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An Bord des » Marques de Campo« im dunkelgetäfelten Salon. Der Mozo in Valencia war untröstlich, weil ich weggehe, ohne die vornehmsten Genüsse seiner Vaterstadt gekostet zu haben. Diese Tage von Valencia waren trotz angenehmen Lebens, trotz rührender Sorgfalt und Ergebenheit der Leute recht trübe. Die ungeheuere Pracht der Kirchen, das Schwelgen der Spanier in Erscheinungsformen, die strotzenden Goldaltäre, Madonnen, überhäuft von Perlen, Juwelen und blitzenden Steinen, die hinter Glasscheiben im Rampenlicht stehen, von hintenher beleuchtet, die Theatereffekte mit Scheinwerfern und verdeckten Lichtern, die in die schwarzen Grüfte herabfallenden Lichtbalken, die Inbrunst der sich den Bildern hingebenden Frauen, aufgehäufte Pracht und wieder Pracht, Musik und Kinderstimmen, Pathos und Flüsterton, Verdecktes und in prallen Schein Gestelltes, schwelgerisches Genießen religiöser Reize und verzückte Anbetung, das alles verwirrte mich und lastete auf mir. Dieses Land hat eine ungeheure seelische Erhebung durchlebt, eine gewaltige Tat vollbracht. Es scheint jetzt ausgegeben und in seelischer Agonie, es hat sich erschöpft, die Tat rächt sich. Es hat das Andere besiegt, und dabei sich selbst verloren. Im Kampf wurde eigenes Wesen unfruchtbar. Die ungeheuer entwickelte Widerstandskraft absorbierte das eigene Wesen: sie ergaben sich willenlos dem, für das sie kämpften. Aber ich suchte Einfaches, Klares, Starkes, Menschenwürdiges. Nicht Anhäufung und Exaltation, nicht barocken Überschwang. Wie sich im Norden dumpfe Menschen an der Wucht der Masse berauschen, so sah ich hier angehäufte Pracht, überladene Effekte, die Menschen fesseln.
Ich kam auf den Markt: Anhäufung, Überschwang und Geschrei des Vielfältigen, nirgends ein Großes, Einfaches, Wesentliches; das bedrückte mich.
Spät abends kommen wir aus dem Hafen. Hinter uns wird ein großer deutscher Dampfer herausgeschleppt. Die spanischen Seeleute verspotten die deutschen Offiziere, machen den schnarrenden Ton der Kommandos nach, bellen wie Hunde.
Auf dem offenen Meere hatte ich mich nach Menschen gesehnt, nach Wohnlichem, Begrenztem, Warmem. In der Stadt war mir das Getriebe und die seelische Beschaffenheit der Leute fremd. Und jetzt bin ich wieder auf dem offenen Meere, das leer, kalt und ohne Wohlbehagen ist.
Anhaltendes Sirenengeheul hat mich geweckt. Das Schiff stellte die Fahrt ein. Liegen wir in einem Hafen? Wartet man auf einen Lotsen?
Wir liegen in dichtem Nebel vor Alicante. Langsam kommt die Sonne durch. Man lotet. Das Blei wird mit Talg beschmiert und hinabgeworfen, 45 Meter, 41 Meter, 35 Meter. Da und dort schreit eine Sirene aus dem milchigen Nebel.
Längst ist klare Sonne. Mittag. Wir liegen auf dem offenen Meere. Kein Mensch rührt sich, endlich am Nachmittag gibt der Kapitän die Erlaubnis zur Einfahrt.