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Was ich im Apfelfasse hörte

.Nein, nicht ich,« sagte Silver. »Flint war Kapitän und ich Quartiermeister, so wie ich hier stehe auf meinem Holzbein. Dieselbe Breitseite, die mir mein Bein wegnahm, hat dem alten Pew seine Bullaugen geraubt. Bei Gott, er war ein tüchtiger Wundarzt, der, der mir das Bein abgenommen hat – Universitätsbildung und alles – lateinisch und was weiß ich; aber er wurde gehenkt wie ein Hund und an der Sonne getrocknet mit all den anderen in Corso Castle. So ging's mit Roberts Leuten, und kommt alles nur von dem dummen Umtaufen »Royal Fortune« usw. Nun, wie ein Schiff getauft ist, so soll es immer heißen, sage ich! So war es mit der »Cassandra«, die uns sicher nach Hause brachte von Malabar, nachdem England den Vizekönig von Indien gefangen genommen hatte, so war es mit dem alten »Walroß«, das ich überschwemmt gesehen habe mit rotem Blut und zum Sinken voll mit Gold.«

»Ah!« rief die Stimme des jüngsten Matrosen an Bord voll Bewunderung – »der war ein Mann, dieser Flint!«

»Davids auch, so viel man hörte,« sagte Silver. »Ich habe nie unter ihm gesegelt; erst unter England, dann unter Flint, das sind meine Erfahrungen; und jetzt hier auf meine eigene Rechnung, sozusagen. Neunhundert Pfund habe ich gespart unter England und zweitausend unter Flint. Das ist schon allerhand für einen gewöhnlichen Seemann. – Alles sicher in der Bank. Es kommt nämlich nicht aufs Verdienen an, sondern aufs Sparen. Wo sind heute Englands Leute? Ich weiß nicht. Und Flints? Nun, die meisten wohl hier an Bord und froh um das bißchen Unterkunft – manche haben vor kurzem noch gebettelt. Der alte Pew, der seine Augen verloren hat, pflegte zwölfhundert Pfund im Jahre auszugeben, wie ein Lord im Parlament. – Aber wo ist er heute? Nun, er ist tot und unter der Luke, aber in den zwei letzten Jahren seines Lebens – zittern meine Bretter! – der Mann hat gehungert. Er hat gebettelt und gestohlen, er hat Gurgeln abgeschnitten und dennoch gehungert!«

»Es kommt schließlich doch nicht viel dabei heraus,« sagte der Junge.

»Nicht viel für die Dummköpfe oder gar nichts!« rief Silver. »Aber nun höre mich einmal ordentlich an. Du bist jung und klug und scharf wie Ölfarbe. Auf den ersten Blick habe ich das gesehen und ich werde deshalb mit dir reden wie mit einem Mann.«

Es läßt sich denken wie mir zumute war, als ich mitanhören mußte, wie dieser niederträchtige alte Schurke einen anderen mit denselben Schmeichelworten anredete, die schon bei mir ihre Arbeit getan hatten. Ich hätte ihn dafür töten können durch das Faß. Inzwischen redete er weiter, ohne zu ahnen, daß er belauscht wurde.

»So ist es nun einmal mit Glücksrittern. Sie leben rauh und riskieren, daß sie gehenkt werden, aber inzwischen leben sie üppig wie die Kampfhähne, und am Ende einer Reise haben sie Hunderte von Pfunden zu verjubeln, wo andere mit Hunderten von Pennys auskommen müssen. Das meiste davon geht fort für Rum, und dann wieder an Bord in Hemdsärmeln. Aber das ist nicht mein Kurs. Ich lege alles beiseite, ein wenig hier und ein wenig dort, damit es keinen Verdacht erregt. Ich bin fünfzig Jahre alt, mußt du wissen, und wenn ich einmal von dieser Reise zurück bin, werde ich mich ernsthaft als Gentlemen etablieren. Es wäre höchste Zeit dazu, wirst du sagen. – Ah, aber inzwischen habe ich auch gut gelebt und mir nichts versagt. Mein Lebtag – außer auf See – habe ich sanft geschlafen und gut gegessen. Und wie habe ich angefangen? Als gewöhnlicher Matrose, wie du und alle anderen.«

»Aber das Geld der anderen ist fort,« sagte der andere, »und Ihr selbst könnt nach dieser Reise auch nicht mehr zurück nach Bristol, um das Eure abzuheben.«

»Und wo denkst du wohl, daß es heute ist?« fragte Silver mit schlauem Augenzwinkern.

»In Bristol, in Banken und solchen Plätzen,« antwortete sein Gefährte.

»Es war!« rief der Koch, »es war dort am Tag unserer Ausreise. Aber meine alte Dame hat es längst schon abgehoben. Das »Fernglas« ist verkauft mit Konzession, Ausrüstung und Takelage und das alte Mädchen schon auf der Reise, um mich zu treffen. Ich könnte dir sagen wo, aber das würde nur Eifersucht hervorrufen bei den andern Kameraden.«

»Und könnt Ihr eurer Missis auch vertrauen?« fragte der andere.

»Glücksritter,« fuhr Silver fort, »vertrauen gewöhnlich einander nicht allzu viel, und das aus guten Gründen, aber ich habe so eine Art an mir. Wenn irgendeiner meiner Kameraden an mir sein Kabel kappt – ich meine nur einen, der mich kennt –, so tut er es nicht in derselben Welt mit dem alten John. Es hat Leute gegeben, die eine tödliche Angst hatten vor Pew, und andere vor Flint, aber Flint selbst hatte Angst vor mir. Angst hatte er vor mir, und außerdem war er stolz auf mich. Flints Mannschaft war die schlimmste, die je zur See gefahren hat auf einem gesegneten Schiff. Der Teufel selbst hätte sich geniert, mit ihnen zu segeln. Nun ja, du weißt, daß ich kein Prahlhans bin, und du hast selbst gesehen, wie leicht man mit mir auskommen kann; aber als ich Quartiermeister war, da waren Lämmer die reinsten Löwen im Vergleich mit Flints Seeräubern. Ah, da hieß es sich in acht nehmen in Johns Schiff!«

»Ich will Euch etwas sagen,« antwortete der Junge, »bisher habe ich kein halbes Viertel Freude gehabt an dieser Geschichte, aber nach diesem Gespräch mit Euch, John, sieht alles anders aus. Hier ist meine Hand.«

»Bist ein braver und kluger Junge,« antwortete Silver und schüttelte seine Hand so herzhaft, daß das Faß erzitterte, »und eine schönere Gallionsfigur für einen Glücksritter habe ich noch nie gesehen.«

In diesem Augenblick kam ein dritter Mann herbei und setzte sich zu ihnen.

»Dick ist auf unserer Seite,« sagte Silver.

»Oh, ich wußte, daß er das ist,« antwortete die Stimme des zweiten Bootsmann Israel Hands. »Der ist nicht so dumm.« Er wälzte einen Priem und spuckte ihn heraus. »Aber nun höre,« fuhr er fort, »da ist noch etwas zu besprechen, Bratrost: Wie lange werden wir hier noch beigedreht liegen wie ein verdammtes altes Bumboot? Ich hab' nun beinahe gerade genug an diesem Kapitän Smollett. Er hat mich, bei Gott, nun lange genug schikaniert und getrieben! Mich verlangt's nach seiner Kajüte, nach Mixed-pickles und Wein!«

»Israel,« sagte Silver, »dein Kopf ist nie viel wert gewesen. Aber ich denke, du kannst hören; wenigstens sind deine Ohren groß genug. So will ich dir sagen, was du zu hören hast: Du wirst noch eine Weile weiter vorne wohnen; du wirst hart leben und sanft sprechen und nüchtern bleiben, bis ich das Signal gebe. Verstehst du?«

»Ich sagte ja nicht, daß ich es nicht tun wolle.«

»Wann, zum Teufel!« rief Silver. »Ich will dir es sagen, wenn du es wissen willst: So spät, wie nur irgend möglich. Da ist Kapitän Smollett, ein erstklassiger Seemann, der das Schiff für uns segelt; da ist der Doktor und der Gutsherr mit einer Karte und solchen Dingen – weiß ich, wo sie ist? Nicht mehr als einer von euch. Wer soll uns also den Stoff verschaffen? Die sollen es an Bord bringen und dann können wir ja weiterfahren. Könnte ich mich verlassen auf euch Dummköpfe, so würde Kapitän Smollett uns halbwegs wieder nach Hause fahren, ehe ich losschlage.«

»Wir sind aber doch alle Seeleute an Bord, sollte man meinen,« sagte Dick.

» Matrosen, wolltest du sagen,« fiel ihm Silver ins Wort. »Wir können Kurs steuern, aber wer soll ihn setzen? Das ist die Klippe, an der ihr Herren alle miteinander noch immer gescheitert seid. Wenn es nach mir ginge, müßte Kapitän Smollett uns zum mindesten bis in den Passat zurückbringen; dann gäbe es keine Verkalkulierung im Kurs mit kurzen Rationen und einem Löffel voll Wasser. Aber ich kenne eure Sorte! Ich werde sie drüben auf der Insel erledigen, sobald der Plunder an Bord ist. Um so schlimmer für uns alle. Ihr seid nur glücklich, wenn ihr betrunken seid. Zum Zerplatzen habe ich es satt, mit so einer Sorte zu segeln!«

»Langsam, John!« rief Israel. »Wer hat dir etwas in den Weg gelegt?«

»Wer, zum Donnerwetter! Wie manches stolze Schiff, meinst du wohl, ist schon geentert worden, wie mancher helle Junge trocknet heute schon im Exekutionsdock, nur immer wegen dieser Eile, Eile, Eile! Hörst du mich? Ich habe etwas gesehen in meinen Tagen! Wenn ihr bloß um einen Strich näher am Winde segeln wolltet, so könntet ihr in Kutschen fahren. Aber ihr nicht! Ihr holt euch einen Mund voll Rum und laßt euch dafür hängen!«

»Wir alle wissen, daß du so eine Art Pfaffe bist, John,« sagte Israel. »Es gibt aber noch andere, die sich aufs Handwerk verstehen und doch ein bißchen Pläsier haben wollten. Sie waren nicht so hoch und trocken, daß sie eine kleine Weinreise mit guten Kameraden verachteten.«

»So? Und wo sind sie jetzt? Pew war von der Sorte und starb als Bettler. Flint auch, und starb an Rum in Savannah. Ach, sie waren eine süße Mannschaft! – Nur, wo sind sie?«

»Aber,« fragte Dick, »wenn wir sie nun wirklich beiseite schaffen, was werden wir dann mit ihnen anfangen?«

»Das ist ein Wort!« rief der Koch. »Das nenne ich Geschäft! Was rätst du wohl? Sollen wir sie an Land aussetzen, wie so viele Robinsone? So hätte England in diesem Falle gehandelt. Sie niedermetzeln, wie so viel Schweinefleisch? Das wäre Flints oder Billy Bones Manier.«

»Billy Bones war der Mann für so etwas,« sagte Israel. »Die Toten beißen nicht, pflegte er zu sagen. Nun ist er selber tot und weiß, wie es sich damit verhält, aber wenn je ein rauher Mann im Hafen angelangt ist, so war es Billy Bones.«

»Das stimmt,« sagte Silver, »rauh und rücksichtslos. Ich dagegen bin ein sanfter Mann – ein vollkommener Gentleman, wie ihr wißt. Aber diesmal ist's ernst. Pflicht ist Pflicht, Kameraden! Ich stimme für den Tod! Wenn ich erst einmal im Parlament bin, will ich mich nicht der Gefahr aussetzen, daß einer von den Seeadvokaten dort drüben in der Kajüte noch einmal aufstehen und gegen mich zeugen könnte wie der Teufel beim Gebet. Wartet geduldig, sage ich, aber wenn die Stunde kommt, dann drauf!«

»John,« rief der Bootsmann, »du bist ein Mann!«

»Du wirst dich davon überzeugen, wenn es so weit ist, Israel,« sagte Silver. »Nur einen von denen bitte ich mir selber aus – Trelawney! Mit diesen Händen werde ich seinen Kalbskopf von seinem Körper reißen! – Dick,« unterbrach er sich, »sei ein guter Junge; spring auf und hole mir einen Apfel, mit dem ich meine Pfeife netzen kann.«

Man stelle sich meinen Schrecken vor! Ich war drauf und dran aufzuspringen und davonzulaufen, und ich hätte auch so getan, wenn ich die Kraft dazu gehabt hätte. Aber mein Herz stand still und die Glieder versagten den Dienst. Ich hörte, wie Dick aufstand, wie jemand ihn zurückhielt und dann die Stimme Israel Hands:

»Oh, hör' auf damit! Was willst du an solchem Zuckerwasser lutschen, John! Nehmen wir lieber ein Glas Rum.«

»Dick,« sagte Silver, »ich kann mich auf dich verlassen. Das Faß hat einen Hahnen. Hier ist der Schlüssel. Fülle mir den Becher!«

Während der kurzen Abwesenheit des anderen flüsterte Israel etwas mit halblauter Stimme in des Kochs Ohr. Nur hie und da verstand ich ein Wort, aber auch aus dem Wenigen konnte ich viel erfahren. »Kein weiterer wird mitmachen.« Es gab also auch noch ehrliche Leute unter der Mannschaft. Als Dick zurückkam, trank einer nach dem anderen aus dem Becher, jeder mit einem Spruch: »Viel Glück!«, »Für den alten Flint!«, und Silver selbst in einer Art Sing-Sang:

»Auf unser Glück und gut Wetter im Luv,
Reichliche Prise und reichlichen Suff.«

Und gerade in diesem Augenblick fiel ein heller Schein in das Faß. Ich schaute auf und sah, daß der Mond aufgegangen war und die Takelage des Besanmastes versilberte. Weiß lag es auf der Luvseite des Focksegels. Ich schaute hinauf, und ehe ich mir noch recht etwas dabei denken konnte, kam aus dem Ausguck der langersehnte Ruf: »Land ho!«


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