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»Viel Vögel sind geflogen,
Viel Blumen sind verblüht,
Viel Wolken sind gezogen,
Viel Sterne sind verglüht.
Vom Fels aus Waldesbronnen
Sind Wasser viel geschäumt,
Viel Träume sind verronnen,
Die du, mein Herz, geträumt.«
Käte saß am Flügel – es war an demselben Tage, an dem ihr Vater in Stettin den Brief des Baron Lankwitz bekommen hatte – und sang mit ihrer schönen, sympathischen Altstimme die melodischen, traurigen Verse.
Dann blieb sie, in Gedanken verloren, sitzen und blickte hinüber aus dem Fenster, dahin, wo Freiwalde lag.
Elly war Braut! Seine Braut!
Wie doch das ihr Herz erzittern ließ in tiefem Weh! Gönnte sie es ihm nicht, daß er glücklich wurde? Sie wünschte es doch von Herzen! Ach! Es tat nur so weh, zu denken, daß er jetzt eine andere küßte, daß er sie vergessen hatte!
Sie dachte seiner noch immer und leise, heimlich hatte doch noch in ihrem Herzen die Hoffnung gelebt, daß ein Zufall kommen könnte, der sie noch zusammenbrächte. Es wäre doch möglich gewesen, daß Friedel ein anderes Mädchen gefunden hätte, das er lieben könnte, es war ja kein bindendes Wort zwischen ihnen gefallen.
Und nun war alles zu Ende! Alles und für ewig!
Sie deckte die Hände über die Augen, die heute keine Tränen fanden, aber sie glühten und brannten, als ob ein sengendes Feuer sie verzehre.
Fast könnte sie jetzt Friedel hassen, daß er sie so liebte!
Gott, mein Gott, warum ihr dies Schicksal? Warum? Und ihr heißes Herz bäumte sich auf.
Sie nannte es ein Opfer, das sie bringen mußte, und fragte verzweifelt, weshalb gerade ich? Weshalb mußte ich das Opfer sein?
Käte drückte die Hände auf das heftig schlagende Herz, sie preßte die Handflächen ineinander und saß weltverloren, alles vergessend, auf ihrem Platz.
»Mein Gott, hilf mir doch! Es ist eine Sünde, eine entsetzliche Sünde! Es ist der Neid, der in mir wühlt, der Neid, der ihn der anderen nicht gönnt. Solange er auch freudlos war, wie ich, solange er einsam blieb, solange konnte ich es tragen. Jetzt, wo er Trost, Ersatz, Gegenliebe gefunden hat, ist meine Beherrschung zu Ende!
Das ist Neid und Eifersucht, das ist Undank gegen mein Los, das noch so viel trauriger sein könnte. Habe ich hier nicht ein Heim gefunden?
Hat der Onkel nicht für die Eltern gesorgt, so gut er konnte? Wird nicht Edmund sogar im Violinspiel unterrichtet durch die Güte des Onkels, der die außerordentliche Begabung des Knaben nicht verkümmern lassen wollte!
Wohltaten und Liebestaten überall, und den Dank soll sein Sohn Friedel ernten.
Friedel selbst ist ein anderer geworden, er ist jetzt tüchtig und verständig. Er hat die böse Zeit wie eine Kinderkrankheit überwunden, und er liebt mich treu und innig.«
Und doch? – Und doch!
Dank fühlte sie und Freundschaft, aber sie konnte den anderen bis jetzt nicht vergessen.
Nun mußte es sein! Nun wurde ihre Liebe Sünde, weil er Elly gehörte. »Du sollst nicht begehren, was deines Nächsten ist, sei es nun Mann oder Weib.«
Sie wiederholte es sich immer von neuem!
Konnte er wohl ein lieberes Geschöpfchen wählen als Elly? Sie, die so ganz geschaffen war, einen Mann zu beglücken, einen Mann wie ihn.
Sie selbst paßte für Friedel ja viel besser. Er war ernst geblieben, er konnte die Aufheiterung und die Stütze gebrauchen. Sie wurde durch ihn ja Landfrau, wie sie es sich immer gewünscht hatte, sie, die mit allen Fasern an der Scholle haftete. Sie würde einen großen Wirkungskreis bekommen. Für viele sorgen und denken müssen, das ist ein glückliches Los. Viele erfreuen können, viele leiten müssen! Das alles wußte sie und hatte es sich oft gesagt, Brünnau war ein ebenso schöner Besitz wie Freiwalde.
Klaus Meinhardts Frau würde in weite Fernen mit ihm fahren. Freiwalde würde immer nur ein Absteigequartier für sie sein. Aber wenn sie, Käte, damals gewünscht hätte, er solle ganz hier bleiben, er hätte es getan.
Doch besser für ihn und seinen Beruf war es so. Aber der Besitz von Freiwalde war es ja nicht, der sie beeinflußt hatte.
Klaus könnte arm sein, wie sie, ganz arm und sie würde ihm anhangen in Not und Elend. Wenn – ja, wenn nicht damals ein Menschenleben an ihrer Entscheidung gehangen hätte! Sie konnte und durfte nicht anders. Sie konnte ihr Glück nicht aufbauen auf den Trümmern eines anderen Glückes.
Wäre sie doch erst so weit, zu sagen, Gott hat alles gut gemacht. Sie konnte es doch nicht! Leute noch nicht!
Da tat sich geräuschvoll die Tür auf. Ein weißhaariger Männerkopf sah herein und Herrn von Münstermanns liebe Stimme rief: »Donnerwetter, Maus, im Dunkeln ist gut munkeln, was machst du denn hier? Meine Pantoffeln kann ich nicht finden, und das Vesperbrot so allein hat mir auch nicht geschmeckt! Was machst du bloß hier?«
»Verzeih, Onkel!«
Käte war ganz erschrocken. Sie hatte es gar nicht gemerkt, daß es inzwischen ganz dunkel geworden war, so vertieft war sie in ihre Gedanken, den Onkel hatte sie ganz vergessen!
»Verzeih, Onkelchen,« sagte sie noch einmal, »ich komme schon!«
»Na, es ist so schlimm nicht, alte Deern, sieh nicht so bestürzt aus. Komme nur! Einen Brief habe ich auch für dich. Ich weiß nicht, es sieht nach einer Männerhand aus.«
»Eine Männerhandschrift?« Käte fuhr zusammen. Sollte Klaus? – Sollte er noch einmal zum Abschied? – Kätes Zähne schlugen wie im Fieber aufeinander.
Als sie ins Zimmer traten, wo schon die Lampe brannte, hielt sie geblendet die Hand über die Augen. Das grelle Licht tat ihren schmerzenden Augen weh.
»Da ist der Brief! Er duftet merkwürdig nach Parfüm, dazu will die Handschrift gar nicht passen. Na, mach den Wisch mal auf!«
Käte zögerte.
»Ach so? Meinst, es könnte etwas sein, was der alte Onkel nicht sehen dürfte? Na, dann lies ihn nur erst allein.«
Käte starrte noch immer auf den Brief.
Plötzlich erhellte sich ihr Gesicht und sie murmelte: »Die Handschrift muß ich doch kennen.« Sinnend blickte sie noch ein Weilchen darauf hin, dann sagte sie laut: »Denke dir, Onkel, ich glaube, das ist die Handschrift von dem Stein, dem Studenten, der damals bei uns war, vor Jahren, weißt du noch?«
»Herrje, Mädel, dann mach doch auf! Ich kenne dich doch sonst nicht als so unschlüssig. Bist doch sonst gleich bei der Hand mit allem.«
Käte öffnete den Brief und las.
Erst las sie mit Staunen, dann lächelnd, endlich mit hellem Lachen, ihrem alten, fröhlichen Lachen.
»Der Stein will mich heiraten, Onkel!«
»Was will er? Ist nicht recht gescheit! Macht dir einen Antrag, der verdrehte Bengel! Er meint wohl, du seiest noch das reiche Mädchen! Denn er hat doch nichts, oder ist ihm schon eine Pfarre in den Schoß gefallen?«
»Nein, im Gegenteil. Er glaubt, daß ich Lehrerin hier sei oder Erzieherin, und er macht mir in vielen schönen, gewundenen Redensarten einen Antrag mit dem Nachsatz, daß wir allerdings noch einige Jährchen warten müßten, aber ein Mädchen, das man liebe, das sichere man sich doch, und er könne mir immerhin später mehr bieten, als ich ihm.«
»Donnerwetter, der ist bescheiden!« entfuhr es dem Onkel.
»Ja, daß ich ihn liebe, dessen sei er gewiß, ich sei die einzige, die sein Streben verstanden habe, und die einzige, die er würdig befunden habe, diese Bestrebungen zu teilen.«
»Alle Wetter! Verzeih, Maus, daß ich fluche, aber das ist ja! – Na und was sagst du denn dazu?«
»Ich!« Sie lachte noch einmal hell auf. »Ich würde nicht lachen, Onkel, wenn ich glaubte, daß ein einziges Wort von seinem schönen Liebesgeklingel wahr empfunden wäre. Aber wer so viele Worte macht bei einer Liebeserklärung, wer selbst hier Sprichworte und dergleichen einflicht, wie zum Beispiel: ›Es stehet geschrieben, es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei‹, der liebt eben nicht wahrhaft! Und ich? – Nein! Ich liebe ihn auch nicht! Tu mir den Gefallen, Onkel, und übernimm du die Antwort!«
Der alte Herr lachte ein wenig höhnisch. Der Gedanke, daß dieser junge Mann seine Käte begehren könne, schien ihm zu komisch, und seine Antwort kam aus tiefstem Herzen: »Ja, mein Kind, und sie soll gepfeffert und gesalzen sein!« Seine Wünsche und Hoffnungen für Käte waren ja so ganz andere und sie regten sich auch wieder, seit Friedel gesund geworden war.
Aber aus Käte war nicht recht klug zu werden in diesem Punkte. Jetzt sagte sie: »Nein, nein, Onkel! Schreibe ihm nicht so gepfeffert. So meine ich es nicht! Er hat es doch immerhin gut gemeint. Er weiß, daß ich ein armes Mädchen bin und er will mich trotzdem! Schreibe ihm freundlich, aber schreibe ihm, daß ich bei euch als Pflegetöchterchen bin und – und –« Käte machte eine kleine Pause, es wurde ihr doch schwer, das Wort auszusprechen – »und daß ich hoffe, noch einmal wirklich deine Tochter zu werden!«
»Käte! Mädel! Liebe, gute, alte Deern!«
Der alte Herr konnte nicht weiter reden vor Rührung. Er schluckte ein paarmal heftig.
»Wirklich! Wirklich! Ach! Meinen Jungen, meinen guten, lieben Jungen, willst du ihn wirklich? Meine Tochter! Ich kann's nicht glauben, Käte!«
»Ja, Onkel, ich will!«
»Mädel, komm her, das soll ein Wort sein!« Er breitete seine Arme weit aus, in die Käte sich mit überströmenden Augen fest hineinschmiegte.
Gott sei Dank, sie hatte sich selbst überwunden!