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LXII. Meister Gratius, Ausjäter des Unkrautes, das heißt: Henker der Diebe, Vierteiler der Hochverräter, Auspeitscher der Fälscher und Verleumder, Verbrenner der Ketzer und vieles andere, grüßt vielmal den Magister Ortuin, seinen Schwestersohn.

Innigstgeliebter Neffe und hochwürdiger Herr Magister! Da schon viele Jahre verflossen sind, seit wir einander nicht mehr gesehen haben, so dachte ich, es wäre gut, wenn ich Euch einen Brief schriebe. Ich höre nämlich viele Wunderdinge über Euch, welch großen Ruf Ihr hättet, und es heißt, Ihr wäret bereits allen, auch den nur einigermaßen Gelehrten, bekannt, nicht allein in Köln, sondern auch jenseits der Elbe und des Rheins, und sogar in ganz Italien und Frankreich. Doch verehren Euch hauptsächlich die Kölner wegen Eurer ausgezeichneten Gelehrsamkeit, die Ihr in Euren Schriften über den katholischen Glauben gegen einen gewissen Doktor und weltlichen Poeten, namens Johannes Reuchlin, bekundet, und sie betrachten und bewundern Euch so, daß, wo Ihr auf der Straße gehet, sie mit Fingern auf Euch zeigen und sprechen: »Dieser hier ist Magister Ortuin, der den Poeten so zu Leibe geht!« Ich glaube, wenn sie wüßten, daß Ihr mein Neffe seid, sie würden das noch mehr tun. Denn ich bin hier auch hochberühmt, und übe meine Kunst an einer sehr großen Menge Volkes aus; die Leute erweisen mir dieselbe Ehre, und wann ich über die Straße gehe, zeigen sie auch mit Fingern auf mich, wie sie es in Köln bei Euch tun. Daher freue ich mich sehr, daß die Leute etwas von Euch und mir halten. Auch höre ich, daß es noch andere Männer in Köln gibt, die Eure Freunde sind und auch mit Euch gegen den Doktor Reuchlin schreiben, wie z. B. der Ketzermeister Jakob van Hoogstraten und Magister Arnold von Tongern, Vorsteher der Burs des heiligen Laurentius. Auch glaubt jedermann, daß Ihr drei wahrhaft erleuchtet im katholischen Glauben seid, und man hält Euch für drei Leuchter oder Laternen. Und einige fügen noch einen vierten bei, als eine Lampe, oder hängendes Licht, das nicht so hell leuchtet, nämlich den Herrn Johannes Pfefferkorn. Ich glaube, wenn Ihr vier mit Eurer Wissenschaft, unter Beihilfe eines starken Pfahles und eines an irgend einem erhabenen Orte von trockenem Holze errichteten Scheiterhaufens, beisammen wäret, so könnte auf der Stelle ein großes Weltlicht zustande kommen, ein noch viel helleres, als das in Bern war. Das sage ich Euch jedoch, liebster Neffe, nur im Scherze. Doch hoffe ich – Spaß bei Seite – Ihr vier werdet noch das Licht der Welt werden; denn es ist nicht möglich, daß diese große Wissenschaft, welche in Euch ist, so im Kote liegen bleiben sollte. Man hat mir auch gesagt, Ihr hättet unlängst eine alte Vettel, welche am Dombrunnen zu Köln viele Gläser verkauft, nächtlicher Weile hernehmen wollen; sie habe geschrieen, die Leute hätten mit Lichtern zum Haus hinaus gesehen und Euch erblickt. Bei Gott! ich lobe in hohem Grade Eure so hübschen Streiche, die alle zu meinem Kunstfach gehören; und das gibt auch eine Lehre für Euch Theologen ab. Neulich kam das Gerücht hierher, es sei ein Poet in Köln, der allein Euch für einen Narren halte und Euch einen Schweinkerl nenne, d. h. einen, der zu den Schweinen in den Stall gehöre. Bei Gott! wenn ich wüßte, wer dieser Poet ist, ich wollte ihn unentgeltlich hängen. Zum Schlusse aber, liebster Neffe, möchte ich Euch bitten, mit größter Sorgfalt alles zu tun, daß Euer Ruf über den ganzen Erdkreis bekannt werde: doch ich weiß, es ist nicht nötig, daß ich Euch hieran mahne: denn Ihr wisset von Euch selbst, und habt es von Ahnen, Urahnen, Urur- und Urururahnen überkommen, doch vor allem von Eurer innigst geliebten Mutter, meiner Schwester, gelernt, welche, als sie vernommen hatte, daß uneheliche Kinder immer besseres Glück haben, als eheliche, deshalb zu einem Priester lief und sich von ihm spicken ließ, um Euch zu gebären, als der Mann, der einst die ganze Welt kennen lernen sollte. Lebet wohl!

Aus Halberstadt.


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