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Siebenter Gesang

Ex templo Libyae magnas it Fama per urbes,
Fama, malum qua non aliud velocius ullum ...
Monstrum horrendum ingens, cui, quot sunt corpore plimae,
Tot vigiles oculi subter (mirabile dictu),
Tot linguae, totidem ora sonant, tot subrigit auris.

Vergil, Aeneis, Vierter Gesang.

 



Monstrum horrendum, zu deutsch: ein schreckenerregendes Scheusal,
Nennt im vierten Gesang der Äneis der Dichter die Fama.
Schneller als anderes Unheil, im Schreiten noch wachsend, so rast sie
Dort durch die libyschen Städte, Äneens Verweilen bei Dido
Und der Königin Fall mit tausend Zungen zu künden.
Aber für Übelbach-Dorf und den Fall eines einfachen Weibes
Ist kein Monstrum vonnöten, kein mythologischer Unhold,
Nein, da genügt ein winziges wisperndes, flüsterndes Vöglein,
Das da vom Zaune zum Zaune, vom Fenster zum Fensterchen hinhuscht
Und mit dem einzigen Zünglein die Arbeit der Fama verrichtet.
Plötzlich taucht es wo auf, und gleich ist es wieder entschwunden,
Aber es blieb was im Ohr, ein giftiges Zischeln und Tuscheln:
Sätzchen von halben Worten voll schamhaft verschwiegenen Wissens,
Sätzchen, die, was sie behaupten, zugleich zu verneinen bestrebt sind,
Sätzchen, so plastisch geprägt, so unvergeßlich im Tonfall,
Daß sie, ähnlich dem Reim eines schmutzig-verfänglichen Liedchens,
Jedem im Sinne haften, und siehe, indessen man redlich
Sich dagegen noch wehrt, da pfeifen das Liedchen die Spatzen
Schon von den Dächern herunter, und alle, die es vernehmen,
Ob sie auch Feinde bisher, einander verleumdend und lästernd,
Sind nun mit einem Schlage Brüder und Schwestern geworden:
Brüder in jenem Liedchen und Schwestern im Wispern und Wissen
Von dem geheimsten Geschehn des Privat- und Familienlebens,
Brüder und Schwestern im einzigen, welches die Menschen auf Erden
Wirklich innig verbindet: Geschwister in der Gemeinheit!

Jeder Ort hat ein Örtchen, zum mindesten eines, allwo sich
Dann die bloßen Gerüchte zur vollen Gewißheit verdichten
Und als solche von nun an ganz offen vom Munde zum Mund gehn.
Meistens ist dieses Örtchen der Laden des Greislers und Krämers,
Manchmal das Gassengeschäft der Milchfrau oder des Bäckers,
Oft auch der Standplatz am Markt der Gemüsehändler und Öbstler,
Immer doch ist es ein Punkt, an welchem die Weiber zum Einkauf
Oder auch nur zur Verleumdung einander täglich begegnen;
Und in Übelbach ist es der weitaus besuchteste Laden:
Rundum schneeweiß gekachelt und spiegelnd von Marmor und Messing,
Nämlich die Fleischbank von Fürbaß, dem lendengewaltigen Selcher.
Nicht daß dieser höchstselbst – davor behüte die Zunge
Mir der allmächtige Zeus! – ein Priester der Fama gewesen!
Doch er war Junggesell und ein Mann von bestem Geschäftsgang,
Und so flogen die Weiber auf ihn wie die Fliegen auf Syrup
Und beschwipsten an ihm die ewig kitzelnden Sinne.

Aber wie er's auch trieb, der lendengewaltige Selcher!
O, er verstand es nicht nur, den Stier ins Leben zu treffen,
Zithernsaiten zu zupfen und lockere Lieder zu singen,
Sondern beherrschte noch besser die Psychologie des Verkaufes,
Unter besonderm Bedacht auf seine meist weibliche Kundschaft.
Hei, wie spritzte das Mark der krachend zersplitterten Knochen
Rings von der Trommel des Hackstocks, so oft er ein Rippenstück teilte!
Und schon lag's auf Papier, das Verlangte, und flog auf die Waage,
Und eh die sich beruhigt, so reichte die blutige Linke
Schon es der Käuferin dar, indessen die nervige Rechte,
Immer nur wie aus Versehen, nach all dem lebendigen Fleische,
Das an die Pudel sich drängte, mit frecher Behendigkeit tappte:
Da ein Brüstchen gequetscht und dort ein Bäcklein getätschelt,
Da ein Hälschen gekitzelt und dort etwas andres gekniffen!
Und dies alles im hurtigen Rhythmus der prompten Bedienung,
Während das Messer zerlegte, das Handbeil Gelenke zerspellte
Und der helle Tenor die zugewogenen Mengen
Mit den verschiedenen Preisen phantastisch multiplizierte.
Hei. da gab's ein Gewinde, ein Quietschen, Quieken und Kichern
All der gekitzelt-gekniffnen, gequetschten-getätschelten Weiber!
Blicke blitzten ihm zu, die alles verhießen, und Blicke,
Zwinkernde, blinzten zurück, die jedes Versprechen quittierten!
Hei, da ging das Geschäft, da klirrten und irrten Gewichte,
Meistens natürlich zum Vorteil des lendengewaltigen Selchers!
Aber im hinteren Grunde des weißgekachelten Ladens,
Wo an den Wänden die Würste in Stangen, Kränzen und Paaren,
Wo die Schinken und Specke, die duftend-geräucherten, hingen,
Standen zur Seite gedrängt, die älteren Weiber des Dorfes,
Jene, bei denen nicht viel mehr zu tätscheln und hätscheln vorhanden,
Und entschädigten sich durch Ehrabschneiden und Lästern.
Was das Vöglein gewispert, am hellichten Tage gedieh es
Dort zum staunenden, raunenden, endlich posaunenden Chorus!
Aber das Vöglein, es selbst? Wer war's nur? – Gedulde dich, Muse!

Niemand hätte vermocht, dem Fräulein Rose Rachoinig
Auf dem Gebiete des Dienstes den kleinsten Vorwurf zu machen.
Pünktlich schloß sie das Amt auf und pünktlich schloß sie das Amt zu,
Glatt vollzog sich Erhalt und Weiterleitung der Briefpost,
Immer war Bargeld vorhanden, um jegliche Zahlung zu leisten,
Und im Parteienverkehr war das Fräulein zwar dienstlich, doch höflich.
Anderseits freilich, Verstöße zuwider der amtlichen Vorschrift,
Wenn auch noch so geringe, empfand sie beinahe persönlich.
Wer sich da etwa erkühnte, auf außerdienstliche Scherze
Sich was zugute zu tun, erlitt die eisigste Abfuhr.
Also war sie im Dienste geachtet, ja förmlich gefürchtet.
Aber nicht deshalb allein! Denn außerdem war sie allwissend.
Kannte sie doch so ziemlich den Umsatz von jedem Geschäfte
Durch die Beträge an Geld, die jeder empfing und zur Post gab,
Und wofern sie erbost war, so konnte die Steuerbehörde
Manches durch sie erfahren. Allein es gab noch ein andres
Weites Gebiet des Wissens von heikleren Dingen, zum Beispiel:
Kannte sie doch die Handschrift von jedem, auch wenn sie verstellt war,
Wußte sie doch um alle heimlichen Korrespondenzen.
Und wenn einmal vor Monden dringend telegraphiert ward,
Daß ein nicht weiter Genannter am soundsovielten des Märzen
Samt seinem Regiment die nahe Landstadt passiere,
Wußte das Fräulein natürlich genau, wieviel es geschlagen,
Und es nahm sie nicht wunder, die Adressatin von damals
Täglich verhärmter zu sehen und ängstlich verheimlichten Wachstums
So um die Hüften herum. Jedoch die Depesche als solche
Stand selbstredend im Schutz der beschworenen amtlichen Schweigpflicht,
Aber das Faktum an sich, das heimliche Wachstum der Hüften,
Konnte doch jeder bemerken; warum nicht das Fräulein Rachoinig?

Oder ein anderer Fall: seit dem dritten Tag nach Fronleichnam
Kam die Frau des Gendarmen aufs Amt und holte die Dienstpost.
Überflüssig natürlich, da diese durch Crisper, den Boten,
Ohnehin pünktlich bestellt ward! Indessen unter der Post der
Löblichen Gendarmerie befanden seit damals sich öfter
Briefleins mit einer Schrift, die bekannt war von anderen Fällen.
Freilich, auch dies war Geheimnis. Doch wenn durch dienstliches Wissen
Auch der Privatapparat der Sinne seiner gestimmt war,
Konnte man leichter bemerken, daß immer in Nächten, da Kirbisch
Dienstlich die Wohnung verließ – und dieses begab sich nun öfter –
Seitlich im Fenster des ebenerdigen Schlafraums ein rotes
Lämpchen flackernd entbrannte wie sonst vor dem Bild der Madonna,
Bis es dann etwas später geheimnisvoll wiederum auslosch.
Was sich inzwischen begab, das konnte natürlich nur wissen,
Wer sich im Erlengebüsch gegenüber dem Amtshaus versteckt hielt.
Aber es hatte Herr Schwinzerl, der Totengräber und Wächter,
Neulich beim Bäcker erzählt – und natürlich nicht nur beim Bäcker! –
Daß es in letzterer Zeit ihm öfter gewesen, als hätt' er
Nächtliches Traben gehört und morgens querüber die Felder
Etwas entschwinden gesehen im steigenden Nebel der Frühe.
Aber sofern dies ein Pferd, ein Reiter und nicht ein Gespenst war –
Alles ist heutzutag möglich! – so waren die Hufe umwickelt;
Denn sie erklangen gedämpft wie die Schläge verhangener Trommeln.
Dies, im Zusammenhalt mit dem roten Signallicht im Fenster,
Gab ein fast sicheres Wissen von ungeheueren Dingen,
Welches nicht reservat war, und folglich gelang es mit Hilfe
Einer logisch durchdachten und dienstlich völlig korrekten
Scheidung von Kenntnisnahmen in amtliche und in private,
Daß am Morgen des zwanzigsten Juli bei Fürbaß, dem Selcher –
Während dieser soeben ein blutiges Kalbshirn zerlegte –
Jäh das Gerücht sich erhob: Die Gendarmin hat ein Verhältnis!
Huh, wie knackten und klapperten da die falschen Gebisse!
Wahrlich, ein Totentanz für den guten Ruf der Gendarmin!
Giftig speichelnde Lippen schmatzten und schnappten nach jedem
Kichernd getuschelten Worte, die boshaft aufleuchtenden Augen
Glühten Triumph und Geilheit, die Antwort fiel in die Frage,
Eh sie noch halb erst getan, Erstaunen, Wut und Entrüstung
Wild überschlugen einander, und Schandmaul zischte in Schandmaul:
»Aber, was Sie nicht sagen, Frau Frischenschlager, nicht möglich!«
»Aber, Frau Populorum, das weiß doch ein jeder im Ort schon!«
»Wenn der Kubisch im Dienst ist?« »Natürlich, wenn er im Dienst ist!
Zuschaun wird er doch nicht!« »Nein, so eine schlechte Person das!
Spielt die Unschuld vom Land und hat es hinter den Ohren!«
»Und erst das Lämpchen dazu von unserer Mutter im Himmel!«
»Meiner Seel' und Gott, das ist eine Sünde! Das heißt ja
Unsere liebe Frau persönlich zur Kupplerin machen!«
»Jesus, Maria und Josef, wenn das der Herr Pfarrer erfahr'n wird!«
»Unser armer Herr Pfarrer, nein, daß ihm so was passier'n muß!«
»Deshalb schenkt ihr der Herrgott auch keine Kinder, Frau Crisper!«
»Geben Sie acht, Frau Oremus, jetzt wird schon bald eines dasein!«
»Aber nicht vom Gendarmen!« »Natürlich nicht! Sondern vom andern!«
»Aber wer ist denn der andre?« »Er soll ein gemeiner Soldat sein!
Irgend ein Kanonier von der Stadt her!« »Und krank soll er auch sein!!«
»Heilige Mutter Gottes!« »Was Ihnen nicht einfällt, Frau Hitzgern!
Frisch und gesund ist der Mensch!« »Ja, kennen Sie ihn, Frau Oremus?«
»Aber natürlich, Sie auch, Frau Frischenschlager!« »Ich dank' schön
Für eine solche Bekanntschaft! Vielleicht, daß Sie mit dergleichen
Leuten verkehren, ich nicht!« »Das bitt' ich mir aus, Sie gemeine,
Unverschämte Person! Von Ihnen weiß man schon auch was!«
»Sagen Sie's, wenn Sie was wissen!« – Zu diesem Punkte gekommen,
War es nahe daran, daß die eifernden, geifernden Weiber
Sich in die Haare gerieten. Da fuhr aus dem giftigen Gischte
Aller der flüsternden, wispernden, lispelnden, zischenden Zungen
Plötzlich ein Name empor, der freilich geschaffen dazu schien,
Wie aus dem Blasrohr geflitzt, ins Schwarze der Wahrheit zu treffen:
Dieser Name hieß Fleps, und Fleps war auch schon die Gewißheit!

Heiah, das war ein Tumult! So freut sich nur die Gemeinheit,
So nur der menschliche Dreck, der überall anderer Dreck riecht,
Bis er die Trüffel der Schande mit schnüffelndem Rüssel erwühlt hat!
Kaum daß sie Zeit sich ließen, die Weiber, zum Einkauf des Fleisches,
Kaum daß sie zahlten und grüßten, so stoben sie schon auseinander.
Leichterer Füße eilten sie heimwärts, mänadischer Rhythmus
Brachte die Hüften in Schwung; die Lippen, die Wangen, die Augen
Aller der ehrsamen Vetteln lachten gekitzelt, die schlaffen
Brüste schienen gefüllter in ihren kattunenen Blusen
Und, was sonst sie noch anfocht im dumpfen Bereiche des Barchents,
Darf ich vor dir nicht erwähnen, unsterblich-jungfräuliche Muse!

Aber eins ist gewiß: schon lange nicht wurden die Männer
Übelbachs, eh sie zu Mittag am häuslichen Herde erschienen,
So mit Spannung erwartet und so mit Blicken empfangen,
Welche in jeder Beziehung pikantesten Nachtisch verhießen!
Denn das Laster des Nächsten erhöht die eigene Tugend,
Und der Nachbarin Fehltritt, er zeigt die eigene Treue
Erst in dem richtigen Licht und verpflichtet zu Dank die Gemahle.
So nach der Meinung der Weiber! Und folglich gossen sie ganze
Kübel des Unflats aus auf die Sünderin. Aber die Männer
Schmunzelten nur dazu und lachten aus vollerem Halse erst
Bei dem Gedanken an ihn, den Gehaßten und endlich Gefoppten,
Und der Kehrreim von allem, was immer zum Fall sie bemerkten,
War: »Dem Kubisch vergönn' ich's!« Und dabei blieb's in den meisten
Dieser Siestagespräche zum blassen Ärger der Weiber.

Aber ein Festtag sogar wie dieser nimmt schließlich ein Ende,
Und nachdem das Gerücht von rastlos beflissenen Zungen
Auch in die äußerste Hütte gebracht war, nahte der Abend.
Klar in die Tiefen des Westens versank die herrliche Sonne,
Kühlere Düfte der Wiesen erwachten, und bläulich entstiegen
Allenthalben den Äckern der fernen und näheren Hügel
Niedrig ziehende Schwaden von Feuern, in denen die Bauern
Unkraut vom vorigen Herbst und trockenes Reisig verbrannten.
Auch in den Zeilen des Dorfs erhob sich nun rauchiges Duften
Nach der harzigen Heizung der nachtmahlbereitenden Herde.
Futterbegierige Schweine tobten in hölzernen Kofen,
Und in den dumpfigen Ställen plärrten die Kälber und Kühe.
Feierabend vor Sonntag! Bedeutsamer läuten die Glocken,
Lebhafter regt sich's im Haus vom Fegen und Scheuern der Stuben,
An den Brunnen der Höfe waschen sich pritschelnd die Knechte,
In den Kammern die Mägde, aus Eimern schreien die Buben,
Von den Müttern geklapst, und der Vater des Hauses rasiert sich.
Alsdann begibt sich die Bäuerin früher als werktags zu Bette,
Scheinbar tun das gleiche die Mägde, indessen die Burschen,
Schon im Gebüsche des Hofzauns versteckt, auf den Augenblick lauern,
Wo die Lichter verlöschen und leise Fenster sich öffnen.
Aber der biedere Bauer sowie der Mann des Gewerbes
Feiert das Ende der Woche durch mehrere Viertel des Weines
Hierorts und heute wie immer im Gasthaus zum störrischen Engel.
Dort aber hatte seit Juni sich vieles prächtig verändert.

Wohl war die Stube dieselbe, in der der behäbige Schanktisch,
Funkelnd von Messing und Zinn, breit dastand mit Kannen und Gläsern.
Aber die Sommergäste: die Damen der Flüchtlingsfamilien,
Ein Sektionschef a. D. und die Mumie eines Majores,
Der, wo immer er stand oder ging, an der Hand einer großen
Fähnchenbestocherten Karte die militärische Lage
Taktisch-strategisch erklärte, sie speisten nicht mit den Bauern,
Sondern streng separiert im neueröffneten Saale.
Dieser war freilich nichts anderes als die verglaste Veranda,
Welche in früherer Zeit eine Kegelpudel gewesen.
Dort nun stand das Klavier, wofern es ein solches zu nennen,
Grelle Plakate von Bier-, Likör- und Champagnerfirmen
Schmückten die Rückwand, in Ehrfurcht gruppiert um den farbigen Öldruck,
Welcher den Landesherrn mit den Krönungsinsignien zeigte.
Drei meist schwelende Lampen mit stinkendem Azetylenlicht –
Denn das Petroleum war, Benzin und Brennöl beschlagnahmt! –
Strahlten herab auf die Reihen der weißbebreiteten Tische,
Und man mußte gestehen: der Raum, obwohl es bei Regen
Stark durch das Schindeldach tropfte, der Raum war gemütlich und vornehm.
Freilich, die Friedensverpflegung, die Pschunders Annoncen versprochen,
War noch immer nicht Wahrheit, zum mindesten offiziell nicht.
Weißbrot, Butter, Kaffee und Schlagobers blieben verboten,
Widerlich würzte den Tee statt Zuckers ein künstlicher Süßstoff,
Schal nur schmeckte das Bier, dieweil man die Gerste verbuk und
Tausendguldenkrautsud das Aroma des Hopfens ersetzte,
Und um die Streckung des Weines bemühte sich Pschunder erfolgreich.
Bloß an Würsten und Fleisch, von Fürbaß, dem Selcher, geliefert,
Wäre noch immer genügend vorhanden gewesen. Indessen
Keinem gebührten da mehr als kaum zehn Deka im Tage,
Wenn nicht überhaupt gar der Tag als fleischlos erklärt war,
Und es verhielt sich nunmehr genau nach der Vorschrift der Gastwirt.
Allerdings, hintenherum und um wahre Seltenheitspreise
Gab es auch dieses und jenes. Allein man aß es nur heimlich
Und mit erschlotternden Knieen, bei jeglichem Bissen gewärtig,
Daß da ein funkelnder Helm und ein unheilschwangres Notizbuch
Plötzlich im Saale erschien und barsch den Tatbestand aufnahm.
Also war Leben und Stimmung in Übelbach keineswegs immer
Rosig, außer für Pschunder, der Wuchergewinne verdiente.
Aber die Luft war vorzüglich im Dorf am gewaltigen Volland,
Und nach sauerer Woche kam nicht nur für Bauer und Bürger,
Sondern auch für die Gäste der Feierabend des Samstags.
Denn da brachte der Zug, der freilich weit unten im Tal hielt –
Stundenlang hieß es dann wandern mit Tasche oder mit Rucksack! –
All den vereinsamten Damen die Gatten, Schwäger und Neffen
Über den Sonntag herauf. Und also geschah es auch heute.

Überfüllt war der Saal und surrte von Reden und Lachen.
Alle die schönen orientalischen Augen der Frauen
Glänzten verwegner als sonst, die Abendkleider enthüllten,
Mehr als die Dirndlkostüme des Alltags, üppige Schultern.
Leuchtender stiegen die Nacken aus schmeichelnder Seide, die Haare
Waren koketter frisiert, und was an Juwelen vorhanden,
Blitzte an wogenden Büsten, an Ohren, Gelenken und Fingern,
Und die mehr oder weniger rassig gefesselten Füße
Trippelten zierlicher heut' in reizend gestöckelten Schuhen.
Wer auch die Damen so sah – es hatten die meisten, der Sitte
Östlicher Städte gemäß, dem Blühen der Lippen und Wangen
Und auch dem Feuer der Augen mit künstlichen Mitteln geholfen –
Glaubte, nicht Ehefrauen und Mütter, die sie doch waren,
Sondern Geliebte zu sehen, auf Lockung bedacht und Verführung.
Und so schien es nicht nur! Jawohl, ein Fest war gerüstet
Ehemännern und Freunden, die müde vom Treiben der Preise,
Müde vom Wechselreiten und Kettenhandeln der Woche,
Heute wie jeglichen Samstag das Dorf am Volland erklommen.
Doch für die jungen Mädchen im heiratsfähigen Alter
Gab es auch Offiziere: geschmeidige Reitergestalten,
Die, wie Pschunders Herr Sohn und die vornehm degenerierte
Kavalleristenfigur des Herrn Regierungsvertreters,
Niemals noch Pulver gerochen und niemals Attacken geritten,
Sondern, vom Frontdienst enthoben, im Kriege verdienten statt dienten.
Aber der Held der Gesellschaft, das war ein Leutnant bei Fliegern,
Noch ein Knabe beinahe, mit einem zum Lächeln erstarrten
Zug um den schüchternen Mund und melancholischen Augen.
Aber es hatte dies Kind mit seinen nervösen, morbiden
Händen, die mehr zum Liebkosen von Harfensaiten und Rosen
Denn an die Kurbel taugten verruchter Maschinengewehre,
Etliche Gegner bereits im Nahkampf der Lüfte erledigt.
Diesem nun, reich dekoriert mit vielen Medaillen und Kreuzen,
Galten die loderndsten Blicke der rassigen Mädchen und Frauen,
Er aber ließ es geschehen und schien sie nicht zu bemerken.
Also war eine Wolke von Sehnsucht und Heldenverehrung
Über die weißen Tische im Saale bei Pschunder gebreitet,
Eine Wolke der Schwüle, die durch die geöffnete Türe
Auch in den Schankraum drang und dort die simplen Gemüter,
Denen dergleichen noch neu, in erhöhtere Stimmung versetzte.
Aber freilich wie anders, wie derb und unfein ging's dort zu!

Alle waren sie da, die Wirtshauskempen des Dorfes:
Fürbaß Ägid an der Spitze mit weißem Schurze und Wamse,
Johann Baptist Populorum und Zaunschirm, der Feuerwehrhauptmann,
Meister Oremus, der Schmied, Martellanz, der Förster, und Hiebaum,
Schwinzerl, der Totengräber und Schinder, und (nicht zu vergessen!)
Crisper, der Bote der Post, mit seiner Chefin, dem Fräulein
Rose Rachoinig, die heute vor innerem Jubel fast hübsch war.
Und das Gespräch der Gespräche? War heute, wie leicht zu erraten,
Einzig der Fall der Gendarmin, wobei man – da ja die eignen
Ehefrauen daheim – der armen Sünderin recht gab.
»Diesem Kubisch vergönn' ich's!« war wieder wie mittags der Kehrreim,
Aber es kam noch hinzu: »Ein verteufelter Kerl, der Fleps das!«
Nichts blieb unerörtert, was zwischen den beiden Entlarvten
Heimlich im Schutze der Nacht, womöglich im Bett des Gendarmen,
Alles geschehen mochte. Und wo die Worte versagten,
Halfen die drastischen Gesten des Totengräbers geschickt nach.
Heiah, da gab's ein Gegrunze, als wäre ein Rudel von Säuen
Seinem Kofen entbrochen und stürzte sich wild auf den Haufen
Schlüpfrigen Mistes im Hofe. Haheiah, da gab's ein Gelächter,
Daß sich die Rümpfe verkrümmten, die Adern der Hälse und Stirnen
Blaurot zum Bersten erschwollen und Hustenkrämpfe entstanden!
Nur die Chefin der Post, das Fräulein Rose Rachoinig,
Wollte von allem nichts wissen und rief nur immer: »Ich glaub's nicht!«
Ja, sie trieb es noch weiter und schmähte entrüstet der Männer
Schmutzige Phantasie und erreichte damit, was sie wollte:
Neues Öl in das Feuer des ungeschminkten Gespräches!
Heiah, da kamen Details! Und trunken schlossen sich Fräulein
Rose Rachoinigs Augen zu schmalen, funkelnden Schlitzen,
Die aus gesteckter Visage, vorbei an der bläulichen Nase,
Wie zwei Klingen aus Eis nach Cordulas Angesicht zielten.
Dies war der Tag des Triumphs der Beamtin über die Dienstmagd!
War sie nicht bleicher als sonst, die Kellnerin, welche mit Flepsen
Alles genießen gedurft, was jene vergeblich ersehnte?
Zuckte ihr nicht das Gesicht, wie unter dem Hieb einer Peitsche,
Schmerzlich getroffen zusammen, so oft sein Name von einer
Dieser schamlosen Zungen in wüstem Zusammenhang laut ward?
Ach, und der herrliche Kelch der Rache war lange noch leer nicht!
Wenn erst das andre herauskam, das heimliche Wachstum der Hüften!
Wenn dann von jedem dereinst die Vaterfrage gestellt wird!
Um so erstaunter gestellt wird, da diese Person doch so stolz tat
Und der Heilige Geist ja ein Ammenmärchen geworden!?
Wird ihn dann Cordula nennen, Herrn Fleps, der so sie im Stich ließ?
Niemals! Das wußte das Fräulein. Doch irgend jemand im Dorfe
Mußte der Vater doch sein! Ein wahrer Satansgedanke
Übermannte sie plötzlich: da Fleps sein Alibi hatte
Durch sein Verweilen im Felde und niemand sonst außer dem Herrgott
Von dem Geheimnis der Nacht in der nahen Landstadt was ahnte,
Wer nur kann dann im Ort –? Wer ist der einzige, den man
Dessen bezichtigen konnte? Wer war zum Gaudium aller
Leute im Dorfe verliebt in die Kellnerin, hündisch beflissen
Immerzu hinter ihr her? Und wer war Cordulas Schützling?
Vitus, das Tier, der Cretin!! Doch eh noch das Fräulein Rachoinig
Diesen perversen Traum und tückischen Höllengedanken
Gänzlich zu Ende gedacht, da erstarrte, sodaß sie emporfuhr,
Plötzlich das Wogen des Lärmes um sie zur Mauer des Schweigens.
Jedes Mundwerk stand still, die tierisch verkniffenen Augen
Rissen gewaltig sich auf, und alle Insassen des Schankraums,
Wie von dem Anblick gebannt einer plötzlichen Geistererscheinung,
Glotzten und stierten zur Tür, in welcher mit Anmut und Würde,
Lächelnd grüßend und so, als wäre rein gar nichts geschehen,
Hochelegant equipiert, mit der goldenen Quaste am Säbel,
Leutenant Fleps erschien und mit ihm der Gendarm samt Gemahlin!

Ungeheures Ereignis! Es wagte niemand zu räuspern,
Ja, es versagte sogar der Atem, der Gruß in der Kehle.
Cordula starrte vom Schanktisch und schien sich nur mühsam zu halten.
Einzig Herr Pschunder, der Wirt, die Lage gewandt überblickend,
Schritt seinen Gästen entgegen, sie enthusiastisch begrüßend,
Streckte Herrn Kirbisch die Hand hin, die dieser verlegen erfaßte,
Und vor der ›Gnädigen Frau‹ sich ganz besonders verbeugend,
Blinzte er Flepsen zu: »Zu speisen gefällig, Herr Leutnant?
Kalt oder warm, wie's beliebt! Was Fertiges oder was Frisches?«

Aber noch ehe der Leutnant für alle dreie bestellte
(Selchfleisch mit Knödel und Kraut und dazu einen Liter vom Alten),
Klirrte am Schanktisch ein Glas, ein zweites, ein drittes in Scherben,
Blassende Hände hielten sich fest noch am Messing der Pipe,
Tief ein gemartertes Stöhnen erklang, ein schluchzendes, dann doch –
Während der Wirt einen Fluch mit dem einzigen Zahne zerknirschte,
Während das Fräulein Rose Rachoinig den wilden Triumphblick
Kaum zu bemeistern vermochte und niemand der Wankenden beisprang –
Sank ein gesegneter Leib zur Erde in lautlose Ohnmacht.


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