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Als ich vor über einem Jahre an meinem Buche »Der König« schrieb, mit dem ich angesichts einer Flut von Entstellungen den Versuch machte, den Kaiser und sein Wesen so zu zeichnen, wie sie mir erschienen waren, und seine Umwelt so zu skizzieren, wie ich sie gesehen habe, da ist in mir vorübergehend auch der Wunsch lebendig gewesen, gleichzeitig und in gleicher Weise das Bild des Kronprinzen richtigzustellen. Richtigzustellen – denn ich kenne ihn seit langer Zeit, und ich weiß, daß die Züge seiner Art nichts mit den Zerrbildern zu tun haben, die man in weiten Kreisen der deutschen Heimat wie des Auslandes weitergibt. Ich habe den Gedanken damals wieder fallen lassen, er fügte sich nicht in die Kunstform meines Buches, er hätte ihren knappen Rahmen gesprengt. Ich habe mich auf die Umreißung der einen tragischen Figur beschränkt, und der Kronprinz ging nur in einer Szene als ihr Gegenspieler durch meine Arbeit.
Auch die Versuchung, jene andere Tragik, die in dem ersten Werke nicht zu Worte kommen konnte – das Schicksal des in einer neuen, eigenen Gedankenwelt wurzelnden und nun doch vom Zusammenbruche mitgefällten Sohnes und Erben – in einem zweiten selbständigen Buche zu gestalten, ist damals im Zuge prüfender Erwägungen an mich herangetreten. Ich habe ihr nicht nachgegeben: Non bis in idem –
Ein Jahr nach Abschluß jenes ersten Buches traf mich dann der vorstehende Brief aus Wieringen, dem bald darauf die angekündigten Schriftstücke folgten. Der Brief und die den Aufzeichnungen und Dokumenten innewohnende Bedeutung für die geschichtliche Erkenntnis haben den seiner Zeit zurückgedrängten Wunsch wieder lebendig werden lassen. Zugleich hat das reiche Material aus persönlichen Erinnerungen auch die Form gegeben, die allein dem Stoffe gerecht zu werden vermochte.
So bin ich an diese Herausgeberarbeit gerne und dankbar für das mir erwiesene Vertrauen herangetreten. Ich habe sie umso lieber übernommen, als mir die Erlaubnis gegeben war, zu sichten und an einzelnen Stellen, wo mir das notwendig erschien, aus eigenem Miterleben zu ergänzen, was etwa an dem von dem Kronprinzen zum Teile nur aus der Erinnerung und ohne viel Behelfe in der Einsamkeit der Insel festgelegten Materiale fehlen mochte. Eine strenge Trennung des ursprünglichen Manuskriptes und dieser gelegentlichen Zusätze, die etwa durch Anmerkungen möglich gewesen wäre, ist mit Hinblick auf die Flüssigkeit des Ganzen vermieden worden.
Berlin, 15. Januar 1922.
Karl Rosner.