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Wirklichkeit mischt sich mit Vorstellung. Es ist keine Grenze mehr:

Ein großer, grüner Vogel mit giftig-gelbem Unterleib und rosigen Flügeln fällt vom grundlosen Himmel herab. Ein gelber Reiter in grünem Mantel rast auf schwarzem Rosse daher und durchbohrt den dicken Europäer in der blaugoldenen Uniform, mit den Hahnensporen an den Füßen und den blutroten Eselsohren.

Ich stehle mich weg. Vorüber an stöhnenden, anklagenden, gebückten Juden. Blinde Bettler halten die leeren Augenhöhlen ins Nichts, reden vorgebeugt ins Leere. Zerfressene, grindige Menschenleiber hocken auf Kothaufen und winseln hündisch. Uralte Ölbäume ersticken unter dicker Staubschicht. Ausgeglühte Landschaft starrt tot in den Sonnenbrand. Schwere, ungeschlachte Raubvögel schwimmen ruhig in der unbeweglichen, schwärzlichen Glut wie Klötze.

Von weißglühender Mauerecke herab senkt sich langer Klageruf. Aus dunkeln Winkeln, versteckten Pforten, schreiten hohe weiße Gestalten, ruhig, gemessen und von edler Würde. Runde, klare Gesichter, wie Monde, ziehen stumm vorüber. Weite, lichte Hallen öffnen sich. Vezier und Kalif und die Stolzen und Würdigen durchschreiten hohe Tore. Dunkle Augen voll edler Einfalt und in großer Ruhe ziehen die Gasse entlang. Schwere Düfte wogen herein.

Bild: Gustav Wolf

Ein Jude. Fez und Mantel sind dunkelblau oder schwarz.

 

 

Ich gehe auf ein Tor zu. Die Türhüter erheben sich von ihren Polstern und verbeugen sich. Die Türe geht auf. Ich folge der Geste des Hausherrn und setze mich neben ihn. Er stopft das lange dünne Pfeifchen mit Bf, tut einen Zug daraus und reicht es mir. Wir rauchen und sitzen stumm beisammen. Und ich erkenne in ihm den Gewürzkrämer Ali. Er streckt seine Hand aus in der Richtung nach Djebel Darsa: Kampf. Ich sehe Heere von Geistern kämpfen im Raume, Greifenvögel und erkenne in ihnen die Kabylen, mit denen ich im Café gehockt war.

Bild: Gustav Wolf

Ein vornehmer Maure, ein »Heiliger« (weli). Ruhig sitzt er unter Händlern und Handwerkern. Manchmal lange Zeit versunken. Unter diesen Menschen ist Reinheit und Sauberkeit, bei den Spaniern Etappenatmosphäre.

 

 

Am Mittag lief ich durch die brennende Schlucht. Durch lange Rauchschwaden, die den Hang hinaufziehen. Jetzt sitze ich unter hämmernder Glut auf einem Steine des Judenfriedhofes und sehe weit über das Land bis ans ferne Meer. Vor mir erhebt sich eine graue, hagere Gestalt, steil aufgerichtet. Große Klarheit und Freiheit ist um sie, erhabene Schlichtheit Redet: Du kennst mich, den Ungebrochenen, den Bildlosen, den Vielgewanderten, Vielgetriebenen, den im Innersten Wachen. Am Ende gehe auch ich ein in das Wortgrab. Am Ende werde auch ich zu Wort, denn am Ende wird das Wort sein, das bildlose, das reine Wort. Es wird ungeheuer über die Erde ertönen, bis in die fernsten Enden des Weltalls. Alle Erscheinung und alles Unterscheiden wird versinken im Worte, alle Welt. Freud und Leid aller Kreatur wird verlöschen. Das Wort wird das All-Eine sein.

Bild: Gustav Wolf

Tafel XII Córdoba. Im Patio de los Naranjos. Puerta de las Palmas

 

 

Ich sehe die Gestalt an, und sie sinkt in sich zurück, und vor mir steht Moïse, der Schuhmacher, von dem ich gestern die gelben Schuhe gekauft habe.

Ich gehe zurück zur Stadt. Am Tore, zu Füßen seiner schwarzen Wärterin, spielt ein Kind mit silbernen Kugeln auf buntem Teppiche. Kichert: Salaam, Bildermännchen! Wichtiges zu tun? Anzusehen? Aufzuschreiben? Eile! Eile!

Bild: Gustav Wolf

Ein Moro sitzt vor seinem Lädchen im Gebet versunken. Den Rosenkranz in den Fingern. Er sieht die Vorübergehenden nicht. Einen Käufer, der etwas von ihm haben möchte und ihn sanft am Ärmel zupft, sieht er strafend an, und jener geht an das nächste Lädchen.

 

 

Wieder erkenne ich einen Bekannten: den kleinen Bettelknaben mit dem grindigen Kopf, auf dem die Fliegen saßen, der halb nackt, halb in Fetzen eines groben Sackes an der großen Moschee saß, nach dem die Kinder Steine warfen und dessen Erbärmlichkeit sie verspotteten.

 

Die Sonne ist versunken. Die Bazare sind geschlossen. Der Markt ist dunkel und leer. Ich sitze auf einer Treppenstufe unter Sternen. Tausend Welten sehen herein in diesen öden Platz, schießen auf mich zu, werden größer und größer. Ungeheure Helligkeiten, Buntheiten, Gestaltungen und Wesen stürzen in meine Brust als in ein unermeßlich Weltengrab. Bis der Himmel ganz schwarz ist und leer. Alles Leuchten ist erloschen. Grenzenlose Traurigkeit senkt sich herab.

Bild: Gustav Wolf

nmitten des Gewühles hocken die Mauren und sehen ruhig dem Getriebe zu, ohne Bewegung, ohne Äußerung, wie aus der Ferne. Sanfte, religiöse Menschen in sicherem Selbstbewußtsein.

 

 

Stumpf hocke ich in einem finsteren Winkel. Ein Huhn redet mich an, das geschlachtet werden soll. Ein Fisch blickt mich an, der gegessen werden soll. Der Esel, der ewig verprügelte, kommt auf mich zu. »Ja, ich habe über euch weggesehen, ich gestehe es, was wollt ihr von mir?« Sie sehen mich an: »Was kannst du mehr als wir?«

Bild: Gustav Wolf

Ein Brotverkäufer hockt auf dem Marktplatze

 

 

Ich hocke zwischen Unrat und Abfallen, Eingeweiden und Resten von Kadavern, ganz entwürdigt. Meine Hand ruht auf einem abgeschnittenen Widderkopfe, streichelt ihn und fühlt, wie er warm wird und lebendig. Aus ihm kommt eine Stimme, sanft und leise, und tiefste Müdigkeit klingt aus ihr: »Opfertier war ich. Nie widersetzt' ich mich. Ich bin erfüllt.« Der Kopf ist wieder kalt und tot. Die Stimme war die des Webers Isaak, der unterm Tore der Mohrenstadt in seiner Bude hockte.

Bild: Gustav Wolf

Keiner hat das Streben, auf eine andere Ebene zu kommen, in eine andere soziale Schicht, etwas zu erweitern. Überall ist Ruhe und stille Beschaulichkeit. Sie begreifen die Hast der Europäer nicht und sehen still zu, wie diese sich die Köpfe einrennen.

 

 

Über den Platz schreitet eine edle, hohe Menschengestalt, der vornehme Maure, den ich täglich über die Plaza de España so schreiten gesehen hatte, mit weitausholenden Schritten, den Blick über die Erscheinungen weg ins Weite gerichtet. Sein dunkelblauer Mantel breitet sich aus, es wird ruhige, tief klare Nacht. Ein kühler Wind fällt von den Bergen. Die weiße Gestalt des Mauren löst sich auf zu mildem Leuchten des klaren Mondes und der stillen Sterne.


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