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Darin hatte aber Käte doch nicht recht, wenn sie glaubte, es sei keine wahre, echte Liebe, was Oskar Stein für sie fühlte. Weil er in seinem Briefe geschraubte, gewundene Redensarten machte, glaubte sie, sie könnten auch nicht wahr und aufrichtig empfunden sein. Aber darin irrte Käte.
Wann wäre Oskar Stein je ganz natürlich gewesen, ganz wahr gegen sich selbst? Es war, als könne er nicht einfach und natürlich sein. Er posierte immer.
Als er aber den Brief des alten Brünnauer erhielt mit Kätes Absage, den Brief, in welchem Herr von Münstermann ihm schrieb, daß Käte nicht mehr frei sei, daß sie sein liebes, geliebtes Töchterchen werden wolle, da war es, als zerrisse etwas in dem unglücklichen Empfänger des Briefes. Es war, als risse ein Schleier entzwei, der zwischen ihm und seinem natürlich einfachen Empfinden gehangen hätte. Denn er hatte Käte lieb, wirklich und innig lieb und hatte sie schon damals geliebt, als er das kleine Mädchen kennen lernte, das noch so frisch und kindlich war, als er schon so unkindlich und verschroben gewesen war.
Aber er hatte diese Liebe nicht ihre reinigende, segensreiche Wirkung ausüben lassen, weil sein Inneres überwuchert war von dem Unkraut der Eitelkeit und verschrobener Ideen. Deshalb konnte sie auch keinen Widerhall wecken in der Brust des geliebten Mädchens, deshalb erschien sie diesem wie ein Hohn auf das hohe, heilige Gefühl, das sie selbst Liebe nannte.
Im ersten Augenblick, als er Kätes Absage erhielt, fühlte er nichts als Wut, grenzenlose Wut auf den begünstigten Bewerber.
Das ist ja der reiche einzige Sohn, der vornehme Mann! Ist's ein Wunder, daß Käte ihn wählt? So sind die Mädchen alle. Rang und Reichtum geht ihnen über treue Liebe, über ein gutes treues Herz.
Ach, die Ungetreue!
Er ballte den Brief zu einem Knäuel zusammen und schleuderte ihn in einen Winkel seines Zimmers, indes er mit großen Schritten darin auf und ab rannte, mit den Händen durch die hochstehenden Haare fuhr und wütend die Fäuste ballte.
»Ach, ich wollte, wollte ihr –«
Ja, was wollte er denn? Was hatte sie ihm denn versprochen, wann hatte sie ihm denn Hoffnung gemacht? Niemals!
Er stand plötzlich still.
Er dachte an Margarete Hagens Forderung: Sei ehrlich gegen dich selbst.
Margarete Hagen! Von ihr hatte er kürzlich auch einen Brief erhalten. Sie teilte ihm kurz und bündig mit, daß ihr Studium beendet sei und daß sie den Doktortitel und die Erlaubnis zur Ausübung des ärztlichen Berufes errungen habe.
Die hatte erreicht, was sie wollte. Sie war wirklich das moderne Weib geworden, das durchsetzt, was es sich vorgenommen hat. Ob sie glücklich war?
Fast möchte er's glauben.
Margarete war ein Mensch, der glücklich werden konnte durch Erreichung seiner Ziele. Ob sie wohl noch manchmal an ihn dachte und an die schönen Stunden, die sie zusammen verlebt? Sie hatte gesagt: »Sei ehrlich gegen dich selbst,« und jetzt war er's?
Nein! –
Plötzlich ging er in die Ecke des Zimmers, wo der zusammengeknitterte Brief lag. Er hob ihn auf, setzte sich an den Tisch und glättete das zerknüllte Papier sorgfältig.
Nun starrte er lange lange darauf hin.
Wie war ihm denn? War nicht jener Friedel Münstermann damals krank? Hatte er nicht später gehört, daß er nach Jahren noch immer krank sei? Dann dachte er an die alte Kinderfreundschaft, die Käte mit Münstermanns verband, und leise, ganz leise dämmerte ihm eine Ahnung auf von dem Zusammenhang zwischen dieser Freundschaft und Kätes Heirat. Ob diese Heirat ein Opfer war? Ein Opfer der Freundschaft!
Dann dachte er zurück.
Hatte Käte ihm jemals Gelegenheit gegeben, zu glauben, daß er ihr nicht gleichgültig sei?
Im Gegenteil!
Sie hatte es ihn immer und immer fühlen lassen, daß sie ihn nicht mochte! Verblendet war er gewesen, wenn er glaubte, eine Liebe erzwingen zu können, die nie vorhanden war.
Seine Hand strich noch immer mechanisch glättend über den weißen Bogen mit der energischen Männerhandschrift, ganz mechanisch.
Auf einmal durchschüttelte es seinen ganzen Körper, und er legte den Kopf auf den Tisch.
Er weinte.
Er hatte seit seinen Kindertagen keine Träne mehr gekannt. Jetzt weinte er. Er weinte über die Enttäuschung, die zerstörte Hoffnung, aber er weinte noch viel mehr über sich selbst.
Es war auf einmal seltsam klar in ihm geworden, und in dieser Helle sah er sich und seine Torheiten, seine Eitelkeiten.
Auch seine Ziele wurden ihm klar.
Was wollte er? Pfarrer werden nur um eine Stellung einzunehmen, um bald zu Brot zu kommen! Er dachte wieder an Margarete Hagens Wort. Sollte er noch umsatteln? Sollte er jetzt noch den anderen Beruf ergreifen? Wie im Fieber wogten seine Gefühle und Gedanken in ihm auf und ab. Oder konnte er ein anderer werden in sich selbst? Könnte er dem erwählten Berufe treu bleiben, aber seiner würdig werden? Konnte er ihn nicht noch verstehen lernen jetzt in seinem Ernst, in seiner Verantwortlichkeit? Nicht mehr allein als Versorgung ihn ansehen, nein, wirklich und in Wahrheit als Beruf!
Er sollte Talent haben zum Lehren.
O, auch dann konnte er lehren! Er lehrte ja die Kinder das Wichtigste und das Heiligste, was sie mit ins Leben nehmen sollen.
Und plötzlich stand er auf und trat ans Fenster. Er richtete sich hoch auf und sein Antlitz leuchtete. Jetzt sah er anders aus als sonst. Der Ausdruck war ein anderer und nicht der gesuchte, affektierte Ernst, der etwas bedeuten sollte, lag darauf wie früher, sondern der heilige Ernst inneren Erlebens, inneren Wollens.
Margarete Hagens Wort hatte ihn darauf gebracht, aber vollendet hatte Kätes Wesen, Kätes Leben der Pflicht und der Liebe, Kätes reine Persönlichkeit den Wandel in ihm. Nicht das moderne Mädchen mit seinen geistigen Errungenschaften hatte wirklich Macht über den Mann, die hatte auch heute noch allein das keusche, reine deutsche Weib!
Und wenn auch sein Herz noch zuckte in dem Schmerz um Kätes Verlust, er fühlte es jetzt, er war ihrer nicht würdig, so wie er war. Jetzt wollte er es werden, wenn er sie auch nicht mehr erringen konnte.
Leuchtend sollte ihr Bild vor seinen Augen stehen, und wenn er ihr je im Leben wieder begegnen sollte, wollte er ihr klar ins Antlitz sehen, und sie sollte ihn noch achten können!