich den jungen Mann.
Er kam, wurde mir gemeldet und in mein Zimmer geführt. Mit dem Ausdruck lebhafter Freude trat ich ihm entgegen. »Sind Sie endlich da?« rief ich. »Ich habe Sie mit Ungeduld erwartet. Bitte, nehmen Sie Platz!« Dieser Empfang schien ihn ein wenig zu wundern, doch mochte er wohl denken, ich sei in großer Weinnot. Auf meine wiederholte Aufforderung setzte er sich hin und begann: »Ich komme im Auftrage des renommierten Hauses Pfropfenberg & Co. in Frankfurt a. M., um Ihnen unsere edlen, wirklich reingehaltenen und höchst preiswürdigen . . .«
»Halt!« fiel ich ihm ins Wort – »aus Frankfurt a. M. kommen Sie?«
»Jawohl,« erwiderte er.
»Welch eine Stadt!« rief ich entzückt. »Die herrlichen Gebäude, unter denen der Dom und der Römer in erster Reihe stehen! Die wundervollen Denkmäler von Goethe und Gutenberg! Das Goethehaus! Der Palmengarten! Das Ariadneum! Die historischen Erinnerungen an Karl den Großen und den Bundestag! Und das Wasser! Ich halte den Main für einen der schönsten Ströme. Nachdem er zusammengeflossen ist aus dem Weißen Main, der im Fichtelgebirge entspringt, und dem Roten, der aus dem Rotmainbrunnen im Westen von Kreusen herkommt, läuft er um den Fränkischen Jura herum, geht er vorbei an Bamberg, Würzburg und Aschaffenburg, endlich an Frankfurt a. M., um dann bald darauf sich mit donnerartigem Brausen in den Rhein zu stürzen.«
Die lebhafte Schilderung hatte mich außer Atem gebracht, ich mußte einen Augenblick anhalten, um Luft zu schöpfen. Aber auch mein Gegenüber brauchte einige Zeit, um sich von dem Eindruck, den mein Vortrag auf ihn gemacht hatte, zu erholen. So kam ich ihm denn, als er eben das Wort ergreifen wollte, zuvor.
»Sie sind,« sagte ich, »nicht aus Frankfurt a. M. gebürtig?«
»Nein,« entgegnete er, »aus Offenbach. Ich habe die Ehre, Ihnen im . . .«
»Aus Offenbach?« fiel ich schnell ein. »Das habe ich mir gleich gedacht. Sie sind aber gern in Frankfurt, und Ihnen gefällt Ihr Beruf?«
»Im allgemeinen, ja. Das Haus Pfropfenberg & Co., in dessen Auftrag . . .«
»Glücklich in Ihrem Beruf!« rief ich, ihm ins Wort fallend. »Wie selten kann das einer von sich sagen! Die meisten wünschen sich einen anderen Beruf, als den, welchen sie haben. Der Dichter beneidet den Seifensieder, der Maler den Klempner, der Musikus den Schankwirt, der Regierungsrat den Geistlichen, der Bankier den Seemann, und so weiter. Ich selbst – Sie wissen, daß ich Käfersammler bin – möchte manchmal mit dem friedlich und harmlos von seinen Zinsen lebenden Rentier tauschen.«
Ich war, nachdem ich dies gesagt hatte, so barmherzig, ihm einen Augenblick Zeit zu lassen, und sofort schoß er los: »Erlauben Sie mir, mein Herr, daß ich Ihnen im Auftrage der renommierten Firma Pfropfenberg & Co. unsere wirklich reingehaltenen . . .«
Weiter kam er nicht, denn ich sah ihn plötzlich so fest und scharf an, daß er unwillkürlich verstummte. »An wen,« sagte ich, indem ich fortfuhr ihn anzusehen, »an wen erinnern Sie mich doch so lebhaft?«
»Ich weiß es in der Tat nicht,« sagte er verlegen.
»Halt, ich hab's!« rief ich. »Haben Sie Verwandte in Goldap?«
»Nein!« erwiderte er mit Entschiedenheit.
»Wie war doch nur Ihr geehrter Name?« fragte ich.
»Meyer – A. H. Meyer!«
»Sonderbar!« rief ich, »auch die Namen stimmen. Ich lernte vor nun bald siebzehn Jahren, als geschäftliche Angelegenheiten mich nach Goldap führten, dort einen Herrn Meyer kennen, dem Sie sehr ähnlich sehen, und ich hätte darauf schwören mögen, daß er mit Ihnen verwandt sei, vielleicht ein Onkel von mütterlicher Seite. Also Sie stehen in keinem Verwandtschaftsverhältnis zu diesem Herrn? Sehr auffallend, besonders, da auch der Name zutrifft. Dieser Meyer war Holzhändler und damals ein angehender Sechziger. Seine Frau war eine – warten Sie einmal – richtig! eine geborene Kloppfleisch. Ein prächtiger Kerl war er und ein schneidiger Geschäftsmann. Unterdessen ist er auch natürlich älter geworden.«
Während ich so sprach, war er sehr unruhig geworden, wie ich an den eigentümlichen Bewegungen seiner Füße merkte. »Erlauben Sie mir –« begann er noch einmal.
»Noch eine Frage!« unterbrach ich ihn. »Leben Ihre Eltern noch?«
»Ja!« stöhnte er.
»Das freut mich zu hören,« sagte ich. »Es ist ein nicht gewöhnliches Glück, in Ihren Jahren noch beide Eltern am Leben zu haben. Darf ich mich weiter erkundigen, ob auch Ihre Großeltern noch leben?«
Ganz rot im Gesicht, war er aufgesprungen. »Ich muß mich« – rief er mit vor Ärger halberstickter Stimme –, »ich muß mich Ihnen empfehlen. Meine Zeit ist sehr in Anspruch genommen und . . .«
»Sie wollen schon gehen?« rief ich. »Darf ich Ihnen nicht ein Glas Wein anbieten? Es ist zwar nur Kutscher und etwas säuerlich, aber durchaus rein und sehr gesund. Meine Frau würde sich freuen, wenn ich Sie ihr vorstellte.«
»Es tut mir leid,« schrie er, »aber ich habe keinen Augenblick Zeit. Wenn Sie einen Auftrag . . .«
»Oh, gewiß habe ich einen Auftrag. Wenn Sie das schöne Frankfurt wiedersehen, grüßen Sie es tausendmal von mir. Aber ich hoffe, daß wir uns hier noch sehen werden, beim Weihenstephan oder auf der Siegessäule oder . . .«
Er war schon draußen. »Herr Meyer! Herr Meyer!« rief ich, mich über das Treppengeländer beugend. Er hörte nicht darauf. Schnell stürzte ich in mein Zimmer zurück, riß das Fenster auf und schrie auf die Straße hinunter: »Herr Meyer! Wenn Sie einmal nach Goldap kommen sollten . . .«
Er wandte sich nicht mehr um, sondern lief unaufhaltsam dem nächsten Halteplatz für Droschken zu.
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