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Achter Gesang

»Αλλ οψεσθ, ινα τω γε χαθευδετον εν φιλοτητι
εισ εμα δεμνια βαντεσ εγω δ οραυν αχαχημαι.«

»Aber schaut sie euch an, wie lieb beisammen sie liegen
In meinem eigenen Bett! Das Herz zerspringt mir beim Anblick!«

Odyssee, Achter Gesang.

Das Mühlrad ist zerbrochen,
Die Liebe hat doch kein End,
Und wenn zwei Herzliebchen sich scheiden,
So reichen s' einander die Händ.

Volkslied 1784.

 



Wirklich nicht länger als nötig verdrängte Cordulas Unfall
Jenes entgeisterte Staunen, das alle über des Kirbisch
Unerwartetes Kommen mit Fleps und Gemahlin empfanden!
Und als das blutende Mädchen – es war auf die Scherben der Gläser
Mit den Armen gestürzt – noch immer bewußtlos, von Schwinzerl,
Welcher als Totengräber an leblosen Körpern geschickt war,
Und von Oremus, dem Schmied, als dem kräftigsten Manne des Ortes,
Rasch aus der Stube geschafft war, zerbrach sich bald niemand den Kopf mehr
Über die Gründe der Ohnmacht. Nur freilich das Fräulein Rachoinig
Nahm die Gelegenheit wahr und hauchte Martellanz, dem Förster,
Der als das böseste männliche Tratschmaul des Dorfes bekannt war,
Tückischen Mitleids ins Ohr: »Die Ärmste, vielleicht ist sie schwanger!«
Blinzelnd maß sie der Förster und lachte dann dreckig und laut auf,
Aber die Chefin der Post, mit dem Zeigefinger am Munde,
Drückte sich fest an sein Knie und gebot ihm heuchlerisch Schweigen.
Was aber tat der Herr Fleps? Je nun, er war zwar ein wenig
Blasser geworden von Antlitz, indessen beileib' nicht aus Mitleid,
Sondern eher aus Angst, es könnte jemand was ahnen.
Dies aber währte nicht lange, und um so befreiterer Laune
Weihte er sich der Gendarmin, und dieser auch galten die Blicke
All der Erstaunten im Schankraum: denn nie noch, solange die Welt steht,
Hatte ein Weib sich so rasch, so gründlich und reizend verändert!

Du, o erfahrene Muse, die Helenas zaubrische Schönheit
Holder noch blühen gesehen, nachdem sie von Paris geraubt war,
Du, der die Wonnen geläufig, die Aphroditen verzückten,
Als sie den Krüppel Hephäst mit Ares, dem Herrlichen, hörnte,
Weißt von Unsterblichen her, wie köstlich der Ehebruch auffrischt,
Doch daß den Sterblichen auch der nämliche manchesmal guttut,
Hatten Übelbachs Männer an sich zwar mitunter erfahren,
Das aber galt nicht für Frauen, und folglich verschob sich ihr Weltbild,
Da sie als Lohn für das Laster so liebliche Wandlung ersahen.

War denn das überhaupt noch dieselbe, die niemand im Orte
Jemals beachtet hatte? Wo waren die bäuerisch-simplen,
Glatt aus der Stirne gestrichenen Haare? Wo waren die trüben,
Wässerig-blauen Augen, die farblos-gelangweilten Lippen
Ehmals so schüchternen Mundes? Wo war die schlampige Taille,
Wo der verdrossene Gang der ziemlich geplatteten Füße?
Alles sprühte nunmehr an diesem entzückenden Prachtweib!
Neckisch gekräuselt umzwirbelten Löckchen die niedere Tierstirn,
Schwellend blühten die Lippen, und lebhaft spielten die Augen!
Alles war federnd und straff: die Beine, die Taille, die Brüste!
Ja, und die derben Nägel der immer noch rötlichen Hände
Waren gespitzt und gefeilt und poliert und rosig gerändert.
So etwas hatten die Männer von Übelbach nie noch gesehen,
Außer bei Damen der Stadt. Doch daß ein so köstliches Wesen,
Sündhaft duftend nach Speik, einem Manne im Dorfe gehörte
Und sich zu ihnen herabließ, das grenzte buchstäblich ans Wunder.
All dies aber war nichts im Vergleich zu der lauten und sichern
Art, wie die Dame nun sprach! Welch' ein Wortschatz, welche Beredtheit!
Wenn es auch Unsinn war, was sie plauschte, wer konnte denn dieses
In dem benommenen Zustand, in dem man doch war, noch beurteiln?
Übelbachs Männer nicht! Die hatten Beherrschung verloren,
Wetzten erregt auf den Sitzen und schmatzten mit Lippen und Zungen,
Allen voran Herr Fürbaß, der lendengewaltige Selcher!
Blutunterlaufener Augen und blaurot verdunkelter Wangen,
Stierte er auf die Gendarmin und hätte dafür was gegeben,
Wäre er selbst der Entdecker so köstlichen Neulands gewesen.
Aber da er zwar lüstern, doch ferne von Mißgunst und Neid war,
Zwinkte er so wie die andern und blinzte und grinste er Flepsen
(Mit dem Behagen des Schlächters beim Anblick von prächtigem Stechvieh!)
Lustig-ermutigend zu, und dieser quittierte geschmeichelt.

Nun aber fragst du mich, Muse: Was tat Herr Kirbisch, der Gatte?
Menelaos, der Held, zerstörte um Helenen Troja,
Und Hephaistos, der Gott, er fing die Buhlen im Netze,
Noch in flagranti dazu, und es lachte der hohe Olympos!
Aber Herr Kirbisch, der Unheld, der gottverlassne, was tat er?
Merkte er nichts von dem Hohne, mit welchem die Blicke ihn streiften?
Merkte er nichts von der Wandlung, die seinem Weib widerfahren?
Abgesehen von diesem verräterisch-plötzlichen Blühen,
Gab's da nicht seidene Strümpfe und rosabebänderte Wäsche,
Ja, eine Boa sogar und ein zärtliches güldenes Ringlein?
Und erst die Schuhe aus Boxkalf, die Bluse aus zartem Batiste,
Welche die purpurnen Beeren der voller gewordenen Brüste
Deutlich zu sehen erlaubte, waren das Sachen von früher?
Oder hatte Herr Kirbisch von seiner bescheidenen Löhnung
Jetzt erst den Luxus bestritten? Mit Nichten, das waren Geschenke
Seines erhabenen Freundes, des Leutnants, der sich herabließ,
Ihn zum Nachtmahl zu laden und seiner Frau zu hofieren –
Alles natürlich in Ehren! Und folglich verhielt sich Herr Kirbisch
Ganz mit der komischen Würde der Gatten von reizenden Frauen,
Denen der Anwert, so diese bei anderen Männern genießen
(Immer in Ehren natürlich!), den Männerstolz in der Brust schwellt!
Und so war er denn auch der Hahnrei, wie er im Buch steht.
Wäre ich nicht so diskret, o Muse, ich könnte sogar noch
Sagen (doch tu' ich es nicht!), daß Flepsens gediegene Schule
(Selbstverständlich in Ehren!) auch ihm erst den rechten Begriff gab
Von den verfeinerten Formen und wechselreichen Genüssen,
Welche die Liebe beut. Denn leidenschaftlich und süß küßt
Erst die liebende Gattin, ist auch, der sie's lehrte, ein andrer!

Also war es am Tisch des Gendarmen wirklich gemütlich.
Ach, es fiel ihm nicht ein, sein Weib und den Leutnant zu stören,
Wenn sie die seligen Blicke begehrlich verdämmernder Augen
Tief ineinander versenkten und unter dem Tische mit Händen,
Knieen, Beinen und Füßen einander suchten und fanden.
Niemand auch störte ihn selbst, die saftige Schwarte vom Selchfleisch
Zwischen die Finger zu nehmen, sie auszusaugen und dann sie
Unter den Sessel zu werfen, wo Treff, der Jagdhund, sie auffraß.
Oh, und mit welcher Gewandtheit, die einer besseren Sache
Würdig gewesen wäre, verstand er es, Fuhren vom Weißkraut
Hurtig auf's Messer zu türmen und dann sie von diesem mit sicherm
Schwung in den Mund sich zu schleudern, der schnappte, schlürfte und schmatzte!
Aber die Frau des Gendarmen, sie nippte von Speise und Trank nur,
Erstens, weil sie verliebt war, und zweitens, weil ihr das fein schien;
Und Herr Pschunder, der Wirt, war bedacht, daß immer ein Wein sei.

Ja, er bedachte noch mehr, der geriebene Gastwirt: entweder
Heut' oder niemals gelang es, den Abgrund des tödlichen Hasses
Zwischen dem Herrn Gendarmen und allen andern im Dorfe
Auszufüllen für immer – zu Pschunders eigenem Vorteil!
Deshalb hatte er selbst als Vorstand des Ortes ein Beispiel
Edler Versöhnlichkeit, da Kirbisch hereintrat, gegeben;
Und so befahl er denn auch, die Tische zusammenzurücken,
Und man gehorchte ihm gerne. Die Bauern, Bürger und Herren
Von der bewaffneten Macht, die Gendarmin und Fräulein Rachoinig
(Diese an jene geschmiegt, als wären sie innigst befreundet!)
Waren nun eine Runde, und Stimmung herrschte und Laune.

Jetzo langte vom Simse auf allgemeines Verlangen
Fürbaß die Zither herunter. Da kreischte das Fräulein Rachoinig:
»Fleps soll singen! Herr Leutnant, ach, bitte doch, bitte!« Und dieser
Ließ sich nicht ungern herbei. Der lendengewaltige Selcher
Prüfte mit zupfenden Fingern (sie glichen rosigen Würstchen!)
Erst noch die Stimmung der Saiten, und als auch dieses getan war,
Griff er Akkorde in Moll und präludierte gefühlvoll
Einem der uralten Lieder, wie sie das Volk in den Bergen,
Wenn sich die Zunge ihm löst, im geselligen Kreise beim Wein singt.
Und der Leutnant begann, und leise fiel auch der Chor ein.

Freilich, unsterbliche Muse, was deine Griechen gedichtet,
Was dein Anakreon sang, war heiterer, heller und edler!
Aber die Götter sind tot, die Hellas' Fluren belebten,
Und die gesegnete Bläue des lächelnden attischen Himmels
Leuchtet uns Nördlichen nicht auf Cypressen, Lorbeer und Rosen.
Aber im Harzduft der Wälder, wo Gemsen die Schroffen erklimmen,
Wann der Auerhahn balzt, und an mühlentreibenden Bächen
Blühen die Weisen auch uns von den ewigen Dingen des Volkes:
Ach, von der Erde, vom Tod und von Sehnsucht und Abschied der Liebe!
Und Herr Fleps, der Adjunkt, wie wenig er sonst auch Gemütsmensch,
Brachte dies alles so schlicht, so besinnlich und echt, als erwachte
Unschuld der Menschheit aus ihm und verhoffte mit großen verträumten
Märchenaugen erstaunt in die blutige Wirrsal der Zeiten.

Aber nicht nur im Wirtshaus des Dorfs am gewaltigen Volland
Klangen in dieser Stunde die alten, die innigen Lieder!
Nein, auch überall dort, wo im Anblick derselben Gestirne
Söhne des Volkes die Wacht an den Grenzen des Vaterlands hielten.
Fern in den Schützengräben und Unterständen der Fronten,
Während in jeder Minute der Tod sie bedrohte, gesellte
Landsmann zum Landsmann sich und erweckten einander die Stimmen
Jetzt zu den nämlichen Liedern; und von den Verhauen der Feinde
Tönte es Antwort herüber, und ob auch in anderen Sprachen,
Sangen doch Lieder auch sie von den ewigen Dingen des Volkes:
Ach, von der Erde, vom Tod und von Sehnsucht und Abschied der Liebe!
Denn es ist ja der Mensch und die Heimat hüben und drüben,
Und sie gebiert ihm Gesang, und wäre dieser entscheidend,
Niemals gäb' es den Kain, und in Liedes Erlösung und Rührung
Stürzten Herzen an Herzen, und Güte wäre und Frieden!

War es dessen ein Ahnen, das alle im Räume nun fühlten?
Denn als der Leutnant zu End' und der Chor und die Zither verstummt war,
Sprachen und lachten sie leiser, die Niedrigkeiten des Alltags
Wagten sich nicht in die Züge, und kindlicher blickten die Augen.

Doch was erklang da vom Saal her, das Eßzeuggeklapper und Summen
Dortigen Stimmengewirrs übertönend? Was drängten die Bauern
Sich an die offene Tür nun, zu horchen, zu schauen, zu staunen?
Wohl, es stand ein Klavier, wofern es ein solches zu nennen,
Nebenan in der Veranda, doch so war es nie noch erklungen!
Streichelten Frauenhände die Tasten, sodaß sie verzaubert
Flüsterten, lockten, versprachen und schmachtende Seufzer verhauchten?
Einmal im flüssigsten Dreitakt, dann wieder synkopisch verhalten,
Wiegten sich langsam-gedämpft und zögerten Tanzmelodieen.
Aber zu welcherlei Tanz! Das war nicht das Knirschen und Stampfen
Grobgenagelter Schuhe zum dröhnenden Bleche und Holze,
War nicht der schleifende Trott des plumpen, des bäurischen Walzers,
Wenn sich die Burschen und Mägde, verschwitzt und in dumpfer Umschlingung,
Halten und träge drehen im Bierdunst und Qualm des Tabakes!
Nein, zu Violen und Flöten, zum girrenden Schmeicheln von Geigen,
Traten in dieser Musik ganz andere Paare zum Tanz an:
Weiber, geschminkte, geschürzte, mit weißen, umseideten Füßen
Über Teppiche tastend und duftend in lässigen Armen
Schlanker, verlebter Männer mit lüsternen Knabengesichtern!
Nein, dies tönte nicht mehr die kindliche Einfalt des Dreiklangs,
Singend von Erde und Tod und von Sehnsucht und Abschied der Liebe,
Sondern, chromatisch verdämmernd und disharmonisch entartet,
Lockte dies Klingen die Wollust aus Tiefen des Bluts in die Nerven,
Nicht zur jähen Entflammung und nicht zur raschen Erlösung,
Sondern die glosende nährend mit reizender Kunst des Verzögerns.
Bis aus der schwelenden Glut der allmählich entzündenden Töne
Plötzlich die Brunst aufschlug und Leiber in Leiber verklammte!
Dann aber – wie eine Dirne, die, während ihr Körper verdiente,
Alle Stufen der Lust mit Gebärden und Lauten geheuchelt
Und, der Komödie satt, nachher in ein kaltes, gemeines
Hurengelächter ausbricht! – so ließ auch diese Musik jetzt
Cynisch die Maske fallen, und jäh aus dem Liebesgeheuchel
Dieser verschmierten, verlogenen Allerweltsmelodieen
Schnellte der Zweitakt hervor, bei welchem Matrosen und Neger
In erotischen Kneipen mit branntweinbesoffnen, verseuchten
Weibern den Kehraus tanzen und rasend das Letzte vollziehen!

Heia, das fuhr wie der Blitz in die seine Gesellschaft des Saales!
Texte stellten sich ein zur Musik, aus dem Dreck von Gehirnen
Frech in die Sprache gespieen! Aber die Männer und Frauen,
Scharlachgeschminkte Münder und rosige Münder von Mädchen,
Nahmen den Kot auf die Lippen, als wär' er der Honig der Unschuld.
Wo, in welchen Spelunken, in welchen Kaschemmen des Lasters
War dies Lachen gelernt? Und wo, zu den Stößen des Zweitakts,
Dieses Bewegen der Körper, dem Rhythmus der Wollust entliehen?
Und es hielt sie nicht mehr bei den Tischen. Die wurden mitsamt den
Überbleibseln der Mähler behend an die Wände geschoben.
Gläser wurden verschüttet und andere klirrten zur Erde.
Wer doch achtete dessen?! Und, über Pfützen und Scherben,
Über Schalen von Obst, über Käserinden und Krumen,
Traten die trunkenen Füße und taumelten hitzige Leiber,
Eng aneinander gepreßt, zum chaotischen Lärme des Foxtrotts!

Aber der Hexenmeister, der dieses entband und bewirkte,
War ein anderer nicht als – jener Leutnant bei Fliegern!
Lässig zurückgelehnt, die Füße auf den Pedalen,
Ließ er die schlanken Finger der blassen, etwas morbiden
Hände, die eher zum Kosen von Harfensaiten und Rosen
Denn an den Abzug paßten verruchter Maschinengewehre,
Über die Tasten spielen. Die Lippen des schüchternen Mundes
Waren ihm schlaff wie in Ohnmacht, die Augen beinahe geschlossen,
Wenn sich nicht ( nur auf Sekunden!) die schwerbewimperten Lider
Von den Pupillen verschoben und eines höhnischen Rausches
Eisige Blitze versandten. Denn diese Männlein und Weiblein,
Diese hopsenden Böcke mit grauen Haaren und Glatzen,
Diese verlebten, entfleischten und geilen verfetteten Frauen,
Diese hysterischen Nixchen und tachinierenden Krieger
Waren für ihn, den Gestählten, den Knaben, den Luftraumgewohnten,
Nur ein verächtliches Rudel von würdelosen Entnervten,
Denen sein klingender Griff die fadenscheinigen Larven
Heuchlerisch-feiner Gesittung wie Zunder vom Leib und Gesicht riß.
Wer ihn so sah, wie er spielte und wie er die Peitsche dem Pack gab,
Ahnte, daß dieser Jüngling mit todesverachtender Kühnheit
Mordmaschinen bediente im grausamen Nahkampf der Lüfte.

Mitternacht rückte heran, und der Flieger wurde nicht müde,
Aber die Bauern hatten sich längst von der Saaltür verzogen.
Was die drinnen da sangen, das Zeug, das verstanden sie so nicht,
Und was sie tanzten da drin, war nach ihren Begriffen »kein Tanz nicht«.
Also wurde alsbald die Türe geschlossen, und Fürbaß
Ließ sich nicht lange bitten, in ihrer Sprache zu singen.
Denn heut' war er in Stimmung! Die Nähe des sündigen Weibes
Wühlte ihn mächtig auf. Wie ein Moloch aus glühendem Fleische
Dampfte er Urkraft und Brunst. Das Blaurot seines Gesichtes
Hatte schon nichts mehr gemein mit der Farbe menschlicher Wangen.
Nein, es ragte der runde, fast kahlgeschorene Schädel
Wie ein obszönes Idol aus dem weißen Wamse des Schlächters!
Doch der verwegene Mund mit dem blendend blanken Gehege
Kannibalischer Zähne, er krähte mit einer grotesken
Dünnen und heiseren Stimme so zwerchfellerschütternden Unflat,
Daß sich die Bürger und Bauern die Bäuche hielten vor Lachen.
Ja, sogar der Gendarm, der Würde des Hahnreis vergessend,
Gröhlte aus vollem Halse und schlug sich klatschend die Schenkel.

Aber indes bei den Gästen der Taumel die Höhe erreichte,
Hatte Herr Pschunder, der Wirt, schon längst den Hauptschlag ersonnen,
Welchen er (heut' oder nie!) nach Kirbisch zu führen gedachte,
Und am gewaltigen Herde der reinlich gehaltenen Küche
Stand Katharina, die Köchin, verschwitzter denn jemals und schaffte
Über Auftrag des Chefs geheimnisschwangere Dinge.
Ob die Glocken der Kirche entscheidende Siege geläutet,
Oder Kanonenschüsse den Frieden dem Lande verkündigt,
Oder ob Pschunder, der Wirt, am Ende närrisch geworden,
Diesem sann sie nicht nach und hatte dazu auch die Zeit nicht,
Sondern vollzog den Befehl und gebot den rüstigen Mägden.
Eine hatte zu tun, ein Dutzend Eier ums andre
Flink auseinanderzuschlagen und Dotter und Klares zu sondern;
Jene peitschte den Schnee mit der federnden Rute im Kessel,
Diese spann Zucker am Feuer, und etliche andere rührten.
Eine doch stand auf der Wacht für den immerhin möglichen Fall, daß
Kirbisch, von Notdurft geplagt, an der Küche vorbei in den Hof ging;
Denn was in dieser erzeugt ward an strengstens verpönten Genüssen,
Hätte nur wenig getaugt für das scharfe Aug' des Gesetzes.
Schon das Aroma allein aus dem Rohr des gewaltigen Herdes,
Dieser Duft nach Kaffee und Gebacknem aus Weißmehl und Mandeln,
Mußte die amtliche Nase in jenen Tagen erbosen.
Aber die Torten erst selber! O diese mit frevler Verachtung
Aller Hungergesetze aus lauter sträflichen Sachen
Hergestellten Gebilde! Sie waren Verbrechen aus Backwerk!
Duftend lagen sie da, aus den Formen genommen, auf Blechen.
Bräunlich und gleichsam noch nackend die einen, aber die andern
Schon mit der blanken Glasur überzogen gesponnenen Zuckers
Und gefüllt mit der Creme aus Obers, Dottern und Mokka.
Doch das Delikt der Delikte, es harrte noch erst der Begehung!
Aber nicht lange mehr. Denn schon kam Pschunder gelaufen
Und befahl den Vollzug. Da schritt Katharina, die Köchin,
Wichtig ins dunkle Gelaß des küchebenachbarten Kühlraums
Und mit gewaltigem Topf voll weißesten, süßesten Rahmes
Kehrte sie würdig zurück. Da wurde die Sahne geschlagen.
Herrlich wuchs sie im Becken zu schimmerndem, flockigem Schaum an,
Und als auch dieses vollbracht war, da wurde die größte der Torten
Mächtig mit Schlagrahm betürmt und, eh' noch die Köchin die letzte
Hand an das Kunstwerk gelegt, ergriff schon der Gastwirt die Schüssel
Und war auf und davon und stand vor der schönen Gendarmin.

Wer, o Muse, beschriebe den leviathanischen Jubel,
Den nun der Auftritt des Wirts und die köstliche Torte entfachte?
Alle die Bürger und Bauern – ansonsten träg von Gedanken,
Wenn es ein redliches galt, ein gütiges Beispiel zu fassen! –
Dieses begriffen sie stink und stießen lachend einander
Unter und über dem Tische mit Seitenblicken auf Kirbisch.
Doch mit der lächelndsten Miene der Unschuld, als gäb' es auf Erden
Weder Gendarmen, noch Krieg, noch Hunger, noch Hungergesetze,
Kühn überreichte der Schlaue die Schüssel der Heldin des Tages.
Läppisch lachte die Törin und wußte sich nicht zu benehmen,
Zierte sich erst eine Weile, doch dann obsiegte die Dummheit,
Tückischer Zuspruch der andern und Kitzel des eigenen Gaumens.
Hurtig ward nun geteilt und, ehe noch Teller zur Stelle,
Fraßen die meisten vom Tischtuch, und Schnaps und Obstmost und Bier floß.
Und das Aug' des Gesetzes?! Je nun, o Muse, es schläft nicht
Bloß der Vater Homeros bisweilen. Was hätte der Kirbisch
Andres auch machen sollen als gute Miene zum bösen
Spiele? Er war aus dem Holz nicht, aus welchem ein Cato geschnitzt war!
Folglich sah er erst zu, aber dann, nach genügendem Zögern,
Schnappte auch er nach der Frucht des verbotenen Baumes, und Flocken
Süßesten Schaumes hafteten weiß im Gestrüpp seines Schnurrbarts.
Heia, das freute die Gauner! Doch drinnen im Saale, da ward es
Plötzlich stiller denn still, und es stockten Tanz und Musik, wie
Wenn (o Triumph der Dressur!) im Zirkus zum Scheine das Pferd stirbt.
Dann doch erschienen im Saale mit mächtigen Platten die Mägde,
Und es blühte auch jenen die göttliche Speise, und Pschunder
Hielt eine Rede auf Kirbisch. Da drängte die ganze Gesellschaft
Jubelnd hinaus in den Schankraum und brachte ein donnerndes Hoch aus.
Linkisch erhob sich der Hahnrei und stammelte etwas und faßte
Alle, die man ihm bot, die vielen begeisterten Hände.
Aber des nicht genug! Dieweil doch in Zeiten des Krieges,
Während die Armut verkommt und das Kind in der Mutter dahinsiecht,
Näher am Bauche als sonst das vaterländische Herz wohnt,
So intonierten im Chorus die Kettenhändler und Schieber,
Beutelschneider des Dorfes, die lippengeschminkten Mondänen,
Tachinierer und Held, die Gendarmin und Fräulein Rachoinig
Schleimigster Rührung das Lied, das Abertausende täglich,
Ach, mit Wunden und Tod, mit Strömen von Blut und von Tränen
Kämpfend und leidend bezeugten: das Lied, die Hymne des Volkes!

Bebte die Erde da nicht? Und zutiefst im Granitschoß des Volland,
Pochte da Luzifers Puls, das wilde, unsterbliche Herz nicht?
Nichts von alldem geschah. Doch die Massengräber, die furchtbarn
Scheunen des mähenden Todes, in welche die Blüte der Jugend
Eingebracht war in Garben, erbrachen sie nicht die Verwesung,
Daß schon der bloße Geruch des Ungeheuern Zerfalles
Alles Gelichter verdürbe? Mit Nichten! Zeichen und Wunder,
Noch geschahen sie nicht, noch warm die Zeiten erfüllt nicht.
Üppig wucherte noch das Unkraut. Aber dereinst, wenn
Seine Posaune ertönt, wird er wirklich dann, der Gerechte,
Spreu von dem Weizen sondern, die tauben Ähren zertretend
Aber die hältigen lesend mit Liebesbehutsamkeit? Oder
Wird er auch dann es noch dulden, daß Unsaat das edlere Wachstum
Schon in den Keimen erstickt und selbst um so frecher in Saft schießt?!

Köstliche Nacht des Gebirgs! Mit klarer, prickelnder Kühle
Waren die Lüfte gewürzt, und über den Bergen des Ostens
Ahnte das Wolkengestreife bereits die Dämmer der Frühe.
Schwinzerl, der Wächter der Nacht, rief eben im Dorfe die zweite
Stunde nach Mitternacht aus. Die vom Trunke heisere Stimme
Krähte nur mühsam den Spruch, und Antwort gaben die Hähne.
Manchmal bellte ein Hund, und in Ställen rasselten Ketten.
Nirgends außer im Gasthaus wachten noch Menschen, die andern
Schliefen den dumpfen Schlaf, doch die Erde entatmete Düfte.
Freilich im hintern Gevierte des Hofes vom Störrischen Engel
Waren die Wiesenarome gemengt mit den scharfen Gerüchen
Aufgeschichteten Düngers, und dort auch, neben dem Kuhstall,
Ganz in der Tiefe des Schattens, mit dem eine mächtige Scheune
Selbst noch die Nacht übertraf, da war zur ebenen Erde
Spärlich ein kleines, vergittertes Fenster flackernd erleuchtet.
Dort auf dem Steintritt der Tür, die neben dem Fenster ins Haus ging,
Kauerte irgendein Etwas und stöhnte bisweilen gequält auf.
Oder schluchzte es gar? Dann erklang es wieder wie Stammeln
Wilden und wirren Gebets einer menschlich-tierischen Stimme,
Welche mit Gott und der Welt in hilflos trotzigem Streit lag.
Vitus war es, der Knecht, die Einfalt des Dorfes am Volland,
Und es hätte kein Fußtritt, kein Hieb mit der Peitsche die treue,
Kindliche Mißkreatur von der Schwelle der Herrin vertrieben.
Denn da drin in der schmalen, der kuhstallbenachbarten Kammer –
Dünne Bretter nur trennten die Wohnung des Tiers und des Menschen –
Lag auf den Rücken gestreckt (in Ohnmacht noch oder schon schlafend?)
Cordula, geisterhaft bleich, vom Stumpf einer Kerze beflackert.

Krankenzimmer der Dienstmagd! Erblüht dir die Träne, o Muse,
Golden im göttlichen Auge? O sieh doch: so arm kann ein Mensch sein!
Alles, was ihn umgibt, ist fremdes Besitztum. Die Bettstatt,
Wackelig, dürftig und hart, die Liebe nicht füllte das Stroh in
Diesen zerschlissenen Sack, auf dem von der Arbeit für andre
Müde ein Menschenkind den kurzen und bleiernen Schlaf schläft.
Ob auch ein Tisch noch vorhanden, ein Schrank und ein Becken zum Waschen,
All' dies ist doch nur geliehen, und eigen ist höchstens das Bildchen,
Unserer lieben Frau, das zu Häupten des Betts an der Wand hängt,
Und, in die Ecke geräumt, als Zeichen des Nirgendsdaheimseins,
Irgendein Koffer aus Holz, ein Handkorb, aus Weiden geflochten.

Stille. Der Atem der Magd ging manchmal beklommener. Schmerzlich
Schürzte die Lippe sich dann, und von der geheiligten Wölbung
Heimlich gesegneten Leibes glitten, noch eben gefaltet,
Hilflos und kindhaft gewordene Hände. Aus Nickel die Weckuhr
Neben dem Bette der Kranken, sie tickte metallisch und hurtig.
Falter flogen ins Zimmer, umschwärmten die Kerze und sielen
Plötzlich wie tot aus dem Lichtkreis, um immer wieder von neuem
Trunkenen Tanz zu beginnen und geisternde Schatten zu werfen.
Da, von der Straße herüber, Gejohle, zuerst noch verharrend,
Dann aber rasch sich entfernend: es gab die ganze besoffne
Wirtshausgesellschaft dem Kirbisch und ihr, seinem Weib, das Geleite.
Alptraum gespenstischen Morgens! Aufstöhnend wandte die Magd sich.
Ahnte sie, daß an der Spitze des taumelnden Zuges der Mann schritt,
Der sie zur Mutter gemacht und, ihm zur Seite, die andre?
Aber das Fräulein Rachoinig, von Fürbaß und Schwinzerl gehalten,
Spie in den Straßengraben zum jauchzenden Gaudium aller.
Da, aus dem Schoße des Ostens, erhob sich der zögernde erste
Purpur des nahenden Tags. Über schwärzlich geschichtete Wolken
Wogte die Helle empor und warf in Cordulas Kammer
Überirdische Glut und, dunkel auf flammenden Grund, den
Schatten vom Fensterkreuz an die Rückwand über dem Bette.
Da erwachte das Mädchen und sah und lauschte. Was war dies?
Psalmodierten die Scharen, die himmlischen, oder entrückte
Ihre Geister noch Traum? Das waren nicht nur die Vögel,
So in der alten Akazie des Hofes dem Aufgang lobsangen!
Nein, in dem Jordan des Lichtes, der jetzt die Welt überströmte –
Selbst im Saal das Klavier, wofern es ein solches zu nennen,
Ließ seine Tasten aufleuchten in eitel Gold und Rubinrot! –
Wusch eine einsame Seele, die alle Flicken des Hohnes
Weithingeworfen von sich, ihr Leid vom Schmutze der Zeit rein!
Einer, der hoch über Wolken in Gottes schreckliches Antlitz
Tiefer gesehen als andre und durch die Donner des Motors
Seinen Blutruf vernommen, er spielte in der Veranda,
Endlich mit sich allein, doch inmitten verwesender Reste
Tierischen Bacchanals: das Gloria der Missa solemnis!


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