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Anekdoten unbekannter Autoren
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Eine Hasenjagd zu Wasser

Nicht weit von der alten Stadt Hildesheim liegt das Dorf Großdüngen an der Innerste.

Infolge der heftigen Schneeschmelze am Harze war in einem Frühling das kleine Flüsschen über seine Ufer getreten und hatte die umliegenden Feldmarken unter Wasser gesetzt. Nur ein kleines Wiesenstück, auf dem einige alte Weidenbäume standen, war noch frei. Hier hatte ein unvorsichtiges Häschen seine Zuflucht gesucht, sah sich aber bald von allen Seiten von den noch fortwährend steigenden Fluten völlig eingeschlossen.

Was sollte das arme Tier anfangen? Es sprang ängstlich hin und her, dann setzte es sich ruhig auf dem bemoosten Wurzelstocke einer alten, schräg überhängenden Weide nieder, putzte sich den Bart und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Aber nicht lange brauchte es zu warten, denn das Wasser stieg immer höher und höher, und Meister Lampe sah sich endlich genötigt, wenn er am Leben bleiben wollte, auf den schrägen Baum hinaufzusteigen, was ihm nicht leicht wurde. Hier hätte er lange sitzen müssen, wenn nicht ein Bäuerlein von seinem Fenster aus die Verlegenheit und Not des armen Gefangenen bemerkt hätte. Der dachte in seinem Sinn: »Warte nur, dich wollen wir schon kriegen!« Und schnell rief er seiner Frau zu: » Dortchen, fass mal rasch den Backtrog mit an; wir wollen ihn aufs Wasser tragen, ich will ein wenig kahnen.«

Die biedere Ehehälfte lachte aus vollem Halse, denn sie merkte sofort, was ihr Mann vor hatte, und freute sich schon im voraus auf den leckeren Braten, der auch ihr vorzüglich munden sollte. Das seltsame Fahrzeug ward glücklich vom Stapel gelassen; der Bauer setzte sich hinein, und mit Hilfe einer langen Bohnenstange ruderte er auf das Häslein zu, dem jetzt eine zweite Lebensgefahr drohte.

Der arme Gefangene kletterte in seiner Angst immer höher an dem schrägen Weidenstamme hinauf und lagerte sich zuletzt auf einem waagrecht abstehenden Aste. Da kam der Bauer an und versuchte von seinem Backtroge aus, den Hasen zu erreichen. Aber seine Mühe war vergeblich. Wollte er sich nicht von seinem Dortchen auslachen lassen und ohne Braten nach Hause zurückkehren, so musste er dem Hasen nach in den Baum klettern. Und sofort machte er Anstalt dazu. Als aber Meister Lampe seinen Todfeind immer näher kommen sah, fasste er sich ein Herz und sprang mit einem verzweifelten Sprunge von dem Baum herunter – in das Wasser? – Nein, in den Backtrog!

Dieser wurde durch den Stoß vom Baume ab in die Strömung getrieben und kam mit seinem vergnügten Fahrgaste am andern Ufer an. Wie fröhlich sprang unser Häslein aus seinem Backtrog ans Land! Hier blieb er einen Augenblick sitzen, machte nach seinem Verfolger hin die schönsten Männchen und eilte dann den trockeneren und sicherern Gegenden zu, die ihn vor weiteren Gefahren schützten.

Unser Bäuerlein ärgerte sich nicht wenig, dass ihm seine Jagd misslungen war. Kleinlaut und verdutzt musste es auf seinem Baume so lange sitzen bleiben, bis sein liebes Dortchen, die alles mit angesehen, des Nachbars Backtrog flott gemacht und den Jäger heimgeholt hatte.

Dieser musste sich, als die Geschichte im Dorfe bekannt wurde, noch obendrein tüchtig foppen lassen, denn wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Aber er versprach seinem Dortchen, nie wieder eine Hasenjagd zu Wasser anzustellen, und wenn auch ein ganzes Dutzend der leckeren Tierchen auf einem alten Weidenstamm säßen. Und sein geliebtes Weib war völlig damit einverstanden.

 


 


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