Arthur Achleitner
Geschichten aus den Bergen
Arthur Achleitner

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In der Mordau.

Der Schöpfer der Welt muß selbst erkannt haben, wie trefflich ihm die Schaffung des oberbayerischen Schmuckkästleins, des Berchtesgadener Landes gelungen ist und darum war er sicher auch bedacht, dies Kleinod alpiner und landschaftlicher Reize zu schützen. Darum lagerte er gegen Norden, Westen und Süden gewaltige Bergmassive zum Schutz gegen Wind und Sturm und nur nach dem Osten dachen sich die Gebirge ab, um fröhlich wärmenden Sonnenschein herein zu lassen. Dem eisigen Nordsturm stellt sich der wuchtig aufragende Koloß des sagenreichen Untersberges entgegen, ihm reiht sich nachbarlich, getrennt durch den munteren Bergbach, die Bischofswieser Ache, das brüchige Lattengebirge mit dem Dreischselkopf und Hochschlegel an und gegen Westen lagert sich in wildschönen Formen der Gebirgsstock der Reuteralpe vor, dessen Spitzennamen schon erraten lassen, wie eigenartig dieses Gebirge sich gestaltet, so der an Gemsen so reiche Eisberg, der Edelweißlahner, das Wagendrischelhorn und die südlichen wuchtigen Ausläufer, das gigantische Mühlsturzhorn mit dem Grundübel, dessen Nachbar jenseits des einsamen Hintersees, der Hochkalter mit dem Blaueis starre Wache hält.

Den bescheidensten Rang inmitten dieser entzückenden Hochgebirgswelt nimmt das waldgekrönte Lattengebirge ein, ein Meer von Schutt, der von ernsten dunklen Tannen überwuchert ist. Ein düsteres Stück Bergwelt, deren Eingang im südöstlichen Teile ernst genug der »Tote Mann« bewacht. Die Thalsenkung zwischen dem westlichen Höhenzuge und der Pfaffenschneide giebt gesuchten Weidegrund, 48 doch fröhlich stimmt dies Thal schon des grausigen Namens wegen nicht, denn der Grund heißt die Mordau und die am Rücken des Sonnbichl gelegenen Sennhütten heißen die Mordaualmen. Und diesen schaurigen Namen erhielt das Hochthal vor vielen hundert Jahren durch schnöden Verrat und eine schreckliche Mordthat.

Der »Auswärts« war auch endlich ins Ramsauer Thal gekommen, es grünte wieder Flur und Halde, der warme Sonnenschein vertrieb den hartnäckigen Schnee von den Gipfeln, daß er flüchten mußte zu den vergletscherten Ruheplätzen. Und wenn's dann im Thal zu warm wird, dann geht's gen Alm, die Kaser (Sennhütten) werden bezogen, das fröhliche Almenleben beginnt.

Frisch auffi auf d' Alm
Frisch eini ins G'wänd
Aft'n, daß mi mei Dirndl
Am Juchiz'n kennt.

In die Berg bin i gern
Da freut si' mei' Gmüat,
Wo der Almenrausch wachst
Und der Enzian blüat.

Der »Auswehrer« ist schon oben auf dem Kaser, um auszubessern, was der lange grimme Winter Schaden verursachte an der Hütte, am Schindeldach, Gattern und Thüren. In der Kraxen (Rückenkorb) hat er den allernötigsten Proviant, Mehl, Salz und Brot nebst etwas Schmalz für die ersten Tage, sowie die Milchstotzen und Holzrainen zur Hütte getragen und wie er wieder herunten dem Bauer meldet, daß alles gerichtet sei, dann beginnt die Almfahrt und mit lustigem Schellengeklingel zieht die Herde in die freie Natur.

Auch die Sonnbichler Alm hat eine Senndrin, die schöne 49 Kathi ist wieder heroben, das sauberste Dirndl der ganzen Ramsau und das will was heißen, denn da giebt's schöne Madeln grad genug in ihrer schmucken Tracht. Wo 's Kathei erscheint, verdrehen die Burschen die Augen, wie der balzende Auerhahn und gleich darauf schnackeln sie, weil einem die Zunge wässrig wird bei dem Anblick dieses Prachtgeschöpfes. Nußbraune Haar in langen Flechten, blaue Augen wie Vergißmeinnicht am Bachesrand, gewachsen grad nobel, tannenschlank und ein schönes volles Herz dabei. Warum nun grad dies Dirndl so zum dreinbeißen sauber und nett ist? Natürlich probiert jeder Ramsauer, der gerade Glieder hat und über zwanzig Jahr alt ist, beim Kathei anzukommen, aber 's Almfensterl blieb zu, bis der Lenz vom Fentenbauern kam und nach alter Sitte den Ramsauer Fensterlspruch hersagte:

Kimm i her von Sommer und Winter
Gaßelbua bini sakrisch a flinker
Wia da Sellerer Schinder.
Da Sellerer Schinder bin i net,
I bin a Sohn vom Oberboarn.
Hat mi mein Vater verjagt,
Weil i a recht a schlechte Votz'n hon g'habt,
Er hat mi schlecht 'köst'
Und schlecht g'wandt'
Und z'letzt hat er mi gar verjagt
Mit mein' z'rissnen G'schlamp
That i mi da a wenig
Hin und her loat'n
Und zu dir, Dirndl, auf's Fensterbrettel einibroatn.
Wia i aber zua dir bin kemma
Thua i mi glei' auskenna.
Than d' Henna Tobakbrenna 50
Und i und da Hahn kennt' aa–r–a Pfeifel an.
He, sagt er: Sakrawalt's Dirndl
Schlafst oder bist munter
Oder liegst 'leicht unterm Bett drunter.Die Schlußzeile des Originalspruches läßt sich nicht wiedergeben und ist ein ähnlich klingender Reim unterschoben. – Der Verfasser.

Und sie lag nicht unterm und nicht im Bett die saubere Senndrin, sondern hinterm Fensterl hat 's Kathei gewartet mit pumpernden Herzerl, bis der Lenzl gekommen ist. Jetzt fliegt 's Fensterl auf, der rechte Bua ist da.

Draußen begossen vom Silberlicht des Mondes ruht friedlich das schmale Hochthal, ab und zu die nächtliche Ruhe unterbrochen durch das Geschepper der Blechglocke eines Rindes, das seine Lagerstätte wechselt. Das Geflüster des glücklich liebend Paares nimmt der leise Bergwind mit auf die Höhe des tannigen Lattengebirges.

Das Blei eines Kammerfensterls zieht an wie Magnet Eisen und wer einmal ein offenes Fensterl gefunden, kommt immer wieder. Aber seltsam! Dem schönen Kathei scheinen die häufigen Besuche lästig zu werden, das Dirndl wurde kühler gegen den treuherzigen Lenz, das Geflüster immer spärlicher und kürzer und just in einer Nacht, wo das Unwetter jeden andern Burschen abgehalten hätte den beschwerlichen nächtlichen Marsch gen Alm anzutreten, der Lenz aber dennoch aufwärts stieg und ein trockenes Plätzl am Herdfeuer dringend benötigt hätte, weil er bis auf die Haut naß war, da blieb 's Fensterl zu und fest verschlossen war die Kaserthür. Vergeblich das zärtliche Bitten, das energische Pochen, umsonst das Fluchen des durchnäßten Burschen. Er kroch naß und frierend ins Heu des nächsten Schobers, dort den Rest der Sturmesnacht zu verbringen.

Heiter wie immer kletterte Frau Sonne über die Wände des hohen Göll die Bergspitzen zu küssen und kosen, ein herrlicher Morgen folgte der Wetternacht, Millionen Perlen und Diamanten funkelten auf den kurzen Halmen des thaufrischen 51 Berggrases. Munter sind die Wetterpropheten der Almen, die Ziegen, aufwärts geklettert, bei gutem Wetter meiden sie Stall und Alm, die sie sonst aufsuchen, wenn noch kein Wölkchen am Himmel das drohende Unwetter kündet und damit Sturm prophezeien.

Einen richtigen Jägersmann darf die Sonne nicht im Bett überraschen. Früh lang vor Tagesanbruch ist der Jager Xaver in sein Revier und seine Schritte lenken sich wie schon so oft am frühesten Morgen zur Sonnbichler Alm, wo 's Kathei seiner harrt und wild vor Leidenschaft sich an seine Brust wirft. Ihn, den Jager, liebt sie mit aller Glut ihres liebedürstenden Herzens, die Neigung zum Lenz ist keine wahre Liebe, Tändelei, um langweilige Stunden auszufüllen. Freilich kann es einer arbeitenden Senndrin nie langweilig werden, weil die Arbeit von Sonnenaufgang bis in die späte Nacht nie endet auf der Alm, aber 's Kathei hat die Mannsbilder im Kopf und ist ein Frauenzimmer einmal soweit, dann hört das Arbeiten auf und die Langweile ist da, bis gehalst werden kann.

Noch jedesmal hat 's Kathei den Lenzl zur rechten Zeit weitergebracht, sodaß der Jäger am frühen Morgen die Hütte ohne Nebenbuhler fand. In der heutigen Wetternacht dachte 's Katherl, es sei am vernünftigsten, den lästigen ausdauernden Burschen, der noch dazu tropfnaß ist, gar nicht hereinzulassen, weil er ja doch nicht vor Tagesanbruch weiter gehen wird.

Richtig blieb die Hütte zu und weitere Gedanken machte sich's Kathei nicht. Der Lenz wird schon thalwärts gehen, wenn er auf der Alm kein Gehör findet.

Kathei hat den Jager in die Hütte gezogen, der aufquirlende Rauch läßt erraten, daß sie für den Herzallerliebsten eben kocht.

Mit wahrem Entsetzen hat der im Heu versteckte Lenz die Begrüßung des Paares wahrgenommen, wie er eben im Begriffe war, den Heustadel zu verlassen. Heiß drängt sich ihm das gährende Blut zum Kopf, wahnsinniger Schmerz 52 durchbohrt seine Brust, quälende Eifersucht, glühender Haß gegen die treulose Senndrin und ihren Buhlen erfaßt ihn, sterben müssen beide, Rache will er haben für seine betrogene Liebe. Und mit gezücktem Messer überfällt der Rasende das ahnungslose Pärchen im Kaser, seinem Mordstahl fällt zuerst der Jäger, dann die Senndrin zum Opfer. Dann aber erfaßte Verzweiflung den Mörder und trieb ihn zum Sprung in den Abgrund. Von jener Stunde an erhielt das Sonnbichler Thal den Namen Mordau, der dem Thal und der Alm geblieben ist bis auf den heutigen Tag.

So hat sich die Sage fortgeerbt von Geschlecht zu Geschlecht und alte Ramsauer bestreiten entschieden die andere Version, die in Schöppners bayerischem Sagenbuch Eingang gefunden hat und dahin lautet, daß die Sennerin den Jäger um Rat anging, wie sie sich den Lenz vom Halse schaffen könnte. Der Jäger riet, ihn zum Edelweißbrocken auf den hohen Göll zu schicken. Wohl schauderte Kathei, aber sie ging doch auf den teuflischen Plan ein und forderte die schönsten Edelweißsterne als Zeichen seiner treuen Liebe. Eines Tages kam Lenzl atemlos auf die Alm gerannt, um Kathei zu schützen, denn Herzogs Friedrich von Bayern Kriegsvolk sei ins Berchtesgadner Land eingedrungen, um Rache zu nehmen an Propst Ulrich, der den Herzog schwer beleidigt. Kathei lachte den treubesorgten Lenz aus und schickte ihn auf den Göll um Edelweiß. Während Lenz auf schwindelndem Pfade emporklomm, um die Edelblume zu erreichen und fehltretend in die Tiefe stürzte, im Abgrund zerschellend, koste die Senndrin mit dem Jäger. Die Nacht brach an. Von dem Lichtschein der Alm verlockt, ging eine Kriegerschar des Herzogs Friedrich von der Straße ab den Hütten zu, die Kriegsknechte stießen das Pärchen nieder und labten sich dann im Milkkammerl des Kasers. Sterbend erinnerte sich Kathei, daß Lenz sie warnen wollte und reuig erkannte sie des Himmels Rache. 53

 


 


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