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Zweiter Gesang

Und dennoch geben wir zu Millionen
Für die Heimat, die wir bewohnen,
Für die paar lächelnden Sonntagsstunden
Ströme vom Blute aus unseren Wunden
Und füllen furchtbar Gräber und Graben
Mit andern, die's auch nicht besser haben:
Arm gegen arm! Menschen wir und sie –
Infanterie gegen Infanterie!

 



Cordula hatte die Blumen der greisen Köchin des Pfarrers
Selbst in die Küche gebracht, die dürstenden Stengel in Wasser
Sorglich noch eingefrischt und dann von der freundlichen Alten
Eilig Urlaub genommen. Die Stunde, die sie noch frei war,
Wollte sie lieber allein sein. So ließ sie den Armen im Geiste
Gerne im Pfarrhof zurück, von dem Mütterchen liebreich bewirtet,
Wünschte gesegnete Mahlzeit und trat hinaus in den Abend.
Niemand begegnete ihr in dem oberen Teile des Dorfes,
Wo nur die Kirche steht und neben dem Pfarrhaus die Schule.
Stille waltete hier. Es schwiegen die Glocken und Pöller
Während des Gottesdienstes. Die altehrwürdigen Linden
Hoben das schwarze Gewirre der kaum erst knospenden Zweige
Wider den weißen Himmel, in dessen höchsten Bereichen
Immer noch Sonne war und goldenes Blitzen der Schwalben.
Da, in die Stille hinein, ertönte auf einmal der Orgel
Einfach-erhabenes Spiel, die Schreitende leise geleitend,
Bis ihr auch dieses verklang im Hohlweg, den sie hinabging.

Hier nun verlautete bald die Nähe des unteren Dorfes,
Wo, um das Wirtshaus herum, das Gedränge gemütlicher Häuser
Alle die Stätten beherbergt des ländlichen Handels und Wandels.
Hämmergepoche auf Holz und das emsige Sirren von Sägen
Drang von da unten herauf und das Lärmen tollender Kinder.
Aber das Seltsamste war zu den sonstigen Lebensgeräuschen,
Wie sie aus Höfen und Ställen den ländlichen Abend erfüllen,
Heute ein wildes Gequiek, ein erbärmliches Gellen und Dröhnen,
Welches in donnerndem Takte von wütenden Schlägen zerspellt ward.
Cordula mußte lächeln; denn jene, die diesen Spektakel
Machten, waren mit Nichten futterbegehrende Schweine,
Wie sie im hölzernen Kofen zur Trankzeit poltern und toben,
Waren Hühner auch nicht, die aus messergewärtigen Kehlen
Markerschütternde Schreie in Todesängsten entsenden,
Sondern etliche Brave, die sich im Schweiße der Stirnen
Gottgefälligster Übung mit heiligem Eifer beflissen,
Kurzum: die Dorfmusikanten, im Stadel des Wagen- und Hufschmieds
Feierabends versammelt, probierten die weltlichen Märsche
Für den Fronleichnamsumgang, wie dies auf dem Lande der Brauch ist.
Freilich waren die meisten der ersten Besetzung im Felde,
Manche sogar schon gefallen. Indessen, in einer Gemeinde,
Welche wie Übelbach-Dorf die richtigen Stücke auf sich hält,
Werden die Männer nicht alle, die mehr oder minder begabten,
Welche zur Ehre des Höchsten zu blasen und trommeln verstehen,
Treu dem veränderten Satz: Fiat musica, pereat mundus!

Als nun das Mädchen hinab und zum Ende des Hohlwegs gekommen,
Wo er die Straße erreicht gegenüber dem Störrischen Engel,
Ward sie des Ursprungs gewahr bemeldeten Sägens und Hämmerns;
Denn hier ward ein Altar von des Schreiners Leuten gezimmert,
Und es besetzten den Bau und verzierten das fromme Gerüst mit
Teppichen, Bildern und Leuchtern und anderem kostbarem Hausrat
Bäckers- und Kaufmannsfrau und die Witwe des Grünzeugverschleißers.
Aber auch andere Damen waren hilfreich zur Stelle:
Rosen aus Seidenpapier verfertigten künstlich die einen,
Duftende Reisiggirlanden flochten sinnig die andern,
Doch am eifrigsten trieben's die kleinen Mädchen des Dorfes,
Die mehr hindernd als helfend die Arbeit der Großen umsprangen!
Allesamt waren sie schon für morgen besonders gewaschen,
Trugen das offene Haar um papierene Röllchen gewickelt,
Daß es über die Nacht zu Wellen und Locken gediehe,
Und in den Fenstern daheim, da hingen die festlichen weißen
Kleidchen der Kinder bereits, geputzt und gestärkt für den Umgang.

Plötzlich, vom Kirchdorf herunter, ertönte Geschrei und Getrampel:
So wie die Meute der Hunde das flüchtig gewordene Zahmwild
Kläffend und lechzend verfolgt im blutigen Eifer der Hetze,
Trieb eine Horde von Buben mit Schnalzen, Pfeifen und Johlen
Vitus, die Einfalt des Dorfes, den Hohlweg herunter vor sich her;
Und schon umringten sie ihn, gerade am Fuß des Altares,
Schlossen die Kette der Hände und stampften und höhnten im Gleichtakt:
»Darfst die Trommel nit tragen, die Trommel nit tragen, du Trottel!«
Furchtbar nahm er es ernst, der Arme im Geiste; die Tränen
Liefen ihm über die Wangen, ein krampfhaftes, heiseres Schluchzen
Stieß ihm empor in den Hals, in das schnappernde Kinn, in die Schultern,
Bittend, bettelnd, beschwörend suchte er Gnade und Ausweg,
Aber je mehr er bemüht war, sich loszumachen von seinen
Peinigern, desto grotesker wurde sein Jammergebärden.
Kreischend platzten heraus die Weiber des Bäckers und Kaufmanns,
Prustend hielt sich den Bauch die Witwe des Grünzeugverschleißers,
Lachend liefen auch andre herbei aus Gewölben und Häusern,
Und die Hunde des Fleischers umsprangen bellend den Aufruhr.
Einzig Cordula rührte ein mutig Erbarmen, und ruhig
Trat sie unter das Volk, verscheuchte die Buben und führte
Vitus, den törichten Dulder, mit freundlichem Zuspruch von dannen.
Stille ward es da plötzlich, und allgemeine Beschämung
Sperrte die Mäuler auf, die eben gekreischt und gelacht noch.
Aber die Weiber erholten sich bald und zeterten Unflat
Hinter dem Mädchen daher und fuhren dann fort, zu bekränzen
Jesu Bild am Altar, das stumm und bekümmert herabsah.

Doch mit dem Jammer des Knechtes hatte es diese Bewandtnis:
Alle Jahre beim Umgang war es sein heiliges Amt, im
Zuge der Dorfmusikanten die große türkische Trommel
Auf dem Rücken zu tragen, indessen, hinter ihm schreitend,
Fürbaß Romanus Ägid, der lendengewaltige Selcher,
Wuchtig im Marschtakt sie schlug und dazu die Tschinellen bediente.
Dies war der Stolz und die Ehre des Toren; so wußten's die Buben,
Und so taten sie ihm alljährlich den nämlichen Tort an.
Diesmal doch tröstete Cordula rasch den Genanten, und wie ein
Kind, das Weinen und Lachen in einem Sack hat, so war der
Ärmste schon wieder vergnügt, als beide, ein jedes zu seinem
Dienste, die Stube des Gasthofs geziemenden Grußes betraten.

Hier nun ging es schon hoch her. Versammelt waren fast alle,
Die zur Gemeinderatssitzung vom Ortsvorsteher geladen.
Galt es doch heut', einem jeden die Rolle im morgigen Umgang
Ordentlich zuzuteilen. Auch hatte der Pfarrer gebeten,
Einige Worte sprechen zu dürfen im Rate der Männer.
Noch aber war er nicht da, und so konnte man frei von der Leber –
Ob auch gerade erst gestern von Siegen Berichte gekommen –
Schimpfen auf Gott und die Welt und einander haarscharf beweisen,
Wie doch der nämliche Sieg schon eher erreichbar gewesen,
Hätte man früher nicht jenes und später nicht dieses verabsäumt.
Auch die politische Führung fand wenig Gnade; dem einen
War sie zu schroff, einem andern zu lax, und allen erschien sie
Ohne Begriff und Vernunft und heillos geschlagen mit Dummheit
Derart schwollen die Reden. Jedoch, wer waren denn all die
Führer und Politisierer im Dorf am gewaltigen Volland?

Allen am Geiste voran: Matthäus Scholaster, der Lehrer!
Dieser, ein vor der Weihe der Kutte entsprungenes Pfäfflein,
Hatte dereinst von Lassalle verschiedene Schriften gelesen,
Wenn auch nicht eben verstanden. So war er für sich und mit Vorsicht
Freigeist und Sozialist, als welches ihn aber nicht abhielt,
Orgel zu spielen zur Messe und Sängerdienste zu tun bei
Jedem kanonischen Anlaß, mit Rücksicht auf die Gebühren.
Dieser nun führte das Wort, indes der Gemeindevorsteher –
Künigl Josef sein Name – nur redete, wenn er des Weines
Einige Viertel getrunken. Sonst saß er verlegen und wortkarg,
Spuckte und schneuzte sich bloß und heute war Künigl nüchtern.
Um so vernehmlicher sprachen und schwelgten in Blüten der Rede:
Johann Baptist Populorum, der findige Krämer des Ortes,
Dessen Gattin Sophie als Hebamme staatlich geprüft war,
Frischenschlager, der Bäcker, und Zaunschirm, der Feuerwehrhauptmann,
Hitzgern, der Maurer, Oremus, der Schmied, und Hiebaum, der Schreiner,
Der als Mephisto des Dorfes bei allen gescheut und beliebt war.
Alle doch weit übertraf, schon auf Grund seines Lebendgewichtes,
Fürbaß Romanus Ägid, der lendengewaltige Selcher!
Wohl, einem Stiere glich er an Widerrist, Schultern und Nacken!
Knallrot waren die Backen und kurzgeschoren die Haare,
Keulen schienen die Schenkel und drohten, die Hose zu sprengen,
Während der mächtige Rumpf in dem weißen Wamse des Schlächters
Saß, als wäre ihm Atmen und jede Bewegung benommen.
Dieser Unhold jedoch, zu dessen Beruf es gehörte,
Tieren den Garaus zu machen, in Eingeweiden zu wühlen
Und das noch dampfende Blut in gereinigte Därme zu füllen,
Hätte als Mensch und privat wohl kaum eine Fliege getötet,
Hatte ein zärtliches Herz, viel Sinn für die Schönheit der Frauen,
Deren Liebling er war als ledig und Mann von Geschäften,
Konnte die Zither schlagen und singen zur Zither und war mit
Einem Wort ein Genie, eine Perle von Mann, ein Gemütsmensch.

Dieser nun und die genannten Führer und Politisierer
Zählten zum Rat der Gemeinde. Indessen es waren im Schankraum,
Um das Moment der Öffentlichkeit zu repräsentieren,
Andere auch noch zugegen, zum Beispiel: Martellanz, der Förster
Eines durchlauchtigsten Herrn, dem die Wälder der Gegend gehörten,
Crisper, der Bote der Post, mit seiner Chefin, dem Fräulein
Rose Rachoinig, der unfreiwilligen Jungfrau, und endlich
Schwinzerl, der Wächter der Nacht, der Totengräber und Schinder,
Trotz seiner sechzig Jahre ein großer Don Juan und gleich nach
Fürbaß Romanus Ägid, dem lendengewaltigen Selcher,
Sorglos-glücklicher Vater der meisten ledigen Kinder!
Aber sie alle bediente, ob selbst auch zum Rate gehörend,
Pschunder Tobias, der Wirt, der als reichster Mann der Gemeinde
Kirchenvater im Ort war, und manches gepfefferte Scherzwort
Floh ihm, sobald er vergnügt war und trotz seines heiligen Amtes,
Kühn aus dem goldplombierten Geheg seines einzigen Zahnes.
Und heut' war er vergnügt, denn es blühte ihm großer Triumph noch!
War es doch immer sein Ehrgeiz und Lieblingsgedanke gewesen,
Gegend und Dörfchen am Volland zum Höhenkurort zu machen
Und dann zugleich mit dem Orte auch selber zu Ehren zu kommen.
Aber an Zweifel und Neid der erbeingesessenen Bauern
War sein Bestreben gescheitert. Da hatte der rührige Gastwirt
Heuer auf eigene Faust inseriert und Prospekte versendet,
Welche in Übelbach-Dorf, im Gasthof zum störrischen Engel
(Herrliche Lage am Volland bei bürgerlich-mäßigen Preisen!)
Friedensverpflegung verhießen. Wieso Herr Pschunder dazukam,
Solch ein Versprechen zu machen in Zeiten, da alles schon knapp ward,
Ist eine Sache für sich, von der wir in Bälde noch hören,
Doch der Erfolg war da: Schon waren im Hause bei Pschunder
Sämtliche Zimmer beangabt! Und dies in der heutigen Sitzung
Nörglern, Neidern und Zweiflern unter die Nase zu reiben,
Machte den Wirt so vergnügt und gelaunt zu gepfefferten Scherzen.

Wo doch, unsterbliche Muse, war heute der Held des Gedichtes:
Kirbisch, das Aug' des Gesetzes im Dorf am gewaltigen Volland?
Während doch Lehrer und Förster, der Totengräber und Schinder
Und auch die Chefin der Post, das Fräulein Rose Rachoinig,
Kurzum alle Personen von Amt und Würden zur Stelle,
Warum fehlte da er, der Gendarm, beim Rat der Gemeinde?
Galt es nicht morgen besonders, die Ordnung im Dorfe zu schützen?
Strömte nicht vieles Volk bei solchem Anlaß zusammen?
Wohl Individuen auch, verdächtige, und Elemente
Subversiver Natur, besonders in Zeiten wie diese?
Oder lag er vielleicht soeben mit solchen im Kampfe?
Kriegstransporte befuhren genug die Strecke am Volland!
Leitungen gab es genug und Brücken und Tunnels zu schützen!
Wohl, einen ganzen Mann erheischte der Dienst des Gendarmen!
Wohl, einen Löwen an Mut, eine Schlange an Klugheit, und dieses
Ganz besonders bei Nacht! Und folglich – dieweil wir nicht wissen,
Welcher Lebensgefahr der Gendarm gerade die Stirn beut –
Müssen wir seine Absenz entschuldigen, wenn auch nur ungern.

Aber ein andrer war da, ein stummer Gast, in der Stube!
Zwar keine Amtsperson, kein Held, kein Aug' des Gesetzes,
Sondern nur Crinis, der Glaser. Er zählte zwar gleichfalls zum Rate,
Heute doch hielt er sich abseits, das heißt, mit verschlungenen Armen
Lag er über dem Tische und hatte das Antlitz vergraben:
Dieses den vierten Tag schon und ebensoviele der Nächte!
Niemand vermochte Pschunder, dem Wirte, den Vorwurf zu machen,
Daß er ohne Verständnis für diesen besonderen Fall war.
Denn obwohl doch ein Gasthaus gewiß nicht der Ort ist, um, ohne
Irgendwie Zeche zu machen, vornüber am Tische zu lümmeln,
Ließ er den Glaser gewähren aus menschlichen Gründen und andern.
War doch des Wirtes Herr Sohn, Andreas, ein Bär an Gesundheit,
Immer noch kriegsdienstbefreit und weitab vom Schusse geblieben,
Während Crinis, der Glaser, zu Ende der vorigen Woche
Amtlich verständiget wurde (per Feldpost, portofrei, dienstlich),
Daß die beiden Gefreiten Crinis Matthias und Josef
Bei dem nämlichen Angriff am Vierzehnten laufenden Monats
Auf dem Felde der Ehre den Tod für das Vaterland starben.
Folgte dann noch die Stampiglie ›Zwölftes Brigadekommando‹
Und als Beilage a) und b), gewickelt in einen
Viertelsbogen Konzept, zwei Silbermedaillen; und dies war
Alles, was Crinis, dem Glaser, von seinen Söhnen geblieben.

Derart stand's um den Mann, und so auch wußten es alle,
Und sie fanden sich ab mit dem Unglück des Witwers, zumal ihr
Vorrat an Mitleid und Trost gar bald und vergeblich erschöpft war.
Also auch heutigen Abends. Schon hatten das Bier und der Obstwein
Ihre Gesichter gerötet, schon glänzten die Stirnen und Augen,
Schon erhitzte sich Rede an Rede, indessen am Wirtstisch
Klatschend die Karten fielen, bekräftigt vom Aufschlag der Fäuste,
Schon drang Fräulein Rachoinig, die unfreiwillige Jungfrau,
Schwimmenden Blickes und schrill in den lendengewaltigen Selcher,
Daß er die Zither spiele und sich zum Gesange begleite,
Als in der Eingangstüre mit Regenschirm und Laterne
Endlich der Pfarrer erschien und freundlich grüßend hereintrat.

Wie sich die Fläche des Sees nach dem wogenerregenden Sturmwind
Nur allmählich beruhigt – es zittert die Welle noch lange nach –
Also geschah es auch hier. Zuerst noch vollzog sich ein großes
Rücken von Sesseln und Bänken, ein eilig und wichtig Bestellen
Schnapses, Bieres und Weines; doch dann, als auch diesem genügt war,
Saßen sie schließlich in Ordnung am blauüberbreiteten Ratstisch,
Und der Herr Ortsvorsteher – Künigl Josef sein Name –
Schneuzte und räusperte sich und, die Fäuste gestützt auf den Tischrand,
Stand er und sagte gestreng: »Meine Herrn, ich eröffne die Sitzung!«
Und erteilte das Wort als erstem Redner dem Pfarrer.

»Liebe Leute,« begann nun dieser, »ich dank' euch vor allem,
Daß ihr mir heute gestattet, in euerem Rate zu sprechen;
Denn ich gehör' ihm nicht an. Und so komm' ich beileibe auch heut' nicht,
Um mich am Ende gar in Gemeindesachen zu mischen.
Nein, meine Lieben, die weiß ich in euern erfahrenen Händen
Besser bewahrt und besorgt, als sie's in den meinigen wären,
Der ich von Politik und sonstigen weltlichen Dingen
Eben nur so viel verstehe als unerläßlich zur Wirtschaft.«

Und ein befriedigtes Murmeln der weisen Versammlung erhob sich,
Machte den Weg um den Tisch und legte sich wieder zur Ruhe.

»Aber in Dingen des Herzens,« sprach weiter der würdige Pfarrherr,
»Und in den Fragen des Heiles von euern unsterblichen Seelen
Ist es mein Amt, euch zu führen und Rat und Beispiel zu geben,
Und da bietet ein Tag wie der morgige würdigsten Anlaß.
Sind doch in unserer Zeit die Feste selten geworden,
Und es wär' auch nicht recht, so jetzt wir an andere dächten
Als an die geistlichen Feste, wo so viel Trauer im Land ist.
Eben, bevor ich kam, war ich wieder Zeuge von etwas,
Das mir recht nahegegangen. Ihr kennt doch den Thomas vom Volland?«
Alle bejahten. »Und seht,« versetzte der Pfarrer, »der Mann ist
Heute ins Feld gerückt. Und wenn wir auch sicherlich beten
Wollen für ihn und die Seinen, so ist doch der göttliche Ratschluß
Unerforschlich, und was geschähe mit seiner Familie,
Falls ihm ein Unglück passierte? Und deshalb sag' ich und mein' ich,
Nicht nur für diesen Fall, nein, allgemein möcht' ich es sagen:
Wenn sich unsere Seele am morgigen lieben Fronleichnam
Dankbar für alles, was uns noch beschieden, in Andacht ergehn wird,
Sollte ein jeder von uns im Herzen irgend ein Liebes,
Irgend ein Opfer bedenken für jene von unseren Nächsten,
Denen es längst nicht mehr so gnädig beschert ist wie uns noch.«

Und der Geistliche schwieg und ließ die behutsamen Blicke
Prüfend im Kreise umhergehn, der stumm und verlegen vor ihm saß.

»Freilich werdet ihr sagen – ich rat' es aus eueren Mienen –«
Setzte der Pfarrer fort, »es fordre der Krieg ja genug der
Opfer und nicht nur von jenen, die kämpfen und bluten! Und dies ist
Ohne Zweifel auch wahr. Es gab der Bauer dem Kaiser,
Was des Kaisers ist, noch immer aus offenen Händen.
Aber müssen wir nicht auch Gott, was Gottes ist, geben?
Freilich nicht ihm selbst! Der Herr bedarf nicht des Menschen,
Daß er ihm zinse und zolle, und wenn wir ihm opfern, wir bleiben
Immer noch säumige Zahler an ihm und im ewigen Rückstand.
Aber der Mensch ist des Menschen bedürftig, und was wir dem letzten
Unserer Brüder tun, das tun wir unserem Heiland.
Also bedenket auch ihr, wie viele heute zugrundgehn!
Und, die da fallen und sterben, sie haben das bessere Teil noch.
Aber die andern, die Krüppel an Gliedern und Sinnen, zu vielen
Tausenden sind sie geschlagen und haben Frauen und Kinder,
Welche, selber in Armut, die Ärmsten beköstigen müssen,
Ohne zu wissen woher! Da dürfen wir doch nicht sagen:
›Solche Not ist zu groß, der kann kein einzelner steuern!‹
Dieses wär' läßlich gedacht und schlimmer getan als von Tieren!
Helfen einander doch selbst die unbeseelten Geschöpfe,
Wenn sie in Not und Tod sind. Es leistet der Rehbock der Ricke
Beistand beim Wurfe der Jungen, der Hahn schützt Küchlein und Hennen
Wider den Habicht und Geier, und Jäger erzählen, wie oft ein
Wundgeschossenes Tier von anderem Wilde beleckt wird,
Daß sich das Blut ihm stille und rein die Wunde von Schmutz sei!«

Und es bekräftigte dieses durch eifriges Nicken der Förster.

»Wenn wir uns also morgen des Festes befleißigen werden,«
Setzte der Pfarrer fort, »und dieses, wie ich vermute,
Nicht nur im geistlichen Sinne – es soll ja unser Herr Pschunder
Mächtig gerüstet haben in Speis und Getränke! –« (›Hört, hört!‹ rief
Da der Herr Hiebaum dazwischen, und allen entschlüpfte ein Kichern)
»Wenn es sich so nun verhält, so mach' ich euch folgenden Vorschlag:
Wie euch doch allen bekannt, ist's alte christliche Sitte,
Daß der Weg, den der Herr in Gestalt der heiligen Hostie
Am Fronleichnam schreitet, mit Gräsern und Blumen bestreut wird...«

Hier nun erhob sich sofort ein dumpf und bedenkliches Murmeln.
Nur Populorum, der Kaufmann – er hatte nicht Wiesen und konnte
Folglich am Heu nichts verdienen – bestätigte eifrig, daß dieses
Immer der Brauch gewesen. Allein der Pfarrer bedurfte
Dieser Bestätigung nicht, die jeder höhnisch durchschaute,
Winkte dem Krämer ab und fuhr gleich fort in der Rede:

»Nicht doch, ihr Leute, besorgt nichts! Ich will euer Heu nicht! Denn ob ich
Auch ein Studierter nur bin und ein Diener am Worte, so bin ich
Doch auch ein Bauer wie ihr und weiß, wo den Bauer der Schuh drückt.
Gar, was heutzutag' Heu ist, das braucht mir keiner zu sagen!
Erstens ist's Heeresbedarf und zweitens erhält es den Viehstand
Und durch diesen auch uns, die Menschen, die Wehrkraft des Landes.
Und somit ist es Gold, ja mehr noch, als lauterstes Gold ist.
Aber gerade darum, weil es heute nach Goldwert bezahlt wird
Und wir doch mehr davon fechsen als nötig zum Eigenbedarfe,
Sollte vom Übergewinne, so mein' ich, ein jeglicher spenden,
Was er vom Herzen gibt zum Trost für die Ärmsten der Armen.
Aber damit ihr nicht glaubet, es fordere euer Herr Pfarrer
Opfer, die er nicht selber zu bringen gewillt ist, von andern,
Gehe ich, wie mir's obliegt als euerem geistlichen Führer,
Allen voran und spende das Reinerträgnis der Wiesen,
Die mir von meinen Obern zur eigenen Nutzung vertraut sind,
Allen vom Elend des Krieges Beladenen unsrer Gemeinde.«

Also sprach der Herr Pfarrer und nahm von dem rosigen Safte –
Soda mit Himbeer war's, er enthielt sich des Bieres und Weines –
Mehr zu rhetorischem Einhalt, als um zu trinken, ein Schlückchen.
Doch es erhob sich der Vorstand und sagte zunächst: »Meine Herren!«
Dankte hierauf dem Pfarrer im Namen der ganzen Gemeinde
Für die hochherzige Spende, die allen ein leuchtendes Beispiel
Christlicher Nächstenliebe und Frömmigkeit sei, und so weiter.
Aber die anderen schwiegen und sahen beharrlich aufs Tischtuch.
Wollte doch keiner, was sämtliche dachten, als erster verraten
Und in den Augen des Pfarrers, den alle verehrten, als Unmensch
Oder als Geizhals erscheinen, als Widersacher des Guten.
Freilich regte sich dennoch in diesem und jenem ein Fühlen
Menschlich-besserer Art, nur fand er nicht Worte, so schwieg er.

Aber den Pfarrer verdroß mit Nichten das Schweigen der Männer.
Ja, es bestärkte ihn nur noch, und lächelnd sprach er: »Ihr Lieben,
Glaubt mir, wenn ihr auch schweigt, weiß ich doch in eueren Herzen
Besser Bescheid als ihr selbst. Drauf könnt ihr euch ruhig verlassen.
Kenn' ich der Jüngern von euch die meisten doch noch aus der Schulzeit.
Und, was die Älteren sind, so kenn' ich die christlichen Werke,
Die sie in besseren Zeiten und immer willig vollbrachten.
Aber wir sollen das Gute verrichten nicht nur, wenn es leichtfällt!
Gott sieht auf jegliche Gabe in Gnaden, aber am liebsten
Doch auf den Groschen der Witwe, das heißt mit anderen Worten:
Was man von eigener Notdurft erübrigt, ist doppeltes Opfer.
Nun, und so gänzlich entblößt sind wir da heroben noch lang nicht,
Daß uns von wirklicher Not zu sprechen erlaubt wär'. Noch immer
Gibt uns Nahrung und Kraft die Erde, die wir bebauen.
Ist noch kein einziger Pflug verrostet, auch dort nicht, wo Väter,
Söhne und Knechte im Krieg sind! Seh' ich doch öfter und öfter
Unsere braven Frauen die Arbeit der Männer besorgen!
Und es strömt doch auch Geld jetzt reichlich in euere Laden!
Wo ist ein Hof noch verschuldet? Wer mehrt nicht Gerätschaft und Viehstand?
Nun, und erkennt man nicht auch im Lande jetzt schließlich und endlich,
Daß es der Bauer ist, auf den es im Grunde doch ankommt?
Vieles läßt sich entbehren, was sonst auch von andern erzeugt ward,
Und es belehrt uns der Krieg – vielleicht sein einziger Segen! –
Daß wir recht hoffärtig waren und Nimmersatt an Bedürfnis.
Aber, was wirklich vonnöten, das heilige Brot für die Menschen
Und die Nahrung der Tiere, die ewigen Dinge des Lebens,
Schafft doch der Bauer allein und hält so dem Ungeist die Waage,
Der in den Städten das Volk von Anspruch zu Anspruch dahintreibt,
Freilich nicht aufwärts zu Gott, nein, eher hinab in die Hölle!
Sehet, da wollen es wir nicht so wie die Gottlosen machen,
Nicht wie die Makler und Wechsler, die Jesus vom Tempel vertrieben!
Wollen dem Judas nicht gleichen, der an dem Leiden des Herren –
Und in allen, die leiden, ist unser Herr und Erlöser! –
Silberlinge verdiente! Und wenn ich als euer Herr Pfarrer
Schon auf das Opfer verzichte, das unter die Füße des Heilands,
Uralter Sitte gehorchend, beim Umgang des Festes Fronleichnam
Unsere Väter schon streuten, so wollet gewiß doch auch ihr nicht
Daran ersparen und euch bereichern an euerem Herrgott!«

Und ein Gemurmel geschah, doch diesmal als Zeichen des Beifalls,
Und es benutzte der kluge Pfarrer die Stimmung und fragte:
»Fürbaß, was gibst denn du? Und du, Herr Pschunder, was gibst du?
Frischenschlager und Zaunschirm! Und Sie, Oremus und Hiebaum!
Seid ihr doch alle auch Bauern und habet neben dem Handwerk
Eueren Grundbesitz an Wiesen und Feldern! Vielleicht, daß
Uns der Herr Ortsvorsteher als guter Christ und als Landwirt,
Seiner Erfahrung gemäß einen billigen Vorschlag erstattet,
Was da für keinen zuviel war' und doch auch für keinen zu wenig!
Was aber dann ihr beschließet mit Mehrheit kraft eueres Amtes,
Diene als Maß und Gesetz für sämtliche in der Gemeinde!«

Und es erhob sich der Vorstand und sagte zunächst: »Meine Herren!«
Räusperte sich sodann und blickte bedächtig vor sich hin.
Anders nicht hingen dereinst an Äneens Munde die Augen,
Eh er der Dido begann von Trojas Fall zu berichten,
Und, wie das Sprichwort sagt, ein Engel ging durch das Zimmer,
Als, von der Straße herein, durchs weit geöffnete Fenster
Trabender Hufschlag erklang im hurtig klappernden Viertakt,
Näher und näher herankam und scharf vor dem Gasthause anhielt.
Alle vernahmen's und wandten die Hälse und blickten zum Eingang.
Nur der Herr Pschunder erhob sich, und Cordula lief zu der Türe.
Die aber sprang auch schon auf, und lachend und klirrender Sporen,
Wie ein Mulatte gebräunt, mit sternebeglitzertem Kragen,
Brust von Medaillen bedeckt, in der lässigen Rechten den Reitstock,
Trat in die Stube herein – es mußte sich Cordula halten,
Daß sie vor Jubel nicht schrie und dem Kommenden nicht an den Hals flog! –:
Fleps, im Zivil der Adjunkt, jetzt Fähnrich bei schweren Haubitzen.


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