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Einem Gelehrten in einer kleinen deutschen Universitätsstadt, welcher verwitwet mit seiner einzigen Tochter zusammenlebte, war ein junger Mann befreundet, der sich in ebenderselben Wissenschaft als Privatdozent niedergelassen, in welcher der alte Herr die ordentliche Professur bekleidete.
An einem Abend waren die drei befreundeten Personen in dem behaglichen Arbeitszimmer des Gelehrten versammelt; rings an den Wänden erhoben sich hochgebaut gefüllte Bücherschränke; auf dem Schreibtisch vor dem Fenster standen sauber geordnete Pappkästchen mit gesammelten Notizen, lagen Papiere; um den runden Tisch in der Mitte saßen die drei, warm leuchtete das Licht der elektrischen Lampe durch einen gelbseidenen Schirm auf den Tisch, auf die Weingläser, eine Flasche Falerner, den Lieblingswein des alten Herrn.
Die junge und anmutige Tochter hatte eine alte Silbermünze in der Hand, die der Vater aus seiner Sammlung vorgeholt; eifrig beschaute sie das Gepräge, indes ihr die Locken in das leicht gerötete Antlitz hingen. »Es ist ein Athenakopf auf der einen Seite,« sagte sie, »die Eule und der Ölzweig auf der anderen, und hier steht auch das Alpha und Theta – das muß eine Münze von Athen sein. Ach, wie merkwürdig ist es doch, zu denken, daß vielleicht Plato dieses Geldstück in der Hand gehabt hat, oder Sophokles, daß es nun hat Jahrtausende in der Erde ruhen müssen, bis es wiedergefunden wurde – weißt du etwas von der Geschichte der Münze, Vater?«
Der Vater goß dem jungen Freunde und sich von dem leuchtenden Wein ins Glas; er sagte: »Betrachte sie genau, das ist ein seltenes Stück; sie ist fast wie vom Prägstock; sicher hat sie ein alter Geizhals aus der Münze bekommen und mit anderen Stücken in einen Topf gelegt und frisch vergraben.« Die Tochter strich die zierlichen Locken zurück und machte ein schmollendes Mündchen, indessen der Vater fortfuhr: »Aber eine Geschichte will ich euch doch erzählen von ihr.«
Nun erzählte er, wie er als junger Mann aus vornehmem Geschlechte früher Offizier gewesen und dann auf die Universität gekommen und ohne besondere Neigungen hier und da gehört hatte, wie ihn gerade die Lust ankam. Dann hatte er sich zu dem damaligen Archäologen hingezogen gefühlt, viel bei ihm gehört, in seinem Seminar gearbeitet, hatte ihn auch in seiner Familie besucht – »ich stand zu ihm genau so, wie Sie zu mir, lieber Doktor,« wendete er sich an den bescheiden zuhörenden jungen Mann; dieser zuckte etwas zusammen, verbeugte sich verlegen und sagte »Oh«. Der alte Herr hatte gleich dem Erzähler, der nun selber alt geworden war und jetzt an seiner Stelle saß, eine einzige Tochter gehabt; an einem Abend saß er mit den beiden zusammen – »genau so, wie wir heute, es war auch Falerner auf dem Tisch, denn mein Schwiegervater liebte den Falerner gleichfalls, ich habe die Neigung von ihm geerbt« – und zeigte die Münze; er hatte eine schöne Sammlung; »weißt du, Kind, die schönsten Stücke, die ich besitze, sind noch von ihm, ich selber habe nie solches Sammlerglück gehabt; und diese Athenamünze war das Schönste, was er hatte. Seine Tochter, die dann deine Mutter wurde, hielt die Münze in der Hand, gerade so wie du jetzt, und betrachtete sie, freute sich darüber, wie schön, ruhig und klar der Kopf gebildet, wie er in dem unregelmäßigen Rund gut gesetzt war; der alte Herr sagte: ›Ja, das Stück soll einmal nicht in fremde Hände kommen, wenn ich sterbe –, das soll einmal dein künftiger Mann haben.‹ Das junge Mädchen wurde feuerrot bis hinter die Schläfen und ließ die Münze fallen; ich bückte mich, sie bückte sich gleichfalls, wir stießen mit den Köpfen zusammen; da wurde es mir plötzlich klar, daß wir uns liebhatten, ich faßte ihre Hand; sie sträubte sich, aber ich hielt die Hand fest, ging mit ihr zu dem alten Herrn, der mich und das zappelnde Mädchen erstaunt ansah, und sagte: ›Geben Sie sie mir zur Frau.‹ Der Schwiegervater setzte die Pfeife ab, tat wieder einen hastigen Zug und antwortete: ›Das ist noch so eine Geschichte aus Ihrer Husarenzeit her.‹ Das Mädchen wollte sich verzweifelt frei machen, aber ich nahm sie nun auch in den Arm und sagte: ›Freilich, Schwiegervater, die Husaren haben immer Glück bei den Mädchen.‹ ›Na ja, aber ich bin doch kein Husar,‹ antwortete der alte Herr, weil er nichts Besseres zu sagen fand; da mußte ich lachen, denn er sah in seinem Schlafrock auch gar nicht husarenmäßig aus, deine Mutter lachte mit, zuletzt lachte auch der Schwiegervater, und dann paffte er ein paar Züge, goß ein, und wir feierten die Verlobung.«
Indem der alte Herr, welcher damals der Bräutigam gewesen, diese Geschichte erzählte, paffte er in den Pausen mit seiner Pfeife, denn auch er rauchte, wie damals der Schwiegervater geraucht hatte. »Du hast ja jetzt auch eine Pfeife,« rief lachend die Tochter. Der Vater sah an sich nieder, sah die beiden an, schmerzlich rief er aus: »Bin ich denn jetzt schon so alt?« Aber dann nahm er sich gleich zusammen, lachte und fuhr fort: »Das ist die Geschichte der Münze. Und weil sie nun einmal so eine Geschichte hat, so soll sie auch noch eine weitere Geschichte kriegen. Wenn ich einmal tot bin, dann soll dieses Stück dein künftiger Mann haben.«
Hier errötete das junge Mädchen plötzlich und ließ die Münze fallen; sie bückte sich, der junge Doktor bückte sich, beide stießen mit den Köpfen zusammen, fuhren dann auseinander; alle drei wurden sehr verlegen; am schnellsten hatte die Tochter wieder ihre Sicherheit; sie hob die Münze auf, beugte sich mit ihr zur Lampe und sagte: »Wie diese Unregelmäßigkeit des Randes doch die Schönheit erhöht; sie hätte eine gewisse Banalität, wenn der Rand glatt wäre wie bei unseren heutigen Münzen.« Der alte Herr sprach dann über die damalige Technik der Prägung, und so war das Gespräch aus der Nähe der gefährlichen Gefühle und beklemmenden Gedanken entfernt.
Als der junge Doktor sich verabschiedet hatte, sagte der Vater: »Man spürt bei ihm doch immer die Befangenheit, ja, man kann sogar sagen, die Schüchternheit, welche durch seine geringe Herkunft erzeugt ist.« Die Tochter erwiderte: »Du hast eben immer etwas an ihm auszusetzen!« »Ich?« fragte verwundert der alte Herr, »hast du dich denn nicht immer über seine kurzen Hosen lustig gemacht?« Hier brach das junge Mädchen in Schluchzen aus und verließ eilig das Zimmer; der alte Herr schüttelte den Kopf, dachte, daß Weiber unberechenbar sind, auch die allervernünftigsten, nahm seine Münze in die Hand, betrachtete sie mit liebkosenden Blicken und legte sie dann an ihre Stelle in ihr Fach im Schrank zurück zu den anderen.
Kurze Zeit nach dem erzählten Vorfall wurde der alte Herr krank; er glaubte nach Art der Männer sein Ende nahe, und mit der ruhigen Vernunft eines verständigen Gelehrten bereitete er sich auf den Tod vor, obwohl er noch gern behaglich einige Jahre gelebt hätte. Der junge Freund war viel um ihn und machte sich durch allerhand kluge Fürsorge und energische Anordnung bei ihm und der Tochter geschätzt.
An einem Tage, als es dem alten Herrn schon längst besser ging und der Arzt der Tochter erklärt hatte, daß er nun eigentlich schon das Bett verlassen dürfe, ließ er die Tochter und den jungen Freund vor sich kommen und sagte ihnen etwa folgendes: »Ich hinterlasse dir, meine Tochter, ein Vermögen, das mehr wie hinreichend für dein künftiges Leben ist, magst du nun einen Mann heiraten, welchen du willst. Ich kenne dich als ein verständiges und ordentliches Mädchen, das sicher eine gute Wahl treffen wird, und du weißt, daß ich dir, auch wenn ich nicht so früh abgerufen würde, nie Schwierigkeiten gemacht hätte bei der Wahl deines Gatten. Da du aber bei deiner Vorliebe für Feinheit des Äußern wahrscheinlich keinen Gelehrten wählen wirst, welche sich ja gemeiniglich etwas in ihrer Kleidung vernachlässigen und in ihrem Auftreten leicht schüchtern sind, sondern eher einem Offizier, Diplomaten oder Verwaltungsmann folgst, so habe ich große Sorge um die Dinge, welche mir nach dir, mein Kind, das Liebste sind, das ich auf Erden hinterlasse, nämlich um meine antiken Münzen. Versprich mir, daß du die Sammlung gleich nach meinem Ableben einem der großen Geschäfte überreichst, die du ja kennst, damit sie von diesem öffentlich versteigert wird; so bin ich sicher, daß die einzelnen Stücke wenigstens in pflegende Hände kommen, wenn die Sammlung selber allerdings auch zerrissen wird; aber das ist ja nun eben das allgemeine Los solcher Sammlungen, wie der Tod es für die Menschen ist, und ein philosophischer Mann wird sich über das allgemeine Los nicht beklagen.«
Die Tochter suchte ihn lächelnd zu beruhigen über den erwarteten Tod und versprach ihm dann, weil er drängte, seinen Wunsch zu erfüllen. Aber er verlangte nun das geschriebene Verzeichnis der Sammlung, welches mit im Schranke lag, weil er die wertvollsten Stücke anmerken und mit einem Mindestpreis versehen wollte. Er gab ihr den Schlüssel und entließ die jungen Leute, damit sie das Heft holten.
Als sie vor dem Schranke standen, nahm ihr der junge Mann dienstbeflissen den Schlüssel ab, um aufzuschließen; dabei berührten sich ihre Hände, und sie wurden beide verlegen. Dann zogen sie alle Fächer auf, um das Heft zu suchen; da sahen sie in dem einen Fach, dessen Reihen athenische Münzen enthielten, jene Münze, welche sie damals in der Hand gehabt hatten; das Mädchen machte eine unwillkürliche Bewegung, das Fach wieder einzuschieben, der Jüngling griff nachdenklich nach der Münze und betrachtete sie, legte sie dann seufzend zurück.
Eine kurze Weile waren die beiden stumm; dann fragte sie mit Anstrengung: »Weshalb seufzten Sie denn?« Er errötete, stotterte »Oh, nichts . . .« und fuhr dann angelegentlich fort: »Aber wir müssen das Verzeichnis suchen.«
Nach einer Weile sah sie ihm fest ins Gesicht und sagte: »Für einen Gelehrten sind die Frauen doch eigentlich immer nur Nebensache, nicht wahr?« Er geriet in Eifer und sprach sehr viel, um das Gegenteil zu beweisen; aber sie folgte ihrem Gedankengang, sah ihn wieder fest an und schloß seine begeisterte Rede: »Es ist mir auch lieber so, das ist doch eigentlich die natürliche Auffassung.«
Das Heft fand sich nicht; in Aufregung und Zerstreutheit öffneten sie nochmals Fächer, die sie schon geöffnet hatten; so erblickten sie auch wieder die Reihen der athenischen Münzen; nun nahm das junge Mädchen die alte Münze heraus, betrachtete sie lange, sah dann den jungen Mann eigentümlich an und sagte endlich: »Wir haben ja alle unsere kleinen Schwächen, mein guter Vater wird hoffentlich noch recht lange leben und . . .,« sie vollendete diesen Satz nicht; dann begann sie von neuem: »Wenn einmal die Sammlung zerstreut wird, dann sollen Sie diese Münze vorher bekommen, weil, weil . . .,« sie vollendete auch diesen Satz nicht.
Der junge Mann sagte ganz betroffen: »Aber diese Münze sollte doch Ihr zukünftiger Gatte haben.«
Sie warf ihm das Geldstück ins Gesicht und lief aus dem Zimmer. Er stand bestürzt, endlich wagte er ihr zu folgen; er fand sie in ihrem Stübchen auf einem Stuhl sitzen, das Gesicht in beiden Händen und heftig weinend. Als sie ihn eintreten hörte, sprang sie auf und rief ihm erregt zu: »Was wollen Sie?« Er zog sich zur Tür zurück, nahm die Klinke in die Hand; da rief sie lachend aus: »Jetzt geht er auch noch wieder fort!« Nun überwand er seine Schüchternheit, oder vielleicht war es auch anders gekommen, denn wie es geschehen war, wußten sie beide nachher nicht so recht; kurz, sie hielten einander im Arme und küßten sich.
Indem hörten sie den Gang des Vaters vor der Tür; sie prallten auseinander, das Mädchen nahm ihr Tuch vor das Gesicht; der Vater trat ein im Schlafrock und mit der Pfeife und sagte: »Ich habe mir doch überlegt, daß es besser ist, wenn ich das Bett verlasse, ich habe auch noch etwas Notwendiges zu arbeiten.« Aber dann fiel ihm die wunderliche Stellung der beiden auf, er fragte erstaunt: »Aber wie kommt ihr denn hierher?« Da blickte das Mädchen hinter dem Tuch vor mutwillig auf den jungen Mann, dieser ging auf sie zu, legte den Arm um sie und sagte zu dem Vater: »Wir haben es so gemacht, wie Sie uns von sich erzählt haben.« »Glaub ihm nicht,« warf die Tochter lachend ein, »er ist nie Husar gewesen.«
»Das hätte ich doch nie gedacht, daß du einen Gelehrten heiraten würdest,« sagte der Vater. »Habt ihr auch den Münzenschrank wieder zugeschlossen?«
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