Christoph Martin Wieland
Der goldne Spiegel
Christoph Martin Wieland

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2.

Unsere Leser erwarten ohne Zweifel, daß Danischmend, mit einem Auftrage beladen, der für die Ruhe Schach-Gebals und für das Beste der armen Indostaner von der größten Wichtigkeit war, das Amt, den alten Sultan einzuschläfern, der schönen Nurmahal wieder überlassen werde. In der Tat hatte Schach-Gebal mit so vielem Ernst von der Sache gesprochen, daß der ehrliche Philosoph selbst, so gut er sonst die Launen seines Gebieters kannte, diesmal von der Hoffnung, ein Werkzeug der Glückseligkeit seines Vaterlandes zu werden, sich hintergehen ließ. Diese Hoffnung ließ die ganze Nacht durch keinen Schlaf in seine Augen kommen; aber sie entschädigte ihn dafür durch die angenehmsten Träume, die jemals die Seele eines Menschenfreundes gewieget haben. Mit der unumschränkten Gewalt des Sultans bekleidet, zweifelte er keinen Augenblick an dem Erfolge seiner Bemühungen. Denn es war eine von den Maximen, die er immer im Munde zu führen pflegte: Die Großen könnten alles was sie ernstlich wollten. »Welche Wonne!« rief er aus: »in kurzem soll der Mann, der im ganzen Indostan am wenigsten glücklich ist, der Sultan selber sein!«

Sobald die ersten Sonnenstrahlen den Horizont röteten, stand Danischmend im Vorzimmer, so munter als ob niemand besser geschlafen hätte als er. Aber es vergingen drei oder vier Stunden, bis Schach-Gebal, wiewohl er in der Tat nichts Wichtigers zu tun hatte, Zeit finden konnte sich seiner zu erinnern. »Ist Danischmend da?« fragte er endlich, nachdem er wohl dreimal war berichtet worden, daß Danischmend da sei. »Laßt ihn herein kommen!« – Der arme Philosoph, der inzwischen Zeit genug gehabt hatte aus seinen schönen Träumen zu erwachen (denn zu den Träumen eines Menschenfreundes kann wohl kein unbequemerer Ort sein als ein Vorgemach), schlich mit gesenkten Ohren herbei. »Ha, mein guter Danischmend«, rief ihm der Sultan mit einer jovialischen Miene zu, »ich hatte dich ganz vergessen. Was bringst du uns Neues, Danischmend?« – Diese Anrede hätte einem feinern Höfling, als unser Philosoph war, die undankbare Mühe erspart, Seine Hoheit an einen unangenehmen Gegenstand zu erinnern, dessen Andenken Sie, wie es schien, glücklich verschlafen hatten. Aber Danischmend hätte so lange an dem Hofe zu Dehly leben können als Nestor, ohne jemals ein Hofmann zu werden. Er erinnerte also den Sultan an seinen gestrigen Schwur. Schach-Gebal hörte alles was ihm der gute Mann zu sagen hatte, mit vieler Gefälligkeit an. »Aber bedenkst du auch«, sagte Gebal, »daß du in drei Jahren nicht fertig werden könntest, wenn du alle meine Provinzen durchreisen, und von Haus zu Haus dich erkundigen wolltest, wie sich die Leute befinden? Ich kann mich unmöglich entschließen dich so lange zu entbehren. Weißt du was, Danischmend? Das erste Mal, wenn ich auf die Jagd reite, sollst du mich begleiten. Wir werden da leicht Gelegenheit finden, uns von meinen übrigen Leuten zu entfernen, und dann wollen wir, ohne uns zu erkennen zu geben, die Nacht in irgend einem abgelegnen Dorfe zubringen. Finden wir dort eine lebendige Seele, welche Böses von mir spricht, so soll mir der Emir, in dessen Bezirk der Ort gehört, dafür Rechenschaft geben. Ich will ihn zu einem Beispiel für die übrigen machen, und verlaß dich darauf, daß es nicht ohne Wirkung sein soll. Indessen können wir mit Muße an die Ausführung deiner Entwürfe denken. Aber sage mir, Danischmend, hast du ausfündig gemacht, wer die drei Kalender waren, welche gestern jenseits des Flusses, den Gärten meines Serails gegen über, unter der großen Cypresse saßen?« –

Danischmend hustete noch zu rechter Zeit einen Seufzer weg, der ihm entgehen wollte, und von diesem Augenblick an war die Rede – von den drei Kalendern.


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