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Vor mehreren Jahrzehnten lebte in einem kleinen norddeutschen Städtchen ein alter Richter. Er war unverheiratet geblieben. In aller Treue wartete er eines nicht allzu schweren Amtes, ergötzte sich im Kreise seiner Freunde an gemütlichen Späßen und liebte einen guten Bissen eben so sehr wie einen guten Trunk schäumenden Bieres oder edlen Weines.
Seiner lieben Schwägerin, der Frau des reichen Kaufmanns Lehmann, waren die kleinen Schwächen des alten Herrn sehr wohl bekannt – und deshalb rief sie eines Morgens ihren neuen Diener herbei und gab ihm folgenden Auftrag: »Johann, in der und der Straße, Nummer so und so wohnt der Herr Richter L., lauf schnell hin, und wenn du ihn nicht mehr zu Hause triffst, so gehe nach dem Gerichtsgebäude in das Sitzungszimmer. Hier wirst du ihn sicher finden. Bestell einen freundlichen Gruß und lade ihn für heute zum Mittagessen ein; er würde auch noch einen guten Freund finden. Hast du's begriffen? Wie sollst du sagen?«
»Ei, er sollte heute Mittag zum Gänsebraten kommen und der dicke Schmidt käme auch.« – »Nein«, rief Frau Lehmann, »nicht so, sondern so: 'Eine freundliche Empfehlung von Herrn und Frau Lehmann, und sie geben sich die Ehre, den Herrn Justizrat heute Mittag Punkt ein Uhr zum Essen einzuladen. Der Herr Rendant Schmidt hätte auch zugesagt.« – »Auch gut«, sagte Johann – und weg war er.
Als er zur Wohnung kam, war der Richter schon fort und eiligen Schritts wanderte jetzt Johann zum Gerichtsgebäude und schritt ohne Weiteres in das Sitzungszimmer, das von einer Menge von Landleuten aus der Umgegend dicht belegt war. Es lag ausnahmsweise ein vereinzelter Fall vor, und der Richter war nicht gerade in rosiger Stimmung.
Johann drängte sich im Gefühl seines guten Rechts in die vordere Reihe. Als der Richter dies bemerkte, fuhr er ihn mit harten Worten an: »Was will der Kerl? Wartet, bis Ihr an die Reihe kommt!« – »Aber Herr Unterstützungsrat –.« »Schweig Er!« Johann verbiss seinen Ärger und schwieg, in Geduld harrend. Endlich kam er vor und begann: »Ich sollte ...« – »Halt!«, schrie der Richter, der ihn für einen Zeugen hielt, »erst schwören!« – »Aber Herr Unterstützungsrat ...« »Still! Erst schwören; sag ich, hört Er nicht? Das ist ja ein ganz infamigter Kerl! Hebt die Schwurfinger der rechten Hand in die Höhe und sprecht mir nach, was ich Euch vorsage! Wie heißt Ihr?«
»Wie heißt Ihr?«, wiederholte Johann gehorsam. »Nein!«, brüllte der Richter, »Euren Namen sollt Ihr mir nennen. Wie heißt Ihr?« – »Johann Schaaf« – »Und mit Recht, mit vollem Recht! Also sprecht mir nach: ›Ich Johann Schaaf ...‹« – »Ei, Herr Richter, heißt Ihr auch so?«, schmunzelte Johann. »Das geht einem aber doch über die Hutschnur!«, schrie erregt der Richter. »Mensch, haltet Euren werten Mund und unterbrecht mich nicht immer! Verstanden?«
»Ja«, sagte jetzt Johann recht kleinlaut, hielt die Schwurfinger hoch und gelobte: »Ich, Johann Schaaf, schwöre bei Gott ....« Der Angstschweiß stand dem armen Schelm auf der Stirn, als er den Schwur geleistet hatte.
»Nun sagt, was Ihr von der Sache wisst!«, befahl jetzt der Richter in etwas milderem Ton. Und zu seinem Erstaunen sprach jetzt Johann: »Eine schöne Empfehlung von Herrn und Frau Lehmann; und der Herr Unterstützungsrat möchte doch die Ehre haben und heute Mittag einen Löffel Suppe mit ihnen essen. Der dicke Herr Schmidt käme auch!«
Da verklärte sich das Gesicht des Richters. Er fing an herzhaft zu lachen. Es lachte der Gerichtsschreiber und Gendarm, laut und immer lauter lachte das Publikum – und endlich lachte auch Johann aus Gefälligkeit selber mit.
Feierlicher ist wohl nie eine Einladung überliefert worden. Dem Richter aber hat's am Mittag doppelt gut geschmeckt.