Arthur Achleitner
Geschichten aus den Bergen
Arthur Achleitner

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Baron Löwenstern.

Der Salzburger Zug ist signalisiert und muß jeden Augenblick im Bahnhof des Salinenstädtchens Hallein einfahren. Ich stehe in voller Bergrüstung am Bahnsteig, neben mir liegt der Rucksack mit den Steigeisen und der wuchtige Bergstock, eine Siegestrophäe aus einem Kampf mit steierischen Wilderern. Freund F., ein großer Nimrod, hat mich von seiner Heimat Berchtesgaden übers Zill nach Hallein begleitet, wo ich jetzt mit der Giselabahn bergeinwärts ins steierische Hochland fahren will.

Eben pustet der Zug heran, unter die Wartenden kommt Bewegung, auch ich will nach Rucksack und Stock greifen: doch beides ist verschwunden. Kruzitürken! So was einem so vielgereisten Menschen passieren, da hört doch die Weltgeschichte auf! Zu langer Musterung der auf die Waggons zueilenden Menschen ist keine Zeit, die Schaffner drängen zum Einsteigen, da sehe ich Freund F., der plötzlich von meiner Seite verschwunden war, mit meinem Reisezeug bepackt eifrig mit einem Schaffner reden, der dann die Achseln zuckt. Dann revidiert der Blaue mehrere Coupés, bis er eins aufreißt und F. mich heranwinkt.

Nanu! Gerade will ich herausplatzen, was der Freund denn für Dummheiten mache mit dem weggenommenen Reisegepäck; doch F. zwinkert so lustig mit den Augen, der Schaffner salutiert höflichst und sagt im größten Bedauern: »Herr Baron! Thut mir sehr leid, Herr Baron; doch es ist alles besetzt, Herr Baron, hier ist's noch am besten, Herr Baron!«

»Was?« konnte ich noch rufen, da meint auch mein 26 Freund schon: »Erlauben, Herr Baron!« und placiert Rucksack und Stock im Coupé, dabei die Damen um Entschuldigung für den »Herrn Baron« bittend. Hurtig springt er wieder aus dem Waggon und versichert mir in ehrerbietiger Weise und den Hut in der Hand: »Der Hirsch wär' bestätigt, der Herr Baron möge ja gewiß nächste Woche kommen. Adjes, Herr Baron!«

»Hol' dich der Teufel!« konnte ich dem Schäker noch zurufen, dann war der Zug im Rollen. Nun ist's Zeit, sich die Reisegenossen anzusehen, die mit Neugierde und 0,2 % Indignation meine nackten Knie betrachteten. Zwei Damen sind's, wohl Tante und Nichte, mit einem alten Herrn, dem der Geheimrat der Reichshauptstadt vom rasierten Gesicht auf den ersten Blick abzulesen ist. Auch der »Geheime« mustert mich mit auffallendem Interesse, und ehe ich mich dessen versah, war ich auch schon angesprochen: »Herr Baron! Jestatten Sie jütigst, Jeheimrat v. . . . . ., meine Schwester, meine Nichte aus Berlin.«

Himmelbomben und Granaten! Jetzt häng' ich in der Patsche. Anstandshalber muß ich mich nun auch vorstellen und da die Leutchen durch den Ulk meines Freundes und die Ehrfurcht des Schaffners meine »freiherrliche Würde« kannten, kann ich doch nicht sagen, daß ich ein simpler deutscher Schriftsteller bin. Aber um Himmels willen, woher gleich einen unbekannten Baron-Namen nehmen? Die Geschichte pressiert, also los:

»Sehr angenehm! Baron – Ba–r–o–n Löwenstern!« – Gegenseitige Verbeugungen und für den Augenblick habe ich Ruhe. Ich freute mich, gerade auf diesen Namen gekommen zu sein, denn Baron Löwenstern wohnt in der Nähe Halleins und ist ein mir bekannter äußerst liebenswürdiger Aristokrat dänischer Abkunft, der die gewaltsame Anleihe von Titel und Stand nicht so krumm nehmen würde, falls ich durch den Schabernack meines übermütigen Freundes in die Tinte kommen sollte.

27 Der verflixte Geheimrat aber murmelte immer, wie seine Erinnerungen durchblätternd: Löwenstern, Löwenstern?

»Pardon, Herr Baron, dänischer Adel, nicht?«

»Gewiß, Herr Geheimrat.«

»Kannte einen Löwenstern, Hünengestalt, wie Sie, Herr Baron, blond, war Rittmeister, muß Ihr Oheim gewesen sein, Herr Baron.«

Alle Teufel, das kann hübsch werden, denke ich mir; fehlt bloß noch, daß er meinen Löwenstern auch persönlich kennt. »Außi möch' i!«

»Herr Baron haben, wie ich aus den Reden Ihres Jägers vernahm, hier zu Lande eine Jagd?«

»Gewiß!«

»Auch Ihr Oheim ist leidenschaftlicher Jäger, wohl Erbteil der Löwenstern. Bloß Ihre Brille, Herr Baron, paßt nicht recht zu einem echten Löwenstern.«

Das war nun meine Meinung auch. Gleich darauf beginnt die geheimrätliche Schwester sich rhetorisch für den Löwenstern zu interessieren.

»Verzeihen, Herr Baron, tragen Sie in Ihrer Heimat auch dieses sonderbare Kostüm?«

»Gewiß, warum denn nicht, meine Gnädigste?«

»Ja, aber im dänischen Norden und mit so großen nackten Körperteilen – – –«

»Bitte recht sehr, bei uns – ich meinte natürlich Oberbayern und nicht Dänemark – laufen viele Leute sogar barfüßig, und die Tracht der kurzen ledernen Hose mit nackten Knien wird selbst im tiefsten Winter getragen.«

»Ah!« Die Geheimrätlichen staunten.

»Der Wildstand ist wohl sehr reich hier zu Lande, Herr Baron?«

»Sehr!« – Ich weiß zwar, daß das nicht der Fall ist, aber warum soll ich dem alten Herrn die Freude verderben?

»Ich hörte, Herr Baron, unter den Jemsen dieser Jegend sei die Räude ausjebrochen.«

28 Davon hatte ich allerdings nichts gehört, aber warum denn nicht.

»Ja wohl, Herr Geheimrat, und die Drehkrankheit auch.«

»Was, kommt diese auch bei Gemsen vor?«

»Warum denn nicht?«

»Herr Baron beherrschen das Deutsche aber bewundernswert, fast mit dem so gemütlichen süddeutschen Dialektanflug!«

»Sehr gütig!«

»Ganz bewundernswert für einen Dänen,« flötete jetzt die junge Geheimrätliche.

Bei einem Haar wäre ich jetzt herausgeplatzt, daß ich überhaupt noch nie in Dänemark gewesen, aber gerade noch rechtzeitig fiel mir meine »dänische Abkunft« ein.

Die Junge setzte mir nun bald schärfer zu, als die Alten; sie wollte wissen, wo ich »gedient« und ob bei der Kavallerie? Ich weiß von dänischen Armeeverhältnissen nun so viel wie ein Samojede von Metaphysik und behauptete kühn, was mir just einfiel: Garnison Jönköping, Ulanen! Der alte Geheimrat erlaubte sich dann die Mitteilung, daß Jönköping in Schweden liege – und den Rest der schwedischen Zündhölzchen wußte ich selber. Mir ward es immer schwüler in der freiherrlichen Situation, aber wir waren noch nicht in Werfen und ich muß bis Bischofshofen ausharren, wo der Zug gewechselt wird.

Es drehte sich das Gespräch hauptsächlich, gottlob, um die Jagd, und der Bitte, »mal« den geheimrätlichen Neffen mit auf Gemsen zu nehmen, setzte ich keinen Widerstand entgegen. Die Rache kam rasch, denn der Alte wollte meine Visitenkarte haben; schon griff ich nach dem Täschchen, da erinnerte ich mich, daß auf meinen Karten etwas anderes als Freiherr von Löwenstern steht und mit gut gespieltem Bedauern wies ich auf meine Bergtoilette, die das Mitführen von Visitenkarten nicht gestatte.

Innerlich verfluchte ich meinen Freund F., der mir diese 29 Suppe eingebrockt, und über mich selber ward ich ärgerlich, daß ich den Schwindel mit dem »Baron« nicht vorneweg aufgedeckt hatte. Jetzt ist's zu spät! Also weiter lügen! Die Adresse gelogen, für den wirklichen »Baron Löwenstern« Jagdeinladungen gemacht, ja der Teufel ritt mich so arg, daß ich sogar die Damen einlud. Man kommt ja doch nicht einmal auf zehn plötzlich gemachte Einladungen von Leuten, die man vor kurzem in der Eisenbahn kennen gelernt.

Gottlob, der Zug fährt pfeifend und polternd in Bischofshofen ein. »Also Adieu, empfehle mich den Damen recht sehr!«

»Adieu, Herr Baron!«

Der Schaffner reißt die Coupéthür auf: »Wagenwechsel, Herr Baron!«

In diesem Augenblicke steigt ein Herr ein, mich sehen und die breite Hand mir entgegenstrecken: »Servus, Herr Achleitner!«

Tableau!

Einmal »Baron« gespielt und nie wieder. 30

 


 


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