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Granada. Bauten, schön wie Träume. Aus dumpfen, lastenden Kathedralen, deren ungeheure Massen niederschmettern, deren Strahlenbündel, Goldgeflimmer, Pracht und Pathos wie mit Pauken und Trompeten den Menschen überfallen, kam ich in diese himmlisch heitere und reine Musik leichter Bogen, durchbrochener Wände, singender, spielender Ornamentik. Aber rasch zerfiel mir die Freude wieder, und ich sah Kulissen, Operndekorationen, herabhängende Spitzen ohne Idee, ohne lebendige Empfindung, Filigran, Goldschmiedearbeit ohne Architektur. Und wieder erhob sich über den Trümmern meiner Anschauung ein Neues, Großes: die Decken und Kuppeln der Alhambra. Träume, Blumen, geronnener Raum. Gespinste von Raum. Das glitzert und flimmert und schimmert und ist duftig wie Schaum. Ist schönste Dichtung, sichtbar gewordene feinste Schwingung des Geistes. Wie eine Riesenblume ist die Kuppel. (Ich sah lange Zeit einer Hummel zu, die immer wieder in die Mitte flog und Honig suchte und nicht wegging.) Und sie ist wie ein Sternhimmel, rätselhaft, unfaßlich. Man greift in den Raum hinein, weiter und weiter ohne Ende. Dies ist unfaßbar wie der Himmel selbst. Da ist eine höchste Kunst ohne Darstellung, da redet stärkstes Empfinden, hier ist Menschenwort und seine Macht evident und beglückt. Ornament ist von der Wand befreit, in den Raum gehoben, in Welt verwoben und wird zu lebendigem Worte. Das ist Wunderwerk.

Bild: Gustav Wolf

Granada. Brücke am Darro unter der Alhambra

 

 

Nun sitze ich Stunden und Stunden unter dieser Offenbarung des Menschengeistes und fasse das nicht. Das läßt sich nicht wiedergeben, nicht sagen. Es lebt in dieser einmaligen Form, es ist aus Händen hervorgegangen, gespielt, gesungen, unsagbar schön und rein und glänzt wie die Facetten des Diamanten. Es rieselt herunter wie Spitzengewebe, leicht wie Schaum. Es ist wie der Hauch, der Duft der Blumen, und ich sitze Tag um Tag unter diesem seligen Traume, an plätschernden Springbrunnen, vor wunderbaren Bildern. Und rühre nichts an, würde mich schämen, lasse mir alles entgehen. (Was hab' ich mir schon entgehen lassen!) Werde es nie bereuen. Denn das sind die Tage hohen Glückes.

Bild: Gustav Wolf

Granada. Blick von den Gärten des Generalife über die Stadt und auf die Ausläufer der Sierra Nevada

 

 

In der Nacht wach' ich auf und weiß: auf feinsten Schwingungen beruht die Welt, auf unwägbaren, unmeßbaren, auf zarten Empfindungen, groben Händen unertastbar. Leiseste Schwingungen entscheiden über Leben und Tod der Menschen, Völker, Kulturen. Unerrechenbare Regungen, die nur erahnt, erfühlt werden können von empfindsamer Seele. Plumpheit des Geistes, nur dem Derbhandgreiflichen empfänglich, zerreißt die feinsten Lebensströme, zertritt die zartesten Fäden. Derber Wille und rohe Macht vernichten die feinen Bindungen. Was aber in tiefster, stillster Nacht an leisesten Regungen im Menschen und in allen Wesen heraufsteigt, entscheidet die Dinge des hellen Mittags. Die zartesten Ahnungen und Instinkte, die aus letzter Stille hervordämmern, geben Lauf und Ziel dem Strömen und Wogen, dem Branden und Kämpfen des heißen Tages, scheiden entzwei die Schicksale.

Bild: Gustav Wolf

Schnee auf der Sierra Nevada hinter den Gärten des Generalife

 

 

Ich sitze in den Bauten und sehe dem Spiel der Ornamente zu, dem reichen, schönen, fröhlichen Spiele ohne Vorstellung und Idee. An jeder Ecke sitzt ein Deutscher in Nagelschuhen, die Nase an der Wand, den

Bild: Gustav Wolf

Tafel VII Die Salzsümpfe bei Cadiz

 

 

groben Sack neben sich. Sie arbeiten immer, sehen nicht auf, sie notieren, tragen zusammen, messen aus und sind, wenn man sie kennen lernt, voll ernsten Strebens. Die andern lächeln über sie, das Arbeitsvolk mit dem Kult der Arbeit, das schlecht gekleidet ist. Die Franzosen photographieren sich im Löwenhof, die Hand auf einem Löwenkopfe.

Die Spanier leben in innerem Frieden, liebevoll zueinander, düster im Glauben, aufwallend und überströmend.

Beerdigungen kommen unter meinem Fenster vorbei; die der Armen sind einfach: einige Männer gehen hinter der Kiste her, die Freunde, in schmutzigen Alltagskleidern, kein Priester, nichts.

Vieles ist kraß, die Reichen vor den Klubhäusern, die Armen, die wie das Vieh leben, Mord und Diktatur, Inferiorität und subalternes Empfinden. Unsägliches Krüppeltum.

Eine falsche Peseta verfolgt mich, ein dumpfes Ding aus Blei, ist schon dreimal zu mir zurückgekommen.

Ich saß eine Stunde unter einem Torbogen, neben einem blinden Bettler mit seinem Kinde. Die harmlose Fröhlichkeit des Kindes beglückte. Es stupste den Mann und rannte mit dem Tellerchen, wenn Fremde vorbeikamen, daß er spiele, und neckte ihn, wenn es nichts bekommen hatte. War immer gleich heiter, erfüllte seine Pflicht gewissenhaft und spielte dabei kindlich. Auch der Alte war immer fröhlich. Er behandelte mich kollegial. Ebenso Zigeunerinnen, die sich zu mir setzten, freundschaftlich und vertraut, erzählten, unbefangen und fröhlich.

Caballeros in grauem, hohem Zylinder reiten ans Café, binden die Pferde an der Türe an.

Beim Essen in der kleinen Pension, mitten in heiteren Gesprächen, springen plötzlich zwei Leute auf, die Messer in der Faust, der eine tief rot, der andere leichenfahl. Später ging der eine wieder mit in die Stadt Bier trinken und schwärmte für Silva nera und Friburgo und deklamierte wieder hingerissen die neuesten Gedichte eines spanischen Dichters. Bramarbas und Don Quichote.

Viele maurische Bauten, Hotels, Banken. Immer gleich plump, roh und gefühllos wie die der Moriskos. Vom Geiste verlassen und von der Seele. Anempfundenes, Zerfallendes, Untergehendes.

 

Rosen, Zypressen, Oleander, Lorbeer, Zedern und Ahorn. Ölbäume, Bux, Orangen und wieder Rosen. Rosen ohne Zahl. Wasserstürze, Läufe und Fontänen. Ungeheure Zedern, uralte Zypressen, Bambus. Das weite Land, die glühende Stadt. Der Komplex der Alhambra brennend im Licht. Die Schneeberge der Sierra Nevada greifbar nahe.

Bild: Gustav Wolf

Granada gegen die Ebene zu

 

 

Kristallklare Luft. Gärten und Gärten und Haine von märchenhafter Pracht. Duft und Leuchten und Glühen. Traumhaft zarte, heitere Bauten, Märchenschloß und Gralsburg. Nachtigallen im kühlen Parke, tropisches Geschlinge. Berge von Blumen. Leicht beschwingte Freude des Südens.

Bild: Gustav Wolf

Stück aus einer Altarwand in der Kathedrale zu Granada

 

 

Ein Duft von Nelken und Rosen über der Stadt und über den Gärten des Generalife.

Die Menschen sind liebenswürdig und von grenzenloser Güte. Die Gärten paradiesisch und der Duft der Blumen betäubt. Weit weg ist Haß und Schmutz, Not und Verranntheit. Hier sind Kirchen, Frauen, Blumen. Das alles ist zu schön, zu viel, das erträgt man nicht. Es zieht mich fort. Ich sitze in der Kathedrale und höre stundenlang den Priestern zu, ihrem eintönigen Wechselgesang, trinke abends mit den Studenten Wein (und möchte nur einmal bezahlen dürfen!), Übe auch gelegentlich einmal mein ehrsames Handwerk aus.

 

Morgen will ich wegfahren. Ich gehe noch einmal in die Kathedrale. Ungeheuer steigt der Raum empor, hebt sich an mächtigen Pfeilern hoch, ruht aus auf einem Gesimse, strebt weiter, übersteigt sich und wird endlich von Gewölben umspannt. Ungeheure Massen steigen auf, wuchtend und erdrückend. Es glänzt und strahlt und leuchtet von Gold. Schwere, barocke Formen überwuchern die Wände. Altäre bauen sich auf in unerhörter Pracht. Dunkelheiten fangen sich in Nischen und Ecken, Lichtbündel stürzen von der Höhe herab. Es leuchtet, glüht und gleißt.

Riesenhafte Folianten. Düsterer Männergesang und helle Kinderstimmen. Bild und Blume und Weihrauch. Musik und dunkelglühende Sprache.

Zaghaft gleitet der Blick die ungeheuren weißen Wände empor, haftet an dem Goldgefunkel einer Altarwand, das als eine goldene Brandung anflutet. Wie Meereswogen ziehen die großen Formen daher, zerschellen wie Meereswogen am Felsenufer, erheben sich aus der Wand, überstürzen sich und verebben in rhythmischen Tänzen von Reihen und Ketten gekräuselter Wellen, in luftigem Spiele von Gischt und Schaum. Aus geballten Dunkelheiten blitzt es aus, verwirrend, unübersehbar. Reichtum ohne Maß und Ziel.

Ungeheurer Ansturm der Seelen hat dieses aufgetürmt, unergründliche Woge der Erhebung hat dieses Land überflutet, unwiderstehliche Macht überrannt, das Andere weggefegt und im Siegestaumel diese ungeheueren Kathedralen aufgerichtet. Gigantische Bewegung flammt noch im äußersten Steine. Die Menschen sind schattenhaft in diesen Gewölben, wesenlos, hilflos und zerschlagen.

Bild: Gustav Wolf

Die Schneeberge der Sierra Nevada bei Granada

 

 

Ich bin noch einmal heraufgestiegen durch die seltsam durchfunkelte, düstere Kühle des Alhambraparks, des Nachtigallenparks, in die Gärten des Generalife. Die nahen Hügel flammen rotglühend in den tiefen Himmel. Ich gehe noch einmal durch den geträumten Garten, zwischen tausend roten Rosen, unter Lorbeer, uralten Zypressen, ungeheuren Zedern, Buxbäumen und Bambus, Ahorn, Wein und Orangen. Zwischen Fontänen und Kaskaden. Eiskaltes Wasser vom Gebirge stürzt an allen Enden herein. Tief unten liegt durchglüht, brennend, die Stadt, dehnt sich hinaus in die endlose Ebene, steigt die Hügel hinauf und endet auf den Kuppen der Berge in einsamen Kirchen. Und all das liegt in Brand und Glut, flammt und zittert im Licht.

Leicht und kapriziös fügen sich die Räume des Schlößchens aneinander. Nirgends ist Schwere. Drüben ordnen sich in ziegelroter Glut die Bauten der Alhambra. Ein Duft von Rosen und Nelken ruht über der Stadt. Drunten in den Straßen liegen Berge roter Nelken. Esel schleppen Lasten davon an, groß wie Heuhaufen. Und schwere Düfte tropischer Gewächse schweben über Fluß und Bogen und Kathedrale.

Viele Tage war ich drüben in der Alhambra gesessen. Anfangs waren mir nach all den vielen düsteren, zerschmetternden Domen diese Räume eine Erlösung, die Leichtigkeit und der Duft dieser zarten Raumgespinste war beglückend. Es tropfte und rieselte von den Wänden, rann und versponn sich. Zarte Gewebe gesponnenen Raumes, gespielt, nicht erdacht, gesungen, nicht erschaffen, geträumt aus herrlicher Heiterkeit der Seele, nicht hervorgegangen aus dumpfwühlendem Willen, märchenschöne Rhythmen, Musik.

Dann war ich aber irre geworden an dieser Kunst, ich sah nur noch leeres Geklingel, berückend zwar und berauschend, und ich war daraus geflohen in diese Gärten. Hier war Ruhe.

Auch kein Engländer, der sich von einem schlauen Interpreten etwas vorfaseln läßt, kein Franzose, der madame vor einer Säule knipst, kein Deutscher saß da, die Nase an der Wand, und zeichnete Ornamente ab.

 

Ich habe die Seelen kämpfen gesehen, die Ideen streiten. Ich sah das Anbranden und Verlöschen eines Geistes. Sah Triumph und Ende. Wo Schlösser und Tempel gestanden, sah ich räudige Hunde spielen, Lastträger rasten, Zigeuner in Felsenlöchern hausen. Einen anderen Gott sah ich einziehen, andere Erhebungen – und alles war »für die Ewigkeit«. –

Ich sah, wie der Geist sich seßhaft macht in einer Anschauung und anfängt, aufzutürmen, Ungeheueres aufzubauen. Sah, wie er eingeht in die Materie, in ihr aufgeht, in ihr untergeht. Sah alles Gebaute zur Ruine werden, Leben zu Kadaver, sah verwesen, was weste.

Und immer, wenn ich vom Meere an den Rand des Landes kam, wenn eine glühende Stadt auftauchte am Horizont, sah ich dasselbe Spiel, und ging gern wieder hinaus aufs offene Meer, aufs ungeformte, endlose, unberührte und unberührbare, freie Meer.

Und ich sah auch, welch ungebrochene Heiterkeit der Seele in mir ist, daß ich nicht eingehe in ein Geformtes, mich nicht niedersetze in eine Anschauung, mich nicht niederlasse in einem Kreise. – Daß ich schlechte Malereien gemacht habe, wird mir ein gütiges Geschick verzeihen, denn was für mich ist, ist das: ich habe mein Leben nie langweilig werden lassen, zerriß, verzichtete. Und ich kann auch heute noch wandern. Im Geiste und in der Welt. Und das scheint mir die größte Freiheit darzustellen und den wahren Gottesdienst. –

Bild: Gustav Wolf

Der Hafen von Algeciras

 

 

Wieder unten in der Stadt. Aus dem Paseo am Darro. Stolz läßt sich der Caballero anstaunen auf dem tänzelnden Pferde. Die Frauen tragen rote Rosen im Haar. Edle, rassige Erscheinungen fahren in Karossen und Autos vorbei. Der Schnee der Sierra Nevada liegt in der scheidenden Sonne wie glühender Wein: eine größere Welt, herb und rein, schaut herein in dieses Menschentreiben. Gentilezza und Grandezza auf Schritt und Tritt. Im übrigen umarmen sie sich oder stechen sich nieder, beten oder verlustieren sich. Meistens tun sie aber auch das nicht, sondern sind einfach da, edel, vornehm. Und das genügt.

In den letzten Tagen kamen Trupps von deutschen Wandervögeln an zu 15–20 Mann. Kniehosen, Samtjacketts, Nagelschuhe, Schillerkragen, Laute, Lederzeug, verschwitzt und auffallend. Sie ziehen singend und bettelnd mit wehenden Standarten durchs Land und glauben Propaganda für Deutschland zu machen. Die Spanier sind so unglaublich nette Leute, sie lächeln, bestaunen die groben Knochen, das lange Gestell und sind, wie immer, liebenswürdig.


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