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10.

Die Fürstin lag in ihrem Zimmer auf ihrem Ruhebette und rang die Hände. Witta von Wuthenow war geflissentlich um sie beschäftigt. »Haben Sie jemals ein so unerhörtes Benehmen erlebt, liebste Witta,« schluchzte sie auf. »Wie soll ich denn bloß dem Fürsten beibringen, wie sie mich behandelt hat! Ach, er ist ja so entsetzlich in seinem Zorn und so maßlos in seiner Ungeduld. Er kann es mir nie verzeihen, daß ich ihm gegen seinen Willen hierher gefolgt bin. Wie ein Verzweifelter gebärdete er sich, als ich dumm genug war, ihm im höchsten Zorn zu verraten, wie ich dieser Komödiantin am Rosegghaus heimleuchtete. Ich habe den Fürsten nie so heftig gesehen. Ach, liebe Witta, ich fürchte, ich habe jetzt noch den letzten Rest seiner Liebe und Zuneigung verscherzt.«

Sie brach in herzbrechendes Schluchzen aus, und Witta von Wuthenow lächelte höhnisch auf sie hernieder, während sie ihr kühle Kompressen von kölnischem Wasser auf die Stirn legte.

»Durchlaucht müssen nicht immer so schwarz sehen,« tröstete sie. »Seine Durchlaucht, der Fürst, sind angegriffen von dem Unfall, der ja so glücklich abgelaufen ist, daß wir alle Gott aus tiefster Seele dafür danken müssen. Im übrigen halte ich diese Aniane für ganz ungefährlich, Durchlaucht. Eine Frau, die sich so unklug und störrisch benimmt, wie diese Sängerin, wenn es gilt, ihren guten Ruf zu retten, soll noch gefunden werden.«

»Sie meinen, Witta, liebste Witta, daß es nicht wahr ist, was man von dem Fürsten und dieser Aniane munkelt? Erbarmen Sie sich doch. Sie sehen, wie ich fiebere, wie ich brenne, die Wahrheit zu hören. Sie haben ja dieses Geschöpf – bei Gott, sie ist schön, sehr schön sogar – in frühester Jugend gekannt. Sie waren ja damals schon bei Hofe, als der Skandal in der Residenz passierte. Ich flehe Sie an, sagen Sie mir alles. Ist es wahr, daß der Fürst mit dieser Aniane ein Verhältnis hatte?«

Die schöne Hofdame zuckte die runden Schultern. In ihren Augen war ein Flackern und ein Glühen. Raubtierartig blitzten ihre weißen Zähne.

»Derartige kühle, vorsichtige Naturen, wie diese Aniane, haben niemals Verhältnisse,« gab sie zurück. »Ganz Büsingen war aber voll von den Gerüchten, und die Tatsache, daß die Sängerin schleunigst aus der Residenz entfernt wurde, spricht wohl am besten dafür, daß sie nicht ganz schuldlos war.«

»Und der Fürst, liebte er die Baronin?«

Jetzt war es, als bebe die schlanke Gestalt Wittas wie im Fieber, und die langen, dunklen Wimpern legten sich wie ein Schatten über die flimmernden Augen.

»Ich weiß auch darüber nichts Bestimmtes, Durchlaucht. Die selige Frau Fürstin-Mutter aber war der Meinung, daß ihr Sohn dieses blonde, unbedeutende junge Mädchen, das sie voll Güte an ihren Hof und in ihren Kreis gezogen, mit heißer Leidenschaft liebe.«

Die Fürstin stöhnte tief auf.

»Dann liebt er sie noch. Dolf Dietram vergißt nie.«

»Er hat viele vergessen,« ergänzte die Hofdame. »Es umliefen damals allerlei dunkle, unkontrollierbare Gerüchte von einer heimlichen Ehe des Fürsten mit einer unserer Jugendgespielinnen, die lange tot ist. Natürlich war es nur Klatsch, aber irgend etwas tief Geheimnisvolles muß doch dahinter gesteckt haben. Es gab die Veranlassung damals, den jugendlichen Prinzen und Aniane auseinander zu reißen. Nun habe ich aber mehr ausgeplaudert, Durchlaucht, als ich überhaupt verantworten kann. Die Ueberzeugung aber habe ich gewonnen, daß dem Fürsten von der Seite der Sängerin keine Gefahr droht. Wenn sie ihn jemals geliebt hat, so ist diese Liebe erloschen, ich könnte schwören darauf, daß es so ist.«

»Und der Fürst?« fragte die hohe Frau kläglich und haschte nach Wittas Hand.

Ein fast verächtliches Lächeln huschte um Wittas rote Lippen, aber dann blitzte es halb schelmisch, halb bittend in ihren Augen auf, und zuversichtlich klang ihre Stimme, als sie erwiderte:

»Die Liebe des Fürsten in andere Bahnen zu lenken, liegt einzig und allein in der Hand Eurer Durchlaucht.«

»Wenn ich es nur vermöchte,« seufzte die Fürstin. »Ach, Witta, Sie ahnen ja gar nicht, welch ein Martyrium das Leben an der Seite dieses Mannes für mich ist. Und doch liebe ich ihn über alle Maßen, und ich könnte die kaltherzig morden, die es wagt, mir nur einen Gedanken meines hohen Gemahls zu rauben. Begreifen Sie das, Witta?«

Wieder zuckte es höhnisch um Wittas Mund.

»Ich begreife es, Durchlaucht,« entgegnete sie zärtlich, das blasse Blondhaar der hohen Frau von der erhitzten Stirn streichend. »Nun aber müssen Durchlaucht ruhen. Ich glaube, wir können jetzt ganz ruhig sein. Türkheim ist ein guter Kundschafter und ein treuer Verbündeter. Er wird uns sofort benachrichtigen, wenn irgend eine Gefahr von seiten der Sängerin für den Fürsten droht. Haben Durchlaucht noch Befehle?«

»Nein, danke, liebe Witta, schicken Sie mir die Kammerfrau, und dann, Liebste, dann beten Sie ein wenig für mich, daß des Fürsten Groll gegen mich sich in Liebe wandelt. Ich ertrage es so kaum noch, dieses elende, dieses Jammerleben.«

Sie schluchzte hysterisch auf. Witta aber streichelte uns küßte zärtlich die welke Hand, bis die Fürstin ihr durch Tränen zulächelte, dann ging sie.

In ihrem Zimmer angelangt, schwand das Lächeln von Wittas Lippen, der schöne, rote Mund, der so glühend küssen konnte und so süß lächeln, verzerrte sich zu einer häßlichen Grimasse. Die blauen Augen mit dem Märchenschimmer sprühten in funkelnder Bosheit, und Witta ballte die kleinen, weißen Hände in ohnmächtiger Wut und knirschte mit den Zähnen.

»Ich muß ihn sprechen,« flüsterte sie, »allein sprechen, aber er weicht mir aus. Er ist immer wie auf der Flucht, und seit der unglücklichen Verlobung habe ich jeden Boden unter den Füßen verloren. Türkheim muß mir helfen. Ich kenne ihn zu gut, und er weiß, daß ich ihn kenne und in meinen Händen sein Schicksal habe.«

Dann begann sie, sich sorgfältig anzukleiden. Ein weißes Kleid, ganz hauchzart und licht wie Silbergespinst, umhüllte in weichen, wallenden Falten ihre üppig schlanke, graziöse Gestalt mit den weichen verführerischen Linien, und das goldbraune Haar ringelte sich in natürlichen Locken um den feinen Kopf mit dem kapriziösen Gesicht. Eine einzige blaßrote Rose schmückte den Gürtel, und das Lächeln, das sie auf ihre Lippen zwang, war von bezauberndem Liebreiz.

Schnell warf sie noch einen weißen Schleier über das wellige Haar, dann glitt sie lautlos aus dem Zimmer und verschwand in dem Gange, in den die Zimmer des Fürsten mündeten. –

Der Fürst Dolf Dietram von Büsingen lag auf einem Ruhebette und träumte vor sich hin.

Die Dämmerung würde bald ihre Schatten weben. Jetzt lag noch ein letzter, schmaler Sonnenstreifen da drüben auf dem Schreibtische, und der Fürst beobachtete, wie er immer mehr und mehr verblaßte.

Der rechte, leichtverwundete Arm, ruhte noch in der Binde, und die Stirn umschloß noch ein leichter Verband.

Das Antlitz des Fürsten war blaß, und die Augen, diese sonst so kalt blickenden Augen, lagen noch tiefer in den Höhlen als gewöhnlich.

Die Lippen waren fest aufeinandergepreßt, und die feinen Nasenflügel bebten leise, als der Fürst so sinnend vor sich hinstarrte und mit der linken Hand unwillkürlich die seidene Decke, die über seine Füße gebreitet war, emporzog, als fröstele er.

»Nur Schatten, dunkle Schatten aus vergangenen Tagen geben mir das Geleit,« murmelte er vor sich hin, und ein finsterer, harter Ausdruck trat in seine Züge. »Ich muß mal aufräumen darinnen, gründlich aufräumen, sonst überwuchert das tolle Gerank noch den letzten, frischen Lebenskeim.«

»Wer ist da?« fuhr er erregt auf. »Habe ich nicht befohlen, ungestört zu bleiben?«

»Verzeihung, Durchlaucht,« schmeichelte eine süße, weiche Stimme, und eine schimmernde Gestalt tauchte aus dem webenden Dämmerschein. »Ich mußte Durchlaucht sprechen.«

»Baronin!« lachte der Fürst hart auf. »Sie kommen, schlüpfen wie die Geister durchs Schlüsselloch.«

»Ich bin sehr schlecht bedient,« fuhr er eisig fort. »Wollen Sie vielleicht die Güte haben, meine Gnädigste, zu erkunden, ob der Kammerherr von Türkheim oder der Adjutant im Vorzimmer sind. Ich habe Befehl gegeben, niemand, verstehen Sie, niemand, wer es auch sei, vorzulassen.«

»Dolf Dietram!« bat die weiße Gestalt und hob flehend die Hände. Der lichte Gazeschleier umhüllte wie eine duftige Wolke das braune Haar und hing lang zu beiden Seiten des blassen Gesichtes bis auf den Saum der weißen Wellen des Kleides herab.

»Bitte, Baronin, keine Komödie. Ich war nie unzugänglicher dafür als in dieser Stunde. Was bedeutet Ihr Eindringen hier? Sehen Sie sich vor, daß meine Geduld und Langmut nicht eher zu Ende gehen als Ihnen lieb sein dürfte.«

Witta von Wuthenow lachte schrill auf. In ihren großen, rätselhaften Augen schimmerte es wie von verhaltenen Tränen, als sie, den Schleier herabzerrend und ihn weithin auf den Boden schleudernd, hervorstieß:

»Das ist der Dank für meine jahrelange Liebe und Treue. Fortgeworfen, wie ein lästiges Kleid. Aber ich will mich nicht fortwerfen lassen, ich will nicht! Meine ganze Jugend habe ich schrankenlos dem Manne geopfert, dessen Fuß mich jetzt achtlos zertritt, wie er andere zertreten hat. Aber ich habe ein Recht zu fordern, wo ich immer die Gebende war, und ich fordere jetzt für mein ganzes zerstörtes Leben dich, oder bei Gott, ich lasse alle Rücksichten fallen, und die Fürstin erfährt noch heute, daß sie eine Betrogene ist.«

»Mäßigen Sie sich, Baronin,« entgegnete der junge Fürst kalt, sich von dem Ruhelager emporrichtend und die Decke von sich schleudernd, »ich würde Ihnen sonst Dinge sagen, die lieber unausgesprochen bleiben.«

»Nein, es soll endlich einmal klar werden zwischen uns, ich verlange es.«

»Das ist es schon lange, beste Baronin. Oder meinen Sie, ich hätte Lust und Neigung, mit meinem Minister Exzellenz von Borghammer die Frau, und wäre es die schönste, zu teilen?«

»Das ist eine Infamie,« zischte die schöne Hofdame, nur noch mühsam beherrscht, dem Fürsten, der ihr jetzt aufrecht gegenüber stand, entgegen. »Wer war es, der mir zu der Verlobung riet, wer war es, der, um alles Gerede zu zerstreuen, mir erklärte, es wäre für mich das Einzigste und Richtigste, die Gattin des Ministers zu werden, als ich noch schwankte, ob ich den Antrag annehmen sollte oder nicht?«

»Sie haben ganz recht, Baronin. Ich befürwortete die Heirat, weil – na, weil ich glaubte, dadurch endlich vor Ihren Attacken sicher zu sein – es tut mir leid, mich so brutal äußern zu müssen, aber Sie zwingen mich dazu, ich befürwortete die Heirat, weil ich weiß, daß der Minister kein Mann ist, der mit seiner Ehre spielen läßt. Frei hoffte ich dadurch zu werden von Ihrer – sagen wir, mir lästigen Liebe, die ich – ich bitte, das zu beachten, nie gesucht und –«

»Vielleicht nie erwidert habe,« schluchzte die junge Frau leidenschaftlich auf, und sich plötzlich dem Fürsten zu Füßen werfend und seine Knie umfassend, stammelte sie:

»Verlaß mich nicht, ich muß ja sterben, wenn du mich nicht mehr liebst.«

Der Fürst löste gelassen mit seiner Linken die ihn umklammernden schlanken Hände.

»Nehmen Sie doch Vernunft an, Baronin,« herrschte er ihr zu. »Jede Minute kann Türkheim eintreten, die Fürstin kann kommen, und dann, das wissen Sie doch – haben Sie Ihre Rolle ausgespielt.«

Wittas Mundwinkel umzuckte es höhnisch.

»Die Fürstin! Als ob ich sie je gefürchtet hätte. Lassen Sie doch Ihre Gemahlin kommen, die da vor einer Stunde die lächerliche Geschichte mit der arroganten Sängerin aufführte, weil der hohe Gemahl es befohlen hatte, ich lache dazu. Ich will ihr dann auch ins Gesicht sagen: Aniane von Rainer ist das einzige Weib, das der Fürst, der Liebling und der Freund der Frauen, geliebt hat und noch liebt.«

Es war, als taumelte der Fürst einen Schritt zurück. Aber sofort fand er seine Haltung wieder und sagte bleich, mit zuckenden Lippen, die Augen stahlhart auf sie gerichtet:

»Vielleicht haben Sie recht, Baronin. Aber das kann ich wenigstens zu meiner Ehre sagen, ich habe es nicht gewußt. Sie aber, Baronin, Sie wußten es damals schon, als Sie in kurzem Kleidchen und wehenden Locken mit Aniane von Rainer in der Tanzstunde von Tannenrode rivalisierten und das stille Mädchen mit Ihrem Hasse beehrten. O, ich weiß alles, wie es kam, daß ich die zarte, unschuldige Kinderseele wild an mich riß, eine unselige Tat, die einen Schatten über mein ganzes Leben wirft, ich weiß alles! Sie waren es, die mein junges Herz zu wilder Lust und Begierde aufstachelten. Sie waren es, die mich zwang, Dornenreiser in weiße, junge Stirnen zu drücken, weil Sie es verstanden, alle meine Sinne zu entflammen. Ihr Haß, Ihre Rachsucht, Ihr Spott, indem Sie über mein weichherziges Knabenherz lächelten, brachte mein Gefühl für Recht und Unrecht zum Schweigen. Ich will mich nicht entschuldigen, anklagen will ich mich selbst, daß ich ein so elender Schwächling war, stets gewärtig des Winkes einer Frau, deren Leidenschaft ihn vielleicht für eine kurze Zeit berauschte, die er aber nie, nie geliebt.

Damals, als man mich zwang, die Prinzessin Geraldine zu heiraten, nachdem das Gräßliche, das Unfaßbare geschehen, als Sie dem alten, verlebten Kammerherrn meiner Mutter, dem Baron Wuthenow, die Hand zum Ehebunde reichten, da glaubte ich fest, daß unser Spiel aus sei, für immer aus.

Sie verstanden es nicht nur, meine Mutter, sondern auch die junge Fürstin für sich einzunehmen. Meine Mutter bestand noch in ihrer letzten Lebensstunde darauf, daß Sie die Stelle einer Hofdame, nachdem der gute Wuthenow das Zeitliche gesegnet, bei der Fürstin erhielten.

Ein Machtwort von mir hätte es natürlich verhindern können, aber damals begann wieder Ihr kokettes Spiel. Von neuem verfiel ich dem alten Zauber, so sehr sich auch mein besseres Selbst dagegen sträubte.

Mit heuchlerischer Liebe umgaben Sie die Fürstin, um ihr doch das Beste und Heiligste aus dem Herzen zu reißen, Liebe und Vertrauen. Und ich sah es und lebte doch wie in einem Taumel dahin, weil Sie schön waren, Witta, schön, wie ein Dämon, voll flammender Leidenschaft, und weil mein Herz leer war, weil ich einsam stand auf des Lebens Höhen, und ich mich betäuben wollte da oben, wo es so kalt und öde war.

Als aber plötzlich das Gerücht wieder auftauchte, Sie ständen mir nahe, als selbst die Fürstin diesem Verdachte Gehör gab und ihn andeutete, als Sie in Gefahr waren, Ihre Stellung, das Vertrauen der Fürstin zu verlieren, da nahmen Sie mit graziösem Lächeln und schillernden Augen die Werbung des Ministers an. Und es war gut so, Witta. Aber von diesem Augenblicke an hatte ich nicht mehr das Recht, meine Hände begehrend nach Ihnen auszustrecken. Ich war frei, frei endlich von der Haft, in der Sie mich, ich gestehe es tiefbeschämt zu, Jahr um Jahr gehalten.

Und nun seien Sie vernünftig, Witta, und lassen Sie uns Frieden machen. Ich wünsche Ihnen alles Glück und alles Gute. Der Minister ist ein Mann, dessen Liebe jede Frau stolz und glücklich machen kann. Er verdient ein ganzes, volles Herz und eine unbedingte Treue. Lernen Sie lieben, Witta, und lernen Sie treu sein, dann wird sich für Sie Ihres Lebens Glück erfüllen.«

Die Baronin hatte mit wechselndem Gesichtsausdruck den hastigen Worten des Fürsten gelauscht.

Ihre schlanken Hände fuhren zitternd an dem weißen, duftigen Gewande hernieder, und es war, als krallten sich die Finger, um das zarte Gewebe zu zerreißen. Ein Zischen kam aus dem roten, jetzt häßlich verzerrten Munde, und die Augen flammten wild und wie in Wahnsinn auf.

»Treue,« lachte sie wild. »Nein, ich will keine Treue, und ich kenne sie auch nicht. Ich weiß wohl, welcher Anregung all die schönen Redensarten ihr Dasein verdanken. Das Wiedersehen mit einer Frau hat sie gezeitigt, über die wir einst gemeinsam gespottet, über die wir zusammen gelacht und uns gefreut haben, wenn wir ihr weh taten.«

»Ich weiß es, und ich schäme mich dessen,« gab der Fürst zurück, »diese Frau aber, die Sie meinen, steht so hoch über uns allen, daß es uns gar nicht zukommt, über sie zu sprechen.

Ich bitte Sie, die Unterredung zu enden und dafür Sorge zu tragen, daß mir der Zeitpunkt für die Abreise der Fürstin bald kund wird, sonst werde ich ihn bestimmen.«

Witta von Wuthenow zitterte an allen Gliedern. Es war, als wollte sie sich auf den Fürsten stürzen, den die Schwäche doch nun wieder übermannte, so daß er unwillkürlich auf dem Ruhelager Platz nahm, aber sie zwang ihre Erregung mit eiserner Energie nieder und fragte halb lächelnd, halb lauernd:

»Die Wünsche Eurer Durchlaucht waren mir stets Befehl, aber vielleicht dürfte dann auch Ihre Durchlaucht, die Fürstin, endlich einmal die kleine reizende, pikante Geschichte erfahren, die der Grund war, daß das blonde Mädchen aus der kleinen Stadt, die gute, altfränkische Aniane, sich einst schaudernd von dem jungen Prinzen wandte, der, wie er vorhin selbst sagte, Dornenkronen in junge Stirnen drückte.

Ihre Durchlaucht wird das kleine Idyll der Rosenau, dem alten Zauberschlosse, wo alle jungen Fürstenfrauen sterben, die ihren Fuß über die Schwelle setzen, gewiß sehr interessieren, und für die » Chronique scandaleuse« wird es ja auch ein amüsantes Kapitel sein. Freilich, es ist etwas lange her, aber wer hätte nicht Interesse an der Vergangenheit seines Fürsten, dessen Leben dem Volke als edles Beispiel von Ehre, Treue und Redlichkeit vorleuchten soll.«

Mit blitzenden Augen sprang der Fürst auf. Die Binde, die den Arm noch gefesselt hielt, warf er weit von sich.

Ohne ein Wort der Erwiderung griff er nach der Klingel und läutete Sturm.

»Um Gotteswillen, Durchlaucht, was tun Sie?« schrie dis Hofdame auf. »Wollen Sie mich verderben?«

»Nein, Baronin, ich habe kein Interesse daran, nur in die gehörigen Schranken wollte ich Sie zurückweisen.«

»Kammerherr von Türkheim,« herrschte er dem ganz bleich und zitternd Eintretenden entgegen, »ich muß Sie tadeln. Sie versehen Ihr Amt schlecht in meinen Diensten, denn sonst wäre es wohl nicht möglich, daß jemand unangemeldet zu mir dringt. Sorgen Sie dafür, daß die Baronin Wuthenow im Gefolge der Fürstin mit dem Frühzug St. Moritz verläßt, und geben Sie dem diensttuenden Kammerherrn meiner Gemahlin entsprechende Weisungen. Jetzt wünsche ich die Fürstin unverzüglich zu sprechen. Vielleicht haben Sie die Liebenswürdigkeit, Baronin, diesen meinen Wunsch meiner Gemahlin zu übermitteln.«

Die Baronin neigte sich tief vor dem Fürsten. Der Kammerherr legte ihr mit zarter Galanterie den duftigen Schleier über das braune Haar.

Ein hilfesuchender Blick zitterte noch einmal aus ihren Augen zu dem Fürsten auf, aber er sah es nicht.

Stolz und gebietend, als Herrscher, stand er da, dessen eiserner Wille hier widerspruchslos regierte.

»Dolf Dietram,« kam es wie ein Hauch in verzweifeltem Flehen von Wittas Lippen, aber der Fürst blickte in den sinkenden Abend hinaus, er hörte sie nicht.

Der Kammerherr klappte die Hacken zusammen.

»Darf ich bitten, Frau Baronin?«

Er bot ihr den Arm, gehorsam legte Witta den ihren hinein.

Ihre weiße Schleppe fegte den Boden, jetzt fiel hinter ihr die Tür ins Schloß. Es war fast dunkel im Gemach, und schwere Schatten krochen durch den Raum.

Der Fürst stand unbeweglich. Ein kalter, harter Strahl zuckte in seinen grauen Augen auf, die sich jetzt seltsam forschend zu den Bergen hoben, deren weiße Schneekuppen noch ein letzter güldner Streif umsäumte.

»Hoch müssen wir stehen,« murmelte er, »hoch und einsam, das ist unsers Daseins Erfüllung. Aufräumen mit all dem Wust, der sich da innen angesammelt hat, und dann nichts empfinden, als das Eine, Große, Reine, Erhabene:

Du siehst von stolzen Zinnen weit hinaus in freies, weites Land.

Das ist das Glück!«

Und der Abend kam über das Engadin. Der Nachttau fiel. Aus dem Kursaal schwebten Walzerklänge herauf, und alles strahlte in Glanz und Licht.

Der Fürst lag auf seinem Ruhebette und träumte in den Abend hinaus. Auf seiner Stirn lastete es dunkel, und in seinen Augen flackerte ein böser Schein. Die ihn kannten, die sahen ihn mit Furcht, und denen er zum ersten Mal begegnete, die erschauerten leise. –

Die Hand des Fürsten tastete nach der Klingel.

Wie dunkel es war, und die Wunde an der Stirn brannte, als rinne flüssiges Feuer darüber hin.

»Licht,« gebot der Fürst dem eintretenden Kammerdiener.

Das elektrische Licht flammte auf. Tageshell durchflutete es den weiten Raum mit den prunkvollen Möbeln in Gold und Weiß.

»Ihre Durchlaucht, die Frau Fürstin, befinden sich im Vorzimmer,« meldete der Diener mit einem scheuen Seitenblick auf seinen fürstlichen Herrn.

»Ich lasse Ihre Durchlaucht bitten, sich sofort hierher zu bemühen.«

Der Diener verschwand.

Einige Minuten eine lautlose, beklemmende Stille. Hörbar war nur der schwere Atem des Kranken, der mit bleichem Antlitz auf dem Ruhebette lag und mit dunklen Augen nach der Tür sah.

Was er der Fürst sagen sollte, er wußte es noch nicht. Er empfand nur etwas häßliches, drückendes, das er sich herunterreden mußte. Er wollte es nicht mehr leiden, daß ihm die Fürstin einen Zwang antat, der ihm lästig war und obendrein sehr lächerlich wirkte.

Noch eben jetzt hielt der Fürst sich für den allein leidenden Teil seiner Ehe mit der Prinzessin Geraldine von Pleß. Aber das wollte er künftig nicht mehr sein. Er wollte unter allen Umständen eine Aenderung herbeiführen. Der jetzige Zustand dünkte ihm unerträglich als je. –

Ein schneller, etwas derber Schritt, und die fürstliche Frau beugte sich in Hast über das Lager des fürstlichen Gemahls.

»Endlich kann ich dich sehen, Dolf Dietram,« überstürzte sie sich atemlos. »Alles ist geschehen, wie du wünschest. Ich habe der Baronin von Rammelsburg meinen Dank für den Beistand, den sie mir in der Unglücksnacht geleistet, abgestattet, und ich glaube nun alles getan zu haben, was die Dame zu ihrer Rechtfertigung verlangen kann.«

Der Fürst winkte abwehrend mit der Hand.

»Es ist gut, Geraldine, wenn du dich einmal selbst bezwungen hast. Ich weiß, es ist dir schwer geworden, und ich danke dir, daß du dies eine Mal wenigstens etwas Selbstbeherrschung geübt hast. Die Sache ist erledigt.« –

»Willst du nicht Platz nehmen?« fuhr er mit einer einladenden Handbewegung fort. »Es plaudert sich leichter.«

Die Fürstin ließ sich steif auf einem Sessel an dem Ruhelager nieder. Ihre Wangen brannten, und ihre Pulse flogen.

Ein einziges Wort, das die Wuthenow, als sie ihr den Befehl des Fürsten ausrichtete, zugeflüstert, bohrte in ihrer Brust und riß wild an ihrem Herzen. Aber sie bezwang sich noch, und mit der feinen, müden, juwelenfunkelnden Hand etwas verlegen über das matte, blonde Haar streichend, sagte sie mit einem gemacht zärtlichen Anflug in der Stimme:

»Ich bin sehr glücklich, einmal zu einer stillen Plauderstunde zu dir kommen zu dürfen, Dolf Dietram, ein Glück, das ich lange schmerzlich vermißte.«

Die Lippen des Fürsten preßten sich fest aufeinander.

»Es wird für lange Zeit die letzte sein,« sagte er dann rasch, »denn ich habe beschlossen, daß Sie morgen früh abreisen. Geraldine.«

Die Fürstin sprang auf. Ihre blassen, blauen Augen sprühten, und ihre Lippen zuckten, als wollten sie einen Schrei hemmen.

»Sie wollen mich fort haben, um hier allein zu sein, um mit dieser Person, dieser hergelaufenen Sängerin, hier ein Idyll aufzuführen, das mein erzwungener Besuch dort heute einleiten sollte. O, das ist schmachvoll, das ist niedrig. Ich finde keine Worte für diese Schamlosigkeit.«

»Sie sind sehr beredt, Geraldine,« lächelte der Fürst bitter. »Ich halte das, was Sie soeben behaupteten, Ihrer leicht begreiflichen Erregung zugute, und ich will die Worte nicht gehört haben. Was Sie über die Baronin Rammelsburg äußern, kann die Dame nicht treffen, da Sie dieselbe ja gar nicht kennen und nur nach Gerüchten und böswilligem Klatsch ein Urteil über eine Unbekannte fällen, die hoch, sehr hoch in meiner Achtung steht. Ich kenne keine Dame, der ich mehr Respekt erweisen möchte.«

Der Fürst hatte sich aus seiner Ruhelage aufgerichtet und sah streng, fast gleichgültig nach seiner Gemahlin hin. Derartige Auseinandersetzungen waren nichts seltenes in der fürstlichen Ehe. Es erbitterte ihn aber, daß sie sich wie in stolzer Besonnenheit zurückhielt. –

»Nun, Geraldine,« fragte er kurz. »Haben Sie mir nichts zu sagen?«

Die Fürstin zuckte zusammen. Ein wildes Schluchzen rang sich aus ihrer Brust.

Plötzlich schlang sie beide Arme um Dolf-Dietrams Hals, und ihr von Tränen überströmtes Antlitz an das seine pressend, kam es stoßweise von ihren Lippen:

»Du liebst mich eben nicht mehr, du liebst eine andere, und ich bin dir auch jetzt nichts, wie ich dir nie etwas gewesen bin.«

Ein müder, gelangweilter Zug legte sich um den strengen Mund des Fürsten. So ging es nun Jahr um Jahr seit dem ersten Tage seiner Vermählung, wo die blonde Frau dort, die man ihm aufgezwungen, immer die Fordernde war, wo er Liebe geben sollte, die er nicht empfand.

Etwas wie Mitleid wallte einen Moment in ihm auf. Als er aber in ihre lauernd und verlangend aus ihn gerichteten Augen sah, da schob er sie von sich.

»Komm doch zu dir, Geraldine, und besinne dich,« herrschte er sie an.

»Als man mich einst zu dir zwang, da sagte ich dir: Ich komme mit todwunder Seele, Geraldine. Man hat mir etwas Liebes vom Herzen gerissen, und etwas anderes, das ich auch einst lieb gehabt, ist durch meine Schuld zugrunde gegangen. Liebe kann ich nicht geben, aber den festen und ehrlichen Willen, ein treuer Freund und ein tapferer Kamerad zu sein, den biete ich. Wollen Sie daraufhin die Lebensgemeinschaft mit mir wagen?«

»Ja, es war entsetzlich,« stöhnte die Fürstin, das Spitzentaschentuch gegen die Augen drückend.

»Sie legten Ihre Hand in die meine,« fuhr der Fürst unbewegt fort, »und versprachen, mir ein guter Freund zu sein. Sie haben Ihr Versprechen schlecht gehalten. Ihre Liebe drängten Sie mir auf, Ihre Eifersucht verfolgte mich. In jedem harmlosen Worte, in jedem Blicke, den ich mit andern wechselte, sahen Sie eine Gefahr für etwas, das Sie nie besessen. Sie machten mir das Leben zur Hölle und trieben mich fast gewaltsam andern Frauen entgegen, die mir gleichgültig waren und keinerlei Reiz für mich hatten. Sie intrigierten auch an fremden Höfen gegen mich. Ihren Vater stachelten Sie auf, daß er glauben mußte, ich quälte und marterte Sie. Durch Ihren Bruder ließen Sie heimlich Nachforschungen über mein Tun und Lassen anstellen und zogen Erkundigungen ein, auf welche Art und Weise sich eine Scheidung herbeiführen ließe. Und trotz dieser Gesinnung verfolgten Sie mich mit Ihrer Liebe und machten das ganze Schloß rebellisch, wenn ich Ihnen nicht willenlos in die Arme sinken wollte. Auch hierher sind Sie mir gefolgt gegen meinen ausdrücklichen Wunsch und Willen, von Ihrer Eifersucht getrieben. Ich weiß nicht, wer Ihr Kundschafter gewesen, der Ihnen aus einem harmlosen Zusammentreffen mit einer Jugendbekannten einen ganzen Roman konstruiert hat, aber ich werde den Schuldigen zu finden wissen, und dann wehe. Da Sie nur ungeachtet meines ausdrücklichen Wunsches dennoch hier eintrafen, so habe ich Befehl gegeben, diesen Aufenthalt hier sofort abzubrechen. Sie werden mit Ihrem Gefolge morgen früh St. Moritz verlassen, sich nach Büsingen zurückbegeben und Büsingen nicht mehr verlassen, als bis ich weiter über Ihren Aufenthalt verfügt habe.«

»Das ist eine Ungerechtigkeit, eine Vergewaltigung,« schrie die Fürstin, »eine himmelschreiende Sünde. Ich werde mich an meinen Vater, meinen Bruder wenden, damit sie mir Genugtuung für diesen Schimpf verschaffen.«

»Tun Sie das,« entgegnete der Fürst kühl. »Ich hege nur den einen Wunsch, von Ihrer Gegenwart befreit zu sein.«

»Dolf Dietram!« schrie die Fürstin zusammenbrechend. »Du bist entsetzlich! Du hast kein Herz.«

Wieder suchte die Hand des Fürsten die Klingel.

»Die Fürstin ist ohnmächtig geworden,« sagte er eisig zu dem eintretenden Kammerherrn, »benachrichtigen Sie die Baronin Wuthenow, und sorgen Sie dafür, daß die Fürstin in ihren Gemächern zur Ruhe kommt, um nachher für die Reise frisch zu sein.«

Als der Kammerherr die hohe Frau, die auf dem Teppich zusammengebrochen war, aufrichten wollte, stand sie schon auf den Füßen. Ihre Augen flackerten unruhig hin und her.

»Was soll ich dem Erbprinzen von seinem Vater sagen?« fragte sie mit zuckenden Lippen.

»Daß ich mich freuen werde, ihn in einigen Wochen wiederzusehen und daß es mich sehr glücklich machen würde, wenn er immer daran denkt, einst ein ganzer Mann zu werden.«

Er küßte formell die schlaff herabhängende Hand der Fürstin, und diese ging, von dem Kammerherrn mehr getragen als geführt, aus dem Gemach. Ein böses Funkeln glühte in ihren Augen. Kein Blick mehr hatte den fürstlichen Gemahl gestreift.

Der Fürst lehnte sein Haupt müde zurück und schloß die Augen. Die Wunde brannte, und der verletzte Arm, der Binde beraubt, schmerzte. Dolf Dietram legte die schlanke Hand einen Augenblick fest auf die Brust.

»Das mußte sein,« murmelte er vor sich hin. »Es hat weh getan, ihr und mir, aber das war ich mir und auch derjenigen schuldig, derentwegen sie kam, um grauen Staub des Alltags auf die libellenblauen Flügel des zarten Schmetterlings zu werfen, der nur im reinsten Aether atmen kann.«

In der Nacht reiste die Fürstin ab, geräuschvoll, wie sie gekommen war, begleitet von ihrem Gefolge und einem Troß von Hotelangestellten, die ihre Gepäckstücke geleiteten.

Witta von Monbert war wütend über den Mißerfolg der Reise und leistete sich launenhaft einige Ausfälle an die Herren des Gefolges. Selbst gegen die Fürstin wagte sie den Versuch einer trotzigen Auflehnung.

Diese Nacht schlief der Fürst nicht. Er horchte auf das Rollen der Wagen, welche die Fürstin und ihr Gefolge nach St. Moritz-Dorf und zur Bahn brachten, und er träumte dann mit offenen Augen weit in den Morgen hinein, der voll Duft und Purpurglanz aus blauen Tiefen aufstieg und Glutrosen über den Schnee des Engadins schüttete, der in seiner hehren, reinen Pracht wie im Brautgewande funkelte.


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