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36. Der König und seine drei Söhne

. Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne, aber keine Tochter. Eines Abends schickte er die drei schlafen und befahl ihnen, am nächsten Morgen solle ihm jeder sagen, was er in dieser Nacht geträumt habe. Als sie in der Früh aufgestanden waren, fragte sie der König: »Was habt ihr geträumt?« Der älteste sagte: »Ich habe geträumt, daß ich König werde.« Der zweite: »Ich habe geträumt, daß ich ein großer Herr werde.« Der dritte: »Und ich habe geträumt, daß du mir die Hände waschen, die Mutter mir das Handtuch halten würde, der älteste Bruder das Waschbecken, und daß der zweite mich bedienen würde.« Als das der König hörte, schalt er ihn und gebot ihm, das Land zu verlassen. »Seht nur den Menschen,« sagte er, »ich und ihm die Hände waschen!« Der arme Prinz sah nun, daß er den Vater beleidigt hatte und ihn nicht besänftigen konnte, ging fort und irrte in fremden Ländern herum, nirgends fand er eine bleibende Statt. Einmal wanderte er so durch Wälder und kam an eine Höhle, ging hinein und fand darin einen Kessel voll Maisbrei auf dem Feuer stehen. Er wartete kaum ab bis der Brei gar war, denn er war beinahe verhungert, setzte sich hin und aß alles auf. Als er fertig war, kletterte er hinauf und versteckte sich oberhalb des Eingangs. Als es nun dunkel wurde, kam ein einäugiger Alter, der seine Ziegen von der Weide hertrieb. Als der Alte sah, daß in dem Kessel kein Brei mehr war, fing er gleich an in der Höhle herumzusuchen, und als er einen Blick nach oben warf, sah er den Menschen oben am Eingang sitzen und fragte ihn: »Wer bist du?« Er antwortete: »Ich bin ein armer Mann, habe kein Heim, treibe mich in der Fremde herum und bin so zu dir gekommen, ob du mich aufnehmen willst.« Der Alte antwortete: »Ja, du sollst nun von jetzt an immer den Brei kochen, und ich werde die Ziegen hüten.« So geschah es; der Königssohn kochte jeden Tag den Brei und der Alte hütete die Ziegen; am Abend hielten sie dann beide zusammen die Abendmahlzeit. Eines Tages sagte der Alte zu dem Königssohn: »Du sollst heute die Ziegen hüten, und ich will den Brei kochen.« Darauf ging der Königssohn sogleich ein; der Alte gab ihm nur noch die Weisung: »Es sind dort neun Berge, auf acht weide die Ziegen, aber laß dir nicht einfallen, sie auf den neunten zu treiben, denn dort sind Vilen, die haben mir das Auge ausgestochen, und ich fürchte, sie könnten es auch dir tun.« Unter den Ziegen war ein Bock, auf dem der Alte ritt; den bestieg nun auch der Königssohn und trieb die Ziegen aus. So trieb er über den ersten, den zweiten und dritten Berg, bis zum achten. Dort angekommen, dachte er bei sich: »Ich gehe bei Gott auch auf den neunten, mag kommen, was da will.« Sobald er auf den neunten Berg kam, flogen die Vilen ihm entgegen und wollten ihm die Augen ausstechen; er aber flehte sie an: »Liebe Vilen, wollt ihr nicht mit mir übereinkommen, daß wir einen Holzblock hinstellen, und wenn ihr über den hinüberspringen könnt, ihr mir dann die Augen ausstecht?« Die Vilen gingen darauf ein; er suchte sogleich einen ziemlich dicken Klotz aus, spaltete ihn nach Art eines Klobens, dann pflanzte er ihn auf und trieb einen Keil hinein. Als er damit fertig war, nahm er einen Anlauf und sprang über den Block; dann sagte er zu den Vilen: »Jetzt ist die Reihe an euch zu springen.« Eine Vila machte den Sprung, und als sie gerade über dem Block war, zog er den Keil heraus, und sie war in dem Kloben gefangen. Da flogen die drei anderen Vilen herbei und sagten zu ihm: »Laß unsere Gefährtin frei und fordere, was du willst.« Darauf antwortete er: »Ich will nichts andres, als daß ihr dem Alten die Augen wieder heil macht.« Die Vilen erwiderten: »Nimm von diesem Kraut hier, bestreiche dem Alten die Augen damit, und er wird gleich wieder sehend.« Da ließ er die Vila frei und nahm das Kraut, dann bestieg er seinen Bock und eilte heim in die Höhle. Dort bestrich er dem Alten die Augen, und der wurde gleich wieder sehend. Am nächsten Morgen gab der Alte dem Königssohn die Schlüssel von acht Stuben, aber von der neunten nicht, denn in der standen kostbare Sachen, und befahl ihm, den Brei gut zu kochen; selbst trieb er die Ziegen aus. Als der Alte fort war und der Königssohn allein zu Hause, dachte er bei sich: »Ich möchte doch wissen, warum er mir von acht Stuben die Schlüssel gegeben hat und nicht auch von der neunten«, und beschloß, den Schlüssel von der neunten Stube selbst zu suchen. Gesagt, getan. Er fand den Schlüssel über der Tür. Wer war vergnügter als er? Er machte die Tür auf: was gab es da zu sehn! In der Stube steht ein Pferd mit Gold beschlagen, bei dem ein goldner Hund, eine goldne Henne und goldne Küchlein, die goldne Hirse picken. Da sagte der Königssohn zu dem Pferde: »Komm, laß uns von hier fliehen, ehe der Alte auf dem Bock heimkommt.« Das Pferd antwortete: »Gut, aber tu, was ich dir sage: nimm reichlich Leinwand und breite sie vor der Höhle aus, daß der Alte das Getrappel nicht merkt, wenn du ausreitest, denn sonst wird er dich töten; nimm auch einen kleinen Stein, eine Schere und einen Tropfen Wasser mit, und wenn ich dir sage, du sollst etwas davon hinwerfen, wirf es hin.« Das alles tat der Königssohn, nahm einen Sack, steckte die Henne und die Küchlein hinein, stieg zu Pferd, führte den Hund mit und nun fort! Als der Flüchtling mit dem Pferde aus der Höhle herauskam, hörte der Alte auf dem Berge doch gleich das Trappen der Pferdehufe und rief seinem Bock zu: »Auf! Ihm nach! Er hat mir das Pferd entführt.« Halbwegs holte der Alte den Königssohn ein, aber im Augenblick rief das Pferd dem Königssohn zu: »Wirf das Steinchen hin!« Das tat er, und sogleich erhob sich vor dem Alten ein großer Berg. Bis der Bock über den Berg kam, hatte das Pferd weit ausgegriffen, aber bald holte der Bock es wieder ein. Da rief das Pferd: »Wirf den Wassertropfen hin!« Das tat der Königssohn, und vor dem Alten entstand ein Gewässer; bis der Alte auf dem Bock hinüberschwamm, hatte der Königssohn auf dem Pferd weit ausgeholt, aber die Mühe war umsonst, der Alte kam wieder heran. Da rief das Pferd: »Wirf die Schere hin!« Das tat der Königssohn; der Bock trat in die Schere, und die schnitt ihm beide Beine ab. Darauf rief der Alte aus: »Na! Ich sehe, ich kann dich nicht einholen, aber höre, was ich dir sage: nimm einen Esel, zieh ihm die Haut ab und zieh sie dem Pferde über, sonst könntest du leicht den Kopf verlieren.« Damit kehrte der Alte um, und der Königssohn tat, wie er ihm befohlen hatte. Nach einiger Zeit wurde das Gerücht laut, der König habe Gräben von dreihundert Ellen Tiefe und vierhundert Ellen Breite ausheben lassen; wer hinüberspränge, solle eine Prinzessin und tausend Dukaten bekommen. Ein ganzes Jahr lang konnte niemand das vollbringen; da dachte endlich der Königssohn: »Ich will gehen und mit meinem Pferde und meinem Hund hinüberspringen.« Gesagt, getan. Die Diener meldeten dem König, daß einer auf einem Esel hinübergesprungen sei; er wollte es nicht glauben, ging selbst hin und sah, daß es so war. Es war ihm aber nicht recht, daß ein Esel hinübergesprungen war, und die Pferde es nicht gekonnt hatten.

Darum befahl der König seinen Dienern, daß sie den jungen Mann, die Prinzessin, den Hund und das Pferd ins Gefängnis werfen sollten. Als am andern Morgen die Sonne aufgegangen war, befahl er wiederum den Dienern, sie sollten den Leichnam aus dem Gefängnis werfen, da er dachte, der Mann wäre tot. Als die Diener eintraten, erstaunten sie, denn das ganze Gefängnis war strahlend hell. Das meldeten sie dem König, der kam selbst und fand alles, wie die Diener ihm gesagt hatten. Darauf nahm er den Königssohn bei der Hand und führte ihn ins Schloß. Drinnen küßte er ihm die Hand und wusch ihm die Hände, die Königin hielt dabei das Handtuch, die Brüder bedienten ihn. Darauf gab er sich kund, wer und was er sei, und der König sagte: »So hat sich dein Traum doch erfüllt.«

Von der Zeit an fragte der König seine Söhne nicht mehr nach ihren Träumen.

* * *


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