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Elfter Gesang

Nunc est bibendum, nunc pede libero
Pulsanda tellus ...!

Jetzt gilt's zu trinken, jetzt mit befreitem Fuß
Zu stampfen die Erde ...!

Horaz.

 



Nochmals, ein letztes Mal noch, o Muse, stimme die Leier
Auf den bacchantischen Ton, bevor wir Abschied zu nehmen
Haben vom glücklichen Dorfe am Hang des gewaltigen Volland!
Abschied, ja Abschied, o Muse! Denn siehe, der Herbst ist gekommen,
Und ihm folgt im Gebirge mit rascherem Fuße der Winter.
Fröste verhängt dann der Gott, der grimmige Unfreund der Farben,
Schüttelt den Goldtand herab und vergilbt die noch grünenden Wiesen,
Bis er in Weiß und Schwarz und in viele Schatten dazwischen
Alles Bunte entfärbt und die letzte Wärme verkühlt hat.
Lautlos löst sich der Schnee dann aus ewigem Nebelgewölke,
Sinkt auf die Felder herab und verschüttet die Straßen und Wege.
Selten verirrt sich ein Fremder sodann ins entfernte Gebirge,
Handel und Wandel ruhn im verkleinerten Umkreis des Alltags,
Und die Arbeit der Menschen, verbannt aus der Weite der Felder,
Flüchtet ihr leichteres Tun in den schläfernden Lichtkreis der Lampe.
Heute noch aber ist Herbst! Die gesammelte Nachlust des Sommers
Lodert noch einmal empor, die himmlisch-unendlichen Räume
Wölben sich über die Welt, und die Wälder in wehendem Scharlach
Brausen ihr »Evoë Bakche!« und »Evoë Bakche!« erwidern
Weiße Mänaden im Blau der wolkendurchtummelten Lüfte.

Evoë, evoë Bakche! So rief auch die Sonne Entzückung,
Da sie aus zögernder Nacht im Aufgang weinrot emporstieg!
Dürstend kam sie herauf und trank mit erglühenden Lippen
Silbern verdunstendes Naß der güssedurchsickerten Erde.
Und schon sprang auch der Wind an, das stößige Böcklein! Er hatte
Nach dem Gewitter der Nacht des Anpralls Richtung gewechselt,
Schnob nun von Nordnordost und jagte das blendend geballte
Letzte Gewölke hinab nach dem endlos geweiteten Süden.
Noch, noch wuchs wie das Meer die Ebene blau und gestaltlos
Wider die äußersten Rande, von Dünsten der Frühe verschwommen,
Aber schon wichen auch diese. Die immer verdünnteren Lüfte,
Klar wie geschliffenes Glas die Grenzen der Blicke erweiternd,
Rückten das Fernste heran, und von Atem- zu Atemzug näher,
Lag in der Weihe des Morgens geformt und gegliedert das Land da.

Evoë Bakche, das Land der üppig gedeihenden Früchte,
Die an den südlichen Hängen des Volland zur Süßigkeit reifen!
Hügel hoben und senkten sich drin, wie Wellen verebbend;
Gleich den gebreiteten Schatten gewaltig-ruhender Wolken
Dunkelten Nadelwälder, genau umrissen, inmitten
Stoppelvergilbenden Saatlands; an blinkenden Dörfern vorüber
Schimmerten Straßen auf, und wie ein harmloses Spielzeug
Lag in dem Schnittpunkt der Straßen an weithin gedehnten Geleisen
Funkelnd von Knaufen und Fenstern das Dächergewirr der Fabrikstadt.
Dorten ruhte die Arbeit, die fieberhafte, auch heut nicht,
Doch der verwegene Wind, der in Fetzen den Qualm von den Schloten
Riß und zu nichts zerblies, er log ein behäbiges Bild vor.
Aber es war nicht so! Mit dem letzten Mut der Verzweiflung
Wehrte sich nur noch das Reich, der Vorrat an Kräften und Mitteln
War der Erschöpfung nah', und der Not und dem Hunger verbündet,
Wühlte bereits die Zersetzung im eigenen Lande. Und dennoch,
Herbst ist, ein köstlicher Herbst! Die Pressen in dämmernden Speichern
Duften nach Äpfeln und Most, und stark ist die Traube geraten.
Also stimme auch du, o Muse, die Leier noch einmal
Auf den bacchantischen Ton! Denn heute ist heute! Und ob wir
Morgen noch da sind, wer weiß es? Drum: Evoë Bakche! Und wenn auch
Hellas' herrliche Sprache nicht jauchzet am Volland, so wird doch
Dort mit Juchhei und Juchhe, mit Pöllerschüssen und Fahnen
Heute wie eh und je, vom Morgen bis tief in die Nacht das
Fest der Kirchweih begangen und Jahr- und Viehmarkt gehalten!

Doch mit Bestürzung begann es! Der würdige Platz um die Kirche
Hallte schon zeitig vom Lärmen der Buden-errichtenden Händler.
Pferde wieherten laut, und Hunde umbellten das Fuhrwerk,
Welches das Marktvolk gebracht. Da kamen die Ersten gehumpelt,
Arme an Gütern und Geist, und wollten zum Frühamt und fanden
Kirche verschlossen und Chor und ans Tor gekreidet die Inschrift:
»Heute kein Gottesdienst infolge Erkrankung des Pfarrers.« –
Unerhörtes Geschehen! Noch niemals seit Menschengedenken
Hatte sich solches ereignet im Dorf am gewaltigen Volland!
»Jesus, Maria und Josef!« aufstöhnten die Weiber, die Greise
Standen vernichtet herum und blinzten ratlos ins Leere.
Aber Herr Erinis, der Glaser, der – seit er von den Gerichten
Wegen Blödsinns entlassen – Verehrung genoß bei den Frommen,
Machte ekstatische Augen und raunte: »Der Herr hat die Geißel
Selbst in die Hand genommen und trifft in dem Hirten die Herde!
Kein Sakrament des Altares wird heute gespendet und keine
Heilige Beichte gehört und der göttliche Leib nicht verabreicht!
Keuchend unter der Last der Sünden müßte die Seele,
Wenn sie der Herr heut' riefe, vor ihrem Richter erscheinen!«
Sprach's, der verblödete Glaser, und schwand in die wachsende Menge.
Plötzlich war das Gerücht da, es sei der Pfarrer gestorben
Und man vertusche es nur zum Vorteil des Kirtagsgeschäftes.
Wie auf Fledermausflügeln, gespenstischem Zwielicht entscheuchten,
Flatterte dieses Gerücht, nach grusliger Wirkung begierig,
Erst zu den fremden Händlern, doch diese lachten: »Was geht uns
Euer Herr Pfarrer an?« Dann streiften die Flügel die eignen
Heimischen Leute des Dorfs. Doch auch diese hatten was andres
Heute am Kirtag im Kopf als den Pfarrer und, ob er nur krank sei
Oder am Ende gar tot. Da wurde der Flug des Gerüchtes
Lahm, und es schrumpfte zusammen und fiel inmitten der Menge
Kraftlos irgendwohin, und aberhunderte Füße
Traten darüber hinweg im steigenden Jubel des Festes.

Evoë, evoë Bakche! Jawohl, das Fest war im Gange!
Stündlich wuchs das Gedränge, und immer noch waren die Wege,
Die von den Höhen herab und tief aus den Tälern zum Dorfe
Führten, von Farben belebt des bunt anrückenden Volkes.
Aber welch anderes Volk als einst zu Fronleichnam! Die Weiber
Schlugen die Augen nicht mehr wie damals bäurisch zu Boden,
Sondern schritten bewußter im neuerworbenen Feststaat.
Seide gab's da und Sammet, und alles so schreiend als möglich!
Ringe schmückten die Finger und feineres Schuhwerk die Füße;
Manche gar wackere Wirtin, die weder lesen noch schreiben
Konnte, trug ein Lorgnon um den Hals an goldener Kette.
Ruhte doch Gottes Hand in Gestalt des Wuchers mit allem,
Was der verschlagene Händler mit faulem Papiergeld bezahlte,
Segnend über den Dummen, die sich als die Klügeren dünkten!
Doch nicht Landvolk allein, auch Stadtvolk war heut' zu Besuch da:
Arbeiter aus den Fabriken der Industriestadt mit ihren
Modisch geputzten Geliebten. Sie kamen in Autos und Wagen.
Mochten auch ihrer so manche der hiesigen Gegend entstammen,
Hatte dennoch die Stadt und die Freiheit des dortigen Lebens
Burschen und Mädchen verändert. Daheim, auf dem Feld und im Stalle,
War man der Niemand gewesen, ein kärglich gehaltener Dienstbot,
Jetzt doch verdiente man gut in den Kriegsbetrieben und schlürfte
Alle Genüsse des Lebens mit um so heißerem Durste,
Als ja die Arbeit gefährlich und stündlich benachbart dem Tod war.
Evoë Bakche darum! Der Tod, das Gold und die Wollust,
Sie sind Geschwister zumal! Drum aufgetrumpft mit Banknoten!
Liebe, Musik und Tanz! Und gutes Essen und Wein her!
Aber wie hatte sich auch das Dorf am gewaltigen Volland,
Würdig der Gäste zu sein, zu ihrem Empfange gerüstet!

Fahnen, allüberall Fahnen! Wo immer im Dach eine Luke,
Loderten Farben aus ihr. Portale aus Reisiggirlanden
Spendeten herzlichen Willkomm. Der ganze Platz um die Kirche
War in ein Lager verwandelt von luftigen Buden und Ständen.
Schaukeln belustigten hier und Ringelspiele, ein Schießstand
Lockte die Schützen heran, ein Wursteltheater, in welchem
Kasperl den Teufel erschlug, gab reichlich zu gaffen und lachen.
Doch am besuchtesten war ein mit Sternen bemaltes Gezelte,
Wo man die Zukunft erfuhr aus der Hand, aus Planeten und Karten!
Denn es waren mit Wagen, in denen sie wohnten, Zigeuner
Über die Grenze gekommen samt Weibern und Kindern und spielten
Unter der Linde beim Pfarrhof. Am Stamm des gewaltigen Baumes
Lehnte der Kontrabassist; daneben an niederem Klapptisch
Hockte der Zymbalschläger, und rings um den Primas im Halbkreis
Standen die Geiger, verrufne Gesellen, die seltsam nach innen
Lauschen und schauen konnten, sobald der Bogen des Primas
Ihnen den Auftakt zuwarf. Da schlangen sie ihre Figuren,
Ranken verzierenden Klangs, um die führende Stimme und waren
Mitten im Jahrmarktsgetöse ein Eiland befremdenden Wohllauts.

Jetzt doch nahte die Stunde, zu der auf der lattenumzäunten
Trift gegenüber dem Amtshaus der Viehmarkt sollte beginnen!
Viele nun strömten dahin und sahen des Zucht- und des Stechviehs
Stattlichem Auftrieb zu mit sachverständigen Blicken.
Immer zweie und zweie, durchs hölzerne Stirnjoch verbunden,
Also schwankten bedächtig die Ochsen und Kühe; die Kälber
Liefen den Müttern zur Seite, indessen die dunkleren Stiere
Einzeln und abseits schritten mit blutunterlaufenen Augen.
Und das Gefeilsche begann. Eine Wolke von tierischen Dünsten
Lagerte über der Wiese. Die reichlich entfallenden Fladen
Dampften den warmen Geruch des spärlich gelüfteten Kuhstalls,
Und der Ernst der Geschäfte, er dämpfte die Stimmen der Männer.
Aber da kamen auch schon des lendengewaltigen Selchers
Keulenarmige Burschen in weißen Wämsern und zogen
Offene Karren heran mit reisiggefeuerten Kesseln
Duftend-dampfender Würste, und Pschunders gedunsener Hausknecht,
Ein Polyphemos an Wuchs und so wie dieser ein Einaug –
Denn es hatte der Mann ein Auge im Kriege verloren –
Schleppte Kannen herbei und schlug auf der Wiese ein Faß an.
Wie eines Rufers im Streite gebieterisch klang seine Stimme
»Bier!« und »Wein!« ins Gesumme der marktenden Männer. Des Selchers
Keulenarmige Burschen, die ließen ihrer nicht spotten
Und überschrien Polyphem. Da ward's auf dem Platze lebendig:
Rinder, geduldige Rinder, vom Lärmen der Kerle beunruhigt,
Huben zu scheuen an; die einen zerrten am Joche,
Während die anderen wieder die mächtig atmenden Flanken
Eng aneinander drängten. Den drohenden tierischen Urlaut
Stießen die Stiere hervor, und die Halter, sie hatten zu schaffen.

Mittag klang das Geläute. Da wurde das Markten beschleunigt,
Anbot und Gegengebot gelangten zu billigem Ausgleich,
Heiterer wurde der Ton, und Handschlag folgte auf Handschlag.
Dann vollzog sich der Abtrieb des übriggebliebenen Rindviehs,
Während Verkäufer und Käufer nach ältester Sitte den Kauftrunk
Nehmen gingen zu Pschunder ins Gasthaus zum störrischen Engel.
Dorthin strömte nun auch, was nicht schon dort war, in hellen
Aufgeheiterten Scharen vom Jahrmarkt herunter zusammen.

Singe, o Muse, den Wirt, der heute das Beste des Besten
Seinen verehrlichen Gästen in Fülle zu bieten bestrebt ist!
Riesenplakate an allen Mauern und Fenstern verhießen
Tombola, Schauspiel und Tanz in Pschunders Lokalitäten
Für heut' abends ab Sieben! Doch weil der Saal und der Schankraum
Alle nicht hätte gefaßt, so hatte der findige Gastwirt
Hinten im Hofe die Scheune zum Tanzlokale verwandelt.
Welch ein begnadeter Einfall! Im ganzen Gebiete des Volland
Gab es keine wie sie! Aus der Zeit noch, da Bären und Wölfe
Hausten und Unrat sannen im Urwald der hiesigen Gegend,
Mochte der Holzbau stammen. So glich er auch mehr einem Bollwerk
Denn einem friedlichen Speicher. Das moosüberwucherte Strohdach
Barg den gewaltigen Schüttraum, in dem man mit Wagen und Pferden
Wenden konnte bequem. Eine Brücke verband's mit der Böschung
Steil ansteigender Acker, die hinter dem Gasthof gelegen.
Weithin erklang es wie Donner im Dorfe, sooft über jene
Stolpernde Hufe traten und schwankendes Fuhrwerk gerollt kam.
Aber gewaltiger noch als die Schütte war unten, vom Hof her
Durch ein gigantisches Tor zu betreten, die reinliche Tenne!
Wie und mit welchem Geschmack nun gerade diese zum Tanzsaal
Prächtig verwandelt war, das werden wir abends bestaunen,
Jetzt doch währt noch der Tag, der vordere Saal und der Schankraum
Fassen der Männer genug, der trinkenden, qualmenden ältern,
Aber das jüngere Volk, noch lange nicht müde des Jahrmarkts,
Füllet noch Zeilen und Plätze und tanzt indessen zu allem,
Was nur irgend Musik ist und, wo es nur angeht, im Freien.
Evoë Bakche, Musik in allen Gassen! Zigeuner
Oben am Markt vor der Kirche, die Dorfkapelle herunten
Nächst dem Störrischen Engel und, aller Ecken und Enden,
Werkel, Harmonikaspieler und Trommler und Dudelsackpfeifer!
Evoë Bakche, Musik! Jedoch der gewaltigste Spielmann
War doch der Wind, der Wind! Über alles Menschengetöse
Rauschte er herrisch dahin und zerriß es in flatternde Fetzen
Tumultuarischer Schreie, indessen er selber in steten
Vollen Akkorden erklang. Er bediente ein ganzes Orchester
Rasender Instrumente. Was immer er haschte und faßte,
Nahm er und tobte darauf. Er knatterte scharf in den Fahnen,
Trommelte Wirbel mit Asten auf bäumebenachbarte Dächer,
Ratschte mit Wetterhähnen, und in die Plachen der Buden
Paukte er klatschend hinein. Er pfiff auf den kupfernen Drähten,
Brummte in ihren Masten, und gellend mit blechernen Schildern,
Klappernd mit Traufen und Rinnen und klirrend mit splitternden Fenstern,
Machte er Zinken und Zimbeln und schlug dazu die Tschinellen.
Evoë Bakche, der Wind, der Wind! Da flogen die Kittel,
Eh noch die Burschen sie hoben! Da kamen die Reize zum Vorschein,
Welche die Keuschheit bedeckt, und in prickelnder Vorlust des Abends
Kreischten die Weiber gekitzelt und taumelten gern in die Arme
Derb zugreifender Burschen, die gegen den Wind sie beschützten!

Endlich die Dämmerung kam. Aus opalenen Tiefen des Himmels
Sanken die Schatten herab, die frühen des späteren Herbsttags.
Helle erleuchteter Fenster enttrat den verdunkelnden Flächen
Schwindender Giebelfronten, und, hastig flackernd, die ersten
Sterne bezogen die Lichtwacht. Da packten die Händler zusammen,
Fluchend dem schlechten Geschäfte, obwohl es das beste gewesen,
Brachen die Buden ab und verluden den Kram auf das Fuhrwerk.
Da nun verlief auch das Volk sich, der Trubel verebbte, die Wagen
Rollten auf finsteren Straßen, vom Bellen der Hunde begleitet,
Fernhin verrasselnd zu Tal. Der Theresienmarkt war zu Ende.

Aber der Wind, der Wind?! Auch er nun legte sich endlich
Hoch in den Wäldern zur Ruh' und entschlief. Die befriedeten Wipfel
Schauderten nur noch im Nachhauch. Allein in der eisigen Stille
Sternebevölkerter Nacht, die süß nach gefallenem Laub roch,
Klang bacchanalisch durchs Dorf, vom Störrischen Engel herüber,
Heiseres Johlen, Musik und der stampfende Rhythmus des Tanzes.
Aber bevor ich auch dich, o Muse, zu diesem geleite,
Folge mir abseits ein wenig und tu einen Blick in die Werkstatt
Heimlicher Pläne mit mir, die heut' noch zu reifen bestimmt sind:

Jene Saat des Gerüchtes, daß Vitus der Vater des Kindes,
War in die Halme geschossen, seit Cordulas heimliches Wachstum
Offenkundig geworden. Zwar wagte niemand im Dorfe,
Ihr ins Gesicht sie zu zeihen, doch schlüpfrige Späße und Possen,
Wenn sie den Rücken kehrte und noch in des Hörens Bereich war,
Ließen sie alles erraten. Da wär' die Empörte am liebsten
Auf und davongelaufen. Allein, sie bedurfte der Arbeit,
Brauchte den sichern Verdienst für die schwere Stunde, die nahte.
Wer auch hätte sie sonstwo in diesem Zustand und vor dem
Winter in Dienst genommen? Sie mußte froh sein, daß Pschunder,
Schmutzig-berechnend genug, die tüchtige Kraft zu erhalten,
Ihr gegenüber schwieg und bloß den Lohn reduzierte.
Anders Andreas, der Sohn! Der hatte schon längst in der Einschicht
Allerlei läuten gehört. Nun aber war der Verschmähte
Auch bei der Kirchweih erschienen und hatte mit seinen Kumpanen
Tückische Rache ersonnen und rasch im Geheimen gerüstet:
Heute um Mitternacht, Schlag zwölf, in der Scheune beim Tanz wird
Cordula Vitus, dem Knechte, zum allgemeinen Gespötte,
Lästerlich angetraut von – Schwinzerl, dem Schinder, als Pfarrer!

Heia, das gibt einen Spaß! Da wird die Stolze am Pranger
Mürbe werden und bleich! Und wenn sie sich sträubte? Dann werden
Kräftige Arme genug sein, zum Spottaltar sie zu führen!
Und sie gingen ans Werk. In einer der Pausen des Tanzes
Fingen sie Vitus ein und zerrten den Knecht in den Schafstall.
Dort eröffnete ihm Andreas, er werde heut Nacht noch
Cordula heiraten müssen, dieweil er der Vater des Kindes,
Welches die Jungfrau bekomme. Der Arme im Geiste verstand erst
Nicht, worum es sich handle, doch dann, als er endlich begriffen,
Glaubte er ernstlich daran, und willig ließ er und selig
Alles mit sich geschehen: eine alte Urlaubermütze
Stülpten sie ihm auf den Kopf. In die schäbigste Feuerwehrbluse
Sackten sie seinen Rumpf, und in die verkrüppelte Rechte
Gaben sie ihm einen Strauß von gedroschenen Ähren und Disteln.
Schön ist der Bräutigam, o Cordula! Fiebriger Wangen
Hopst er im Stall hin und her, und ihn umbrüllt das Gelächter
Halb schon besoffener Burschen, die ihm die Pflichten der Brautnacht
Pantomimisch erklären! Da schrillt von der Scheune herüber
Wieder die Tanzmusik, da schmeißen die Kerle die Tür zu,
Ziehen den Schlüssel ab und lassen den Narren im Finstern.

Evoë Bakche, zum Tanz! Nun schürz die ambrosischen Glieder
Du auch, o Muse, und komm! Nun endlich darf dir der Sänger
Mitten im nördlichen Land, am granitenen Hange des Volland,
Südliche Orgie zeigen, hellenischer Bräuche nicht unwert!

O, wie schleppt sich der Mensch von Notdurft zu Notdurft des Alltags
Krummen Rückens dahin, am Geiste und Körper der Schwere
Dumpf und sklavisch verhaftet, und, ach, wie ähnlich dem Tiere,
Dem der Dionysos fremd und die himmlische Labe des Lachens,
Sänk' er ins Dunkel zurück als vergebliche Bürde der Erde,
Hätten die Götter nicht, die gütigen, hohen und weisen,
Ihres eigenen Schreitens, des schwebenden, schwerebefreiten,
Ihm eine Ahnung verliehn in der holden Verzückung des Tanzes!
Freilich, den Nördlichen fehlt die Grazie herrlicher Nacktheit,
Und den Thyrsos ersetzt, den epheu- und weinlaubumkränzten,
Nichts in der plumperen Hand! Und dennoch sind es dieselben
Glühenden Sinne wie einst und dieselben entbrannten Begierden,
So die Mänade gehetzt am Lorbeerstrand des Ilyssos,
Bis sie im Uferschilf, im Syringendickicht der Haine
Keuchend dem Jüngling erlag, der rasend und trunken vom Gott war!

Evoë Bakche, zum Tanz! Nur näher, o Muse, nur näher!
Siehe, da sind wir auch schon, gepfercht in die Menge des Volkes,
Das seine Dünste vermischt mit den Düngergerüchen des Hofes,
Drängen uns langsam durch und stehen nun frei vor der Scheune.
Evoë Bakche, das Tor des gespenstischen Bauwerks ist offen,
Riesig ein Viereck des Lichtes inmitten der finstern Umgebung!
Und in dem zischenden Scheine der roten bengalischen Feuer
Wirbelt in doppelter Drehung ein Flirren von Lichtern und Schatten:
Arme schleuderts empor, entblößte, wie züngelnde Flammen,
Hälse, vom Purpur gestreifte, Gesichter und Schultern und Nacken
Taumeln ins Dunkel zurück und flackern wieder ins Licht auf.
Und die Zigeuner spielen! Musik, o wäre Musik nicht,
Wären es torkelnde Tiere, die glasiger Blicke und heißen
Keuchenden Atems einander umkrampften mit schwitzenden Pranken!
So aber sind es Verzückte! Die göttlichste menschlicher Künste,
Selbst in der Fratze noch mächtig verworrnen Zigeunergefiedels,
Wehret dem Ausbruch des Chaos und gibt noch dem Rausche Gesetze!
Rhythmisch wogen die Paare, die sicher gebändigte Fliehkraft
Preßt die geschmeidige Beugung erhitzter weiblicher Lenden
Wider die muskelversteinten, die zuckenden Arme der Tänzer,
Und im gesteigerten Schwung der nach rückwärts geworfenen Schultern
Straffen die Brüste sich prall vor den witternden Nüstern des Manntiers.
Heia, da finden einander die Kniee, die Schöße, die Schenkel!
Heia, da ringt sich der Schrei, der röchelnde, jauchzende Brunstschrei,
Wild aus den bärtigen Kehlen, da schluchzt das Gelächter der Weiber
Heiser und geil von der Wollust des alles gewährenden Taktes,
Und die Zigeuner fiedeln! Vom rasenden Stampftritt der Sohlen
Staub aufwirbelt die Tenne, ein blutrot wogend Gewölke,
Über die Köpfe hin, und gleich einem Untier der Vorzeit
Reckt sich im Hintergrunde mit Streben, Balken und Schrauben,
Gärungsgerüche entströmend aus Rinnen, Behältern und Trögen
Und Hekatomben von Früchten das Blut zu entquetschen begierig,
Hoch ein gespenstischer Bau aus verwittertem Holzwerk: die Presse!

Mitternacht rückte heran, die Stunde, welche der Wächter
Auszurufen vermeidet, damit er die Geister nicht störe,
Und das Gedränge wuchs auf dem Platz vor der dröhnenden Scheune.
Wen seine Füße noch trugen, der kam aus den vordern Lokalen
Jetzt in den Hof gewankt, das verheißene Schauspiel zu schauen.
Niemand wußte Genaues. So riet man auf dieses und jenes,
Nur auf das Richtige nicht. Sogar das Fräulein Rachoinig
Ahnte den nahen Triumph nicht. Inmitten der dampfenden Menge
Hälsereckender Menschen, die jeglicher Sitte vergaßen
Gegen Jungfraun von Stand, umhielt sie den Bizeps des Selchers
Eiskalt-schwitzender Hände und quiekte Erregung und Neugier.
Er doch bemerkte sie kaum und hatte Augen und Ohren
Nur für das Weib des Gendarmen, das sündhaft duftend vor ihm stand.
Und sie war schöner denn je, und er verlor das Bewußtsein,
Wenn er, wie jetzt im Gedränge, der Köstlichen körperlich nahkam.
Glühend hauchte er ihr in das blonde Gekräusel des Nackens.

Plötzlich brach die Musik ab, der Tanz hielt inne, und zwölfmal
Schlug es auf schepperndes Blech, und hinter der Presse hervor kam
Schwinzerl im Priesterornat aus roten und goldenen Flicken.
Wie eine Kanzel erklomm er das hölzerne Untier und bot nun
Vitus und Cordula auf: Ob jemand ein Hindernis wisse? –
Höllengelächter die Antwort. Den Weibern blitzten die Blicke,
Grausame Nüstern erbebten, und häßlich verzog es die Mäuler.
Jetzt erschienen vom Schafstall die wilden Burschen mit Vitus.
Bleich vor Erschütterung war er und dennoch beseligter Augen.
Neuer Gelächtertumult, Applaus und besoffnes Gejohle.
Wo aber war denn die Braut? Sie kam nicht zur Hochzeit? Noch eben
Hatten sie welche gesehn in der Schank die Gäste bedienen!
Paßte ihr nicht der Gemahl? Oder war ihr im Laufe der Zeit das
Brautkleid zu enge geworden, das Myrthenkränzlein zerfallen?
»Hojah, die Braut muß her!« Vom Stampfen im Takte begleitet,
Brüllten's erhitzte Stimmen. »Die Braut her! Die Braut her! Die Braut her!«
»Schleppt sie, wenn sie nicht mag!« »Will die sich noch spreizen?!« »Die Braut her!«
»Keine Geschichten gemacht mit der Trottelhure!« »Die Braut her!«
Und das Getümmel wuchs an, der Pöbel wollte sein Opfer
In der Arena haben. Da keuchte auf einmal vom Hof her
Heiserer Wutschrei auf: » Davon ist sie, fort, die Kanaille!«
Und mit den Ellenbogen und Fäusten stieß sich der Wirtssohn
Mitten durchs siedende Volk in die Scheune hinein eine Gasse.
Aber, da platzte nun ihm der Hohn des Gelächters ins Antlitz!
Feindlich umschnaubte die Wut ihn der um die Hetze Geprellten;
Und schon griffen sie zu. Da verlor der betrunkene Bursche
Letzte Besinnung und hieb dem Nächsten die Faust auf die Nase.
Heia, da gab es nun Blut! Ja, Blut kam, evoë Bakche!
Oder war es nur Wein, der im allgemeinen Getümmel
Jetzo von Scheiteln floß, zerschlagenen Kiefern entstürzte,
Röchelnden Nüstern entquoll und verzerrte Gesichter verschmierte?
Blut war es, Blut war es, Blut! Vergeblich warf sich Herr Pschunder
In das Gemetzel hinein, vergeblich aus sichrer Entfernung
Schnarrte sein »Halt!« der Gendarm in Gesetzes Namen, vergeblich
Ließ seine Leute der Primas zum Tanze aufspielen, das Keuchen,
Gurgeln und Knirschen der Raufer, das schrille Gekreische der Weiber,
Es überbot die Musik, und von Stürzenden dröhnte die Tenne.

Da nun erfaßte der Rausch auch die gaffende Menge im Hofe.
Viele wollten davon, die anderen drängten dagegen,
Ängstliche schrieen um Hilfe, Besonnene riefen zur Ruhe,
Aber sie riefen vergeblich, und plötzlich schrillte von allen
Seiten des finsteren Hofes der nervenaufpeitschende Diebspfiff.
Da, in der höchsten Gefahr des Niedergestoßenwerdens,
Packte der brünstige Selcher mit eisernem Griff die Gendarmin,
Riß sie aufstöhnend an sich und drängte sie abseits. Die Dirnen,
Die aus der Scheune flohen, sie liefen dem fremden Gesindel
Ohne Besinnung zu, und die Strolche nützten die Lage.
Aber die Nacht war wie Eis und die Wiese hinter der Scheune
Naß von gefrierendem Tau; doch oben im Dache das Tor der
Schütte war angelweit offen! Allein da stand, wie der Erde
Plötzlich gespenstisch entwachsen, Herrn Pschunders einäugiger Hausknecht,
Stand Polyphem vor dem Tore, Tribut für den Einlaß begehrend,
Und wer den Sechser bezahlte, erhielt des Strohs eine Schäube
Unentgeltlich darauf als ein kitzelndes Bette der Liebe!
Heia, da hub nun im Dach ein entfesselter Reihen der Wollust,
Hub ein Gebalge an, und wie eine riesige Trommel
Dröhnte die Decke der Tenne vom Fersenwirbel der Weiber.
Doch in der Mitte der Schütte, das wüste Gestrampel befeuernd,
Tanzte der Totengräber im Lästerornate, als hielt' auch
Er eine Dirne umfaßt, im Rausche mit seiner Laterne!

Da aber, was war das?! Auf einmal wankte die Erde:
Ungeheuerer Donner! Und wieder Erschüttern! Und wieder
Ganze Kaskaden von Donnern! Von wannen? Von unten? Von oben?
Und der Himmel war rot und die Dächer schwarze, geduckte
Rücken wider die Röte! Da bebte von neuem der Grund und –
Irgend woher aus der Tiefe, als berste die Erde im Kerne! –
Wieder betäubender Krach! Da fiel in der Stille, die folgte,
Alles Volk auf die Kniee in fahlem Entsetzen, und plötzlich
Wimmerte wo in der Ferne, vom Ende des Dorfs, eine Stimme,
Wuchs und ward zum Gezeter des Wahnsinns und nahte dem Gasthaus.
Und schon war sie darin und durchirrte die Räume, und endlich
Fand sie heraus aus dem Haus und war in der Türe und heulte
Hohl aus dem Munde des Glasers: »Das Herz schlägt! Luzifers Herz schlägt!«
Luzifers Herz?! Das Herz im Schoße des Volland?! Da packte
Eisiges Grausen das Volk, und schreiend »Das Herz schlägt! Das Herz schlägt!«
Schnellten die Knieenden auf und stürzten hinaus auf die Straße.
Stürzten und prallten zurück! Denn dort, wo sonst die Fabrikstadt,
Nachts nur spärlich beleuchtet, tief unten im ebenen Land lag,
Wogte ein Bacchanal ineinander lodernder Brände!
Wie das Gebrüll einer Feldschlacht, wie Trommelfeuer, wie Salven
Riesenhafter Kaliber, so tobten die Explosionen,
Und aus den prasselnden Lohen – die Lüfte sausten von ihrem
Ungeheueren Atem! – aufplatzten gigantische Säulen,
Feuergarben verspritzend mit weltraumerschütternden Schlägen!
Heia, das war ein Tanz! Das war ein noch anderes Tänzchen
Als in der Schütte und Scheune! Haheia, diese Mänaden
Scharlach- und purpurumflattert, in Pardelfellen der Flammen,
Schnoben noch andere Brünste! Von ihrer besessenen Fersen
Wirbel zersplitterten Quadern, zerknickten stählerne Hallen,
Wurden Krane entwurzelt, Traversen wie Halme zerbogen,
Und – in entfesselter Furie Türme als Thyrsen verschleudernd,
Tausende Menschenleiber wie Trauben im Bottich zermaischend,
Hekatomben von Leben in brandige Äser zerfetzend,
Daß sie im Meilenumkreis die lechzende Erde besäten –
Stürmten diese Mänaden die eherne Veste des Himmels,
Tränkten die Wolken mit Blut, verlöschten die ewigen Sterne
Und, in ekstatischem Tanz zu den Beckenschlägen der Donner,
Schwangen sie – Evoë Bakche! – die Totenfackel des Reiches!!

Schreckensbleich und -gelähmt verharrte die Menge und starrte
Stumm dem Entsetzlichen zu. Dann siegte allmählich der Morgen
Über die Leuchtkraft der Flammen, und nur eine finstere Wolke,
Ungeheuer geballt, in der es noch blitzte und krachte,
Wuchtete wie eine Faust, die satt von den Greueln des Mords ruht,
Mitten im friedlichen Lande und deckte die Reste der Stadt zu.
Schlotternd verzog sich das Volk in die Häuser und Höfe, aus deren
Ställen, ein schauriger Chor, in Todesängsten das Vieh schrie.
Aber über dem Dorfe, im Hohlweg unweit der Kirche,
Lag ein gar seltsames Etwas, ein Popanz, phantastisch verkleidet,
Hielt einen Hochzeiterbuschen aus Disteln und Stroh in der Rechten,
Und eine Urlaubermütze saß ihm noch fest in der Stirne,
Welche am rechten Auge vom Blut einer Wunde verklebt war.
Wer ihm die Wunde geschlagen und wie das Geschöpf da heraufkam,
Ob es nach jemand gesucht, der etwa allein in die Nacht lief,
Dürfte man niemals erfahren. Ein fremder Holzknecht vom Volland,
Welcher des Weges kam und der Leute des Dorfes nicht kund war,
Nahm sich des Menschen an und trug ihn halbtot in den Pfarrhof.


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