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Nachts an der Castellana, auf schnurgerader, breiter Anlage, Autos rollen hin und her. Die Enden der Straße verlieren sich im Dunkel der Nacht. Aus dem Finstern löst sich ein Strom von Leben, rollt an mir vorüber und eilt wieder ins Finstere. Aus dem Unerforschlichen fließt das Leben an uns vorbei ins Unerforschliche. Einen Augenblick nur sichtbar im grellen Lichte. So sah ich Städte voll Brunst und Menschenfleisch, sah Todesverachtung aus Eitelkeit. So sah ich Leben, das sich nicht einzeichnet in das Geschehen, sah Geisteskräfte verpuffen in Nichts mit großer Geste und Vornehmheit, sah Zucht und Kultur einmünden in frivoles Spiel, verknallen in Effekte. Ich sah den feisten Spanier, den Pantoffel im riesigen Messingsteigbügel, stolz auf dem Rosse, sah ihn immer wieder Feste feiern, Altäre zimmern, Triumphpforten bekränzen, sich schmücken mit abgebrauchten Bildern. Ebenso fern dem Lebendigen wie der Mensch mit dem Produktionsfimmel und den Ameisentrieben. Beiden fehlt der Takt. Der Takt aber entscheidet. Auf Taktgefühl beruht die Welt, auf dem Maße.

Auch sah ich keinen in Ruhe festsitzen, in Macht, Werten, Ansehen oder Stellung, in ruhigem Besitz erstrebter Dinge. Keinen Thron oder Altar sah ich unerschüttert stehen. König und Diktator, Parteiführer und Seelsorger und Geldleute, alle behaupten ihre Stellung durch Gewalt, Kampf oder Schläue, durch weitverzweigte, verankerte Systeme. Völker, Familien und Personen. Wer eine Rolle spielt, muß immer fluchtbereit sein. Der Herrscher ist am unfreiesten. Nur wer nicht herrschen will, nichts bedeuten, lebt frei, sicher und in Ruhe. Der Herrscher lebt in Ängsten, seine Kunst: das Gesicht zu wahren, Sicherheit vorzutäuschen. Das hält ihn in der Macht. Dem Diktator steht der kalte Schweiß auf der Stirne wie dem Torero, der dem Stiere entgegentritt.

Ich sah, wie Politik gemacht wird, wie eine Regierung Niederlagen frisierte zu Triumphberichten, sah sie stolz dastehen in verdeckter Ohnmacht, sah langsames Nachlassen und Überleiten, sah zu, wie man dem Volke einen »Alpdruck« suggerierte und andern Tages eine Renaissance. Ich sah die Menschen stolz und gebläht, wenn sie einen Augenblick aufatmen konnten und kindlich nach der dargebotenen Meinung greifen, wenn es schief ging. Und alles rollte an mir vorüber wie diese Autos auf der Castellana, aus dem Dunkel ins Dunkle.

Bild: Gustav Wolf

Andalusier

 

 

Wieder ein Abschied von vertrauten Menschen. Wieder wogt am Zuge der Kampf, bis sie sich voneinander gerissen haben, bis die Masse gelöst ist in zwei Teile. Es ist 10 Uhr abends, die Hitze unsagbar. Zwischen Stoffbündeln und Menschenbündeln eingeklemmt, zwischen Familien einsam und fremd. Durch friedliche Mondnacht. Wüstes Gebrüll und Gejohle der Burschen und Mädchen die ganze Nacht. Früh im rötlichen Dämmerlicht die Kathedrale von Burgos, wunderbar, aus rötlichem Nebel auftauchend, hinter grünen Baummassen, vor der graugrünen Wand eines Hügels. Ein grauer Tag hebt an, verhängt und trüb: der Norden.

Bild: Gustav Wolf

Straßenkehrer

 

 

Einen letzten Palmzweig sehe ich an einem Balkone, gebleicht, verstaubt. Das ist das Ende. Als ich ins Land kam, hat man sie frisch an die Balkone geflochten in hundert verschiedenen Arten, schön gedreht und Verknüpft.


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