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Siebzehntes Kapitel. Der fehlende Kofferzettel findet sich

Am nächsten Morgen fuhr ich plötzlich aus einem unerquicklichen Halbschlaf, in den ich erst mit Tagesanbruch versunken war, auf und sah zu meiner Ueberraschung, daß es schon acht Uhr war. Mein erster Gedanke galt meinem »Gefangenen«, wie ich den Mann im stillen schon nannte – ob er wohl noch in seinem Zimmer war? Woran er wohl denken mochte? Hatte der Wirt seine Angelegenheit mit ihm schon ins Reine gebracht? Hastig fuhr ich in meine Kleider und trat auf den Vorplatz – mein Zimmer war im ersten Stock, das Philipp Harveys im zweiten, aber nicht unmittelbar über mir.

Als ich meine Thüre öffnete, hörte ich Austin Harvey unten nach seinem Bruder fragen und vernahm deutlich, wie der Kellner die Antwort gab, der Herr sei jedenfalls noch auf seinem Zimmer, denn bis jetzt habe ihn niemand gesehen und niemand sei bei ihm gewesen. Mir fiel eine Zentnerlast vom Herzen; Austin Harvey kam nun die Treppe herauf und ich schlüpfte hinter die Thüre, um sofort, nachdem er vorüber war, wieder auf den Treppenabsatz herauszutreten.

Ich hörte ihn nach dem Bruder rufen und an der verschlossenen Thüre rütteln. Von innen ließ sich kein Laut vernehmen und mich befiel mit einemmal wieder die Todesangst, meine Beute, die mir doch von Rechts wegen gehörte, könnte mir entwischt sein.

»Er ist drinnen,« sagte der Kellner. »Ich glaube, daß er sich nur schlafend stellt.«

Sie berieten eine kleine Weile mit gedämpfter Stimme und traten dann in das Zimmer, das an Philipp Harveys stieß und gerade über dem meinigen lag. Es war eine Verbindungsthüre zwischen den beiden Stuben vorhanden und der Kellner hatte den Hauptschlüssel. Austin zog in dem unbewohnten Zimmer seinen Ueberrock aus, warf ihn auf einen Stuhl und ging dann eilig zu seinem Bruder hinein.

Kaum hatte er die Zwischenthüre hinter sich zugezogen, als ich auch schon in dem äußeren Zimmer stand.

»Ich nehme diese Stube,« flüsterte ich dem Kellner zu und druckte ihm ein paar Schillinge in die Hand. »Sobald ich klingle, können Sie mir meine Sachen heraufschicken; man hat mehr Luft hier oben.«

Damit drängte ich den verblüfften Jüngling zur Thüre hinaus und überzeugte mich noch, daß er die Treppe hinunterging. In seiner Bestürzung hatte er den Schlüssel auf dem Boden liegen lassen. Ich hatte die Empfindung, daß wir vor einer Katastrophe standen.

Ich machte die Thüre nach dem Flur zu und verschloß sie von innen, nachdem ich vorher noch den Außenriegel an Philipps Zimmer vorgeschoben und den Brüdern den Ausgang nach jener Seite abgeschnitten hatte. Die Verbindungsthüre wieder zu verschließen und sie auf diese Weise gänzlich gefangen zu nehmen, wagte ich doch nicht, denn sie hätten das Drehen des Schlüssels hören müssen. So schloß ich denn mich selbst mit ihnen ein.

Stimmen im Nebenzimmer bewiesen mir deutlich, daß Austin seinen Bruder in der That gefunden hatte und des Kellners Angabe also richtig gewesen war. Ich preßte mein Ohr an die Thüre, sie sprachen aber so leise, daß ich kein einziges Wort unterscheiden konnte.

Das war natürlich sehr ärgerlich und eine große Enttäuschung, ich mußte mich aber drein ergeben und tröstete mich mit dem Gedanken, daß vielleicht im Verlauf des Gesprächs ihre Erregung und damit auch der Klang ihrer Stimmen sich steigern würde. Einstweilen setzte ich mich auf einen Stuhl neben der Thüre und sah mich in dem kahlen Zimmer um.

Das erste, was meine Aufmerksamkeit fesselte, war Austins Ueberrock, den er nachlässig auf einen Stuhl geworfen hatte. Unwillkürlich ergriff ich ihn und durchsuchte, treu den Regeln meines Handwerks, die Taschen, ohne daß ich eigentlich erwartete, Wichtiges darin zu finden. Ich hatte den Fall Harvey einmal übernommen, und da konnte ich doch einen Ueberrock nicht liegen lassen, ohne ihn mir zu besehen.

Ein Paar schwarzer Glacéhandschuhe in einer, ein kleines Gebetbuch in einer andern Tasche und etliche Schillinge in einem kleinen Kartentäschchen vorne, das war alles; in der Brusttasche auf der linken Seite stak ein Taschentuch. Nachdem ich den Rock schon wieder beiseite gelegt hatte, nahm ich ihn ein zweites Mal zur Hand; im Nebenzimmer wurde immer noch geflüstert und ich hatte sonst nichts zu thun. Ich zog das Taschentuch abermals heraus, und als ich schon im Begriff war, es wieder hineinzustecken, reizte mich eine halb unbewußte Neugierde, meine Hand erst noch in die Tiefe der Tasche zu versenken. Diesmal kam mir ein kleines Papierröllchen zwischen die Finger, das sich in einer Ecke der absonderlich tiefen Tasche verkrochen gehabt hatte. Ich zog es heraus, strich es glatt; es war nichts als ein Kofferzettel mit der Aufschrift: »Southend nach London.«

»Southend nach London.« Das war nichts Besonderes und doch war es genau die Aufschrift, die ich auf Philipp Harveys schwarzem Koffer vermißt hatte.

»Southend nach London,« wie kam dies Fetzchen Papier in Austins Rocktasche? Die Erklärung lag sehr nahe – er selbst wohnte in Southend und war des öfteren nach London gefahren; der Zettel stammte von einem seiner Gepäckstücke.

Diese Erklärung war völlig hinreichend, und doch genügte sie mir nicht.

Während ich noch den zerknitterten Zettel anstarrte, geschah, was ich erwartet hatte: Philipp erhob im Eifer des Gesprächs seine Stimme. »Ich glaube nicht, daß ich's gethan habe,« sagte er nachdrücklich. »Was du mir auch sagen magst, ich glaube nicht, daß ich es gethan habe.«

Ich glaube nicht, daß ich's gethan habe? Was gethan habe? Doch wahrhaftig nicht den Mord? Sollte der Mensch im stande sein, vor seinem eignen Bruder eine solche Komödie zu spielen?

»St,« machte Austin, gleich darauf aber war er es, der mit erhobener Stimme sprach: »Und deshalb sein muß,« waren die ersten Worte, die ich verstehen konnte, dann fuhr er fort: »O Philipp, Philipp, warum gibst du es nicht zu? Zu wessen Vorteil glaubst du zu lügen? Noch einmal, ist denn dein eigner Brief an mich nicht ein vollständiger Beweis dafür, daß der Inhalt jenes entsetzlichen Koffers dir bekannt war? Und nun willst du leugnen – o Philipp! Philipp!«

»Der Koffer,« rief Philipp im Tone des Entsetzens. »Sprich mir nicht davon! Es ist noch ein Dämon in diesem Hause, der mich damit verfolgt. Nein, ich schwöre dir, daß ich bis zu der Minute, da du vorhin bei mir eingedrungen bist, keine Ahnung davon hatte, was in meinem Koffer war. Großer Gott! Noch jetzt kann ich es nicht glauben – Tante Elisabeths Leichnam! Ich glaube es nicht, Austin; du hältst mich zum Narren. Sie hat dir erzählt, was Sonntag abend vorgefallen ist, und nun willst du mich ins Bockshorn jagen und mich zur Reue zwingen. Und es reut mich ja auch – aber ihre Leiche in dem Koffer! Ich kann es nicht glauben. Das arme alte Geschöpf! Das geizige alte Ding!«

Und zu meinem grenzenlosen Erstaunen brach der rauhe Geselle in leidenschaftliches Schluchzen aus.

Eine Stille trat ein und erst nach einer Weile sagte Austin sehr deutlich und eindringlich, aber mit einer Kälte, die sehr von seiner sonstigen Herzlichkeit abstach: »Du hast sie umgebracht in jener Nacht, Philipp. Du weißt, daß du es gethan hast. Wagst du im Angesicht des Himmels, beim Gedächtnis unsrer verstorbenen Eltern zu leugnen, daß du sie in jener Nacht zu Boden geschlagen hast?«

Ich preßte das Ohr an die Thürspalte und lauschte in atemloser Spannung auf die Antwort. Sie erfolgte auch, aber so leise, daß ich sie nicht verstehen konnte. Eine Pause trat ein und ich fletschte die Zähne vor ohnmächtiger Verzweiflung. Plötzlich aber ward Austins Stimme wieder vernehmlich, und aus dem, was er sagte, konnte ich mir auch einen Teil von Philipps Antwort zurechtlegen.

»Wenn du also diesen ersten, gräßlichen Punkt nicht in Abrede ziehst,« sagte Austin, »weshalb willst du dann wahnsinniger Weise das übrige leugnen?«

»Ich gebe die Thatsachen zu, deren ich mich erinnern kann,« rief Philipp außer sich; »andre nicht.«

»Du leugnest also nicht, daß du betrunken warst?«

»Nein.«

»Dermaßen betrunken, daß du kein Bewußtsein deines Thuns mehr hattest – es ist dies ja häufig genug der Fall gewesen bei dir, mein armer Bruder.«

Soviel ich erraten konnte, schwieg Philipp.

»Höre mich an,« begann Austin wieder, aber Philipp fiel ihm ins Wort.

»Weiß Edith alles?« rief er heftig.

»Sie weiß natürlich vieles. Du wirst nicht leugnen wollen, daß du häufig erklärt hast, du werdest der alten Frau noch einmal den Garaus machen, wenn sie dich mit ihren Moralpredigten über deine – deine Gewohnheiten quäle. Du hast das zu Edith selbst gesagt.«

»Ja,« erwiderte Philipp. »Wie man so etwas sagt im Scherz.«

»Gut,« fuhr Austin fort. »Sonntag abend kamst du betrunken nach Hause; du hattest einen Wortwechsel mit der Tante und versetztest ihr einen Stoß, um sie aus deinem Zimmer zu entfernen. Das alles gibst du zu?«

»Ja,« sagte Philipp wieder ganz laut.

»Die ganze Nacht über bist du allein in ihrer Nähe, am nächsten Morgen ist sie verschwunden. Wir verlassen miteinander das Haus und wenige Stunden darauf entdeckt man ihre Leiche in deinem Koffer. Letzteres ist Thatsache, ob du sie einräumst oder nicht.«

Philipp schwieg wieder.

»Und nun leugnest du, die Leiche hineingesteckt zu haben, und wußtest doch, daß sie drin war – das geht aus deinem Brief hervor.«

»Austin,« versetzte Philipp mit heiserer Stimme, »ich habe in dir immer den älteren Bruder geliebt und geachtet, und soweit ich mich erinnern kann, habe ich noch nie gelogen, so viele Fehler ich auch, Gott sei's geklagt, sonst habe. Ich schwöre dir, daß ich von Tante Elisabeths Tod nichts wußte, bis du vorhin in mein Zimmer kamst.«

»Weshalb,« versetzte Austin herb, »schriebst du mir dann den Brief nach Paris?«

Wieder trat eine Pause ein, endlich aber sagte Philipp deutlich: »Ich will dir lieber alles sagen, soweit ich mich nämlich darauf besinnen kann, ein wenig bringe ich es wohl untereinander, wie du dir denken kannst. Aber – bei Edith habe ich wohl gar keine Aussichten mehr?«

»Wahrhaftig nicht,« rief Austin wütend. »Sie ist meine Braut – wie wagst du, so etwas zu sagen? Hat Fräulein Simpkinson dir nicht selbst alles gesagt?«

»Ja, ich weiß es, nur ... man denkt sich hie und da – nun, nachdem Fräulein Simpkinson mir alles gesagt hatte, faßte ich nichtsdestoweniger den Entschluß, mit der kleinen Lucie in dem Tabakladen zu brechen. Ich sagte es ihr und schrieb es ihr auch, und ich bekam ein paar Briefe von dem armen Ding, in denen sie bitterlich klagt und mich recht schlecht macht – leidenschaftliche, zornige Episteln. Als ich nun am Sonntag abend heimkam, stand mein Koffer fix und fertig gepackt da, und ich hatte den letzten Brief samt ihrem Bild und der Locke, die der arme Narr mir noch geschickt hatte, in der Rocktasche. Da warf ich den ganzen Plunder kreuz und quer oben in den Koffer und klappte den Deckel zu. Ich wußte also, daß das obenan lag, und nun, wenn man auch einen Korb bekommen hat, ganz verderben mag man's mit einer Dame doch nicht, und wenn Edith meinen Koffer aufgemacht hätte, würde sie den ganzen Kram gefunden und sich einen Vers dazu gemacht haben. Und mir war's, als ob mir der Tod lieber wäre, als Ediths Verachtung – weil sie doch deine Frau wird, Austin, glaube ich.«

»Eine ungemein wahrscheinliche Geschichte,« bemerkte Austin höhnisch. »Ich will hoffen, daß du sie der Polizei glaubwürdig beibringst, denn daß Edith und ich uns davon überzeugen lassen, möchte ich nicht behaupten. Dein Koffer war also voll mit Büchern, als du von Southend weggingst, und die Liebesbriefe und Andenken lagen zu oberst?«

»Ja, bei Gott!« rief Philipp.

»Und bitte, auf welcher Station zwischen Southend und London ist denn dann die alte Tante hineingekrochen?«

Keine Antwort.

»Nehmen wir einmal an, du seiest von der Richtigkeit deiner Aussage überzeugt, dann will ich dir sagen, wie die Sache sich wirklich zugetragen hat. Erst aber beantworte mir eine Frage: Weshalb warst du so besorgt um Tante Elisabeth?«

»Weil ich, wie ich dir schon sagte, einen Wortwechsel mit ihr gehabt habe und sie zur Thür hinausstieß, wobei sie sich möglicherweise verletzt haben konnte. Am andern Morgen war sie fort, und nun quält mich der Gedanke, ich könnte ihr irgend einen ernstlichen Schaden zugefügt haben.«

»Was vermutlich der Fall war,« sagte Austin herb. »Nun höre mich an. Als du nach Hause kamst, warst du wütend über die Tante, weil du dir eingebildet hattest, daß Edith Simpkinson dich statt meiner wählen würde, wenn nur die alte Dame dich zu ihrem Erben machen wollte. Du gerietest in Streit mit ihr, gabst ihr, wie du sagst, einen Stoß, das heißt, du hast sie ganz einfach zu Boden geschlagen.«

»Nein,« warf Philipp ein. »Das that ich nicht.«

»Du hast sie gestoßen und sie ist gefallen. Leugnest du das?«

»Ich hörte sie nicht fallen. Erst am andern Morgen stellte ich mir vor, sie könnte gefallen sein.«

»Du suchst Ausflüchte, Philipp,« sagte Austin zornig.

Ich war überzeugt, daß dem nicht so war; Philipp suchte nur mühsam die Einzelheiten des Vorfalls zusammen, so gut es seinem umnebelten Geist gelingen wollte.

»Also gestoßen hast du sie? Und dann läßt dich dein Gedächtnis im Stich, wie du behauptest. Gehen wir weiter. Als du sahst, daß die alte Person nicht mehr aufstehen konnte, bist du erschrocken; du machtest den Versuch, sie wieder zum Bewußtsein zu bringen, was dir aber nicht gelang. Schließlich hast du deinen Koffer ausgepackt und, mit der Absicht, sie unterwegs irgendwo loszuwerden, die Leiche hineingesteckt. In Charing Croß wurden die beiden Koffer verwechselt – das übrige liegt am Tage.«

»Ich kann mich dessen nicht erinnern,« sagte Philipp.

»Erinnerst du dich an irgend einen andern Vorgang jener Nacht? Ist eine andre Deutung denkbar? Du rühmst dich, nie die Unwahrheit gesprochen zu haben, aber sag mir, ob du in deiner Trunkenheit nicht oft wie im Traum gehandelt hast? Sag mir doch, ob du an jenem Abend nicht wieder jenes verhaßte Chloral genommen hast?«

»Das that ich, und wenn du wüßtest, was Schlaflosigkeit für einen nervösen, betrunkenen Menschen bedeutet, so würdest du das begreifen.«

»Und kannst du unter diesen Umständen dich selbst für zurechnungsfähig halten? Kannst du in Abrede ziehen, mir erst acht oder vierzehn Tage vorher selbst erzählt zu haben, daß du, sobald du die Dosis Chloral zu stark nehmest, Dinge sehest, die gar nicht vorhanden seien, und Dinge thuest, von denen du am andern Morgen keine Ahnung habest?«

Ob Philipp eine Antwort gab? Hören konnte ich sie nicht.

»Ich will dir etwas sagen,« fuhr Austin fort. »Ich habe selbst erlebt, daß ein Mann nachts in Todesangst in mein Zimmer stürzte und behauptete, es seien Einbrecher bei ihm eingedrungen, und der eine habe ihn mit einem Messer verwundet, daß ihm das Blut am Nachthemd herunterriesele. Ich sah hin, konnte aber nichts davon entdecken; ich ging mit ihm in sein Zimmer und fand keinen Menschen dort.«

»Ja, ja!« kreischte Philipp. »Auch ich habe solche Visionen gehabt, aber wirklich geschehene Dinge habe ich nie vergessen.«

»Ist da ein so großer Unterschied? Ich kenne einen, der mir sagte, er sei die ganze Nacht in seinem Bett gelegen und habe geschlafen, und doch sah ich ihn selbst im Garten im Mondschein Rosen pflücken.«

»Halt ein! Halt ein!« rief Philipp.

»Und wir fanden die Rosen hernach in einem andern Zimmer.«

Philipp stöhnte laut.

»Sag mir nur eins,« sagte Austin dringend. »Die Polizei ist uns auf den Fersen. Die ganze Geschichte wird aufgestöbert – sag mir nur eins: was glaubst du während der übrigen Nacht vorgenommen zu haben?«

»Nachdem ich das Chloral genommen hatte, schlief ich ein.«

»Und träumtest?«

»Ja.«

»Was träumte dir?«

»Mir träumte – ach, Austin, ich weiß es nicht mehr. Ich glaube, daß ich mich im Traum mit Tante Elisabeth zankte, aber das alles ist ganz wirr und unklar, und am nächsten Morgen hatte ich rasendes Kopfweh.«

»Und als ich zu dir kam, fehlte der Schlüssel an deinem Koffer. Philipp, erinnerst du dich, wo ich ihn fand?«

»Ja; in Tante Elisabeths Zimmer.«

»Großer Gott, wozu das Verschweigen? Wie kann ich dich retten? Morgen – vielleicht heute wirst du verhaftet werden. Die Londoner Fahnder haben den Fall in Arbeit, und du willst nicht Vernunft annehmen und weigerst dich, deinem eignen Zeugnis zu glauben. Fliehe, Philipp, fliehe, so lange es noch Zeit ist. Noch einmal, geh – mit Geld will ich dich versehen; mache, daß du nach Amerika kommst.«

»Sind sie mir wirklich auf den Fersen?« fragte Philipp.

»Dir und Edith, ja, mehr als das, Edith ist verhaftet. Man verdächtigt sie der Beihilfe an dem Mord. Geh nach Amerika, und wenn du dort in Sicherheit bist, so schicke mir einen Brief, der sie vollständig vom Verdacht befreit.«

»Weshalb hast du mir das alles nicht geschrieben? In deinem Brief stand gar nichts davon.«

»Weshalb hast du dich gestern geweigert, mich zu sprechen? Dann hättest du alles erfahren.«

»Und wenn ich hier bleibe?«

»Richtest du Edith und dich zu Grunde. Philipp, bedenke, was dich bedroht – der Galgen. Im Grund deines Herzens weißt du, daß du die That begangen hast, du allein. Ich will ja gern glauben, daß du es nicht mehr weißt, wir wollen den Beweis deiner Unzurechnungsfähigkeit liefern, aber erst fliehe!«

»Barmherziger Gott, wer soll es gethan haben, wenn nicht ich?« stammelte Philipp in gebrochenem Tone. »Ich muß es gethan haben – Gott sei mir gnädig!«

»Wenn du deinen Koffer ausgepackt hast,« sagte Austin überlegend, »müssen die Bücher noch in dem Haus in Southend sein – siehst du das ein?«

»Ja,« sagte Philipp beklommen.

»Entsinnst du dich, ihn ausgepackt zu haben? Du schüttelst den Kopf. Wir wollen hin, und wenn wir die Bücher dort finden – bist du dann überzeugt?«

»Geh du hin, geh du hin!« stöhnte Philipp.

»Das will ich. Bis morgen will ich dich hier lassen, denn ich glaube, so viel Zeit haben wir noch, aber morgen, merk dir das, mußt du England verlassen. Wir können keinen überwiesenen Mörder in der Familie dulden, Philipp.«

»Sieh du nach den Büchern,« erwiderte er leise und bänglich. Dann hörte ich nichts mehr.


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