Arthur Achleitner
Geschichten aus den Bergen
Arthur Achleitner

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G'schlenkt!

Ein fideleres Wirtshaus giebt's auf zehn Meilen nicht im Umkreis als die Herberge neben dem Zollhaus droben am Grenzberg, wo die königlich bayerische Herrlichkeit aufhört und die schwarzgelbe anfängt. Eigentlich wär' es sonst recht still da heroben im Bergwald, durch welchen die Zollstraße führt. Der Fremdenverkehr ist nicht gar zu groß wegen der Terrainschwierigkeiten, die hinüber stets eine teure Vorspann erfordern und Touristen wimmelten damals noch nicht in jener Gegend so arg, wie heutzutage. Zu gewissen Zeiten aber ging es hoch her im Wirtshaus droben, Fuhrwerk stand an Fuhrwerk gereiht die Zollstraße entlang, so weit das Auge blicken konnte und die Grenzer hatten Arbeit über Hals und Kopf. Da stochert einer mit langem, gespitztem Eisenstab in Heu- und Strohfuhren, um sich zu vergewissern, daß nicht zollpflichtige harte Gegenstände im Heu oder Stroh verborgen sind, dort visitiert ein anderer Grüner die Sitztrücherln, Blochholz wird ausgemessen zur Versteuerung, die Bayern verzollen den aus Österreich kommenden Wein, die österreichischen Beamten fragen nach Cigarren und Tabak u. s. w. Mittlerweile werden die ermüdeten Pferde gefüttert und die Fuhrleute brauchen auch ihre Stärkung nach solchen Mühen. Und ist dann alles wohl verzollt nach Vorschrift, dann trinken auch die Grenzer ihren wohlverdienten Schoppen, die Bayern und die Österreicher in trauter Eintracht als berufstreue Wächter des Gesetzes. Wer von ihnen bloß Stationsdienst hat, der kann leicht lachen, aber jenen, die 40 Patrouilledienst machen müssen, Nachtwachen bei Sturm und Wetter, um den Schmuggel zu verhindern auf der Bergschneide oben, vergeht der Humor und mancher kommt oft genug todmüde, wenn nicht krank zurück von solchen strapaziösen Gängen. Aber der Dienst ist heilig und er wird pflichttreu ausgeübt, ohne Rücksicht auf Gesundheit und Wetter. Wird ein Pascher abgefangen, dann ist das auch eine Genugthuung für die Plage und wenn nicht, dann ist eben die Pflicht erfüllt. Die Spitzbuben sind auch nicht immer unternehmungslustig, anderswo ist's viel schlimmer. Bloß einen Burschen haben die Grünen heroben auf dem Grenzberg auf der Muck', dem verschlagenen Lamplnaz, einem Schäfer von herkulischer Erscheinung, trauen die Zöllner beider Ämter nicht über den Weg. Sie wissen recht gut, daß der Lamplnaz »schwirzt« (schmuggelt), wo es möglich ist, aber noch keinem Beamten ist es gelungen, den verschmitzten Burschen abzufangen in flagranti. Lange Zeit hat es überhaupt niemand geglaubt, daß der flachshaarige Kerl mit den treuherzigen Augen des systematischen Schmuggels und anderer Lumpereien fähig wäre. Aber in einer stürmischen Wetternacht, so miserabel, daß man keinen Bauernhund über den Hof jagen sollte, stöberte den Lamplnaz ein österreichischer Grenzer im Bergwald auf mit einem höchst verdächtigen Sack auf dem Buckel und eine tolle Jagd begann. So viel auch der Grenzer lief, der Naz war flinker und der vom Zöllner abgegebene Schuß ging fehl. Der Schwirzer war plötzlich verschwunden, als hätte ihn der Erdboden verschlungen. Erkannt war der Naz ganz genau, man wußte jetzt, daß der Kerl ein Schwarzgeher ist und von dieser Entdeckung wurde natürlich auch das bayerische Grenzpersonal sofort verständigt.

Den Lamplnaz genierte aber das nicht im geringsten, er kehrte unbefangen wie früher häufig im Zollwirtshause zu und war der fidelsten Einer, immer lustig und sangesbereit und die Hauptsache, Geld, hatte der Bursche fast immer, so 41 daß die dicke Wirtin gar nicht so schlecht auf den Naz zu sprechen war. Bloß wer nichts hat und schuldig bleibt, der ist ein Lump, pflegte die Wirtin zu sagen und ihr Adlatus, der schweigsame Wirt stimmte wie immer zu. Eines Tages im Sommer war der Naz von der Weide runter ins Wirtshaus kommen, weil ihn der Durst gar so viel plagte. Die Betzeln (Schafe) ließ er auf der bereits auf bayerischem Grund belegenen Weide unter Aufsicht eines Buben. Wie wenn es der Naz gerochen hätte, gab es heute was Besonderes im Wirtshaus, die Wirtin hatte, um dem bayerischen Personal eine Aufmerksamkeit zu erweisen, ein richtig verzolltes Faß bayerisch Bier kommen lassen, das heute zum Ausschank gelangte. Natürlich war das ganze dienstfreie Aufsichtspersonal und von Zeit zu Zeit auch die Beamten vom Stationsdienst im Wirtshaus versammelt und alles labte sich am herrlichen Gerstensaft. Bei solch freudigem Ereignis kann man auch nicht so sein und die Grenzer duldeten es, daß sich der Naz an ihren fröhlichen Tisch setzte. Freilich zogen ihn die jüngeren Grenzer schier augenblicklich auf, aber der Naz zeigte sich heute ausnehmend lammfromm, ließ sich jede Hänselei gefallen und lachte dazu. Nach der dritten Halbe griff er gar nach der verstaubten Klampfen (Guitarre), putzte sie fein säuberlich ab mit dem Ellbogenärmel, stimmte und besang dann die eben mit einer Riesenschüssel von Krapfen eintretende Wirtin:

D' Frau Wirtin is' kugelrund
Hat a nett's Gfrieserl
Und trotz die zweihundert Pfund
Lauft 's wia a Wieserl.

Na, eine solche Liebenswürdigkeit verdient eine Anerkennung und vergnügt schmunzelnd hieß die dicke Wirtin der Kellnerin, dem Lamplnaz »an Liter« einzuschänken auf Regimentsunkosten. 42 »Vergelt's Gott!« meinte der Naz und sagte dann: »Dein Einsehn, Wirtin, kimmt ma (mir) heunt eh (ohnehin) recht, heunt mußt d' mi eh auf die Thür kreidnan (die Zechschuld mit Kreide auf die Thüre schreiben, wie es in Bergwirtschaften häufig der Fall ist), heunt hon i koa Geld nöt.«

»Wer nix hat, is a Lump,« citierte augenblicklich ein junger Grenzer und wirr durcheinander frozzelte (höhnte) nun alles den Lamplnaz. Ja einer fragte ihn, ob denn die »Schwirzerei« nichts mehr trage? (abwerfe). Jetzt kam auch das Lamplblut in Wallung.

»Oho!« ruft der Naz. »Tragt allweil no mehra als da greane Rock. Was gilt's, i schwirz' morgen Mittag zwischen zwölfi und zwoa an Zenten (Centner) Cigarren über d' Grenz' und ös alle mitsamm' fangt's mi koaner.«

»Hui, dös wird a Hetz!« jubelten die Grenzer und alle miteinander gegen den Lamplnaz hielten die Wette auf ein 30er Faßl Bayerisch. In der Freude auf diesen Kapitaljux zahlten die Grenzer dem Nazl auch noch die Zeche und kreuzlustig verließ der Bursche das Wirtshaus, um nach seiner Herde zu sehen.

Sternhagel! Ist das heute eine Regsamkeit am Zollhaus, Patrouillen ziehen aus, verstärkt mit bayerischen Grenzern, die das Cigarrenschwärzen nach Österreich zwar nichts angeht, die aber der Wette halber ihren österreichischen Kollegen helfen wollen. Drei Mann stark ist heute der Stationsdienst belegt und sogar der Respizient (Amtschef in Zollämtern untergeordneter Bedeutung) patrouilliert schon vormittags vor dem Hause. Über die ganze Grenze ist ein Cordon gezogen, daß der Lamplnaz drüber fliegen müßte, wenn er nicht angehalten werden will. Wie sich die Grenzer seelenvergnügt die Hände reiben! Das ist in ihrer Bergeinsamkeit doch einmal eine gelungene lustige Abwechslung! Auch die Bewohner des Wirtshauses, die dicke Wirtin voran, stehen auf der Straße und erwarten in Spannung das Kommende.

43 Zwölf Uhr rasselt es von den Uhren im Zollhause. Draußen auf der glühheißen Zollstraße ist nichts zu sehen, kein Mensch, kein Tier zu erblicken. Gespannt horchten die beiden Amtsvorstände nach der Schneide hinauf, ob nicht dort oben vielleicht etwas los sei. Aber nichts regt sich, kein Anzeichen, ein heißer Mittag, wie die andern auch.

Gegen halb ein Uhr ertönt von der Halde herab das Blechgebimmel einer Schafherde, das ist alles und wie gewöhnlich traben die Wolleträger die Zollstraße herab auf den anderen Weidegrund, der näher beim Bauernhof auf österreichischem Gebiete liegt. Nur eins ist heute auffällig, daß der Lamplnaz nicht selber bei seiner Herde ist. Der Respizient fragt auch sofort den Schafbuben, warum der Naz nicht bei den Schafen ist.

»Der Naz kimmt glei' nach!«

»So! Aufgepaßt ihr Leute!«

Der Schafbub treibt die Herde weiter, mit lustigem »Mäh« geht's die Straße hinab.

Die Grenzer passen jetzt auf wie der Teufel auf eine arme Seele und gucken, die Hände schützend vor die Augen gelegt, mit äußerster Spannung durch die Sonnenglut hinaus auf die stille Straße.

Es rasselt etwas – ein Steirerwagl fährt daher. Halt! Nichts zollbares?

»Nein!«

»Bitte abzusteigen!« So genau ist noch nie ein Wagen untersucht worden, wie jetzt. Das Sitztrücherl wird peinlich genau visitiert, ja ein Grenzer kriecht gar noch unter die Wagenachsen und schaut da nach, ob nicht etwa die Cigarrenkistln unten angenagelt seien. Aber nichts, gar nichts.

Der Kutscher schüttelt verwundert den Kopf und fährt staunend über die so plötzlich verschärften Vorschriften thalwärts.

Wieder guckt alles hinaus auf die Straße. – Endlich ein Mensch! Der Respizient schaut mit dem Feldstecher 44 hinaus. – Achtung! Der Lamplnaz ist es! Hin, jetzt wird's interessant! Die Grenzer sperren die Straße ab, Signalpfiffe ertönen, unter den Fichten am nahen Wald werden Uniformen sichtbar – schußbereit steht die ganze Mannschaft.

»Ah, der Herr Reschpizinent is' aa da! Guat'n Tag beinander!« sagt der Lamplnaz.

»Wo hast denn die Cigarren, Nazl?«

»San schon drenten!«

»Waaas?«

»Ja!«

»Himmelhergottelement!«

»Nutzt nix, alles schon über der Grenz!«

»Ja, zum Teufel, wo denn nüber?«

»Da vorm Zollhaus auf der Straßen.«

»Waaaaas?«

»Ja freili!«

»Ja wann denn?«

»Wird beiläufi' a halbe Stund sein.«

»Unmöglich!«

»Is' schon so. Aber a Frag, Herr Reschpizinent, wann wird denn 's Bier trunken?«

»Wannst magst!«

»I dank schön derweil und hiazt pfüat Gott beinander.«

Ohne das geringste Gepäck wandert der Lamplnaz vergnügt die Straße weiter. Der Streich ist gelungen.

Noch hat der Respizient eine schwache Hoffnung, vielleicht haben die Aufseher oben auf der Schneid den vom Lamplnaz arrangierten Cigarrentransport abgefangen. Indes auch vergebliches Hoffen, gegen drei Uhr fand sich die gesamte Mannschaft wieder im Zollhause ein, mit recht gemischten Gefühlen. Das verlorene Faßl Bier wär' das wenigste, aber die Blamage so vieler –! Ein einziger Schafhirt gegen so viele Grenzer und er der Alloanige der Sieger und Wettgewinner. Die allerchristlichsten Wünsche waren es 45 nicht, die von den Lippen der gründlichst geärgerten Grenzer flossen.

Natürlich fahndete man überall hin auf österreichischem Gebiete nach den en gros geschmuggelten deutschen Cigarren.

Aber gleichfalls vergeblich. Tagsdarauf fand sich Lamplnaz mit einem Kistchen geschmuggelter Cigarren richtig im Zollwirtshaus ein und innerhalb weniger Minuten war auch alles dienstfreie Grenzerpersonal bei ihm. Der Respizient kam auch und sicherte zunächst Straffreiheit für den Schmuggler zu, damit der listige Lamplnaz auch sagt, wie die »Schwirzerei« vor sich ging.

»Wie die Cigarren über d' Grenz' kommen sind?« meinte der Naz; »ganz oanfach, auf der Straßen vor drei Mann Grenzer und dem Herrn Reschpizinent Schlag halbi oans.«

»Ja um Himmels willen wie denn?«

»Na, i will Enk nöt lang zappeln lassen – die Schaf' hab'n die Cigarr'n nübertragen.«

»Was, die Schaf'?«

»Natürli, neamd anders.«

»Ja, wie denn?«

»Ja, da siecht man halt, daß ös alle mit'nander vom Vieh gar nixen nix verstehts.«

»Oho!«

»Gar nixen versteht 's! Meine Schaf' haben d' Cigarren nüber tragen, jedes Schaf fünfundzwanzig Stück Cigarren!«

»Nicht möglich!«

»Is' schon so. I hab aus meine Schaf' lauter Böck' (Widder) g'macht – hahaha! Und jeder ›Widder‹ hat fünfundzwanzig Stück Cigarren über die Grenz' tragen.«


Tableau!

Nun wollten die Grenzer noch wissen, wo sie nachfragen 46 könnten, ob die ungeheuerliche Schmuggelgeschichte auch wahr sei.

Das sagte aber der schlaue Naz nicht. Der nächsten Tag abgefangene Schafbub bestätigte, bei der Cigarrenbeutelgeschichte mitgeholfen zu haben, mehr wußte er selber nicht. Hihihi!

Die Grenzer zahlten das verlorene Faß Bier und hatten das Bewußtsein, von dem listigen Lamplnaz g'schlenkt worden zu sein. 47

 


 


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