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Dritter Gesang

Αυταρ επει ποσιοσ χαι εδητυοσ εξ ερον εντο
Μουσ αρ αοιδον ανηχεν αειδεμεναι χλεα ανδρων ...

Aber nachdem das Verlangen nach Trank und Speise gestillt war,
Trieb den Sänger die Muse, das Lob der Helden zu singen.

(Odyssee, Achter Gesang)

 



Dröhnendes Heil und Hallo empfing den Adjunkten vom Ratstisch!
Alle, dem Gaste entgegen, verließen die Plätze, und reichlich
Hatte Herr Fleps zu tun, um die vielen biederen Hände,
Die sich ihm boten, zu drücken und klirrend die silbergespornten
Hacken zusammenzuknallen bei jeder strammen Verbeugung.
Auch von den Nebentischen kamen die Spieler und Zecher,
Noch mit dem Trumpf in der Hand, und begrüßten den Gast in der Heimat.
Crinis, der Glaser, sogar, überrascht von dem plötzlichen Lärme,
Hob für einen Moment sein erloschenes Antlitz und sank dann
Wieder apathisch vornüber, doch merkte es niemand im Raume.
Jetzo schlug sich die Schenkel und gröhlte im Bierbaß der Förster,
Flepsens Chef im Zivil: »Eine Runde zur Feier des Abends!«
Fletschend das goldne Gehege des einzigen Zahnes im Munde,
Kellnerbückling-gewandt, die Serviette unter dem Arme,
Grinste beflissen der Wirt: »Zu speisen gefällig, Herr Fähnrich?
Kalt oder warm, wie's beliebt! Was Fertiges oder was Frisches?«
Und indessen Herr Fleps, berauscht von dem Jubel des Willkomms,
Braten, Kartoffelsalat und ein Viertel vom Besten bestellte,
Zwickte Schwinzerl, der Totengräber, das Fräulein Rachoinig
Nicht zu sagen worein, so daß sie bacchantisch emporfuhr.

Ja, sie benahm sich bacchantisch, das Fräulein Rose Rachoinig!
Hatte sie eben auch noch mit Fürbaß, dem Selcher, geäugelt –
Weil er ein Junggesell war und ein Mann von bestem Geschäftsgang! –
Dieses war aus und vorbei, seit Fleps in die Stube getreten:
Fleps, der Adjunkt, der Herzenbrecher der Gegend, in den das
Unfreiwillige Mädchen schon lang vor dem Kriege vernarrt war!
Ach, und wie war er doch damals schon süß und reizend gewesen,
Wenn er in Jägertracht mit den nackenden sehnigen Knieen,
Feder und Gamsbart am Hut, die Flinte geschultert, einherschritt!
Und erst sein Kindergesicht, sein schmachtender Blick, seine Wangen,
Rosig wie Milch und Blut, und die weiche, melodische Stimme!
Freilich, es hatte Herr Fleps nur wenig des Fräuleins geachtet,
Hatte es, Gott sei's geklagt, noch unreif, wie er gewesen,
Lieber mit Köchin und Magd als mit ihr, der Beamtin, gehalten,
Aber vergessen, verziehn! Allelujah, daß er zurück war,
Wohlbehalten, ein Held und bedeckt mit dem Ruhme des Schlachtfelds,
Breiter geworden, ein Mann, umwittert vom Blute der Feinde,
Deren er manchen gewiß mit eigenen Händen getötet!
Anders waren die vielen Medaillen nicht zu erklären,
So ihm an farbigen Bändern den tapferen Busen verzierten!
Was aber waren selbst diese – obwohl das Fräulein Rachoinig
Als ärarische Jungfrau dergleichen zu schätzen vermochte! –
Was, sag' ich, waren selbst sie im Vergleich zu dem goldenen Armband,
Das nun der Held ums Gelenk trug, und gegen den Zipfel des seidnen
Schnupftuchs, das ihm kokett aus der Tasche der Bluse hervorsah!?
Ohne Zweifel, Herr Fleps, der ländliche Junge von ehmals,
War durch die Schule des Kriegs Kavalier und Weltmann geworden,
Sprach mit dem lässigen Tonfall der Herrn Offiziere und schien nun
Endlich ihr ebenbürtig als Kandidat für die Ehe
Oder auch nicht für die Ehe – Herrn Flepsens Wille geschehe!

Dies nun war Grundes genug, daß das Fräulein Rose Rachoinig
Sich bacchanalisch benahm. Doch worin bestand dies Benehmen?
Erstens – obwohl ihr die Nase infolge von etwas Rachitis
Immer ein wenig verstopft war, zumal wenn das Fräulein erregt war –
Schwatzte sie dreimal so viel als sonst, und das wollte was heißen!
Zweitens lachte sie ununterbrochen, krampfhaft und grundlos.
Drittens nippte sie Branntwein von jedem Gläschen der Runde,
Viertens paffte sie Qualm aus des Försters Pfeife und schnob die
Schwaden quer über den Tisch an Fürbaß vorüber auf Fleps hin,
Fünftens und sechstens aber – und dies war besonders mänadisch! –
Sprühte sie glitzernde Blicke aus lüstern blinzelnden Augen
Mitten in Flepsens Gesicht und hatte, wenn sie so hinsah,
Ob auch ihr fahles Gebiß nicht eben ermunternd zum Kuß war,
Gleich einem Weib in der Wollust die Lippen ein wenig geöffnet.
Doch, als auch dieses nichts nützte, um Flepsens Herz zu bezaubern,
Probte sie stärkere Zwänge, indem sie dem Selcher erlaubte,
Daß er die wuchtige Hand mit den Fingern wie rosige Würstchen
Ungenierter denn je auf ihrem jungfräulichen Schoß hielt.
Aber auch dies war umsonst, die Eifersucht plagte Herrn Fleps nicht.

Nun trat Cordula ein – sie war in der ersten Verwirrung
Rasch in die Küche entwichen – und brachte dem Fähnrich-Adjunkten
Braten, Kartoffelsalat und ein Viertel vom besten der Weine.
So wie dem fremdesten Gaste servierte sie ihrem Geliebten,
Aber die Blicke der beiden vermieden einander mit Absicht.
Heiah, da ging ein Gejohl los beim Anblick der köstlichen Speisen!
»Mahlzeit!« und »Prosit!« erscholl's nun von allen Seiten, und eifrig
Machte der hungrige Fleps sich über die heimische Kost her.
Und sie war auch danach! Es hatte der göttliche Selcher
Für den Fronleichnamsbedarf der wohlunterspicktesten Schweine
Eines persönlich gestochen und Katharina, die Köchin –
Ach, sie hatte Herrn Fleps von früher her manches zu danken! –
Eines der leckersten Stücke mit Liebe und Rührung bereitet.
Brutzelnd, brätelnd und braun vom prasselnden Brande des Bratherds,
Prangte die prächtige Schnitte, verbrämt mit der breitesten Borte
Schwellenden Rückenfetts von der helleren Farbe des Bernsteins.
Riesig ragte die Rippe, umrillt von der weißen Manschette,
Über den Rand des Ovals, indessen das knusprig gebratne
Fleisch, das unter der Kruste die zarteste Faserung aufwies,
Herrlich vom kümmel- und knoblauchgesättigten Safte umspült war.
Dieses die Schweinskotelette! Daneben aber auf flachem
Gläsernem Tellerchen lud der Kartoffelsalat zum Genuß ein.
O, welch ein Kunstwerk auch er! Von harten Eiern umgeben
Und von dem zartesten Grün der Endivie neckisch umkräuselt,
Lagen die safrangelben Scheiben der Kipfelerdäpfel,
Reichlich mit Dottern vermengt und glänzend vom Essig und Öle,
Gleich einem Häufchen Dukaten zum Gipfel der Wonne geschichtet,
Diesen aber bekrönte in perlmutternen Ringeln
Ambrosianischen Duftes die köstliche Würze des Zwiefels!

Also tafelte Fleps, und derart hörbar zermalmte
Sein Akrobatengebiß die glasige Härte der Schwarte,
Daß es niemand mehr aushielt, bei solchem Wohllaut zu fasten.
Und es bestellten sich Sülze Oremus, Zaunschirm und Schwinzerl,
Preßsack mit Senf Populorum und andere Leber- und Blutwurst.
Nur der Herr Pfarrer enthielt sich, indessen das Fräulein Rachoinig
Wegen der Reinheit des Teints – sie neigte zur Furunkulose –
Fleisch und Gewürztes vermied und Torte mit Schlagobers vorzog.
Heiah, das gab ein Geschäft! Und grell mit dem einzigen Goldzahn
Grinste Herr Pschunder, der Wirt und Kirchenvater, und dankte,
Den er zwar haßte, Herrn Fleps und seinem Herrgott im stillen.
Wie, er haßte den Fähnrich? Gewiß ja! Hatte doch dieser
Einst ihm den eigenen Sohn, als der Bursche mit Cordula frech war,
Scharf in die Grenzen verwiesen, und dieses verzieh ihm der Wirt nicht.
Und es haßte Herr Pschunder auch Cordula, weil sie ihm selber,
Als er zum Witwer geworden, vor Jahr und Tag einen Korb gab.
Und es haßte der Gastwirt schließlich und endlich den Sohn auch,
Weil sich dieser vermessen, dereinst in betrunkenem Zustand
Nächtlicher Weile in Cordulas Kammer zu dringen, obwohl er
Wußte, daß Pschunder, der Vater, ein Aug auf das Mädchen geworfen.
Damals mußte der Wirt, mit dem Ochsenziemer bewaffnet,
Ordnung machen im Haus, und seither war der Andreas
Tief in die Wälder verbannt, um ein Sägewerk zu betreiben,
Welches dem Vater Gewinn und dem Sohne Enthebung vom Kriegsdienst
Brachte, und solcher Art war allen Teilen geholfen.

Aber von all dem Haß ließ Pschunders gesunder Geschäftssinn
Keiner Seele was merken, besonders nicht heutigen Abends.
Liebenswürdig-gewandt, seinen Gästen ein Vater, so war er
Überall Auge und Ohr und bedacht, den Umsatz zu steigern.
Heiah, da brauste am Schanktisch das Gläser ausspülende Wasser!
Heiah, da zischte Siphon in die Stutzen und Becher, da dröhnten
Unten im Keller die Fässer vom Anschlag, aus bauchigen Flaschen
Gluckste der Wein ins Gemäße, und Cordula hatte zu laufen!
Kaum daß die kräftigen Finger des Mädchens die Fülle der Henkel
Bändigten, wenn sie mit beiden Händen Getränke herantrug,
Alle die steinernen Krüge und gläsernen Humpen, aus denen,
Flüssigem Topas entsteigend, die Blüte des Schaumes emporquoll!
Heiah, da flaumten in Barten die schneeigen Flocken, da wischten
Händerücken die Lippen, und bräunliche Speichelgeschosse,
Sorglich geformt und geballt im Gehege der schwärzlichen Zähne,
Flitzten im Bogen zu Boden: es war kannibalisch gemütlich!

Aber als sie nun alle gehörig geschmaust und getrunken
Hatten und allenthalben aus wiederentzündeten Pfeifen
Blaues Gekräusel entstieg, übermannte sie holder Verdauung
Wärmendes Wonnegefühl, und der Augenblick schien nun gekommen,
Da man aus Flepsens Munde vom Kriege zu hören erpicht war.
Allen an Neugier voran, das Fräulein Rose Rachoinig
Hielt es schon kaum mehr aus, von den Heldentaten des Fähnrichs
Bis auf den Grund zu hören, und ihre rachitisch verstopften
Nüstern schlürften bereits, hysterisch schnuppernd, die wilden,
Sinne benehmenden Düfte vom Schweiße und Blute des Schlachtfelds.
Und sie harrte nicht lange; denn als sich der Fähnrich die vielen
Fragen, die rings von den Zungen, den schwerer gewordenen, kamen,
Reiflich zurechtgelegt, begann er gewinnend bescheiden,
Aber im vornehmen Tonfall der Kavallerieoffiziere –
War er doch gleichfalls beritten! – die wohlgegliederte Rede:

Erstens, obwohl er kein Redner und nur ein schlichter Soldat sei,
Könne er doch nicht umhin, seiner Freude Ausdruck zu leihen,
Daß er nun wieder daheim sei, und werde dieses Vergnügen
Nunmehr länger genießen, indem er zur Einexerzierung
Einer Ersatzbatterie in den nahen Markt kommandiert sei.

Diese Eröffnung, von allen begrüßt, erregte in Fräulein
Rose Rachoinigs Brust den jähesten Wechsel von Schauern
Süßester Ahnung und Angst vor dem nahen Verlust ihrer Unschuld;
Denn für sie stand fest, daß Fleps ihr Bräutigam werde,
Wenn auch ... Doch davon später! Indessen setzte Herr Fleps fort:

Ferner sei er erstaunt, was es alles für leckre Genüsse
Doch noch im Hinterland gebe, indessen man draußen im Felde
Immer von Not nur vernehme und andern bedenklichen Zeichen
Schwindenden Siegesvertrauens in weitern Bevölkerungskreisen.

Diesmal pochte das Herz dem Gastwirt höher; denn eben
Jene Genüsse waren's, durch die er im kommenden Sommer
Hoffte Geschäfte zu machen und Übelbachs Ruhm zu begründen.

Weiters bemerkte Herr Fleps: Im übrigen sei's auch im Felde
Gar nicht so traurig bestellt mit der Mannschaftsverpflegung etc.,
Wie man zu munkeln beliebe und wie es die Flaumacher schrieben.
Freilich passiere es manchmal, daß ganz in den vordersten Gräben
Während des Trommelfeuers die Zufuhr tagelang aussetzt,
Aber da gelte es eben, den Überschwung enger zu schnallen
Und mit Soldatenhumor dem Hunger ein Schnippchen zu schlagen.

»Sind Sie schon einmal, Herr Fleps, in den vordersten Gräben gewesen
Während des Trommelfeuers?« erlaubte sich Hiebaum zu fragen.

»Ich?« errötete Fleps und an Hiebaum, dem Schreiner vorüber
Sagte er etwas verächtlich, daß er ja bei Artillerie sei.

»Eben!« erwiderte dieser und meckerte knapp und verschlossen.
Dies war die erste der Schlappen, die Fleps im Verlaufe des Abends
Seitens des Schreiners erlitt, und das Fräulein Rachoinig bekam die
Ersten hektischen Flecken im Antlitz vor Zorn und Beschämung.

»Übrigens, Infanterie ...!« fuhr Fleps noch ein wenig gereizt fort:
Niemandem falle es ein, ihr ihre Verdienste zu schmälern,
Aber, parole d'honneur, wenn nicht eben ein Angriff im Gang sei,
Lägen die Schützengräben einander passiv gegenüber,
Wochenlang falle kein Schuß, und Freund und Feind seien Brüder.

Alle lauschten gespannt, fast könnte man sagen, mit Andacht.
Nur der Mephisto des Dorfes, Herr Hiebaum, spitzte die Ohren,
Neigte den Kahlkopf zur Seite und meinte mit teuflisch gespieltem
Staunen in Miene und Ton: »Aber was Sie nicht sagen, Herr Fähnrich!
Darnach wär' ja der Krieg die reinste Lebensversichrung!
Möchte nur wissen, woher dann die vielen Blessierten und Toten
Kommen, die jeden Tag in der Zeitung mit Namen genannt sind?«

Und dies hätte die zweite der Schlappen für Flepsen ergeben,
Und das Fräulein Rachoinig wäre vor Ärger zersprungen,
Hätte dem Fähnrich sein Witz nicht geholfen, indem er zurückgab:
»So einen Sargfabrikanten verdrießt's halt, daß alle die vielen
Sterbefälle passieren, wo er dabei kein Geschäft macht!«

Dies war ein herrliches Wort, humor- und gemütvoll, ein Primhieb
Fein-dialektischer Kunst, und ihm entsprach das Gelächter,
Welches aus sämtlichen Hälsen nun pünktlich und schallend hervorbrach.
Einzig das Antlitz des Pfarrers war leidender, als es schon sonst schien,
Und Herr Crinis, der Glaser, erhob nun zum anderen Mal sein
Gramvoll-verwildertes Haupt und stierte verzerrt Herrn Fleps an.
Doch der Adjunkt war im Zuge und sprach die geflügelten Worte:

Überhaupt – Krieg sei Krieg, und das ewige Reden vom Sterben
Bloß Zivilistenmanier! Der Soldat, dem es Ehre und Pflicht sei,
Pflege zu schweigen davon; denn Fachsimpelei ist geschmacklos.
Wenn es auf ihn ankäme, so ließe er keinen zum Kampf zu,
Welcher die Hose vollhat! Ein einziger Feigling vermöge
Ein Regiment zu vergiften! Weshalb es vernünftiger wäre,
Wenn sich gewisse Leute, die militärisch Nichtsnutz sind,
Lieber am Ofen die Zeit mit Fliegenfangen vertrieben!

»Ja, wenn sie einen nur ließen!« ergänzte verbissen der Schreiner,
»Weil's aber, wie es sich zeigt, die Jungen alleinig nicht richten,
Kommen die Alten jetzt dran und sollen die Fuhr' aus dem Dreck ziehn!«

Niemand lachte hiezu. Denn überall hieß es im Lande,
Daß schon die Absicht bestehe, die Männer, die noch-nicht-gedienten,
Zwischen Fünfzig und Sechzig, zu mustern und einzuberufen.
Also schwiegen sie ernst; nur Fleps fuhr hitzig empor und
Wollte entsprechend erwidern – es war ja die dritte der Schlappen
Für den Fähnrich gewesen! – als sanft, doch bezwingenden Ernstes
Ihm der Herr Pfarrer ins Wort fiel, indem er beziehungsvoll anhub:

»Nein, meine Lieben, nicht so, wie ich's eben vernommen hab', sollte,
Wer es auch immer sei, von Dingen reden, die vielen
Tausenden anderen Tod und unsäglichen Jammer bedeuten!
Niemand wird es gewiß dem Frontsoldaten verdenken,
Wenn er sein Handwerk verteidigt, das leider nun einmal der Krieg ist.
Aber es sollte auch niemand auf seinen Nächsten herabsehn,
Weil er das furchtbare Kreuz nur in schwerem Gehorsam auf sich nimmt!
Wem es gegeben ist, sich freudig und mutig zu opfern,
Dessen Verdienst ist groß, und Kühneres mag er vollbringen.
Doch auch der anderen Opfer wird einstens gezählt und gewogen
Und, dies glaube ich fest, gewiß nicht als leichter befunden.
Denn es ist ein gewaltiges Ding um das Sterben von Menschen,
Wenn es dienend geschieht und um solcher Erfüllungen willen,
Die dann nur andre genießen, und wären's die eigenen Kinder!
Darum vergeht sich auch jener, der das, was unsere Brüder
Schon vollbracht und erduldet, zum Ziele leichtfertigen Spott's macht,
Wär's auch vergeblich gewesen und ließe am Ende die Kraft nach!
Was denn wäre mit uns, wenn sie nicht den Schrecken der Hölle
Viele Jahre schon trotzten? Was wissen denn wir, was der Krieg ist?
Dörfer in Brand geschossen und Habe und Hausrat geplündert!
Frauen und Töchter geschändet und Kinder und Greise gemetzelt!
Und nicht der Mensch nur gemordet! Gemordet wird auch die Erde!
Ja, sie stirbt wie ein Weib! Wie ein Weib, ein gesegnetes, stirbt sie,
Dem man den Leib aufreißt und die werdende Frucht in den Kot tritt:
Von Millionen Geschossen zerstampft, zermartert, zerrissen
Klafft ihr das Innerste bloß! Jahrzehntelang wird da kein Pflug gehn,
Ohne auf Eisen zu knirschen. In ungeheueren Trichtern
Sammelt Gewässer sich an und versumpft das herrlichste Saatland!
Und erst die Wälder, die Wälder! Was Ahnen und Väter geforstet
Viele Jahrhunderte lang, die uralt-gewaltigen Stämme
Sinken granatenzerschmettert aus heulenden Flammen zu Mist hin!
Das ist der Krieg, meine Lieben, die Geißel Gottes! Und all dies,
Oh, es ereignet sich nicht in fremden, entlegenen Welten
Oder in anderen Zeiten, nein, jetzt und benachbart! Wir selber
Können die Donner der Schlachten vernehmen in ruhigen Nächten,
Wo wir schlafen dürfen, woferne wir's können, ja schlafen
Oder das Tagwerk bedenken, das nächste und übernächste;
Denn wir sind ja in Hut und vor allen Übeln geborgen,
Weil es andere gibt, auch Menschen, auch Väter und Söhne,
Welche die Sünden der Welt mit ihrem Blute bezahlen!«

Und der Pfarrer verstummte und schloß wie in Ohnmacht die Augen,
Um den Gesichten zu wehren, die jäh seinen Geist überwältigt.
Und auch die Bauern schwiegen, und graue Furchen der Sorge
Pflügten ihnen die Stimm, die plötzlich gealterter schienen.
Einzig der Fähnrich-Adjunkt, in dem, wie die Kugel im Laufe,
Immer der Ärger noch stak und die zornige Abfuhr für Hiebaum,
Lächelte maliziös und vermochte den Worten des Pfarrers
Wenig nur abzugewinnen: Wie stellte der Mann sich den Krieg vor?
Daß die Agrikultur durch Granatentrichter gewisse
Schäden erleide, war klar, doch wahrlich die allergeringste
Sorge unseres Helden. Und was die Absicht betraf, die
Sündenrechnung der Welt mit Blut zu begleichen, so war dies
Unsinn, wie er im Buch steht, und keiner Erwiderung würdig.
Folglich schwieg auch Herr Fleps und begnügte zunächst sich, das blonde,
Wohlgescheitelte Haupt in den Nacken zu werfen, indem er
Offensichtlich gelangweilt und impertinent zum Plafond sah.
Aber auch Fräulein Rachoinig war unbefriedigt, ihr Antlitz
Förmlich getigert bereits von hektischen Flecken und ihre
Nase verstopfter denn je: Daß, statt zu brillieren, ihr Held sich
Schlappe auf Schlappe geholt, war unerträglich und heischte
Gründliche Reparatur! Da kam ihr ein Einfall, und plötzlich
Wollte sie durchaus wissen, durch welcherlei Taten sich jener
Seine Medaillen verdient und ob er während des Krieges
Je in der Lage gewesen, im Nahkampf, mit eigenen Händen ...
Und vor Erregung verschlug es dem Fräulein Rachoinig die Stimme.

Fleps doch hatte verstanden und sagte gelassen: Natürlich
Hab' er im Artilleriekampf so manchem sein Fünklein verblasen –
»Denn Befehl ist Befehl, und Pflicht ist Pflicht, meine Herren!« –
Aber im Nahkampf nicht, das heiße freilich ... Und Fleps hielt
Inne in seiner Entgegnung. Da wußte das Fräulein Rachoinig
Kaum mehr wo aus und wo ein und girrte förmlich: »Ach, bitte,
Sprechen Sie doch davon, Herr Fähnrich, wenn es nicht gar zu
Grausam zu hören ist!« Doch ihre Augen und Nüstern
Straften den Nachsatz Lügen. Da lachte der andere rauh auf:

»Grausam? Das wüßte ich nicht! Im Kampfe auf Leben und Tod gilt
Bloß ›Wie du mir, so ich dir!‹ und die Frage ist nur, wer zuerst schießt!
Ja,« und der Fähnrich verlieh seiner Stimme Metallklang, »es hat schon
Manchmal recht tüchtig geknallt, und immer war es ein Blattschuß,
Wenn ich auf eigene Faust und nur mit dem Stutzen bewaffnet,
Pirschen gegangen bin!«

» Was pirschen?« fragte der Förster. »Hasen und Hühner nicht!« erwiderte Fleps. »Aber abends
Oder auch ganz in der Früh', da sind in den feindlichen Gräben
Lebensmüde genug, die die Deckung verlassen, besonders
Wenn's ein Gewässer wo gibt im Gelände zwischen den Fronten!«
»Kreuztibidomine!« entfuhr es dem Förster, und schluckend
Fügte er leiser hinzu: »Das ist freilich ein anderes Jagen!«
»Ist auch ein Jagen!« rief jener, »Nur daß man freilich mitunter
Selber das Wild wird dabei!« »Aber nur mitunter, Herr Fähnrich!«
Sagte der Schreiner da knapp und faßte den Fähnrich ins Auge,
»Denn Sie sitzen ja hier im Wirtshaus und lassen sich's gutgehn!«

» Heute, mein lieber Herr Hiebaum! Nachdem ich dreimal verwundet,
Fünfmal verschüttet war und sonst auch so ziemlich lädiert bin!«
Brauste der Fähnrich auf. Da schrie eine furchtbare Stimme:
» Hin sein solltest du, Lump!« Da riß es alle herum und –
Schon war der Glaser am Tische, Herrn Fleps gegenüber und keuchte:
» Dich geht es an, du Halunk! Schießt Menschen wie Spatzen! Und dazu
Geben Eltern die Kinder?! Herunter von deiner Montur den
Kram da! Herunter damit!« Und während noch Fleps wie betäubt saß,
Wollte der Rasende ihm von der Brust die Medaillen reißen.
Aber da sprangen sie auf, die Männer am Tische, und Fleps auch
Schnellte vom Sessel empor und, jählings verglasenden Wutblicks,
Fuhr er ans Seitengewehr, um den Glaser niederzumachen –
Als, wie ein plötzlicher Turm, der lendengewaltige Selcher
Schützend vor Crinis ragte, den bändigend andere hielten.
Lautlos stand der Koloß, es entkam ihm keine Bewegung,
Nur die Arme wie Keulen, die nervigen Pranken des Schlächters,
Unfehlbar gewohnt, ins Leben des Stieres zu treffen,
Hingen ihm schwer von den Schultern, in drohender Urkraft erbebend.
Da verfärbte sich Fleps, ihm schwanden die Sinne, und wie von
Feme nur, wie in dem Bann eines Alptraums, vernahm er das Tosen
Des von den Tritten der Männer, vom Schreien des tobenden Glasers
Wüst durchschütterten Raumes. Doch da, auf einmal, was war das?
Über die Flüche des Glasers auf Vaterland, Gott und den Kriegsherrn,
Über das Stürzen von Stühlen und Splittern von Gläsern, was klang da
Wie die Posaune der Rache? Was schrillte wie Wahnsinn, was schrie da
Maniakalisch verkrampft, indem es, die Nerven aufpeitschend,
»Gendarmerie!« rief, »Gendarmerie!« und immer von neuem
»Gendarmerie!«? – Es war die Stimme des Fräuleins Rachoinig,
Die die gesetzliche Macht zur Wiederherstellung der Ordnung,
Aber vor allem zum Schutz des bedrängten Adjunkten herbeirief.
Dieser stand noch im Banne des lendengewaltigen Selchers
Und bedeckt von der Schmach beleidigter Fähnrichsehre,
Da doch geschah ihm Erleuchtung, da traf die Posaune der Rache,
Traf die Stimme des Fräuleins Rose Rachoinig auch sein Ohr!
Und er riß sich zusammen, und da auf die Straße der Ausgang
Durch das Getümmel der Crinis umbalgenden Männer verlegt war,
Machte er blitzschnell kehrt, um hofwärts ins Freie zu kommen.
Zwar ließ Fürbaß ihn laufen, allein im Rahmen der Gangtür
Cordula war ihm im Wege. Zum ersten Male heut' abend
Standen die beiden einander Aug' in Aug' gegenüber.
Wortlos forschte die Magd in den Zügen des Mannes, doch scheu wich
Flepsens betroffener Blick dem klaren Gesichte der Magd aus.
Bleicher noch trat sie zur Seite und wehrte nicht fürder dem Ausgang,
Und es stürzte der Fähnrich an ihr vorbei in die Nacht fort.


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