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Neunundzwanzigstes Kapitel. Die Polizei gibt ihre Ansicht preis

In London begab ich mich zuerst in meine Wohnung, und zwar in der geheimen Hoffnung, Austin Harvey könnte dort auf mich warten. Ich war kaum überrascht, als diese Hoffnung sich als trügerisch erwies, denn daß sie aller vernünftigen Begründung entbehrte, hatte ich mir immer gesagt und mich deshalb nicht allzusehr darauf verlassen gehabt. Somit begab ich mich nach dem Scotland Yard und wurde mit Leichtigkeit des Beamten habhaft, dem der Fall vom »Schwarzen Koffer« übertragen worden war; denn ich habe Bekannte genug unter den dortigen Fahndern.

Alle Welt sprach von dem Fall und jubelte über die Verhaftung, und Bunsby, der die Geschichte ins Werk gesetzt hatte, war der Held des Tages.

»Ja freilich,« sagte er zu mir, »die Sache ist jetzt mit Fausthandschuhen zu greifen. Nachdem wir einmal den richtigen Fingerzeig erhalten hatten, lag gar keine Schwierigkeit mehr vor. Ich wollte nur, man hätte die alte Frau in Paris früher zum Reden gebracht, denn mit der Tochter war nichts anzufangen. Sobald ich einmal von dem Neffen wußte, ging es mit vollen Segeln vom Fleck, und wir fingen den Kerl, als er uns eben entlaufen wollte – um ein Haar hätte er uns ein Schnippchen geschlagen!«

»Und Sie sind ganz sicher, daß Sie den richtigen Neffen haben?« fragte ich.

»Sicher! Ja natürlich! Uebrigens hat er gestanden.«

»Hat er, wirklich?« rief ich und stieß unwillkürlich einen Fluch aus. »Der arme Tropf! Gott stehe ihm bei!«

Der Ausruf war mir wider Willen entfahren, und Herr Bunsby faßte mich erstaunt und entrüstet ins Auge. Zwei oder drei von den andern Polizisten, die im Zimmer waren, traten neugierig näher.

»Sehen Sie,« sagte ich, »diese Geständnisse, die sind französische Mode, und ich vermute stark, man hat ihm die Hölle tüchtig heiß gemacht. Das thut zwar nichts zur Sache, aber hören Sie wohl, was ich Ihnen sage: Ich habe im Interesse der Familie mit dem Fall zu thun gehabt, und möchte Ihnen raten, nicht gar so sicher anzunehmen, daß Sie den Richtigen schon haben. Für alle Fälle wäre es gut, wenn Sie den Bruder auch verhafteten, möglich, daß sich seine Beteiligung an dem Verbrechen herausstellen würde.«

Ein allgemeines Hohngelächter brach los. Polizisten nehmen im allgemeinen nicht gerne Rat von Privatfahndern an; sie hegen ein Mißtrauen gegen diese und sehen in ihnen nur Irrlichter auf dem Sumpfe des Verbrechens, an Stelle des klaren Scheins, den die Blendlaterne des zünftigen Polizisten darüber verbreitet.

»Das zeigt wieder einmal,« bemerkte Herr Bunsby lehrhaft, »daß Leute wie Ihr sich nicht in unsere Angelegenheiten mischen sollten. Vermutlich beziehen sich Ihre Aeußerungen auf Herrn Austin Harvey, den Vikar. Nun, ich habe mich sehr eingehend mit der Sache befaßt und demzufolge auch Erkundigungen über diesen Herrn eingezogen, obwohl kein Hauch des Verdachts gegen ihn vorlag. Er ist ein hochgeachteter Geistlicher, und war überdies in der Nacht, da der Mord geschah, zu Hause, in seinem eigenen Bett! Da haben Sie es!«

Herr Bunsby spreizte sich mit den Händen in den Hosentaschen und sah mich triumphierend an.

»Sie wissen das alles gewiß?« fragte ich.

»Ganz gewiß. Machen Sie keinen Versuch, uns irre zu führen; es lohnte wirklich der Mühe nicht. Die Sache liegt auf der Hand und ist so einfach, wie daß zweimal zwei vier ist. Philipp Harvey hat den Mord begangen, und Philipp Harvey wird dafür gehangen!«

Was war mit dem Mann zu machen? Nichts, wenigstens jetzt nichts, und ein krankhaftes Gefühl der Hilflosigkeit überkam mich. Mit einemmal fühlte ich, daß ich todmüde war, und in einer Gemütsverfassung, die man füglich Verzweiflung nennen konnte, ging ich nach Hause.


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