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16.

Am anderen Vormittage saß der Fürst Dolf Dietram von Büsingen in seinem Arbeitszimmer über seinen Schreibtisch gebeugt, ohne den Sinn der Papiere zu fassen, die vor ihm aufgestapelt lagen und die er mechanisch eins nach dem anderen durchlas.

Sein Antlitz war bleich und überwacht. Die Augen lagen tief zurückgesunken in den Höhlen, und die schmalen Lippen waren fest aufeinandergepreßt.

Den Erbprinzen, der um diese Zeit gewöhnlich kam, seinem hohen Vater den Morgengruß zu bieten, hatte er, ohne auf sein frohes, kindliches Geplauder zu achten, ungeduldig aus dem Zimmer gewiesen. Den Besuch seiner Gemahlin, die sich in langatmigen Auseinandersetzungen über die Undankbarkeit und die Schamlosigkeit der schönen Witta ergehen wollte, hatte er mit hartem Wort abweisen wollen, als sie, sich zärtlich an ihn schmiegend, ihm gestand, sie hätte einen Augenblick geglaubt – natürlich nur einen Augenblick – daß Witta mit ihm eine Zusammenkunft im Wintergatten habe. Er hatte sich aber doch besonnen und seine Gemahlin stolz, mit blitzenden Augen gefragt:

»Und wie ist Ihnen diese Kenntnis von der Zusammenkunft gekommen? Wer hat Ihnen diese Mitteilung gemacht?«

Die Fürstin sah scheu und verlegen zu ihm auf.

»Türkheim hat es natürlich nicht böse gemeint, als er mir Mitteilung machte, daß Witta mit Schiemann ein Stelldichein habe, und ich war so entrüstet über die Schamlosigkeit der Baronin, daß ich einfach ihren Gatten auch zu diesem Stelldichein führte.«

»Wo Sie eigentlich mich zu finden glaubten?« lachte der Fürst hart auf. »Sie haben eine merkwürdige Art, die intimen Angelegenheiten Ihres Familienlebens und die anderer an die große Glocke zu hängen. Türkheim hat Ihnen ganz richtig berichtet – die Lüge hätten Sie sich ersparen können – ich war es, der mit der Baronin eine, wenn auch erzwungene Zusammenkunft hatte, und Ihr Dazwischentreten, von Ihrer abscheulichen Eifersucht veranlaßt, hat nur heraufbeschworen, daß ein Unschuldiger leiden muß.«

Die Fürstin war entsetzt, leichenblaß zurückgeprallt. Ihre hohe Gestalt wankte, als wollte sie zusammenbrechen, dann aber raffte sie sich empor und sagte tonlos:

»So hätte Türkheim doch recht gehabt? O, das ist schändlich, das ist infam. Dieses elende Geschöpf, das ich mit Liebe und Freundschaft überhäufte! Es ist kaum zu ertragen, wie schmählich man mir mitgespielt. Wer ich will dieses Jammerleben nicht mehr erdulden. Täglich tritt man meine Würde, meine Ehre mit Füßen. Ich will frei sein von diesem erbärmlichen Zwang, der mich so tief, so unsagbar tief erniedrigt.«

Der Fürst griff mit warmem Blick nach der Hand seiner Gattin.

»Sie haben recht. Geraldine,« sagte er ernst. »Ich habe Sie tief beleidigt und gekränkt. Aber an dieser Zusammenkunft mit Ihrer Hofdame war ich unschuldig, wie an dem Verlaufe der Unterredung. Ich hatte es abgelehnt, ein Verhältnis fortzusetzen, das in frühesten Jugendtagen – ehe ich Sie kannte – geknüpft, und das seit Jahren sehr gelockert war und von Witta nur unter allerlei Ränken künstlich aufrecht erhalten wurde. Es war schamlos von mir, zu dulden, daß die Baronin Dienst bei Ihnen versah, aber Sie wissen selbst, welche leidenschaftliche Szenen Sie mir machten, wenn ich auf Entfernung der Wuthenow von unserm Hofe bestand.«

»Diese Schlange,« stammelte die Fürstin.

»Sie haben ein Recht, sich zu entrüsten,« fuhr der Fürst mit düsterer Entschlossenheit fort, »und ich bin zu jeder Genugtuung, so weit ich sie geben kann, bereit. Aber mit Ihrem Vorgehen kann ich mich durchaus nicht einverstanden erklären. Geraldine. Es ist einer Fürstin unwürdig, sich mit dem Diener ihres Gemahls zu verbünden, um sein Tun und Treiben beobachten zu lassen, es ist einer Fürstin unwürdig, einen Eklat herbeiführen zu wollen, wie das in Ihrer Absicht lag, als Sie den Minister zum Geleit aufforderten. Haben Sie sich klar gemacht, was geschehen wäre, wenn der Minister mich, von den Armen seiner Frau umschlungen, im Wintergarten gefunden hätte?«

Finsterer Trotz trat in das Antlitz des Fürsten.

»Ich hätte einmal der Welt gezeigt, welches Elend unter dem Purpur wohnt, ich hätte dem Volke gezeigt, daß der Fürst, zu dem es anbetend und jubelnd aufsieht, nicht besser ist, als der gemeine Mann, der sein Weib verrät – ich hätte gezeigt, wie elend, wie grenzenlos elend ich bin.«

»Genug,« sagte der Fürst. »Ich verzeihe Ihnen, weil ich Sie begreife. Es steht Ihnen anheim, noch jetzt den wahren Sachverhalt bekannt zu geben, wie auch ich es tun werde. Ich mag nicht auf Kosten anderer den Tugendmantel tragen.«

»Das wollten Sie tun?« schrie die Fürstin auf, die sich erst jetzt der ganzen Tragweite des Geschehenen bewußt wurde. »Nein, das darf nie, nie geschehen. Ich bitte Sie, Dolf Dietram, denken Sie an unser Kind, an den Skandal, an meine und Ihre Ehre. Ich bitte, ich flehe Sie an. Die ganze Stadt soll voll von den tollsten Gerüchten sein. Lassen Sie den Minister an Schiemanns Schuld glauben. Lassen Sie uns einen Ausweg finden, der zwischen uns die Sache regelt, wie es schon lange der Wunsch meines Herzens ist.«

»Sie wollen mich frei geben, Geraldine, ganz frei?« Es klang fast wie ein unterdrückter Jubel.

Die Fürstin trat mit einen kühlen Blick zurück.

»Nein, ich habe eine andere Lösung im Auge, über die wir ja später verhandeln können. Jetzt gilt es nur, den Skandal abzuwenden, den, ich gebe es zu, meine Eifersucht und Unvorsichtigkeit herbeigeführt hat. Sie dürfen nichts zugeben, Dolf Dietram nichts.«

»Und einen anderen büßen lassen für meine Schuld? Nein, ich weiß besser, was ich zu tun habe, und auch Sie werden mich nicht daran hindern.«

Er hatte ihr höflich die Tür geöffnet, und wankend war die Fürstin hinausgegangen, um in ihren Gemächern in Weinkrämpfe zu verfallen, die wieder das ganze Dienstpersonal und ihre Hofdamen in Atem hielten.

Der Fürst hatte ihr Schreien und Toben, das bei den kleinsten Anlässen hervorbrach, schon oft zur Genüge kennen gelernt, aber noch niemals hatte es ihn so peinlich, so entsetzlich berührt, wie heute, wo er, ein Schuldbeladener und doch Unschuldiger, hier in seinem Zimmer harrte und lauschte, bis das letzte, schwache Schluchzen verklang.

Wie befreit hob er jetzt den schmalen Kopf mit den seltsam eingesunkenen Schläfen. Seine Augen wurden dunkel und' hart, als die Hand nach der Klingel griff.

»Kammerherr von Türkheim,« befahl er dem Diener.

Im nächsten Augenblick stand der Gerufene vor ihm.

Er war noch bleicher als gewöhnlich, und lauernde Erwartung lag in seinen Augen.

Der Fürst bezwang sich augenblicklich, ruhig zu bleiben. Er spielte nervös mit der goldenen Bleifeder, mit der er hier und da einige Notizen machte, und fragte dann den Kammerherrn, ohne ihn mit einem Blick zu streifen:

»Haben Sie Neues zu berichten?«

»Es ist mir leider noch nicht gelungen, Durchlaucht, den Herrn Minister von Borghammer anzutreffen. Er ist, wie ich erfahren habe, in der Nacht noch zurückgekehrt, Exzellenz haben aber schon in den ersten Vormittagsstunden sein Haus wieder verlassen, ohne von dem Schreiben Eurer Durchlaucht Kenntnis zu nehmen, das noch uneröffnet auf dem Schreibtische Seiner Exzellenz liegt.«

Eine helle Röte lief über das erregte Gesicht des Fürsten, und ein prüfender Blick traf den Kammerherrn.

»Sie haben die Weisung hinterlassen, daß ich unbedingt den Herrn Minister sprechen muß?«

»Wie Durchlaucht befohlen haben.«

»Dann wissen Sie wohl auch, was ich dem Herrn Minister zu sagen habe? Sie haben es ja bereits gestern, allerdings etwas voreilig, meiner Gemahlin hinterbracht und dadurch den Beweis geliefert, welch treuer Diener Ihres Fürsten Sie gewesen. Schweigen Sie. Ich brauche weder eine Entschuldigung, noch eine Erklärung. Dieser eine Beweis sagt mir genug und zeigt mir, wo ich den Verräter zu suchen hatte, der mit heimlichen Einflüsterungen über mein Leben das Vertrauen meiner Gemahlin vergiftete und ihr dadurch manches Weh zufügte, das ihr erspart bleiben konnte. Ich schäme mich, daß ich, fast noch ein Knabe, Ihren Einflüsterungen folgte und mich von Ihnen auf Wege leiten ließ, die meiner unwürdig waren. Ich schäme mich, daß ich auch später, als ich Sie erkannt, noch nicht den Mut hatte, Sie von mir zu weisen und mein Leben von dem Hauch der Giftschlange zu reinigen, der es verpestete. Nun aber ist das Maß voll. Ich habe Sie zwar immer für schlecht und skrupellos, aber doch niemals für einen gemeinen Verräter gehalten, als den ich Sie jetzt erkannte.«

»Durchlaucht,« stotterte der Kammerherr, der, ganz zusammengeknickt, an allen Gliedern zitterte.

»Kein Wort. Ich will keine Verteidigung, denn ich kenne Sie. Sie werden noch heute die Residenz und mein Land für immer verlassen. Man wird Ihnen einen Jahresgehalt auszahlen, solange Sie im Auslande lebend sich dessen würdig zeigen. Bei der geringsten Veranlassung, die zeigt, daß Sie Ihre Intriguen weiterspinnen, oder nicht zu schweigen verstehen, wird Ihnen dieser Gnadengehalt entzogen werden. Sie sind entlassen.«

Knirschend vor Wut und ohnmächtiger Empörung verbeugte sich der Kammerherr bis tief auf die Erde. Er wagte nicht, ein Wort zu erwidern. Er kannte seinen fürstlichen Herrn. Wenn des Fürsten Augen so kalt und unerbittlich blickten, dann gab es keine Widerrede gegen seine Verfügungen.

Er hatte ausgespielt, der Herr Kammerherr, am Hofe von Büsingen, wo er länger denn 25 Jahre geherrscht. – – –

Der Fürst sah ihm lange nach. Ein befreiender Atemzug hob seine Brust.

»Das war der erste Schritt zu einem neuen Leben,« sagte er, langsam eine Flasche mit kölnischem Wasser über seine Hände schüttend, als wollte er etwas Häßliches damit abwaschen, dann schritt Fürst Dolf Dietram in immer wachsender Ungeduld erregt auf und nieder.

Immer drohender wurde des Herrschers Blick, immer nachdenklicher seine gerunzelte Stirn. Wie Angst brach es dann plötzlich aus seinen Augen, wie tiefe, qualvolle Angst.

Weshalb folgte der Minister nicht sofort seinem Rufe, da er doch seine Reise gestern nicht angetreten?

Wie in plötzlichem Entschluß drängte es den Fürsten heute, den Minister aufzusuchen, wie in der vergangenen Nacht Schiemann. Aber es ging nicht. Man würde tuscheln und flüstern, daß sich ganz außerordentliche Dinge vorbereiten, und jede Beunruhigung jetzt, wo allerlei seltsame Gerüchte die Stadt durchschwirrten, mußte vermieden werden.

Der persönliche Adjutant des Fürsten trat ein, um zu melden, daß die heute zur Audienz befohlenen Herren im Vorzimmer zum Audienzsaal versammelt wären.

Der Fürst winkte ablehnend mit der Hand.

»Ich werde heute niemand empfangen.«

»Durchlaucht,« wagte der Adjutant erschrocken einzuwenden.

»Gehen Sie,« herrschte ihn der Fürst ungeduldig an. »Ich will niemand sehen. Hören Sie, niemand, mit Ausnahme des Ministers von Borghammer und Professor Schiemann.«

Der Rittmeister von Toska klappte die Hacken zusammen.

Nun war der Fürst wieder allein.

Woher nur die beklemmende Angst?

War es nicht, als rückten die Wände zusammen, als stürzte die Decke hernieder, um ihn zu zermalmen?

Und wieder stand der Adjutant vor ihm, bleich und mit zuckendem Gesicht.

»Durchlaucht verzeihen, aber ich habe Durchlaucht zu melden, daß soeben zwischen Exzellenz von Borghammer und Professor Schiemann im Hahnenwalde ein Duell stattgefunden hat.«

Es war, als zuckte der Fürst getroffen zusammen. Er beherrschte sich aber sofort, und keine Miene in seinem Gesichte verriet seine innere Bewegung, als er, die halbgeschlossenen Augen prüfend auf den Adjutanten richtend, im festen Tone fragte:

»Mit tödlichem Ausgange?«

»Nein, Durchlaucht. Professor Schiemann ist verwundet. Der Minister ist unverletzt.«

»Und wo befindet sich der Verwundete?«

»Man hat Professor Schiemann in seine Wohnung gebracht.«

»Einen Wagen,« gebot der Fürst. »Sofort, ich will zu ihm.«

Es lag trotz aller äußeren Ruhe doch eine gewisse nervöse Hast, beinahe eine jammernde Angst in seinem Ton, so daß der Adjutant verstört aufsah, ehe er, den Befehl des Fürsten auszuführen, von dannen stob.

»Nur nicht sterben,« bebte es von den Lippen des Fürsten, als er durch die Straßen der Residenz flog. »Allmächtiger Gott, schütze sein Leben! Laß ihn nicht meine Sünde büßen, laß ihn nicht sterben.«

Der Wagen hielt.

Langsam verließ der Fürst das Gefährt.

Die Füße waren ihm plötzlich so schwer geworden, als trüge er Bleigewichte.

Als er in das Atelier trat, schreckte er unwillkürlich vor den hohen, weißen Marmorbildern zurück, die sich da so drohend aufhoben, als wollten sie ihm den Eingang wehren.

Eine fromme Schwester trat dem Fürsten mit tiefer Verneigung entgegen.

Wie Todesschweigen lastete es über dem großen Raum, und die grünen Blattpflanzen und Palmen glänzten starr im Sonnenlicht wie Totenblumen.

Der Fürst sah das goldene Kreuz auf der Brust der Diakonissin hell funkeln. Fast blendete ihn der Glanz.

»Kann ich den Kranken sehen? Ist die Verwundung schwer?« fragte der Fürst.

Die Schwester zuckte die Achseln.

»Der Herr Hofrat sind augenblicklich mit den anderen Aerzten noch am Krankenlager, wenn Durchlaucht einen Augenblick verweilen wollen. Ich werde den Herrn Hofrat sofort benachrichtigen.«

Im selben Augenblicke teilten sich die dunklen Vorhänge und die Aerzte traten ernst und feierlich in das Atelier und verneigten sich, erschreckt den Landesherrn erkennend, bis tief auf die Erde vor dem Fürsten.

»Es steht schlecht?« fragte der Fürst, in verhaltener Angst von einem zum andern blickend. »So antworten Sie doch. Er ist mein Freund, vielleicht mein einziger Freund.«

»Schuß durch die Lunge, Durchlaucht,« gab der alte Hofrat bekümmert zurück. »Es ist uns zwar gelungen, die Kugel zu entfernen, aber der Blutverlust war bedeutend. Es ist ja möglich, daß die kräftige Konstitution des Herrn Professors es durchhält, aber die Hoffnung, das Leben des jungen Künstlers zu erhalten, ist nur sehr gering.«

Wankte nicht die hohe Gestalt des Fürsten?

Erdfahl erschien das schmale, tief erregte junge Gesicht.

Fragend sahen sich die Aerzte an. Hier ging mehr noch zugrunde, als eine Freundschaft.

»Kann ich den Kranken sehen?«

»Wenn Durchlaucht befehlen. Er ist vollständig bei Besinnung. Aber bitte, Durchlaucht, die äußerste Ruhe und Schonung. Ein Hauch kann die schwache Lebensflamme dort auslöschen.«

Er schlug den Türvorhang zurück und winkte der Schwester, die am Krankenlager Platz genommen hatte, und die nun wie ein Schatten aus dem Krankenzimmer hinüber in das Atelier glitt.

Der Fürst trat ein. Langsam fiel der Vorhang hinter ihm zusammen. Gleich davor blieb Dolf Dietram erschüttert stehen.

Der Anblick des schwerverletzten Freundes erschütterte ihn, und peinigte ihn eben in diesem Augenblicke, da dem Fürsten mit aller Macht inne ward, für was und für wen der Freund sich geopfert hatte.

Da wendete der Todesverletzte unter schmerzlichen Anstrengungen sein Haupt dem Fürsten zu.

»Tritt doch näher, Dolf Dietram,« gebot er mit leiser Stimme und versuchte, dem Fürsten die Hand darzureichen.

Ein heißes, beklemmendes Schweigen. Und dann kam es wie ein unterdrücktes Schluchzen aus der Kehle des Fürsten, der am Bette auf die Knie sank und die blasse Hand des Kranken mit Küssen und Tränen bedeckte.

»Für mich, Ludwig,« schluchzte er auf, »für mich tatest du es, und ich kann dir noch nicht mal danken. Es liegt wie eine heiße, untilgbare Schmach auf meiner Brust. Ich, der Schuldige, im Glanz und Licht, und du im Dunkel, krank, elend durch meine Schuld, durch meine Sünde.«

Da lief ein Lächeln über des Professors bleiches, eingesunkenes Gesicht, und die Hand des Fürsten an seine Wange schmiegend, sagte er mühsam, nach Atem ringend:

»Das wird ein seliges Sterben, Dolf Dietram. Aniane, die dich liebt, Dolf Dietram, und die ich verloren habe für alle Zeit.«

Ein Zittern lief durch die zusammengebrochene Gestalt des Fürsten.

»Schweig, Ludwig, ich bitte dich. Du weißt nicht, wie jedes liebe Wort von dir glühende Pfeile in meine Seele bohrt. Seit Stunden warte ich in fiebernder Angst auf den Minister. Ich hatte mir vorgenommen, ihm alles zu sagen, nichts zu beschönigen und alle Schuld zu tragen, die ich durch mein Handeln heraufbeschworen. Er kam nicht, und während ich in fiebernder Unruhe seiner harrte, streckte seine Waffe, seine unglückliche Waffe, dich nieder. Ludwig, vergib mir, ich bin ja so elend, so grenzenlos elend.«

Zärtlich fuhr des Kranken Hand über das Haupt des Fürsten.

»Was gibt es Süßeres, Dolf Dietram, als einmal wirklich ganz Freund zu sein? Du weißt ja:

Alles hinzugeben ist der Liebe Brauch,
Nimm denn hin mein Leben und die Liebe auch.

Ist denn die Freundschaft nicht Liebe im höchsten, im heiligsten Sinne? Ich segne die Stunde, in der ich für dich eintreten konnte, Dolf Dietram.«

»Und ich fluche ihr. Sie darf nicht bestehen, diese grausame, große Lüge. Noch mit meinem letzten Atemzuge will ich es in die Welt schreien, daß ich, der Fürst des Landes, der Schuldige war, für den man den Freund hinmordete, den einzigen, geliebten Freund.«

Ein Lächeln huschte über des Kranken Antlitz, und die großen, braunen Augen voll zu dem Fürsten aufschlagend, sagte er leise, aber doch mit fester, feierlicher Stimme:

»Du hast Pflichten, Dolf Dietram, heilige Pflichten! Ohne zu wanken mußt du da oben auf der hohen Warte stehen, deinem Volke zum Vorbilde, deinem Volke zum Segen. Des Pöbels Geschrei darf nicht hinaufdringen zu dir. Es darf deine geheiligte Person nicht verletzen, es darf nicht einen Hauch dir vorwerfen, daß du gefehlt. Heilig und unverletzlich stehst du auf der höchsten Zinne. Stehe fest. Laß mein Sterben die Brücke sein, die aus reinen Höhen hinab zum Herzen deines Volkes führt. Lerne von dem Sterbenden, was du dem Lebenden nicht geglaubt, daß, den andern alles zu sein, die höchste Seligkeit schon auf Erden gibt. Und nun laß uns scheiden, Dolf Dietram. Ich fühle, daß ich bald gehen muß.«

Immer bleicher wurde das Antlitz, immer eingesunkener die noch gestern so blühenden Wangen. Schiemann rang nach Atem; die Rede hatte ihn erschöpft und die Hände spielten in Todeszuckungen auf der Decke. Der Glanz der Augen schien zu schwinden. –

Entsetzt sah es der Fürst.

Hastig erhob er sich, um die Aerzte herbeizurufen, aber der Verwundete winkte mit der Hand.

»Nicht doch,« lächelte er. »Die Quacksalber da draußen können mich doch nicht mehr zusammenflicken. Und es ist gut so. Vor mir tut sich ein fernes Land auf, da schlingen Liebe und Freundschaft ihren Zauberreigen. Siehst du, wie flammend die Sonne darüber steht? Das ist die Gnadensonne, Dolf Dietram. Und weißt du, wer sie ausstrahlt? Wer mit mildem Blick verzeihend alle unsere Sünden in diesen Flammenmantel der Gnade und Liebe hüllt? Aniane ist es. Ich sehe sie. Sie steht am Tore – sie nickt mir lächelnd zu. Sie, die ich geliebt, wie du sie geliebt hast, Dolf Dietram, treu, rein und heilig. Auch sie steht auf hoher Warte. Rühre nie, nie daran, dann werde ich selig die Stunde preisen, wo ich sterben konnte für dich, für sie, denn in ihrem Auge habe ich es gelesen, daß sie dein ist, wenn auch Berge und Mauern euch für ewig trennen. Diese Erkenntnis ist mein Vermächtnis für dich, Dolf Dietram. Du wirst an dieser Gewißheit stark und groß werden und fest stehen auf der Höhe, auf die dich das Schicksal gestellt.«

»Bleibe bei mir,« bat der Fürst. »Und ich will versuchen, gut zu machen, wo ich gefehlt. Geh' nicht von mir, Ludwig.«

»Ich muß,« lächelte Schiemann geheimnisvoll. »Aniane ruft mich. Hörst du es nicht?«

Er richtete sich aufhorchend empor, dann fiel er mit einem ächzenden Laute zurück.

Wie von Sinnen starrte der Fürst auf das Lager und sah das Verlöschen eines Lebens, das Leben eines Freundes, der ihm unersetzlich sein würde.

»Mein Gott!« stöhnte er tiefinnerlich auf. »Gibt es hier keine Rettung, keinen Ausweg?«

Und mit ein paar Schritten stand er an der Türe, raffte den Vorhang auf und winkte die draußen Wartenden herein.

Stumm standen der Arzt und die Pflegerin, ohne eine Frage an den Fürsten zu richten, am Lager des Sterbenden.

Zitternd, aber voll unendlicher Liebe nahm Dolf Dietram mit seinem Tuche ein paar rote Blutstropfen von den Lippen des Freundes.

»Helfen, retten Sie doch,« geboten des Fürsten Augen dem Hofrat.

Doch der alte Mann schüttelte still das Haupt, dann trat er, der Diakonissin einen Wink gebend, mit ihr zurück vom Lager, um das der Tod schon seine Schatten spann.

Golden brach die Sonne durch das graue Gewölk da draußen und spielte mit leuchtenden Funken aus dem braungelockten Haar des Sterbenden, der noch einmal die Lider hob. Wie zwei große, geheimnisvolle Sonnen, so leuchteten die lichtbraunen Augen Schiemanns noch einmal dem Fürsten entgegen. Dann schlossen sie sich, und während ein Lächeln tiefsten Friedens über das blasse Gesicht glitt, sagte er leise:

»Sterben ist mein Gewinn. – Am Tag der Toten aber, Dolf Dietram, da wirst du meiner denken, und du wirst den Kelch mit dem purpurnen Wein erheben, den wir so oft zusammen getrunken, und du wirst ihn trinken zu meinem Gedächtnis, Dolf Dietram, auf hoher Warte.«

* * *

Und dann war's vorbei.

Der herbeigerufene Priester kam und sprach die Sterbegebete und die Kerzen flammten und warfen im Kampf mit der Sonne goldene Lichter auf das braune Haar des Schläfers, der lächelnd für einen anderen starb.

Der andere aber lag wie vernichtet auf den Knien. Lange, lange. Ein Fürst im tiefsten Staube vor einem Geringeren.

Und als er sich endlich erhob, als er starren Auges hinwegschritt von der Leiche des Freundes, da ging ein neuer Mensch von dannen, den niemand kannte, und vor dem alle, die ihm in den Weg traten, scheu zurückwichen.

Etwas Großes, Ehernes, Unbeugsames sprach aus der gefesteten Haltung des Fürsten, aus dem bleichen Gesicht und den sonst so kühlblickenden Augen. Das war der Schmerz, der große, läuternde Schmerz, der edelt, und der alle Sinne und Kräfte wachruft zu edlem Tun.


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