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Langsam zu Fuß nebeneinander hinschreitend, indes er das Pferd am Zügel führte, gelangten die beiden in die Nähe des Hofes.
Plötzlich blieb Käte stehen.
»Da! – das ist –«
»Freiwalde!« ergänzte er die stockenden Worte.
»Freiwalde!« wiederholte Käte wie im Traum.
Da ragte es auf. Ein großer, schloßartiger Bau mit einem Turm an der Seite, breite Fenster mit großen Spiegelscheiben, im Vordergrund eine große glasgedeckte Veranda mit zierlichen Strebepfeilern!
And was blinkte da für eine Wasserfläche? Der Teich, von dem die Leute sagten. Da lag er vor ihr und eine schön geschwungene Brücke führte zu dem Inselchen, auf dem der Springbrunnen war.
Früher ging die Front des Hauses nach dem Hof. Jetzt lag es zurück in den Park hinein, und vorn trennte eine hohe Mauer mit schönen Einfahrtspfosten den Platz vom Hofe.
Dort ragte ein Fabrikschornstein in die Luft. Er gehörte zu der Stärkefabrik, die auch jetzt vollendet worden war.
Klaus Meinhardt wartete geduldig, bis Käte sich von ihrem Erstaunen erholt hatte. Dann ging er weiter und sagte: »Darf ich vorangehen, da ich hier jetzt doch wohl den Führer machen muß?«
Käte nickte wortlos.
Er trat durch das breite Tor, das auch für die Wagen zur Auffahrt bestimmt war, und schritt an dem Teich vorbei. Die große Freitreppe, die von der Veranda herabführte, war besetzt mit großen Pflanzen, und zu beiden Seiten des Hauses standen Kübel mit Orangenbäumen, die im Winter ins Warmhaus kamen.
Er erklärte ihr das soeben.
Nun ging er die Treppe hinan, und Käte folgte auch hier.
Sie dachte gar nicht darüber nach, ob es sich eigentlich schickte, daß sie als junges Mädchen in das Haus des Junggesellen ging, des ihr bis dahin ganz Fremden. Sie ging wie in einem Traum, in dem zwingenden Gefühl: Du mußt.
Oben stand Meinhardt still und bat: »Wollen Sie sich einmal umsehen, gnädiges Fräulein?«
Da stand sie oben auf der hohen Freitreppe und blickte über den breiten Teich, seine spiegelnde Wasserfläche und den Springbrunnen hinüber auf den geräumigen Hof, auf dem tätiges Leben und Bewegung herrschte. Das erste Heu wurde eingefahren.
Bis jetzt hatte Käte noch kein Wort der Anerkennung gesagt. Sie hatte überhaupt kaum etwas gesprochen. So stumm war die lebhafte Käte wohl noch nie gewesen.
Aber im Herzen rief es laut, immer wieder: Das ist Freiwalde?
Ihr Führer trat in einen hohen Gartensaal ein, Geweihe hingen an den Wänden, ein mächtiges Buffett von Eichenholz stand an der Wand. Er führte sie durch die schönen Wohnzimmer, die mit behaglicher Eleganz eingerichtet waren, und dann in den großen Festsaal. Dieser reichte durch zwei Stockwerke und war ganz mit herrlichem Stuck verziert. Auf spiegelndem Parkett gingen sie. An den Wänden, zwischen zwei Fenstern, waren immer große, bis auf die Erde reichende Spiegel. Kätes Bild wurde von dem Glase zurückgeworfen, das hoch getragene Köpfchen, das so stolz mit dem köstlichen Nackenansatz aus dem Überschlagkragen des Kleides herauswuchs, die schlanke und doch kräftige Gestalt im glatten, dunkelblauen Reitkleide, die großen, jetzt so verträumten Augen, das alles sah er hier im Spiegel noch einmal.
Alle Leute sagten: »Hier fehlt nur noch die Herrin!«
Klaus Meinhardt durchfuhr ein seltsamer Gedanke! Wenn –
Er starrte in den Spiegel hinein, wie benommen von diesem Gedanken, starrte das entzückende Bild wie eine Erscheinung an.
An den Wänden hingen große, künstlerisch schöne Ölgemälde, mehrere waren von einem bedeutenden Maler nach Bildern aus der Dresdener Galerie kopiert. Da war der wunderbare ›Eremit‹ von Böcklin, hier eine ›heilige Cäcilie‹ und dort eine Madonna von Raffael. Das größte Bild war eine Landschaft im tiefen Schnee, ein Försterhaus, daraus helles Licht schimmerte, vorn in der Tür in tiefem Schmerze hingeworfen das Weib des Försters, neben ihr sein Hund in ängstlich gespannter Erwartung, und hinten brachten sie den Förster auf einer Bahre. Ein Opfer seiner Pflicht! Wie das Licht aus dem einsamen Fenster hinausfiel auf den Weg, das verzweifelte Weib in Nacht und Dunkel lassend!
Käte schaute und schaute. Sie konnte sich nicht wegwenden.
»Nicht wahr, ein ergreifendes Bild? Ich liebte es immer sehr, daher ließ ich es von einem Bekannten für mich kopieren.«
»Sie lieben es? Sie, der nur des Lebens Sonnenseite kennt, nur Glanz und Glück!«
»Tue ich das? Woher wissen Sie, ob ich nur das kenne? Ob ich immer das Schöne um mich herbreiten konnte? Aber allerdings sage ich: Der höchste Genuß im Leben ist das Schöne!«
»Der höchste Genuß das Schöne?« Kätes Wahrspruch! Sie fragte: »Und das höchste Glück?«
»Bisher sagte ich: Die Pflicht! Ob ich das heute noch sage?«
»Ah! So kennen Sie ihn auch, meinen Wahrspruch?«
»Ihren Wahrspruch? Ja, wenn er ferner heißt: Der größte Trost die Arbeit! Den kenne ich und habe ihn wert gehalten all mein Leben lang! Und doch kommt es mir heute so vor, als ob es anders heißen müßte: Das höchste Glück ist die Liebe und der größte Trost ein Herz, das für uns schlägt, das Freud und Leid mit uns trägt. – Wollen Sie nicht den Park noch sehen?«
»Ja,« antwortete Käte schnell und ging so eilig durch die anderen Räume zurück, daß er kaum folgen konnte. »Ja, den Garten, und dann muß ich fort.«
Der schöne Platz hinter dem Hause mit seinem saftgrünen Rasen und dem köstlichen Blütenflor der ersten Rosen und seltenen Begonien in allen Farben, vom Weiß und zartesten Rosa bis zu Gelb und flammendem Rot, entlockte ihr ein ›Ach!‹ der Bewunderung.
Seitwärts lag das neue Treibhaus, aus dem er ihr jetzt einige köstliche Marschall Niel-Rosen brachte, wahre Wunder an Schönheit und Duft.
Und nun schritten sie herein in den alten, unberührten Teil des Parks. Er war der alte geblieben.
Hier die Linden, an die sie ihre Hängematte gebunden, hier der Buchengang, dessen Bäume oben ineinander verwachsen waren, bis sie ein dichtes, laubenartiges Blätterdach bildeten. Und da – Käte lief plötzlich wie ein Kind darauf zu: Ihre Schaukel, ihre alte Schaukel!
»Die haben Sie hängen lassen? Ach, daß Sie die haben hängen lassen!«
Käte rief es in seligem Tone und dann saß sie in ihrer alten Schaukel, lehnte den Kopf gegen einen der Stricke, an denen sie hing, starrte in das Blättergewirr über sich, und Tränen glänzten in ihren Augen. Sie waren wie der Tau, der die Blume netzt, ehe die Sonne aufgeht.
Sie streckte ihm beide Hände entgegen mit einem dankbar strahlenden Lächeln.
Er ergriff sie und führte sie ehrfurchtsvoll an seine Lippen. Käte dachte an jenen ersten Handkuß, den sie auch hier im Park erhalten, damals von Stein, und sie lächelte wieder.
»Aber ich muß fort,« sagte sie erschrocken. »Die Sonne geht schon unter.«
Er wagte nicht, sie aufzuhalten, und sie gingen ziemlich eilig zurück.
Ja, die Sonne ging schon unter. Und plötzlich hob sich das Schloß von dem glutroten Abendhimmel ab. Die rosigen Töne hüllten alles ein und immer röter lohte die feurige Glut über den Himmel, so daß Käte noch einmal stehen blieb und aus tiefstem Herzen heraus sagte:
»Wie schön! Wie wunderschön!«
»Der Abendhimmel?«
»Alles! Das Schloß und das Wasser und die Blüten!«
»Nun danke ich Ihnen, Fräulein Folkert! Dies Wort macht mir Freiwalde erst lieb!«
Käte errötete plötzlich und wandte sich zum Ausgang. »Mein Pferd, bitte!«
»Ich lasse es hierherbringen, dann brauchen Sie nicht über den Hof. – Wilhelm!«
Der kleine Diener, der das Pferd bis jetzt herumgeführt hatte, brachte es vor die Seitenpforte des Gartens, den alten, früheren Eingang zum Herrenhause. Klaus Meinhardt fragte noch besorgt: »Darf ich nicht mitreiten, gnädiges Fräulein? Sie so allein reiten zu lassen, das ängstigt mich!«
Käte schüttelte lächelnd den Kopf. »Was soll mir passieren? Wie oft bin ich hier allein geritten! Jetzt werde ich hübsch aufpassen und nicht schlafen wie vorhin.«
Da reichte er seine Hand hin, die sie zum Aufsteigen benutzen sollte. Sie setzte den schmalen Fuß hinein, schwang sich in den Sattel und reichte ihm dann die Hand zum Abschied.
»Ich komme nach Brünnau und erkundige mich, ob Ihnen der Schrecken nichts geschadet hat.«
Wieder flog eine flüchtige Röte über Kätes Gesicht, doch das Pferd, durch das lange Warten ungeduldig geworden, tänzelte unruhig aus einer Stelle und schüttelte den schönen Kopf mit der langen Mähne. Aber jetzt war Käte die Meisterin. Sie gab einen leichten Schenkeldruck und fort ging es in schlankem Galopp. Wie stolz und sicher ihre Gestalt jetzt im Sattel saß! Man sah keine Bewegung des Körpers, kein unnötiges Wiegen oder Stoßen. Nur der Bewegung des Pferdes folgte sie, eins mit dem Tiere, auf dem sie saß.
Klaus Meinhardt blickte ihr nach, so lange er noch etwas von der Reiterin sehen konnte, dann wandte er sich langsam um und schritt in den Park zurück.
Er ging durch den Buchengang bis zu der Schaukel. Hier stand er still und setzte sich auf das schmale Holzbrett in der alten Kinderschaukel. Ein Gefühl überkam ihn, ein Gefühl von etwas Heiligem, als sei er in der Kirche. Die alte Kinderschaukel! Das hatte den Goldglanz in ihren Augen geweckt! – Die alte Kinderschaukel! –