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Tetuan. Chaos. Wüstes Geschrei. Gedränge und Geschiebe von Menschentieren. Wandelnde Klumpen und Bündel. Grinsende, fletschende, gestikulierende, stoßende Massen. Zigeunerhaft, verkommen, zerfressen, zersetzt, schwärend, eiternd, grindig.

Unrat, Aas. Verrücktes, Fanatisches.

Bettler, Besessene, Charlatane. Und der Abschaum von Europa: Deserteure, Defraudanten, dunkle Existenzen, Rowdys, Abenteurer, Morphinisten, Kokainisten, Syphilitiker, Zuhälter, Huren.

Moros, Neger, Spanier, Juden, Fremdenlegionäre. Soldaten ohne Zahl. Polizisten, Gendarmen, Zivilgardisten, Spione und Deserteurfänger. Geheimpolizisten mit Kind und Kegel und Anhang. Offiziere mit Weibern. Wurzellose.

Bild: Gustav Wolf

Sie sitzen beschaulich an der Straße, Gestalten der Bibel und der Märchen.

 

 

Mönche rennen durch die Gassen, Strick um den Hals, Spieß in der Faust, brüllen: Allah, il Allah! Bettler in unsäglichen Lumpen plärren mit verzerrten Zügen eintönige Formeln. Frauen in unförmigen Lumpenbündeln, dicke Lederstücke um die Waden gewickelt, schleppen Reisig, Mist oder Holzkohlen. Negersoldaten, dumm, einfältig. Fremdenlegionäre lümmeln und proleten herum, strecken den Spaniern die Zunge heraus, werfen Tische um. Verkommene Weiber. Juden, düster schwarz gekleidet, mit schwarzem Fez, langen schwarzen Bärten, verkommen, ohne Haltung, ohne Würde. Soldaten von der Front, abgerissen, zerfetzt, entnervt.

Bild: Gustav Wolf

Alter Jude in Tetuan. Die Kabylen sind wild, roh und stolz, die Juden bescheiden und gedrückt.

 

 

Ich streife durch Gassen, wie durch Kellergewölbe, durch Winkel. Überall Aas, Exkremente, Abfälle. Ausgesetzte junge Kätzchen winseln vor den Türen. Ein rasseloses, verkommenes und verfilztes Menschengewimmel. Geschrei und Gefluche.

Bild: Gustav Wolf

In einem entlegenen Gäßchen. An solchen Orten werde ich öfter von spanischen Geheimpolizisten gestellt. Denn ein Europäer hier, das kann nur ein entlaufener Fremdenlegionär sein! Einer dieser armen, verzweifelten Teufel, die meistens Deutsche sind.

 

 

Feiner Staub legt sich auf alles, bedeckt alle Gegenstände. Fliegen und Moskitos. Gestank. Und nirgends ein Fleck, wo Ruhe, ist. Ein Labyrinth von Gäßchen, Winkeln, Ecken, unübersehbar, planlos. Vermummte Gestalten, unter glühender Sonne in schwere Mäntel gehüllt, düster, fanatisch, verrückt. Die Männer tragen einen kleinen Zopf auf dem Wirbel des sonst rasierten Schädels. Tagelang renne ich durch das Gewühl, setze mich auf einen Stein, eine Schwelle. Und langsam fange ich an, zu sehen:

Bild: Gustav Wolf

Tafel IX Im Hofe der Kathedrale zu Sevilla. Puerta de los Naranjos

 

 

Der Prophet schreitet auf mich zu mit gemessenen Schritten, den Blick nach innen gerichtet. Der Kalif, unsagbar würdevoll, in wehendem Gewande, Sultan und Vezier. Und bald sitze ich mit Jussuf, dem Schuhmacher, vor seiner Bude, grüße Achmed, den Schmied, hocke mit dem Färber Hessein auf der Erde, rauche mit dem Kaufmann Ibrahim und sehe mit dem Schreiber Mohammed den Kindern zu. Ich sitze in den Mohrencafés mit Negern, Kabylen, Soldaten, Wächtern und Händlern, höre ihrem eintönigen Sang zu, dem Spiel auf der zweisaitigen Laute, zu dem sie den Takt auf den nackten Waden schlagen. Erst waren sie mißtrauisch, mürrisch, rückten zusammen, beleidigt. Jetzt sind sie freundlich und liebenswürdig; ich bin ja kein Spaniole. Ich streife durch die entlegensten Winkel, wo in dunklen Gängen die geheimnisvollen, schweren, nagelbeschlagenen Tore sind, sehe in einem günstigen Augenblick durch einen Spalt

Bild: Gustav Wolf

Ein blinder Bettler steht an einer Ecke und sagt Koranverse

 

 

ins Innere. Und sehe Reinheit und Reichtum und edle Größe, sehe Frauen in märchenhaft bunten Gewändern auf Matten hocken, sehe fröhlich gekleidete Kinder spielen. Und sehe in schlichte, weiträumige Moscheen. Ich sitze in den Bazargäßchen, schaue den Lederarbeitern zu, den Silberschmieden, den Tuchhändlern, dem Wechsler, der mit den duros klimpert. Ich höre den Gesang vom Minarett, die Bläser und Trommler, sehe die Beerdigungen mit Lärm vorüberziehen, sehe die Kinder in den Schulen hocken und Holztafeln beschreiben. Sehe die Moslems auf den Gräbern sich unterhalten und sehe vornehme Gestalten mit Gebetteppich und Koran zur Moschee schreiten. Sehe große Ruhe und stille Größe.

Bild: Gustav Wolf

Am Sultanspalast in Tetuan (Marokko)

 

 

Wieder fällt der Blick zurück auf schmutzige Schalen. In der Judenstadt: würdelos kriechend, schlau schmeichelnd und protzig auftrumpfend, wie die Esel, die nur Hiebe bekommen und schleppen. Im Hotel: fette, nackte Spanierinnen, lümmeln und ludern herum. Und ich begreife Ekel und Abscheu der Mauren vor dieser Schamlosigkeit und diesem Dünkel. In der Gasse: Verkrüppelungen, Menschen ohne Lippen, ohne Nase, ohne Augen. Menschen mit abgefressenen Gesichtsteilen, so daß der Schädel heraussieht, der Kieferknochen. Menschentiere, die auf allen Vieren herumhüpfen. Bettler mit Kuhfladen im Haar, verfilzt, verlaust.

Bild: Gustav Wolf

Straße in Tetuan beim Tore von Tanger

 

 

Die Wolken ziehen greifbar nahe über die Stadt, Raubvögel streichen über die Dächer. Wenn man aus dem Stadttor tritt, hagelt der Wind feine Sandkörnchen auf die Haut, in die Augen. Die Landschaft liegt unter dicker Staubschicht. Man glaubt in einer Schneelandschaft zu stehen. Der Himmel ist fahl, bleigrau, wie durch eine schwarze Brille gesehen. Oder weißlich. Das Licht hart, grell und ohne Übergänge.

Bild: Gustav Wolf

Knabe

 

 

Bei dem und jenem schwindet Argwohn und Mißtrauen. Frauen bleiben stehen, jagen die Kinder weg, gucken verstohlen zu, grüßen und reden gar. Wenn ich an einer Türe stehe, öffnet sich heimlich ein Spalt, und klare, runde Gesichter mit großen Kinderaugen staunen neugierig heraus. Hinter einem vergitterten Fensterchen erscheint ein blasser, freundlicher Mädchenkopf und verschwindet, sobald ein Maure sich nähert. Und oft, wenn ich auf einer Schwelle sitze oder, in eine Ecke geduckt, etwas hastig notiere und mich umsehe, sitzt mir einer dieser großen, vornehmen, stillen Menschen gegenüber in blütenweißem Gewande, gepflegt, und ein großes, ruhiges Kinderantlitz sieht betend oder beschaulich ruhend auf mich und durch mich hindurch, als ob ich Luft wäre. Und ich schäme mich vor ihm, meiner Hast, meiner schmutzigen Kleidung und des Anhangens an äußere Bilder. Daß ich einen Bleistift bei mir trage, beschämt mich. Und manchmal glaube ich einen verächtlichen Zug oder einen mitleidigen an ihnen zu bemerken: armer Tropf, mit was für äußerlichem Zeug gibst du dich ab. Türpfosten, Fußböden und getünchte Wände interessieren dich, Winkel und Kanten, niedere Existenz! Ich raffe mein Zeug zusammen und laufe davon.

Bild: Gustav Wolf

Am Eingang zu einem Schlaflokale der Moros. Sie hocken an der Mauer entlang und warten auf die Schlafenszeit. Solange erzählt einer halblaut Märchen, die andern hören still-beglückt zu. Die Zeit fließt irgendwo, weit weg, vorüber, in einem anderen Erdteile.

 

 

Und bin im nächsten Augenblick wieder mitten im Strom: Vier Männer tragen einen Toten vorbei. Ein Umzug mit Gesang kommt vorüber. Auf einem Plätzchen ein Gaukler. Ein Märchenerzähler hockt in einer Gruppe. Ein religiöser Fanatiker hält eine Ansprache. Am spanischen Platze vor den Cafés lungert abgetriebenes Europa, Entgleiste, Ausgerissene, Flüchtige und Süchtige. Zwischendurch laufen Mauren, führen sich an der Hand wie Kinder.

Und wieder im Mohrencafé. Eine leise Flöte. Gesumm. Und alle sind freudiger, leichter Seele. Wir schlürfen den heißen Tee zusammen, rauchen zusammen ein Pfeifchen.

Bild: Gustav Wolf

Die Kaufleute hocken vor ihren Bazaren auf Teppichen inmitten ihrer Gegenstände. Wenn der Muezzin zum Gebete ruft, bitten sie mich, auf ihre Waren zu achten, und gehen unbesorgt in die Moschee. Zu einem Deutschen haben sie grenzenloses Vertrauen.

 

 

Auf der Straße Juden, den Kindern ein Gespött, krumm, einseitig, verkommen, verdorben.

Den Kalifen, den Sultan und den Großvezier und diesen und jenen erhabenen Herrn sehe ich in einem kleinen Kramlädchen sitzen, als Schuhmacher in einer Budick hocken oder irgendwo Erdnüsse verkaufen oder Stoffe.

Bild: Gustav Wolf

Am Rande der Stadt gegen das Tangertor. Links vom Tore ein Eingang in eine Gasse

 

 

Das Leben flutet vorüber; das läßt sich nicht beschreiben oder formen oder darstellen. Das ist Gewoge, Bewegung, Brandung, Aufschäumen, Sichüberstürzen wie das Meer. Ungeheuerlich und schillernd, tausendfältig. Das ist die Fülle.

Diese Bazargäßchen sind wie Schläuche voll quirlenden, gurgelnden Lebens. Es flutet, zischt, brandet, drängt und stößt. Die kleinen Buden rufen, locken, ziehen und zerren den Vorübergehenden herein, nicht nur die Händler, die sind nur die Stimmen der Räume. Vor den Lädchen hocken Raucher, Kaffeetrinker.

Mitten im Gewühl liegen Schlafende, hocken Männer nieder, reden. Tausend und aber tausend Bilder, wohin man sieht.

Rings umher betet man leise, singt psalmodierend. Mitten im Getriebe schlafen Männer auf Treppenstufen, auf dem Boden, sitzen Verkäufer in Seelenruhe da, hocken alte Männer beschaulich, sind Betende versunken. Und da man aufblickt, ragt ein zartes Minarett herein.

Nichts ist hier im Werden, im Auftürmen, nichts Blick in die Zukunft: Alles ist Sein, Zustand. In allem Strömen ist Ruhe. Beschauliches Sein ist in aller Bewegung. Buntes, bewegtes Leben rundet sich immer zum Bilde.

Die Dinge sind alle verlebt, die Mauern, die Lehnbänke der Moros, die Tücher, die Kaffeekännchen, sie sind alle bepackt und behängt mit Leben. Jedes Brett. Zeder Fetzen.

Bild: Gustav Wolf

Es gibt Eingeborene im Dienste der Spanier, übereifrige Renegaten, sie hocken unter den anderen und bespitzeln sie.

 

 

Im Bazar der Gewürzkrämer: eng, klein, zierlich ist hier alles. Die Läden sind wie Schränkchen mit hundert Fächerchen. Darinnen hockt, zusammengekauert – stößt mit dem Turban an das Deckchen – eine stille Gestalt, den Rosenkranz in den Fingern. (Wie wenig Raum braucht solch ein Mensch!) Weiße Prophetenbärte leuchten aus dem Dunkel, ein scharfes Profil. Ein Limonadenverkäufer schlürft mit den Messingtellern klappernd vorüber. Einer trägt einen Stoß Strümpfe vorbei. Ein anderer Stöcke. Ein dritter Tarbuschs, Brote, Kringeln oder Zuckerwaren. Ich sitze bei einem der stummen Gewürzkrämer und sehe dem zu. Zimt, Pfeffer, Ingwer, Körner, Wurzeln Knollen und Zerriebenes. Starke, leuchtende Farben, schwere Gerüche.

Bild: Gustav Wolf

Tafel X Im Alcazar zu Sevilla. Salon de Embajadores

 

 

Wozu noch Märchen, Geschichten, Erdachtes und Hergeholtes? Hier ist alles Wunder, Märchen, Gaukelei. Bunt, voller Schicksale, sind die Gestalten. Voller Leidenschaften, Freuden und Stille die Antlitze.

Bild: Gustav Wolf

An jedem Abhange, auf jedem Steine hockt einer

 

 

Nachts in den verlassenen Bazaren. Zerfallenes Mauerwerk, zersplitterte Balken, Fetzen von alten Säcken hängen herunter. Aller Glanz und alle Herrlichkeit ist verschwunden. Es blieb nur grauer Schmutz. – Wer kennt die Schönheit der Bazare? Wer weiß, wie gut es ist, unter diesen Menschen zu sitzen? Mit ihnen Kaffee zu trinken, ihnen zuzuschauen? Den Schund und Wust, der für die Fremden gemacht wird, wegzuschieben, und verborgene Schönheiten zu entdecken? Anspruchslose, gute Dinge? Harmlose, einfältige Dinge, die voller Leben und Art sind? Das Theater der Verkäufer ruhig an sich abrollen zu lassen? Beteuerungen, Schwüre, Flüche, Vorwürfe, Zornausbrüche und alle diese naiven Mittel der kindlichen Betrüger? Wie bald sind sie am Ende, das Ensemble der drei- oder vierköpfigen Truppe von Akteuren! Der eine lockt an, der andere jagt davon, der dritte jammert über die Gewissenlosigkeit der zwei, und der vierte nimmt dich vertraulich beiseite und schimpft über die drei anderen. Er ist ganz dein Freund und Berater gegen die andern. Hast du aber diese Komödie ausgehalten, so klatscht dir, dem Publikum, der Akteur Beifall, der Schauspieler ruft dem Zuschauer Bravo zu. –

Bild: Gustav Wolf

Ein blinder Bettler mit einer hölzernen Schale sitzt an der Straße

 

 

Wieder durch enge Bazargäßchen, durch eine Scheune, durch ein Gewölbe und durch enge Schlupfwinkel. Da sitzen noch in dunkelster Enge in ihren Schränkchen, mit den wallenden Prophetenbärten, die Greise, und ihre Rosenkränze gleiten durch die Finger. Sie bewegen die Lippen lautlos. Ihr weißes Gewand leuchtet auf tiefem, schwerem Schattendunkel. Sie umwehen die Düfte des Orients: Lawendel, Lotus, Jasmin und Rosen.

Bild: Gustav Wolf

Ein alter Berber. Als er hörte, daß ich Deutscher sei, sagte er: »Aleman buon, Spaniol+...« da machte er die Geste des Halsabschneidens.

 

 

In großen Mörsern werden graue, erdfarbene Massen zerstoßen, und in weiten Körben häufen sich die Gewürze in glühenden Farben.

– Ich wollte nichts mehr aufschreiben. Das schien mir unwürdig, niedrig. Aber dann sah ich, wie der Europäer dieses Land anschaut und diese Menschen: als eine Fastnacht, als eine Belustigung für ihn. Der Ton der Überlegenheit und die unbekümmerte Spottlust des Europäers reizte mich, und ich schrieb wieder. –

Vor der Stadt liegt der Friedhof der Moros. Sie sitzen auf den Gräbern in leisem Gespräche. Es ist ihnen ein fröhlich geselliger Ort.

Bild: Gustav Wolf

Straße vor einem Stadttore. Bei nahender Dunkelheit werden die Tore geschlossen, und niemand darf mehr herein oder hinaus.

 

 

Weit draußen der Friedhof der Juden. Frauen in schwarzen Kleidern und weißseidenen Tüchern werfen sich über die Steine, weinen und klagen laut. Kinder singen. Männer kommen in reinen, schwarzen Gewändern mit reicher Stickerei. Ich habe sie alle schon gesehen, die Schuhmacher, Schmiede und Lastträger, die Silberschmiede, Weber und Blechner.

Bild: Gustav Wolf

Gasse in der Judenstadt zu Tetuan

 

 

Im Dunkel einer überwölbten, entlegenen Gasse trat ein Mann neben mich, ganz nahe, zitternd vor Aufregung, die Hand am Dolche.

Bild: Gustav Wolf

Der Friedhof der Juden auf einem Hügel bei Tetuan. Die Steine liegen flach. Der Boden zwischen den Steinen ist übermauert.

 

 

Aber er überlegte zu lange, es kamen Menschen daher. Da spürte ich die Lage, die Wut. Oft, wenn sie mich für einen Spanier halten, beißen sie die Zähne zusammen, und ich begreife die Unmenge von Truppen und Polizei. Die Atmosphäre ist übervoll, es wetterleuchtet.

Ich bin mit dem deutschen Konsul zum Großvezier eingeladen, seinen Palast anzusehen. Ein Diener öffnet das schwere Tor. Wir sind im hellen Innenhofe mit Loggien, Veranden, offenen Hallen. Wir gehen durch alle Räume, durch drei Stockwerke, niemand begegnet uns. Was für eine großartige Geste!

Bild: Gustav Wolf

Auf einer Straße vor der Stadt

 

 

Die leichte, heitere Architektur ist bunt bemalt, die Böden sind mit dicken Teppichen belegt, die Wände mit appliziertem Stoff bespannt. Breite, niedere Diwane von ungeheurer Länge ziehen sich durch alle Räume. Aber da und dort stehen europäische Schränke und Vitrinen, hängen Uhren und Spiegel. Ganz oben im dritten Stocke des für uns geleerten Hauses, in einem großen, weißen Saale – rechts und links standen je zwei Knaben in Fez und Burnus – saß im Sessel der Großvezier vor dem hohen Fenster und schaute über das abendlich glühende Land aufs ferne Meer. Die Knaben zogen sich zur Wand zurück. Der Vezier kam auf uns zu, und eine freundliche Handbewegung führte uns zu den bereitgestellten Sesseln. Wir schauten lange Zeit stumm über die glühende Ebene.

Bild: Gustav Wolf

Straße bei Tetuan gegen das Meer zu

 

 

Abends allein auf dem Markte. Die Bazare sind geschlossen, leer und finster, und es stürmt. Aus der Ferne kommen langgezogene Klagelaute aus einer Moschee. In einer Ecke plärrt eine Bettlerin ihr ewig gleiches Sprüchlein von Abd el Kadr. Drei Bettler hocken zusammengekauert in ihren Lumpen an einer Mauer und schlafen. Vereinzelt liegen auch Schläfer auf der Erde. Ein Letzter macht seine Bude zu. Wie eine leere Schale, ohne Inhalt liegt der Platz da. Das Leben des Tages ist ausgeleert, abgeflossen.

Bild: Gustav Wolf

Tafel XI Sevilla am Abend. Der Hafen am Guadalquivir mit Torre del Oro

 

 

Ich ziehe mich am Stricke in ein Café hinauf. An der Wand hängen primitive Drucke von Sultanen und Kalifen. Auf einem Bilde stößt ein maurischer Reiter einem dicken Europäer das Schwert durch den Wanst, daß es hinten wieder herauskommt. Auf dem Boden liegen Moros auf Matten, schlürfen glühheißen Tee mit starkwürzigem Kraut darin. Wir sind schon Freunde, und ich störe ihre Fröhlichkeit nicht. Es ist einer dabei, der war in deutscher Kriegsgefangenschaft und erzählt den anderen von den guten Deutschen. Und mir erzählt er, wie die Franzosen ihn zum Dienste gepreßt hatten.

Bild: Gustav Wolf

Das Land bei Tetuan gegen das Meer zu. Eine weite Ebene mit einzelnen Gehöften und Städtchen Da ich wieder spät nachts über den Markt gehe, hockt der aussätzige Knabe allein und verlassen da und brät sich Kartoffeln über glühenden Kohlen. Er lebt wie ein Tier, nachts in eine Mauerecke geduckt. Auf der Plaza de España ist's leer. Nur Gruppen von Mauren hocken an den Wänden entlang. In meinem kleinen spanischen Hotel treiben Offiziere und Soldaten mit ihren Weibern ihr Wesen. Und die Spanier sitzen inmitten des Trödels, den sie mit herübergebracht haben, Kino und Grammophon, Photos und Bars.

 

 

Bild: Gustav Wolf

Eine Frau vom Lande, die Gemüse, Holz oder Früchte zur Stadt brachte. Über Schleiern und dicken weißen Wolltüchern sitzt noch ein riesiger Strohhut mit roten Wollseilen. Die Nägel der Finger und Fußzehen sind mit Henna rot gefärbt. Viel Schmuck, Spangen und silberne Gehänge. Unter dem Überwurf bunte Kleider.

 

 

Ferner Kanonendonner. Die stillen Männer sehen aus ihrer großen Ruhe auf das hastige, wichtige Getriebe der Spanier, stolz und unbeirrt. Sind nicht diese Ruhenden die Lebendigen und wir die Lemuren, die aufgeregten Gespenster? Wir sind zerwühlt, zerrissen und tragen verzerrte Gesichter, gehetzt und verstört. Sie schauen erstaunt aus klaren Kinderaugen.

Bild: Gustav Wolf

Ein Rifkabyle in weißem, dickem, wollenem Burnus mit Kapuze. Das sind die Kerle, die mitten unter den Spaniern herumlaufen und nicht zu fassen sind, wilde und rohe Krieger voll Stolz und ungebrochenen Willens.

 

 

Dunstfetzen jagen in fliegender Hast am Himmel. Sie segeln um die Bergspitzen herum und rennen wie besessene Gäule davon. Die bleigraue Decke ist zerrissen, der Himmel wird milchig. Ungeheure, fahlglühende Streifen schießen quer über den Zenith, wie Finger einer unirdischen Hand. Dann ist Totenstille. Beklemmender, lähmender Druck senkt sich auf Menschen, Tiere und alles Wesen, schlägt alles Leben zu Boden. Auf der Erde, auf Gewächsen und Mauerwerk liegt eine dicke, ödgraue Staubdecke. Der Himmel wird schwärzlich. Auf der Seele lastet die Dumpfheit ungeheuerlich, abgründig, maßlos, hoffnungslos.

Bild: Gustav Wolf

Straßenszene unter einem Durchgang in Tetuan

 

 

Der Morphiumsüchtige kommt auf mich zu, redet auf mich ein, hastig, abgerissen, sich überstürzend. Redet von Entgleisten und Verkommenen, von Defraudanten, Kokainisten, Fremdenlegionären und Kommunisten. Scheu, geduckt, immer auf dem Sprung und bereit, fortzurennen, ängstlich vor dem Lichte und vor den Menschen. Geheimnisvoll zieht er Photos aus der Tasche: eine leere Kammer, deren Boden mit abgeschnittenen Kinderköpfen bedeckt ist. Eine andere: ein aufgehängter Moro, der sie geschlachtet hat. Ohne Abschied rennt er geduckt davon. Scheue, verprügelte Judengestalten schleichen vorüber, unterwürfig, mißtrauisch, hinterhältig, verdorben.

Bild: Gustav Wolf

Ein alter Maure mit hellem Überwurf über buntem Gewande

 

 

Und hohe, finstere Kabylen mit schwarzen Bärten und blitzenden Augen schreiten vorbei, den Blick in die Weite gerichtet, tragen noch blutende Widderköpfe in der Hand, lässig, achtlos.

Ich ziehe mich am Strohseil in das Mohrencafé hinauf, hocke zwischen braunen und schwarzen Menschen. Sie fletschen die Zähne und grinsen freundlich. Wilde Gesichter. Dumpf tönt die Tontrommel, fanatisch, verhalten. Sie klatschen die Waden im Takt. Der Rhythmus summt im Blute, beschwingt wohlig, betäubt.

Bild: Gustav Wolf

Ein gebildeter Moro, er redet fließend Französisch, begegnet mir öfter. Er ist immer sehr freundlich, begleitet mich und redet viel von seinen Landsleuten als von »ungebildeten Menschen«, »niedrigem Pack«. Ich sehe, daß er von den andern mißtrauisch angesehen wird, daß er verachtet wird. Als ich wieder einmal mit ihm über die Plaza de España gehe, stürzt er plötzlich davon: »Ah, mon officier!« Er ist Dolmetscher bei einem spanischen Offizier.

 

 


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