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Neunter Gesang

»Κυχλωψ, τη, πει οινον, επει φαγεσ ανδρομεα χρεα ...«

»Nimm, Kyklop, und trink eins;
auf Menschenfleisch ist der Wein gut!«

Odyssee, Neunter Gesang.

Ihr Herrn und Frau'n,
Laßt's euch sag'n:
Der Hammer hat
Viere g'schlag'n.
Gebt's Obacht auf das Feuer und das Licht,
Daß kein Unglück g'schicht!
Gelobt sei Jesus Christus!

Altes Nachtwächterlied.

 



Wochen waren vergangen im Dorf am gewaltigen Volland
Seit dem beträchtlichen Abend, an dem der betölpelte Hahnrei
Von dem verbotenen Baum die verfängliche Torte gegessen,
Und seinen Mittag erklomm auf goldenen Stufen der Sommer.
Gnade der köstlichen Tage in jenem Jahre des Unheils,
Da die Menschen einander noch immer haßten und würgten!
Unbeirrbar von ihrem Treiben vollbrachte die Erde
Wunder des Früchtegedeihens, vollzogen die hohen Gestirne
Wetterbestimmenden Gang, und im glücklichsten Wechsel erquickte
Reifende Wärme die Flur und milde bewässernder Regen.
Aber des Himmels Panier, ob oft auch gewitterverdunkelt,
Bläue war's über der Welt, und goldene Bänder, die Wolken,
Wehten am Tage daran, und Sterne bestickten's in Nächten.

Bläue, unendliche Bläue, wie atmest du wandernde Wellen
Über die lüftebewegten aufs neue ersprossenden Wiesen,
Während auf anderen noch, zum Trocknen gehäuft und gewendet,
Süßen verwelkenden Duftes die erste Ernte der Mahd liegt!
Bläue, o göttliche Bläue, wie glühst, wie flimmerst du silbern
Über den Spitzen der Ähren, wenn in die Schwüle des Mittags
Grillengezirpe sich regt und Schnitterinnen und Schnittern
Tief in die bleiernen Träume der Rast die Stimme des Pan ruft!
Doch in den Wäldern oben, die wie vom Beginne der Zeit her
Ragen und niederdunkeln in Schluchten, auf Wiesen und Felder,
Nascht schon das Haselhuhn an der Preiselbeere, nach Pilzen
Riecht es in Schattenbereichen, und in den Nächten, der Brunftbock
Sprengt jetzt sein rotes Gemahl, die lüstern fiepende Ricke.

Ewige Wiederkehr der heilig-natürlichen Dinge!
Saltus non facit natura! Nach vorbestimmten Gezeiten
Fügt sich, was immer geschieht, in ihren beständigen Reihen.
Nur in der menschlichen Welt, der wankelmütigen, kleinen,
Scheint es bisweilen, als machte sogar die Natur einen Bocksprung
Und als stünde Vernunft und jedes Gesetz auf dem Kopfe.
Denn es braucht ja, o Muse, von jenem künstlichen Netze,
Das aus Begriffen geknüpft ist, so jeweils Sitte und Recht sind,
Nur eine einzige Masche sich aufzulösen und sieh, das
Ganze Gespinste zerfällt in ein sinnloses Wirrsal von Fäden,
Und ein jeder verlacht's und tritt mit den Füßen und speit drauf!
Also, wenn auch im kleinen und doch als ein Abbild des Größern,
Wandten die Dinge sich auch im Dorf am gewaltigen Volland,
Seit dem beträchtlichen Abend, an dem der betölpelte Hahnrei
Jene verfängliche Frucht vom verbotenen Baume gegessen
Und seitdem seine Gattin, noch eben beinahe gesteinigt,
Förmlich im Handumdrehen vom ganzen Dorfe geehrt ward.

Und sie wurde geehrt wie einstens Bethulias Judith,
Ob sie auch nicht Holofernen den Kopf vom Rumpfe geschlagen,
Sondern es bloß bewirkt, daß Kirbisch den seinen verloren!
Pschunders verwogenes Beispiel, es hatte bei jener Gefolgschaft,
Welche, solange die Welt steht, allein die Lumpen einander
Leisten, Schule gemacht: Herr Frischenschlager, der Bäcker,
Schickte, so oft er aus Weißmehl verbotenes Backwerk und Brot buk,
Pröbchen zum Kosten davon dem Weib des Gendarmen. Der Krämer
Spendete Butter und Käse, Kaffee, Schokolade und Zucker,
Seife, Kohle, Benzin, Petroleum, Spiritus, Kerzen,
Lauter dem freien Handel noch immer entzogene Dinge,
Die man aber nun wieder im Dorf am gewaltigen Volland
Bei Populorum Baptist, Spezerei- und Gemischtwarenhandlung,
Postwertzeichenverschleiß und Tabaktrafik usw.,
Ob auch nur heimlich, bekam und natürlich nur, wenn man bei Geld war;
Denn für die Ärmsten und Armen, da galt ja wie ehmals und jemals,
Den nur der Reichtum verlacht, der volle Ernst der Gesetze.
Aber am nobelsten zollte ... Doch halt, o Muse, da hebt ein
Andres Kapitel an von komisch-tragischer Größe:
Fürbaß Romanus Ägid, der lendengewaltige Selcher,
War, wie schon öfters erwähnt, trotz seines blutigen Handwerks
Fast ein Gemütsmensch zu nennen. Gewinnsucht war ihm zwar auch nicht
Fremd und ebensowenig die Schlauheit, dem Aug' des Gesetzes
Sand in die Augen zu streun in Gestalt von verblümten Geschenken,
Aber in diesem Falle war doch noch ein tieferer Grund da,
Daß er die Habgier bezwang und nachgerade splendid ward!
Niemals hatte der Selcher, der, was er begehrte, im Sturm nahm –
Denn er war Junggesell und ein Mann von bestem Geschäftsgang –
Sehnsucht kennengelernt! Im Keller über die Fässer
Bog er die girrenden Mägde, im Stall, auf dem Feld und im Stadel
Zwang er die keuchenden hin mit den eisernen Griffen des Schlächters,
Und den Geschwängerten gab er – ein Schweiggeld nach einem Tarife,
Welcher bei allem bekannt war, was Schürzen und Kitteln im Dorf trug.
Aber die Frau des Gendarmen? Die war eine Dame geworden,
Brauchte nicht Mammon von ihm und hatte zwei andere Männer,
Welche ihren Bedarf an Wollust und Huldigung deckten.
O, da lernte der Selcher in seiner Ohnmacht die Sehnsucht,
Lernte die folternde Gier der unerwiderten Liebe
Kennen, welche bei diesem im Blute watenden Riesen –
Hämischer Streich der Natur! – ins Masochistische umschlug

Ja, er war ganz« verkehrt, der gewaltige Selcher, geworden!
Wie doch zeigte sich dies? Durch völlige Wandlung des ganzen
Innern und äußeren Menschen. Denn abgesehen von allen
Braten, Schinken und Würsten, die er höchstselbst der Gendarmin
Täglich in Gottes Früh', wenn Kirbisch noch schnarchte, ins Haus trug,
Nahm er nun öfters ein Bad, balsamierte sich Scheitel und Schnurrbart,
Wechselte häufig das Hemde, damit die Gerüche der Schlachtbank
(Jene Gerüche von Blut und dem Inhalt der tierischen Därme!)
Nicht am Ende die Nase der Feinen behelligen mochten.
Aber an jedem Sonntag nachmittags bei günstigem Wetter
Ließ er die üppig gefütterten Gäule, die unter der Woche
Kälber und Schweine verfuhren, aufs prächtigste schirren und saß mit
Kirbisch, Gemahlin und Fleps in der sammetgepolsterten Chaise,
Leutnant und Dame im Fond, der Hahnrei und er auf dem Rücksitz.
Wenn er dann merken mußte, wie jene sich unter der Decke
Fanden zu manchem Pläsier, das scheinbar mitunter recht weit ging,
Hatte er, während der Gatte nichts sah noch ahnte, Gefühle,
Welche ihn bald in die Hölle und bald in den Himmel versetzten.
So weit war's mit dem lendengewaltigen Selcher gekommen!

Aber genierten sich Fleps und das Weib des Gendarmen denn gar nicht?
Nein, sie genierten sich nicht. Wozu auch, unsterbliche Muse?
Herrlich, von südlicher Wärme war ja der Sommer, die Lüfte
Milde sogar in den Nächten und dennoch würzig, die Sterne
Leuchten ja gern den Verliebten, und Wiesenraine des Abends,
Wenn die Vögelein schlafen und äsend das Reh aus dem Wald tritt,
Sind doch (Tandaradei!) ein gar duftendes Bette der Wonne!
Wenn die Geliebte sich dann, mit der Nachglut der Lust auf den Wangen,
Trunkener Kniee erhebt, die Haare ordnet und Rispen
Sich von der Schürze knipst und flüstert: »Ach, jetzt bist du wieder
Schlimm gewesen, mein Schatz!« und wenn dann des schmollenden Mündchens
Vorwurf lügengestraft wird vom Dankblick der schelmischen Augen –
Süßer Triumph der Natur und des göttlich schweifenden Urtriebs
Über die Pedanterie, die dergleichen in muffigen Betten,
Förmlich nach Stunde und Maß und, wie man ein Medikament nimmt,
Ohne den Blitz der Begierde gewohnheitsmäßig erledigt!
Heißt du mich schweigen, o Muse? Errötest du? Aber so lies doch
Nach in der Mythologie! Deine Götter, sie liebten im Freien!
Hoch auf den Höhn des Hymettos, des honigberühmten, liebkoste
Eos den Kephalos, den Endymion küßte Selene
Nächtlich im Höhlengebirg und der Satyr die Nymphe am Ufer.
Nur der olympische Zeus – er trug nicht umsonst einen Vollbart! –
Liebte in Wohnungen auch: ad exemplum die schöne Alkmene,
Die er im Bette des Gatten beschlief und in dessen Gestalt auch.
Sonst aber zog selbst er die Natur vor, freilich in Adler,
Schwan oder Stier sich verwandelnd, was Sterblichen leider versagt ist.
Folglich sage ich frei: es liebten Fleps und Gendarmin
Ganz wie die Götter einander an Bächen, auf Wiesen, in Wäldern.
Ach, man kannte im Dorfe genau die verschwiegenen Plätzchen,
Wo sie einander genossen; man wußte die üblichen Stunden
Ihrer Zusammenkünfte; es konnte nach diesen die Uhr sich
Richten, wem es beliebte; und wenn sich der Hahnrei bisweilen
Dienstlich entfernen mußte, so konnte man eins gegen tausend
Wetten, daß balde darauf der Leutnant, natürlich aus Zufall,
Summend am Amtshaus vorbeikam, und alles übrige fand sich.
Ungeheurer Gesprächsstoff! Das Fräulein Rose Rachoinig
War in beständigem Fieber und dennoch, mit ihrer Entrüstung
Hatte sie keinen Erfolg. Nicht einmal die Weiber, bei denen
Nahezu nichts mehr zu tätscheln und hätscheln vorhanden, verargten
Jenen ihr sündiges Glück, seitdem die Schande zur Ehre
Und aus der Ehre der Aufschwung, der allgemeine, geworden.

Überhaupt, Übelbachs Weiber! Seit jenem beträchtlichen Abend,
Da sich beim Engelwirt die Geburt des Foxtrott vollzogen,
Hatte sie Taumel erfaßt, besonders die hübschern und jungen!
Wo sie auch standen und gingen, am Herd, im Geschäft, auf der Straße,
Gaben sie Armen und Beinen, den Hinterfronten und Hüften
Jene Bewegungen, die, dem Rhythmus der Wollust entliehen,
Ihnen der Inbegriff mondäner Grazie dünkten.
Überall zirpten und summten, vom Strickstrumpf, vom Waschtrog, vom Stall her,
Jene verschmierten, verlogenen Allerweltsmelodieen
Samt den geschmalzenen Texten, mit denen sich Sudelgehirne
Frech in die Sprache erbrechen! Von schnöden Pikanterieen
Flossen die Lippen über, die analphabetischen, denen
Sonst schon ein Wort nach der Schrift ein komisch-vermessnes Bemühn war,
Und eine billige, faule Lebe- und Halbweltromantik
Elektrisierte die plumpen, die bäurischen Vogelgehirne,
Daß sie zu fippern begannen nach ungeheurem Erleben!
Heia, da wurde das Dorf, die Arbeit mit Besen und Borstwisch,
Wurde das Dasein zu eng zwischen Düngerhaufen und Kuhstall,
Und, was da konnte, entlief in die Stadt, in die Rüstungsfabriken,
Und, was im Orte verblieb, das fand auch da seine Rechnung.
Kamen doch nach wie vor an jedem Samstag, den Gott gab,
Nebst den Gemahlen der Damen, geschmeidige Kavalleristen,
Welche, vom Frontdienst enthoben, im Kriege verdienten statt dienten.
Und es kamen gefahren mit Kutschen und Automobilen
Öfter und öfter nunmehr in flotter Kokottengesellschaft
Märchenhafte Gestalten, von denen niemand zu sagen
Wußte, woher sie so plötzlich das Land überschwemmten: die Schieber!

Heia, da knallten die Pfropfen bis tief in die Nächte, da wurde
Hazardiert und getanzt, und der Totengräber, Herr Schwinzerl,
Welcher als Wächter der Nacht die Stunden ausrief im Dorfe,
Hatte nun herrlichste Zeiten. Die Partisane geschultert,
Sang er sein Lied auch im Saal und am Ende das Lob Jesu Christi
Gröhlenden Schiebern und Dirnen, und immer gab es für ihn dann
Sekt, Zigarren und Trinkgeld, und morgens war er besoffen.
Aber vor der Veranda, die Nasen gedrückt an die Glaswand,
Gaffte das Weibsvolk des Dorfes und sah es den Menschern im Saal ab,
Wie man es machen muß, um auch in Jubel zu leben,
Und eine jede verspürte den Marschallstab im Tornister!
Heia, da wurde Silen mit Hängebacken und Spitzbauch,
Wenn er nur Geld unter sich ließ und zahlte, was gut war und teuer,
Wurde der dummen Krapüle zum Idealbild des Mannes!
Heia, da neigte das Schifflein der leck und locker gewordnen
Afterbürgermoral bedenklich die Planken, und plötzlich
Kamen aus allen Schlüpfen des modrig gewordenen Rumpfes,
Kamen die Ratten auf Deck: die heimlichen Laster, die lichtscheun
Winkelgewerbe, und rafften, bevor es auf Grund ging. Zum Beispiel:
Frau Jadwiga Paschanda, die frömmste unter den Witwen,
Übte den alten Beruf des Gelegenheitsmachens und Kuppelns
Wieder mit Leidenschaft aus und vermietete nur mehr auf Stunden.
Und Sophie Populorum, als staatlich geprüfte Hebamme,
Hatte nun nicht nur ein Schild, das unter dem Bildnis der Mutter
Gottes auch das Symbol einer hilfreich-kundigen Hand wies,
Sondern bekam nun auf einmal ganz andere, bessere Kundschaft,
Als es die Mägde gewesen, die immer erst, wenn es zu spät war,
Flennend geschlichen kamen und drohten, ins Wasser zu gehen.
Freilich, sie hatte auch diesen in früheren Zeiten geholfen,
Wenn in der Regel auch bloß in ein besseres Jenseits; doch all dies
War nun verjährt und vergessen und kam auch gar nicht so weit mehr.
Denn es war die Kultur mit den allermodernsten Methoden
(Mit Prophylaxis, Asepsis, Symptombehandlung etc.)
Eingezogen ins Dorf durch die rührige Gattin des Krämers!
Vorne im Gassengewölbe verschleißte Baptist Populorum
Sensen und Pfeifenköpfe, Kalender und sauere Gurken,
Suppenwürfel und Schuhwichs, Tabak und Brandmalereien,
Mittel gegen den Fußschweiß, das kleine ägyptische Traumbuch,
Komische Larven zur Fastnacht und Sterbekreuze etc.
Aber im hinteren Raum (mit diskretem Eingang vom Hof her)
Ordinierte die Frau und hatte ein wohlassortiertes
Lager von Neuigkeiten in interessantern Artikeln!
Staunen würdest du, Muse, obwohl du doch auch eine Jungfrau,
Was es da alles gab und was die Jungfraun des Dorfes
Nötig zu haben begannen, um solche noch eben zu bleiben!
Aber ich schweige ja schon, o Göttin, und wollte damit nur
Sagen, wie alle Gebiete des ländlichen Lebens befruchtend
(Oder auch nicht befruchtend!) der Sündenfall des Gendarmen
Und seines Weibes gewirkt und wie aus der Schande das Glück ward.

Denn es ist unterwegs, dein Glück, du Dörfchen am Volland!
Handel und Wandel gedeihen, Pschunders Friedensverpflegung,
Gestern noch windiger Bluff einer skrupellosen Reklame,
Ist nun zur Wahrheit geworden, und seine Gäste besorgten
Ihren Ruhm in der Stadt und wohin sie kamen im Lande.
Und sie kamen herum in Geschäften, die Treiber der Preise,
Wechselreiter und Kettenhändler! Doch nicht nur die Ortschaft,
Sondern die ganze Umgebung ist jetzt zum Dorado geworden
Für den verbotenen Handel und Wucher mit allem und jedem.
Heia, da stiegen die Preise! Die harten Herzen im Lande
Stießen hart aneinander, und immer gab's einen Goldklang
Für den gehauteren Wicht. In allem, was realisierbar,
Sind Spekulanten zur Hand! Die Wälder sinken vom Axthieb,
Schlagreif oder auch nicht. Die Futterwiesen und Äcker
Werden in Baugrund verwandelt und künftiger Aussaat entzogen,
Und die Frucht auf dem Halme, das Obst auf den Bäumen, die Häute
Friedlich noch grasender Rinder, die Wolle künftiger Schafe
Boten zu Luftgeschäften den allervergnüglichsten Anlaß.

Doch am verwegensten trieb's, auf dem Gipfel der Ehre und Macht nun,
Pschunder Tobias, der Wirt und Ortsvorsteher am Volland.
Alles kaufte er auf: ob Höfe, ob Wiesen, ob Wälder,
Wege und Wasserrechte und an der Straße den Steinbruch!
Denn ihm stand in der Seele (nebst einem Landtagsmandate),
Herrlich nach Süden gewandt, vis-a-vis dem Störrischen Engel,
Erker- und türmchengeziert, elektrisch beleuchtet durch eigne
Wasserkräfte, ein Bau, ein weithin-gebietender Prachtbau:
Pschunders Alpenhotel, Haus ersten Ranges mit allem
Allermodernstem Komfort, Telephon und Bäder im Hause!
Dann erst, o Muse, erst dann, wenn dieses gleich einer Zwingburg
Alles im Dorf überragt und das Pschunderprinzip triumphiert hat,
Wird das Glücksmaß gefüllt sein! – Allein da geschahen ganz plötzlich
Allerlei düstere Dinge, welche in Übelbachs Aufschwung
Wie der Frost in die Frucht, in die erst noch zu erntende, fielen:

Erstens kam eines Tags eine Zuschrift an die Gemeinde,
Daß der Landsturmhornist Ameseder Thomas gefallen.
Thomas? Der Pächter vom Volland? Der wackere Vater von dreizehn
Minderjährigen Kindern? Ach ja, unsterbliche Muse!
Pschundern Tobias, dem Wirte, als Ortsvorsteher oblag es,
Amtlich der Witwe hievon geziemende Nachricht zu geben.
Weil aber Thomas weiland nicht heimatberechtigt im Ort war
Und zumal doch das Schutzhaus der Dorfgemeinde gehörte,
Sagte Pschunder zugleich mit der Todesnachricht den Pacht auf,
Ließ ihn sich selbst übertragen (legaliter!) – bessre Halunken
Gehen legaliter vor! – und setzte eine von seinen
Dorfkreaturen ins Haus. Vergeblich blieben des Pfarrers
Bitten um Menschlichkeit. Die Gemeinde fand keinen Anlaß,
Antwort zu geben auf sie, und die Witwe hatte zu wandern.

Zweitens erschien beim Gendarmen zu Anfang Septembers ein fremder
Seltsam lodernder Greis mit König Lear-Bart und wies dem
Mann des Gesetzes, der barsch nach Name, Art und Begehr frug,
Stumm ein entfaltet Papier des Inhalts, daß das Verfahren
Gegen Crinis Ernest, seines Zeichens Glaser, auf Grund von
Amtlich erhobenem Blödsinn zur Gänze eingestellt worden.
Mißtrauisch maß der Gendarm den Tumultuanten von ehmals,
Nahm ihm für alle Fälle – dergleichen konnte nicht schaden! –
Die Generalien ab und befahl ihm, ohne Verzug und
Aufsehn nach Hause zu gehen. Allein der Glaser begab sich
Ohne Verzug auf den Platz vor dem Gasthaus zum störrischen Engel,
Stieg auf die Stufen des Brunnens und hielt von dort eine Rede,
Daß die Erde bereits ihr Maul aufsperre, um Korah
Samt seiner Rotte zu schlucken, womit weiß Gott wer gemeint war.
Weiter doch kam er nicht. Dann schickte der Wirt seine Knechte,
Die den prophetischen Alten, umkichert von Weibern und Kindern,
In seine Wohnung brachten, das heißt, es war dies so leicht nicht:
Hatte doch Crinis den Schlüssel, mit dem er vor seinem Gerichtsgang
Wohnung und Werkstatt verschloß, in der Haft oder sonstwo verloren.
Lange suchte er ihn in allen Taschen zum Gaudium
Aller, welche es sahen, dann brachen die Burschen die Tür auf,
Schoben den Glaser ins Haus, und der launige Pöbel verlief sich.

Drittens. Im Dörfchen am Volland hatten die Leute vor lauter
Glück und Aufschwung vergessen, daß schließlich immer noch Krieg war.
Da aber hing eines Morgens im Fenster des löblichen Postamts
Ein Generalstabsbericht, der, wenn auch behutsam, doch deutlich
Feindlichen Einbruch gestand in die östliche Kampffront und schwere
Eigne Verluste an Truppen. Dergleichen hatte man früher
Auch schon des öftern erlebt, und immer doch war dann das Ärgste
Wieder verhütet worden. Daher war Furcht und Erregung
Über die Sache an sich nicht eben die größte. Doch diesmal
Traten Erscheinungen auf, die unmittelbar an den eignen
Heiligen Geldsack rührten: denn jene Flüchtlingsfamilien,
Denen nun weiteres Gut durch den Einfall des Feindes bedroht war,
Packten in Eile die Koffer und reisten Hals über Kopf ab.

Aber das Schlimmste geschah erst: Das nächste Amts- und Bezirksblatt
Druckte in fetten Lettern ein umfangreiches Dekret ab,
Das in gewundenem Stil und unter Berufung auf viele
Ausnahmsgesetze, Erlässe, Verordnungen und Paragraphe
Alles, was schon oder noch im Lande halbwegs ein Mann war,
Teils zum Dienst mit der Waffe und teils zur Musterung aufbot.
Und noch am nämlichen Tag erhielt auch Herr Fleps telegraphisch
Streng-gemessnen Befehl, sich sofort an die Front zu begeben.

Blitzschlag aus heiterstem Himmel! O Übelbach, Dörfchen im Glück du,
Jetzt ergeht es an alle! Sogar auf Pschunder, den Gastwirt,
Paßt das fatale Edikt und um so mehr auf den Wirtssohn!
Hiebaum, Oremus und Zaunschirm und Johann Baptist Populorum –
Fürbaß nicht zu vergessen, der lendengewaltige Selcher! –
Frischenschlager der Bäcker, und Crisper, der Bote, sie alle
Sind doch noch reisige Männer und werden am dritten November
Stehen in ihrer Blöße, wie Gott sie erschaffen, vor einer
Musterungskommission und werden mehr oder minder
Tauglich befunden werden. Allein bis dahin, o Muse,
Ist noch ein weiter Weg! Zunächst und empfindlichst betroffen
War ja nur die Gendarmin, die auf die Hälfte der Wollust
Plötzlich so grausam gesetzt war! Doch schien nicht auch Kirbisch gefährdet?
Belial lechzte bereits nach dem Blute von Knaben, die kaum der
Schule und Lehre entwachsen! An alternde Männer erging der
Blutruf des Gottesgerichtes, an Greise, die nie eine Waffe,
Da sie noch rüstig, getragen! Und jener trat doch auch jetzt schon
Waffenklirrend einher! Da wird man doch lieber, bevor man
Kinder zur Schlachtbank treibt und Greisen ein früheres Grab gräbt,
Nach dem Gegürteten greifen, der ohnehin schon auf den Kampf brennt!

Muse, beruhige dich und laß uns dem Rade des Schicksals
Nicht in die Speichen greifen! Wir wünschen keinem, nicht einmal
Kirbisch, die furchtbare Probe auf Leben und Sterben und fragen
Lieber, wie es ihm geht, seit jenem Abend, an dem er
Von dem verbotenen Baume die Früchte gegessen und so der
Vater von allem geworden, was Übelbachs Aufschwung und Glück heißt.

Herrlich erging's dem Gendarmen! Die Doppelrolle als Hahnrei
Und als das Aug' des Gesetzes, sie lag ihm prächtig. In beiden
Fällen bedurfte es nur einer kleinen neckischen Blindheit,
Um der zufriedenste Mann im Dorfe zu sein und zu Hause.
Freilich war damals die Zeit, in der die Saat seiner eignen
Sünden in Säften strotzte, und für ein Dutzend Gendarme
Hätt' es zu schaffen gegeben! Allein was kümmerte dieses
Kirbisch? Ihm lag ja noch immer die Zeit in den Knochen, in der er –
Heute lachte er drüber! – aus Angst vor der Front seine Pflicht tat!
Damals haßte ihn jeder. Durch Gassen vernichtender Blicke
Mußte er Ruten laufen, so oft er öffentlich auftrat,
Und man lehrte ihn fühlen, wie wenig im Grund ein Gendarm ist,
Wenn er die Dummheit begeht und wider die Mächtigen aufmuckt.
Ach, wie war es dagegen bequem und bekömmlich, von allen
Gelten gelassen zu werden, indem man keinem im Weg stand!
Wohliger schließt sich das Auge, und wär' es auch das des Gesetzes,
Unter der Sonne der Volksgunst; sogar die Hände der Themis,
(Diesfalls Gendarmenhände!) sie ruhen viel lieber im Schoße,
Als mit dem Schwert und der Waage dem guten Bruder in Christo
Stets vor der Nase zu fuchteln um der Gerechtigkeit willen.
Nein, dies war kein Geschäft für ihn mehr. Mochten sich andre,
Wenn es sie juckte, verfeinden! Er selber hatte den Ehrgeiz,
Sich durch Exzesse der Pflicht von der drohenden Front zu befreien,
Längst schon als Wahnsinn erkannt und ein besseres Mittel gefunden,
Ihr aus dem Wege zu gehen. Verrat' ich dir, welches, o Muse?

Jetzo sind wir, o Göttin, zum Gipfelpunkt der Komödie
Wohlbehalten gelangt, denn um die Pointe, die jetzt folgt,
Dreht sich der ganze Spaß, ein Spaß zum Lachen und Weinen.
Und so sing' ich dir denn – die Speisekammer des Hahnreis!

Ziegelgewölbt war der Raum, in den man, zuerst eine Falltür
Dann einen Treppenschacht in gebücktester Haltung passierend,
Nur durch ein heimliches Loch auf allen Vieren hineinschloff.
Fenster hatte er keine, nur Luken nahe der Decke,
Welche die Lüftung besorgten, doch keinem irdischen Lichtstrahl
Spärlichsten Eindrang gewährten, geschweige denn menschlichen Blicken.
Zünde ein Streichholz an oder gar eine Kerze, o Muse!
Siehe, schon flackert der Schein und huscht an den Wänden, die Schatten
Flattern wie Fledermäuse zickzack durchs Gewölbe und scheuchen
Seltsame Dinge auf. Wie Stalagmiten von unten
Türmen Gebilde sich auf. Wie Stalaktiten von oben
Wachsen andre herab, doch nicht aus Tropfstein! Denn jene
Untern sind Säcke voll Mehl, voll Hülsenfrucht und Kartoffeln,
Sind die Gebinde des Weines, die Zuber voll Rahm und die Fässer
Duftenden Schweineschmalzes. Die Stalaktiten hingegen
Sind die durchwürfelten Würste, die pechschwarz geräucherten Schinken,
Sind die paprikaroten und bräunlichen Seiten des Selchspecks,
Die in idyllischer Eintracht mit Hasen, Kapaunen und Enten –
Lauter Beschwichtigungsgaben der Pschunders in Dorf und Umgebung! –
Hoch vom Gewölbe herab an allerhand Drähten und Schnüren
Nahrhaft-phantastisch hingen in diesem Sesam des Fressens!

Konnte ein einziger Mensch, (denn die Frau des Gendarmen bezähmte
Wegen der Taillenschlankheit die allzu begierige Eßlust!)
Konnte ein einziger Mensch dies alles vertilgen? Ach, spielend
Brachte es Kubisch zuwege. In jeder der freien Minuten,
Derer sein dienstlicher Tag so verschwenderisch reich war, verschwand er
Unter die Erde hinab, wie Fuchs oder Dachs in den Bau schlieft,
Schritt mit der Blendlaterne den Raum ab, beroch im Vorbeigehn
Da einen baumelnden Schinken und dort einen Käse, befühlte
Jener Poularde den Steiß und diesem Häschen die Löffel,
Richtete stramm-militärisch die Reihen des leckem Getiers aus,
Und mit dem Taschenfeitel, der besten Klinge des Hauses,
Welche zu jeglichem herhielt, was Spitze und Schärfe erheischte –
Vom Operieren der Zehen bis aufwärts zum Stochern der Zähne! –
Schnitt er sich, höchst entzückt über diese Art von Kontrollgang,
Hier von der Wurst ein Scheibchen und dort vom Specke und Brote
Tüchtige Happen ab und schmierte sich Butter und Schmalz auf.
Und nach jedem der Bissen nahm er zur bessern Verdauung
Schnapses, Weins oder Biers, sogleich aus der Flasche, sein Schlückchen!

Heia, da wuchs ihm der Bauch, die Backen schwollen, die Augen
Staken in Wülsten von Talg wie die Kirschen im Kuchen, der Schnurrbart
Sträubte sich frecher denn je von den Winkeln des fleischigen Munds auf,
Und selbst die niedere Stirne, der prall-apoplektische Nacken
Machte Harmonikafalten, so oft sich der Schädel bewegte.
Und der Triumph der Triumphe: es hatte der Kerl sich ein Fettherz,
Hatte sich Atembeschwerden und andre Gebreste der Schwere
Angepraßt und -gefaulenzt, und kein Militärarzt auf Erden
Hätte den schwammigen Wanst zum Frontdienst geeignet befunden!

Ende! Ich wäre zu Ende, unsterblich-jungfräuliche Muse,
Nun mit der bloßen Geschichte von Schande und Glück des Gendarmen.
Aber zur Glückesvollendung des Lumpenpackes gehört auch,
Daß es dem edleren Sinn, dem Gerechten und Gütigen schlecht geht!
Wollust wäre nicht Wollust und schal nur schmeckte Gemeinheit,
Würzten die Qualen sie nicht, die ihre Opfer erleiden!
Und weil dieses so wahr ist wie irgend etwas, das sonst gilt,
Bin ich mit meiner Geschichte von Schande und Glück des Gendarmen
Und von dem größeren Glück des symbolischen Dörfchens am Volland
Nicht zu Ende, o Muse, und bitte dich: Schenk mir Gehör noch!


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