Paul Zech
Deutschland, dein Tänzer ist der Tod
Paul Zech

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VIII   Spund duldet keine Politik

Es war sonst niemand mehr in dem Lokal als Granowsky, Hillmann und Martin. Sie saßen, wie gewöhnlich an diesen Donnerstagabenden, am runden Tisch in der Fensternische. Hillmann und Martin hatten einen Schoppen Bier vor sich stehn, Granowsky schnapste. Der Rauch machte ihre Gesichter undeutlich. Außerdem war Spund knausrig mit dem Licht. Es brannten nur die drei Kugeln unter der braunverstaubten Decke. Die Theke lag ganz im Dunkeln.

Spund stand, den fetten, wabbligen Bauch gegen die Tischplatte gepreßt, wie ein Ölgötze aus einer schmierig-grauen Tonmasse. Er schien zu dösen, doch tat er nur so und beobachtete mit halb zugekniffenen Augen scharf den Stammtisch. Er hätte gern das Radio angestellt; zwischen sieben und acht Uhr nämlich sollte eine Wahlrede von Hitler steigen. Die hatte der Deutschlandsender in dieser Woche schon zweimal von Wachsplatten gebracht. Spund wollte sie aber auch zum dritten Mal noch hören. Aber dann wäre ihm entgangen, was diese drei – sonst sehr unterschiedlichen – Musketiere miteinander hatten. Heute taten sie so, als hätte es nie eine Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen gegeben.

Granowsky las jetzt eine ganze Weile für sich allein in einem Flugblatt und schüttelte fortwährend den Kopf dabei, bis ihn Hillmann anstieß: »Verdammt noch mal, bist du denn immer noch nicht fertig mit diesem verfluchten Braunkohl?«

»Du . . . das muß man dreimal lesen. Jeden Satz muß man sich einprägen, Wort für Wort, damit dieses beispiellose Monstrum von Tatsachenverfälschung noch da ist, wenn der braune Spuk sich längst in Rauch und Gestank aufgelöst haben wird; ich sammle solche Raritäten. Und wenn man dann nach fünf oder sechs Jahren einem Menschen dieses Zeug vorsetzen wird, dann wird er antworten: ›In welchem Verrücktenhaus hast du dir das Gehirn aufbügeln lassen?‹ – So kurz wie heute ist wohl noch zu keiner Zeit das Gedächtnis der Öffentlichkeit gewesen. 92 Frage du mal einen von den jungen Burschen, wie es damals mit Karl Liebknecht war, im Tiergarten, als es hieß: ›Auf der Flucht erschossen!‹ Er wird dich anglotzen, als würdest du von ihm verlangt haben, er soll dir die linken Nebenflüsse des Amazonas nennen oder erzählen, aus wieviel Inseln Hawaii besteht.«

»Das kann ich dir zufällig auch nicht sagen, Schulmeister, obwohl ich in Geographie immer bessere Noten hatte als in Geschichte. Aber . . . Karl Liebknecht und die Rosa . . . ja, das ist der Anfang gewesen von dem, was heute sich in vollen Zügen abspielt. Eine ununterbrochene Kette. Und die dunklen Gewalten, die diese Kette abrollen lassen, sind von einer unerbittlichen Konsequenz. Das kann nicht bestritten werden. Wenn wir nur einen Bruchteil davon gehabt hätten!«

»Vorbei, Hillmann . . . vorbei!«

»Martin, man darf nicht aufhören, davon zu reden.«

»Soll ich euch jetzt mal eine Stelle vorlesen aus diesem Klosettpapier?« fragte Granowsky. »Es wird euch angenehmer in die Ohren hineinklingen als dieser heute müßige Streit um das, was man unterlassen hat zu tun.«

Hillmann riß Granowsky das Flugblatt aus der Hand, warf es in die Ecke und spie hinterher: »Lausedreck, verfluchter!«

Granowsky sah ihn an, ein wenig hilflos und angestrengt, und sagte schließlich: »Aber Mensch, wie kann man bloß?!«

Hillmann zwang sich zur Ruhe, zerbiß die Unterlippe und rückte auf dem Stuhl hin und her. Und erst nach einer ganzen Weile hatte er sich wieder so in der Gewalt, daß er antworten konnte, ruhig und überlegt, wie man es bislang an ihm auch gewöhnt war: »Ihr habt wahrhaftig noch nicht begriffen, daß es mit der Hin- und Her-Schaukelei vorbei ist. Ihr glaubt immer noch daran, daß eine gewisse Clique diesen Anstreicher bloß aufs Glatteis führen will, um ihn vor der ganzen Welt lächerlich zu machen und ihn dann an die Luft zu befördern: Ab dafür! Und zum Volk sagen wird: Seht, wir müssen erst kommen und den Wagen aus dem Dreck ziehen, wir, die wahren deutschen Patrioten! – Nein, meine Lieben. Der Augenblick dazu ist längst verpaßt. Und wenn es wirklich noch Leute geben sollte, die mit solch einem Gedanken spekulieren, daß es so kommen könnte . . . dann sind es entweder Wirrköpfe von der Art des Herrn von Papen . . . die in die Grube hineinfallen werden, die sie dem anderen graben, oder es sind Leute, die von der Masse sich kein klares Bild mehr machen können. – Mich wundert nur, wo ihr das hernehmt, euch eine Chance auszurechnen. Für die nächsten drei Jahre könnt ihr 93 sie auf dem Mond suchen. Die Linke . . . das ist zunächst einmal vorbei. Wenn euch das Exempel noch nicht aufgegangen ist, dann könnt ihr mir leid tun.«

»Wetten, Hillmann, daß wir bei der Wahl nicht eine Stimme verlieren werden, daß wir vielleicht sogar noch Zuwachs bekommen?« ereiferte sich Granowsky.

»Mag sein, daß ihr von der SPD euren Bestand behaupten könnt. Die Räder werden sich noch eine Weile weiterdrehen, obwohl die Maschine seit langem schon leerläuft. Man kann es sich an den fünf Fingern der Kleinkinder-Hand ausrechnen, wann der Punkt erreicht ist, wo alles stillsteht.

Oder hältst du es für möglich, daß der Anstreicher den Reichstag in der alten Form wird weiterleben lassen? Die Herren Parteiführer mögen es vielleicht glauben, und sie werden auch keinen Augenblick zögern, in einen Reichstag einzuziehen, aus dem die Kommunisten verbannt sind. Und damit ein wichtiger Teil des Proletariats mundtot gemacht.

Euer Wels, zum Beispiel, selbst wenn er den Willen hätte und auch den Mut, scharf zu opponieren . . . er würde sich auch ebenso schnell beeilen, der Hitlerei zu geben, was sie begehrt. Bloß um den Bestand zu halten. Ich will hier unter uns nicht ausfällig werden. Ich will auch nicht auseinanderpellen, was ich unter Bestand alles verstehe. Es hat keinen Sinn mehr, näher darauf einzugehn, denn der Bestand existiert nur noch auf dem Papier. Und wenn dieser Reichstag gewählt ist, wird auch das Papier zerrissen. Dann steht Herr Wels allein auf weiter Flur. Und wenn er sich nicht rechtzeitig auf die Socken macht, kann er sich auch noch eine Art Märtyrerkrone verdienen. Zu dem Gesicht seiner Vergangenheit paßt allerdings besser die Narrenkappe.«

»Ja . . .« erwiderte Martin und schob sein Glas hin und her. »Du hättest lieber, wir würden die Flinte ins Korn werfen? Überhaupt nicht wählen gehn, damit die Gesellschaft unter sich ist?«

»Ich habe nichts davon gesagt, Martin, daß man Wahlenthaltung üben soll. Im Gegenteil: solange wir noch eine Möglichkeit haben, an die Urne zu gehen, demonstrieren wir mit unseren Stimmen. Müssen wir alles aufbieten, um zu zeigen, daß wir noch da sind und daß uns die in Aussicht gestellten Maschinengewehre nicht schrecken. Ich wollte nur gesagt haben: nach diesen Wahlen sind wir illegal. Nach diesen Wahlen gibt es nur Kommune, gleich, ob der Verfolgte sich als Pazifist, Sozialist oder Kommunist bekannt hat. Nach diesen Wahlen werden wir alle gejagt und abgeknallt.« 94

»So schwarz sehe ich nun doch nicht, Hillmann!« antwortete Granowsky. »Und hohl und gedankenlos hast du mich bisher noch nicht gescholten. Vielleicht habe ich mich manchmal in meinen Vorausberechnungen geirrt, insonderheit als ich wähnte, die breite Masse habe noch immer einen gesunden Instinkt für echt und unecht bewiesen, und nicht daran dachte, daß der Hunger eine Peitsche ist, die sowohl an- als auch austreiben kann. – Also gut, sprechen wir uns wieder, wenn die Wahlresultate vorliegen.«

Und damit gedachte Granowsky die Debatte zu schließen. Es fiel ihm aber noch ein, Hillmann nach Doktor Grätz zu fragen. Hillmann war Oberpfleger in der Abteilung gewesen, die Doktor Grätz in der Irrenanstalt betreute. Es kamen jetzt aber zwei Burschen ins Lokal, die seit kurzem als Hilfsarbeiter in der Anstalt beschäftigt waren. Sie setzten sich an den Nebentisch, und Granowsky unterließ einstweilen die Frage.

Spund gab sich einen Ruck, kam angewackelt und knipste die zwei Birnen an der Wand an. Die Burschen bestellten Bier, und Hillmann und Martin hielten Spund ebenfalls ihre Gläser hin.

»Kennst du die beiden Jungens?« wandte Martin sich an Hillmann.

»Ja, der eine hat jetzt meinen Posten übernommen; bekannter Schläger und Saalkämpfer.«

»Die Fratze dazu hat er«, sagte Granowsky.

»Dabei ist sein Alter zeit seines Lebens in der SPD gewesen. Ein eifriges Mitglied. Oft in der Opposition gegen die Partei. Und doch treu wie Gold. Zu Hause aber . . . ja, da hat er das Maul halten müssen. Und den ›Lokalanzeiger‹ gelesen. Stimmt das, Spund? Und ist dieses Altweiber-Papier nicht auch dein Leib- und Magenblatt gewesen?«

Spund machte den Mund schief, als er die Gläser hinstellte, und sah sich nach dem Nebentisch um. Und als er bemerkt hatte, daß die beiden Burschen herüberspannten, fing er an, lauter, als es sonst seine Gewohnheit war: »Ick will euch mal wat sagen: von wejen Polletick, det jiebt es nich mehr in meinem Lokal. Hier wird bloß noch die Molle jehoben. Und wenn ihr dabei eine Ecke quasseln wollt . . . dann meinswejen von der Laube oder von den Karnickeln. Janz privat und familjär, so, wie sich det heute jehört. Und wem diese olle Neese nich paßt, na, denn adjüs, Freundschaft; wa?«

Hillmann faßte Spund scharf mit den Augen an. Und als der Dicke feige kniff, da wußte er, daß es nicht eine Kulisse war, die Spund, der beiden Burschen wegen vielleicht, aufgebaut haben könnte.

Und noch ehe er dem Dicken antworten konnte, gab Granowsky ihm 95 schon den nötigen Zunder: »Solange die SPD bei dir hier die Zahlabende abgehalten hat, hast du ein schiefes Maul, so wie jetzt, gemacht, wenn nicht laut genug geschrien wurde: ›Wählt die Liste Scheidemann!‹ Und wenn die Fenster zu waren, hast du sie weit aufgerissen, damit es recht weit zu hören sei und neue Gäste anlocke. Dauernd hast du uns in den Ohren gelegen, man möchte dich in den Orts-Wahlvorstand berufen. Und zum Bier, das hast du jedem Gast in die Ohren gebrüllt, gehöre auch ein Maul voll Politik. Dein Bauch ist in der ganzen Zeit nicht dünner geworden. Und dieses Haus hier ist dir auch nicht vom Himmel herunter in den Schoß gefallen. Das hat dir die Politik gebaut, die Gesellschaft, der du jetzt Adjüs sagst. So kannst du bleiben. Und so darfst du es auch weiterhin machen. Ob es bei Hitler aber ein braunes Hemd gibt, das dir paßt . . . dieser Dreh ist noch nicht ganz heraus, Spund!«

»Ick bin Jastwirt. Ick schenke Bier aus. Aber ick schenke aus, wem et mir paßt. Und mit euch . . . det paßt mir nich mehr. Und wenn ihr jetzt gleich Kasse machen wollt, ick halte die Hand uff.«

»Das war deutlich genug, Spund. Schwein aber hast du trotzdem, daß wir keine Saalschlächter sind. Und eine alte Sau hast du noch dazu, daß es dir nicht fünf Minuten früher eingefallen ist, das Maul so weit aufzureißen.«

Hillmann legte einen Zehnmarkschein auf den Tisch. Spund gab heraus. Die beiden Burschen sahen in eine andere Richtung, als Hillmann, Martin und Granowsky grußlos das Lokal verließen.

Spund spuckte hinterher, verzog das Gesicht zu einem Grinsen und wollte damit die Burschen fragen: ›Nu . . . habe ick det Ding nich richtig gefingert? Klar!‹

»Wenn Beilke hiergewesen wäre, der hätte die Bonzen ganz anders hochgenommen«, meinte Richard, der jüngere von den beiden Nazis.

Und Arthur pflichtete ihm bei: »Das dicke Ende kommt noch nach. Auf den Hillmann und auf den Arschpauker Granowsky sind wir ganz besonders scharf.«

»Steht det bei euch nu fest, det eure Sturmbude hier bei mir uffjemacht wird? Ick kann euch ja auch det Wohnzimmer noch ausräumen, dann habt ihr drei Stuben.«

»Beilke wollte heute noch vorbeikommen und den Vertrag machen«, erwiderte Arthur. »Wir passen hier auf ihn.«

»Jungs, nu verputzt man schnell den schäbigen Rest. Heute seid ihr meine verehrten Jäste. Und vertragen werden wir uns allemal; klar, bei Emil Spund is allens Klasse! Det Bild von Hitler, det is ooch schon 96 bestellt, mit Joldrahmen sechzehnfuffzig. Und wie is et nu mit den Fahnen? Aus jedem Fenster zwei, det wird wohl jenüjen, wa?«

»Wenn Sie die Fahnen in der Feldzeugmeisterei kaufen würden . . . ich könnte die Bestellung annehmen. Sie brauchen nicht erst lange in die Stadt zu fahren. Und ich mach mir eine gute Nummer beim Amtswalter.«

»Klar, Arthur, wird jemacht! Schon weil ick deinen Ollen jut gekannt habe. Bei der Beerdigung, da war ick nämlich auch mang. Mit einem Kranz, sage ick dir: det war schon jar keen Kranz mehr, det is een Wagenrad gewesen, dreihundert rote Nelken. Ja . . . die is mir dein Oller ooch wert gewesen; schon wejen der Rollmöpse. Manchmal hat er bei mir det halbe Jlas uff eenmal leerjefressen! Man jut, det er früh jenug abjehauen is. In der Polletick . . . da war er stur und ejal weg für Ebert-Scheidemann. Ick jlobe nich, det ihm der Adolf Hitler jepaßt hätte.«

»Den Marxisten, diese Viecherei, hätte ich ihm schon ausgetrieben. Und wenn es nicht anders gegangen wäre, dann auch mit dem Gummischlauch. Der zieht, sage ich Ihnen, da ist Blei mang. Und auf den hat schon mancher seinen Marx und Lenin abgeschworen.«

In Uniform, den Sturmriemen unterm Kinn, schoß Beilke herein. Arthur und Richard flogen hoch, die Hände an der Hosennaht. Und als mit ›Heil Hitler!‹ Beilke den Arm reckte, machte auch Spund die Flosse krumm.

Beilke, dem das Braunhemd an der Haut klebte, als sollte es dort festwachsen, und dem die Kordhosen auf dem Hinterteil so straff saßen, daß sie jeden Augenblick auseinanderplatzen konnten, kommandierte: »Jungs, ihr müßt jetzt Patrouille gehen. Steputat wird euch einordnen. Für euch kommen Mayer und Forst her. Um zehn Uhr marschieren wir geschlossen nach Niederschönhausen, die SPD ein bißchen kitzeln. Marsch!«

Mit der entsprechenden Armbewegung grüßten die Burschen und zogen ab. Und wenn Beilke die mürrischen Gesichter gesehen hätte, dann würde er Arthur und Richard wahrscheinlich ein paar nette Schwitzübungen verschrieben haben.

Er ging zu dem runden Tisch hinüber und setzte sich. Den Sturmriemen ließ er unter dem Kinn. Hätte er die Kappe abgenommen und die Glatze gezeigt, dann wären dreiviertel von der schlecht angeschminkten militärischen Forsche wahrscheinlich bei Spund in das Spülwasser gefallen.

Beilke war acht Jahre lang Pfleger in der Abteilung der ›Gewalttätigen‹ gewesen; so nannte man den Flügel in der städtischen Irrenanstalt, wo die permanent Tobsüchtigen untergebracht waren. Wegen 97 fortgesetzter Mißhandlungen an diesen hilflosen Kranken und seinem brutalen Auftreten überhaupt hatte Beilke sich ein Disziplinarverfahren geholt und wurde fristlos und ohne Pension entlassen. Der Fall hatte seinerzeit wochenlang die Zeitungen beschäftigt. Das war um 1928. Seitdem gehörte Beilke der SA an und hatte hier den »Stützpunkt aufgezogen«. Am zweiten Februar in diesem Jahr hatte ihn die Anstalt, auf Druck der Nazipartei hin, wieder einstellen müssen, obwohl Doktor Grätz beim Dezernenten heftigen Protest einlegte. Der Dezernent hörte sich gelassen den Protest an und antwortete: »Hören Sie, mein lieber Grätz . . . Sie haben Verrückte in Ihrer Anstalt und keine zarten Jungfrauen. Das Zeug kostet uns ein Schweinegeld. Soll ich mich ausgerechnet dieser Herrschaften wegen aufregen? Knöpfen Sie sich den Beilke gehörig vor, geben Sie ihm klare Anweisungen, dann wird er schon wissen, wie weit er mit dem Einsatz von Fußtritten und Faustschlägen zu gehen hat. Was er außerhalb der Anstalt treibt, soll uns schnurz sein.«

Spund hatte einen Halben auf den Tisch gestellt und die Zigarrenkiste daneben. Er ließ Beilke erst einen Zug machen, dann setzte er sich zu ihm und trommelte mit den Wurstfingern auf der Tischplatte herum. Und nach einer Weile kam er mit seinem Schmus: »Willst du futtern, Fritze? Es sind prima Buletten da. Auch Sülze kannst du haben, Hausmacherware, echt Rixdorf, vastehste? Oder soll ick dir schnell een Holsteiner Schnitzel auf der Pfanne machen lassen? Du kannst ooch Brejen haben, wenn du den verputzen kannst.«

»Du darfst mir nachher ein Ende Wurst mitgeben, von der harten westfälischen, verstehst du? Die Sorte von neulich . . . die war knorke!«

»Sollste haben, mein Junge. Ick pack dir eene janze ein, det sind jut drei Pfund. Allens kannst du bei Emiln haben. – Na . . . und wie is et nu mit dem Lokal? Ick verschluck mir schon vor Uffregung.«

»Ich habe gemacht, was zu machen war. Es klemmt noch an einer Ecke.«

»Wat denn? Wo klemmt noch eene Ecke?«

»Die olle Geschichte mit der SPD. Das muß dir doch klar sein, daß das nicht so leicht abzukratzen ist von deinem Saftladen. Und wenn du denkst, daß die Hemden bei uns so billig sind . . . nee, Junge!«

»Ick habe dir durch meine Olle den Beweis jebracht, det ick jetzt dreimal hintereinander Hitlern gewählt habe. Und ick habe dir die Quittungen vorgelegt, det ick vor euren Verein schon janz anständig habe blechen müssen. Det habt ihr schriftlich und bar. Wat soll denn nu noch klemmen, wa?« 98

»Der Maxe Grünberg macht Späne.«

»Der soll man ja det olle Maul halten!«

»Er möchte sein Haus verkaufen.«

»Wat soll ick mit noch eenem Haus? Heute muß jeder Jeschäftsmann sagen: Bargeld, det lacht.«

»Das Haus hätte ich gerne gekauft. Die Kinder wollen in der Erde herumwühlen. Deutsche Verbundenheit mit der Erde, verstehst du? Der Hitler nämlich kommt auch von der Erde. Vor zehn Jahren, da ist er noch mit dem Pflug über den Acker gegangen.«

»So viel Erde is jar nich da, det nu jeder über den Acker jehn will. Aber . . . Du mußt es ja wissen. Wat will der Maxe denn haben für seinen Karnickelstall?«

»Stall . . . das kann man wohl nicht gut sagen, Spund. Vier Zimmer, Badestube, Glasveranda, ein halber Morgen Garten, alles alte Bäume, im vergangenen Jahr waren vier Zentner Äpfel und drei Zentner Birnen dran. Geschenkt ist die Sache. Wenn du heute bauen würdest, käme dir solch ein prima Objekt auf mindestens dreißig Mille zu stehen.«

»Ick habe billiger jebaut. Na, scheen! Weshalb will Maxe det Ding abjeben?«

»Weil er nach dem Bezirk XIV versetzt ist. Und den ganzen Laden hier mit der SA schmeiße ich jetzt allein.«

»Wenn du Maxe fuffzehn Mille jeben wirst, wird er auch nicht scheel werden davon und wird ja sagen. Für fuffzehn Mille kannst du die olle Kiste nehmen, uff meinen Schiedsspruch hin.«

»Vielleicht würde er das Grundstück für fünfzehn abgeben – wenn bar gezahlt wird. Aber die muß man erst mal haben. Ich dachte mir nämlich, du könntest mir zehntausend auf Schuldschein geben. Fünfe gibt mir dann die Schwiegermutter.«

»Eine Menge Zaster!«

»Überlege es dir nicht lange, Spund. Wenn das mit dem Haus klappt, dann ist auch die Sache mit deinem Laden perfekt. Streng mal dein Köpfchen an. Man hat nämlich auf dem Wilhelm Steputat sein Lokal ein Auge geworfen.«

»Der olle Pollacke, der hat doch früher die Kommune beherbergt. Und da wollt ihr feinen Pinkels jetzt hin? Mach bloß nich so'n Qualm.«

»Steputat hat mehr und höhere Beiträge bei uns bezahlt als du. Und das Geld für den Hauskauf . . . sofort würde er mir die paar Sechser geben. Ohne Murren. Ich kann den Kerl aber nicht riechen. Und wenn wir hier 99 bei dir unser Sturmlokal haben, mach ich ihm die Bude zu, weil kein Bedürfnis vorliegt.«

»Du kriegst es auch fertig und machst mir die Bude zu, wenn ick dir die Eier nicht über den Tisch rollen lasse.«

»Das wäre für mich eine Kleinigkeit, Spund.«

»Na jut, hol dir morgen abend den ollen Zaster. Aber det Schild und die Fahne . . . det muß Zug um Zug funktionieren, vastehste?«

»Wann hast du das Geld parat?«

»Na . . . sagen wir mal um fünfe, paßt det?«

»Dann wird um acht die erste Versammlung bei dir abgehalten. Einhundertfuffzig Mann. Das heißt nach Adam Riese: dreihundert halbe Liter und ebensoviel Schnäpse. Von den Zigarren und Zigaretten wollen wir gar nicht reden. Und das jede Woche zweimal. Ist das jetzt in deine Birne reingegangen?«

»Wenn et die Hälfte wird, denn bin ick ooch schon zufrieden, Fritze! Und den Schuldschein . . . ja, den müssen wir uff den Namen von meiner Ollen als Jeldjeber jehn lassen. Sie jiebt ja ooch det Jeld. Ick als Vereinswirt muß nämlich die Finger sauber haben, wenn es mal zum Klappen kommen sollte. Dann bin ick vor jedem Jericht Hase, vastehste?«

Beilke streckte ihm die Hand hin: »Abgemacht! So . . . und nun pack mir mal die Wurst ein. Es wird heute bei uns eine lange Nacht werden. Zwanzig Haussuchungen mindestens. Und wenn wir den Hillmann fassen, dem drehn wir den Arsch nach vorn und die Fresse nach hinten. Den Jungen haben wir extra auf dem Kieker.«

»Ihr wollt nach der Siedlung?«

»Nee, heute noch nicht, die muß erst sturmreif gemacht werden. Nach Niederschönhausen wollen wir.«

»Da werdet ihr den Hillmann aber nicht finden. Er war nämlich vorhin hier, mit dem Lehrer Granowsky und Adolf Martin.«

»Nanu? KPD und SPD ein Herz und eine Seele? Spund, da stimmt etwas nicht. Die beiden sind abgeschwenkt und KPD geworden.«

»Was die drei ollen Penner hier seit ein paar Wochen schon ausgeheckt haben, das soll so eine Art Einheitsfront werden. So wenigstens habe ick verstanden.«

»Sollen sie werden; aber in Oranienburg. Dort werden die Sauställe und Hundezwinger schon vorbereitet für die Aufnahme der Einheitsfront. Dort werden sie alle Tage aus einem Topp fressen und alle über den gleichen Bock geschnallt. Noch acht, vierzehn Tage, Spund, dann 100 haben wir wieder Ruhe und Ordnung im Land. Und jeder Butter auf seinem Brot. Und du . . . vergiß mir ja die Wurst nicht!«

Und während Spund nach der Theke ging und die Wurst einpackte, griff Beilke in die Zigarrenkiste und stopfte sich ein Dutzend ins Hemd. Dann holte er den Rest Bier aus dem Krug heraus und stellte sich breitbeinig hin, bis Spund kam und ihm das Paket in die Hand drückte.

»Also . . . ick verlasse mir darauf, Fritze. Um fünfe morjen abend is hier allens tipptopp . . . und . . .«

»Und ich verlasse mich darauf, daß du den Zaster parat hast; wenn es geht in Tausendmarkscheinen. Und Zinsen . . . nich mehr wie zweieinhalb.«

Spund machte ihm die Tür auf und sah ihm eine Weile nach. Dann kam er wieder in den Schankraum zurück und brummelte vor sich hin: »Der Junge . . . vastehste . . . der kann mir jefallen . . . der hat den Bogen raus!« 101

 


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