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König Ludwig I. von Bayern ging einst im Englischen Garten spazieren und traf draußen auf eine Schildwache, die, als sie jemand kommen sah, etwas in den Waffenrock schob. Auch blickte der Soldat etwas auf den Spaziergänger. Da dieser aber in Zivilkleidern ging, entwölkte sich die Stirn des biederen Kriegers wieder und er sagte gemütlich zu dem Unbekannten: »Na, Sie haben mich aber schön erschreckt, Herr.«
»So«, sagte der König, »haben Sie vielleicht ein böses Gewissen?« – »Das gerade nicht«, antwortete der Soldat, »aber schauen Sie, ich bin erst ganz kurze Zeit hier in München und kenne niemand. Und der König tut manchmal da 'raus spazieren. Nun habe ich gerade was gegessen – und das darf ein Soldat nicht auf der Wacht und deshalb hab ich's gleich in die Jacke geschoben. Abe jetzt ess' ich gleich weiter, denn es ist was Gutes und es wird ja wohl nicht wieder einer kommen. Was meinen Sie?«
»Ich glaub's nicht«, antwortete der König. »Aber nun sagen Sie mir doch mal, was haben Sie denn Gutes zu essen?« – »Wissen Sie was, raten Sie's mal«, antwortete der Soldat. »Nun«, meinte der König, »vielleicht haben Sie wohl ein Stückchen Schweinsbraten?« – »Ei ja, Schweinsbraten ist was Gutes, aber so hoch versteig ich mich nicht – abwärts!«
»Haben Sie vielleicht ein Stück Kalbsbraten?«, fragte der König weiter, den die Treuherzigkeit des Soldaten amüsierte. »Ist auch was Gutes, aber abwärts sage ich. Raten Sie weiter!« – »Vielleicht ein Stückchen Schinken?« – »Schinken lass ich mir wohl gefallen, aber heute nicht. – Abwärts!«
»Dann haben Sie gewiss ein Stück Schweizerkäs«, rief der König weiter. »O, gehen Sie mit Ihrem Schweizerkäs«, lachte der Soldat. »Was ich hier habe ist viel besser, aber abwärts sag ich.« – »Na, dann haben Sie vielleicht gar einen Rettich?«, riet der König belustigt weiter.
»Ja, natürlich, fast geraten. Aber zwei Rettiche sind's, den einen hab ich beinah schon gegessen und den andern h ab ich noch, vielleicht kann ich dienen? Nur zugegriffen und nicht geniert!« – »Danke vielmals!«, sagte der König. »Lassen Sie sich den Rettich gut schmecken, ich muss jetzt zum Mittagessen und will mir den Appetit nicht verderben. Adieu!«
Als der König ein paar Schritte gemacht hatte, rief die Schildwache, die munter den Rest des ersten Rettichs verzehrt hatte, noch einmal: »Sie, hören Sie einmal!« Der König wandte sich um. »Wollen Sie nicht so gut sein und mir sagen, wer Sie sind? Sie waren so freundlich zu mir, da möchte ich doch auch wissen, mit wem ich die Ehre gehabt habe.«
»Da bleibt nichts andres übrig, als dass ich Sie auch raten lassen«, sagte der König. »Sie haben mich ja auch raten lassen.« Der Soldat biss tüchtig in den zweiten Rettich, sah den König scharf an und sagte: »Nun, sind Sie denn vielleicht ein Kanzlist oder so etwas Ähnliches?« – »Ein Kanzlist ist ganz was Schönes«, sagte der König. »Aber etwas mehr bin ich, also aufwärts!«
»Dann sind Sie wohl ein Assessor?« – »Ist auch was ganz Schönes, aber aufwärts!« – »Sind Sie vielleicht ein Herr Rat?« – »Ein Rat ist was ganz Schönes, aber aufwärts!« – »So sind Sie wohl gar ein Herr Direktor?« – »Das lasse ich mir schon gefallen«, sprach der König. »So ein Herr Direktor ist was ganz Schönes, aber aufwärts, sage ich.«
»Die Geschichte gefällt mir«, sprach der Soldat, »und ich freue mich, dass ich die Ehre hab, so einen hohen Herrn kennenzulernen. Drum will ich jetzt aber mal was Tüchtiges raten. Sie sind gewiss ein Herr Exzellenz?« – »Ist recht was Schönes, aber ich sage Ihnen: noch höher aufwärts!«
»Da sind Sie am Ende gar – der König?«, rief der Soldat und riss die Augen weit auf. »Geraten! Geraten!, antwortete der König. «Jesses, Maria und Josef!», rief der Soldat ganz verblüfft. «Dann halten Sie doch um Gottes Willen gleich meinen Rettich, dass ich präsentieren kann.»
Der König tat's, der Soldat präsentiert und vergnügt schieden Beide voneinander.