Christoph Martin Wieland
Der goldne Spiegel
Christoph Martin Wieland

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3.

»Unstreitig war Vernunft in der Schutzrede, welche die alten Knaben dem Vergnügen und der schönen Lili hielten«, – sagte der Sultan, als sich seine gewöhnliche Gesellschaft des folgenden Abends in seinem Schlafzimmer versammelt hatte. »Aber ich gestehe, daß ich nicht recht begreife, was sie mit ihrer Lebensordnung sagen wollen, oder was für eine Polizei das sein soll, wodurch allen den Übeln vorgebeuget werden könnte, womit uns die schwarzgelben Sittenlehrer so fürchterlich bedräut haben. Die Sache liegt mir am Herzen. Ich denke, ich habe alles mögliche getan, um meine Völker glücklich zu machen; aber es sollte mir leid tun, wenn ich ihnen, wider meine gute Absicht, ein gefährliches Geschenk gemacht hätte.«

(»Diesen Kummer könnten Sich Ihre Majestät ersparen«, dachte Danischmend – so leise als möglich.)

»Herr Danischmend« – fuhr Schach-Gebal fort – »man ist kein Philosoph um nichts! Wie wär es, wenn deine Weisheit uns diese Sache ins Klare zu setzen belieben wollte?«

»Sire«, antwortete Danischmend, »meine Weisheit ist zu Ihrer Majestät Befehlen. Aber zuvörderst bitte ich demütig um Erlaubnis, eine kleine Geschichte erzählen zu dürfen.«

Schach-Gebal nickte ein sultanisches Ja, und der Philosoph fing also an.

»Zu den Zeiten des Kalifen Harun Al Raschid« – –

»Fi, Herr Doktor«, unterbrach ihn der Sultan, »das fängt verdächtig an! Sobald man diesen Kalifen nennen hört, kann man sich nur gleich auf Genien und Verwandlungen gefaßt halten, oder auf platte Historien von kleinen Buckligen, schwatzhaften Barbierern, und liederlichen Königssöhnchen, welche, um eine lange Reihe begangener Torheiten mit einem würdigen Ende zu krönen, sich die Augenbraunen abscheren und Kalender werden

»Ich stehe Ihrer Hoheit mit meinen Augenbraunen dafür«, sagte Danischmend, »daß weder Bucklige noch Kalender in meiner Erzählung vorkommen, und daß alles so natürlich darin zugehen soll, als man es nur wünschen kann.

Zu den Zeiten des besagten Kalifen also begab sich, daß ein reicher Emir aus Yemen auf seiner Rückreise von Damask das Unglück hatte, in den Gebirgen des felsigen Arabiens von Räubern überfallen zu werden, welche so unhöflich waren, sein Gefolge niederzusäbeln, und nachdem sie die schönen Frauen, die er zum Staate mit sich führte, nebst allen Kostbarkeiten, die er bei sich hatte, zu Handen genommen, sich so schnell, als sie gekommen waren, wieder ins Gebirge zurück zogen. Glücklicher Weise für den Emir war er gleich zu Anfang des Gefechtes in Ohnmacht gefallen; ein Umstand, der so viel wirkte, daß die Räuber sich begnügten, ihm seine schönen Kleider auszuziehen, und ihn, ohne sich zu bekümmern ob er wirklich tot sei, unter den Erschlagenen liegen zu lassen.«

»Herr Danischmend«, sagte der Sultan, »nicht so umständlich! Zur Sache, wenn ich bitten darf. Der Ton, worin du angefangen hast, ist vollkommen der Ton meiner lieben Ältermutter, welche bekannter Maßen ihre eigenen Ursachen hatte, warum sie ihre Märchen in eine so unbarmherzige Länge zog.«

»Um also Ihre Majestät nicht mit Nebenumständen aufzuhalten«, fuhr Danischmend fort, »so kam der gute Emir wieder zu sich selbst, und stellte sehr unangenehme Betrachtungen an, da er sich in einem wilden unbekannten Gebirge auf einmal ohne Zelten, ohne Geräte, ohne seine Weiber und Verschnittenen, ohne Küche, und sogar ohne Kleider befand; er, der von dem ersten Augenblicke seines Lebens, dessen er sich erinnern konnte, an allen ersinnlichen Gemächlichkeiten niemals einigen Mangel gelitten hatte. Da es zu besserer Verständnis dieser Geschichte wesentlich ist, daß Ihre Majestät Sich eine lebhafte Vorstellung von diesem Zustande des Emirs machen, so muß ich mir die Freiheit nehmen, Sie zu bitten, Sich an seinen Platz zu setzen, und zu denken, wie Ihnen in einer so verzweifelten Lage zu Mute wäre.«

»Herr Danischmend«, sagte der Sultan ganz trocken, »ich habe gute Lust, mir diese Mühe zu ersparen, und mir dafür von dir erzählen zu lassen, wie einem Erzähler zu Mute sei, dem ich für die Bemühung, mich gähnen zu machen, dreihundert Prügel auf die Fußsohlen geben lasse.«

Dieser Anstoß von sultanischer Laune deuchte der schönen Nurmahal so unbillig, daß sie den Sultan bat, den armen Doktor nicht durch Drohungen zu schrecken, welche fähig wären, den besten Erzähler in der Welt aus der Fassung zu bringen. Aber Danischmend kannte die Weise seines Herren. »Alles, warum ich Ihre Majestät bitte«, sagte er, »ist, die Gnade zu haben, und mir die versprochenen dreihundert Prügel nicht eher geben zu lassen, bis ich mit meiner Geschichte fertig sein werde; denn, in der Tat, sie ist nicht so übel als man sich nach ihrem Anfange vorstellen sollte.«

»Gut«, sagte der Sultan lachend, »so erzähle denn nach deiner eigenen Weise: ich verspreche dir, daß ich dich nicht wieder unterbrechen will.«

Danischmend stand auf, warf sich vor dem Sultan zur Erde, küßte den Saum seiner Bettdecke, um seine Dankbarkeit für dieses gnädige Versprechen zu bezeigen, und fuhr hierauf in seiner Erzählung also fort.

»Von allen diesen Betrachtungen des Emirs (welche zu verworren und unangenehm waren, als daß es ratsam sein könnte, sie Ihrer Majestät vorzulegen) war das Ende, daß er sich entschließen mußte, eine Sache zu tun, die ihn aus Mangel der Gewohnheit sehr hart ankam, nämlich seine Beine in Bewegung zu setzen, und zu versuchen, ob er irgend einen Weg aus dieser Wildnis finden möchte. Die Sonne neigte sich schon stark, als er endlich mit unbeschreiblicher Mühe einen Ort erreichte, wo das Gebirge sich öffnete, und ihm die Aussicht in ein Tal zu genießen gab, welches seine Einbildung selbst sich nicht reizender hätte schaffen können. Der Anblick einiger wohl gebauten Wohnungen, die zwischen den Bäumen aus dem schönsten Grün hervorstachen, ermunterte ihn seine letzten Kräfte zusammen zu raffen, um diese Wohnungen wo möglich noch vor Untergang der Sonne zu erreichen. In der Tat war der ganze Weg, den er schon zurückgelegt und den er noch vor sich hatte, nicht um zehen Schritte mehr, als was ein junger Landmann alle Tage morgens und abends ohne Murren unternimmt, um seinem Mädchen einen Kuß zu geben; aber für die schlaffen Sehnen und marklosen Knochen des Emirs war dies eine ungeheure Arbeit. Er mußte sich so oft niedersetzen, um wieder zu Atem zu kommen, daß es finstre Nacht wurde, eh er die Pforte der nächsten Wohnung erreichte, die einer Art von ländlichem Palast ähnlich sah, aber nur von Holze gebaut war. Ein angenehmes Getöse, aus Gesang, Saitenspiel und andern Zeichen der Fröhlichkeit vermischt, welches ihm schon von fern aus diesen Wohnungen entgegen kam, vermehrte seine Verwundrung, alles dies mitten in dem ödesten Gebirge zu finden. Da er keine andre Belesenheit als in Geistermärchen hatte, so war sein erster Gedanke, ob nicht alles, was er sah und hörte, ein Werk der Zauberei sei. So furchtsam ihn dieser Gedanke machte, so überwog doch endlich das Gefühl seiner Not. Er klopfte an, und bat einen Hausgenossen, welcher heraus kam um zu sehen was es gäbe, mit einer so wunderlichen Mischung von Stolz und Demut um die Nachtherberge, daß man ihn vermutlich abgewiesen hätte, wenn die Gastfreiheit ein weniger heiliges Gesetz bei den Bewohnern dieser Gegend gewesen wäre. Der Emir wurde mit freundlicher Miene in einen kleinen Saal geführt, wo man ihn ersuchte, sich auf einen unscheinbaren aber sehr weich gepolsterten Sofa niederzulassen. In wenigen Augenblicken erschienen zwei schöne Jünglinge, um ihn in ein Bad zu führen, wo er mit ihrer Beihülfe gewaschen, beräuchert, und mit einem netten Anzuge von dem feinsten baumwollenen Zeuge bekleidet wurde. Damit ihm die Weile nicht zu lang würde, trat ein niedliches Mädchen, so schön als er jemals eines in seinem Harem gehabt hatte, mit einer Theorbe in der Hand herein, setzte sich ihm gegenüber, und sang ein Lied, aus dessen Inhalt er so viel abnehmen konnte, daß man über die Ankunft eines so angenehmen Gastes sehr erfreut sei. Er wußte immer weniger, was er von der Sache denken sollte; aber die Gestalt und die Stimme der jungen Dirne, die er eher für eine Perise, oder gar für eine von den Huris des Paradieses zu halten versucht war, ließen ihm keine Zeit zu sich selbst zu kommen. Beides, nebst der freundlichen Aufnahme, die ihm widerfuhr, wirkte so stark auf seine Sinne, daß er unvermerkt aller Ursachen zur Traurigkeit und alles erlittenen Ungemachs vergaß, und, durch eine sanfte Gewalt fortgezogen, sich den Eindrücken überließ, die man auf ihn machen wollte.

Wenn dies die weiseste Entschließung war, die er in seinen Umständen nehmen konnte, so muß man auch gestehen, daß er sich sehr wohl dabei befand. Kaum war er angekleidet, so erschien derjenige wieder, der ihn zuerst aufgenommen hatte, und winkte ihm, ohne ein Wort zu sprechen, ihm zu folgen. Der Emir kam in einen großen mit Wachslichtern stark erleuchteten Saal, aus welchem ihm, so wie die Tür sich auftat, der angenehmste Wohlgeruch von frischen Nelken und Pomeranzenblüten entgegen wehte. Viele niedrige Tafeln, um welche rings herum ein wohl gepolsterter Sofa sich zog, standen mit feinem schneeweißen Leinen gedeckt, welches mit einem breiten Saume von zierlichem Stickwerk eingefaßt war. Die Mitte des Saals wimmelte von jüngern und ältern Personen beiderlei Geschlechts, die ihn mit einem offnen gutherzigen Gesicht empfingen, und ihn insgesamt durch die edle Schönheit ihrer Gestalt und Bildung, und durch einen über ihr ganzes Wesen ausgegossenen Ausdruck von Güte und Fröhlichkeit in die angenehmste Überraschung setzten. In einer Ecke stand ein schöner Brunnen, wo eine Nymphe, an einem mit Schasmin bewachsenen Felsenstücke auf Moos liegend, aus ihrer Urne kristallhelles Wasser in ein Becken von schwarzem Marmor goß. Der ganze Saal war mit großen Blumenkränzen behangen, die von etlichen jungen Mädchen von Zeit zu Zeit mit frischem Wasser angespritzt wurden. Alles dies zusammen genommen machte einen sehr angenehmen Anblick; aber es war nicht das Schönste, was sich seinen Augen in diesem bezauberten Orte darstellte. Ein ehrwürdiger Greis, mit silberweißen Haaren, lag, in der Stellung einer gesunden und vergnüglichen Ruhe nach der Arbeit, auf dem obersten Platze des Sofas; ein Greis, wie der gute Emir weder jemals einen gesehen, noch für möglich gehalten hatte daß es einen solchen geben könnte. Munterkeit des Geistes glänzte aus seinen noch lebhaften Augen; achtzig Jahre eines glücklichen Lebens hatten nur schwache Furchen auf seiner heiter ausgebreiteten Stirne gezogen, und die Farbe der Gesundheit blühte gleich einer späten herbstlichen Rose noch auf seinen freundlichen Wangen. ›Dies ist unser Vater‹, sagten einige junge Personen, die den Emir umgaben, indem sie ihn an der Hand zum Sitze des Alten hinführten.

Der Alte stand nicht auf, machte auch keine Bewegung als ob er aufstehen wollte; aber er reichte ihm die Hand, drückte des Emirs seine mit einer Kraft, welche diesen in Erstaunen setzte, und hieß ihn sehr leutselig in seinem Hause willkommen sein. Aber gleichwohl (sagt mein Autor) sei in dem ersten Blicke, den der Greis auf den Emir geworfen habe, unter den leutseligen Ausdruck der gastfreien Menschenfreundlichkeit etwas gemischt gewesen, welches den Fremden betroffen gemacht habe, ohne daß er sich selbst habe erklären können wie ihm sei. Der Alte hieß ihn Platz an seiner Seite nehmen« –

»Ich habe versprochen, dich nicht zu unterbrechen, Doktor«, sagte der Sultan: »aber ich möchte doch wissen, was in den Blick des Alten gemischt sein konnte, daß es eine solche Wirkung auf den Emir machte?«

»Gnädigster Herr«, versetzte Danischmend, »ich muß Ihrer Majestät bekennen, daß ich diese Geschichte aus einem neuern griechischen Dichter genommen habe, der vermutlich, nach der Weise seiner Zunftgenossen, etwas von dem Seinigen zur Wahrheit hinzu tut, um seine Gemälde interessanter zu machen. ›Es war ein freundlicher Blick‹, sagt er, ›aber mit einem kleinen Zusatze von etwas, das weder Verachtung noch Mitleiden, sondern eine sanfte Mischung von beiden war. Es war‹, fährt er fort, ›der Blick, mit welchem ein Freund der Kunst die gestümmelte Bildsäule eines Praxiteles ansieht, mit etwas von dem zürnenden Verdruß untermischt, womit dieser Liebhaber den Goten ansehen würde, der sie gestümmelt hätte.‹«

»Das Bild ist fein, und gibt viel zu denken«, sagte Nurmahal. »Weiter, Danischmend«, sagte der Sultan.

»Inzwischen wurde das Abendessen aufgetragen, wobei der Emir eine neue Erfahrung machte, die ihm, der so wenig gewohnt war über irgend etwas zu denken, die unbegreiflichste Sache von der Welt zu sein deuchte. Allein, eh ich mich hierüber erklären kann, seh ich mich genötigt, eine kleine Abschweifung über den Charakter dieses Emirs zu machen, der eine Hauptfigur in meiner Erzählung vorstellt, wiewohl es in der Tat nur die Rolle eines Zuschauers ist. Er war von seiner Jugend an dasjenige gewesen, was man einen ausgemachten Wollüstling nennt; ein Mensch, der keinen andern Zweck seines Daseins kannte, als zu essen, zu trinken, sich mit seinen Weibern zu ergetzen, und von so mühsamen Arbeiten sich durch eine Ruhe, welche ungefähr die Hälfte von Tag und Nacht wegnahm, zu erholen, um zu der nämlichen Beschäftigung wieder aufzuwachen. Mit dieser groben Sinnlichkeit verband er einen gewissen Stolz, der sehr geschickt war, die nachteiligen Wirkungen derselben zu beschleunigen. Er setzte ihn darein, die schönsten Frauen, die besten Weine, und die gelehrtesten Köche von ganz Asien zu besitzen: aber auch daran genügte ihm noch nicht; er beeiferte sich auch, der größte Esser, der größte Trinker, und der größte Held in einer andern Art von Leibesübung zu sein, worin er mit Verdruß den Sperling und den Maulwurf für seine Meister erkennen mußte. Wenn ein Mann das Unglück hat, bei dieser verkehrten Art von Ehrgeiz alle Mittel zu Befriedigung desselben zu besitzen, so wird man ihn bald genug dahin gebracht sehen, zu Kanthariden und Betel und andern solchen Zwangsmitteln seine Zuflucht zu nehmen. Aber die Natur ermangelt nie, sich für die Beleidigungen, die man ihr zufügt, zu rächen, und pflegt desto grausamer in ihrer Rache zu sein, je weniger Vorwand ihre Wohltätigkeit uns zu Rechtfertigung unsrer Ausschweifungen gelassen hat. Der Emir befand sich also, mit dem reinsten arabischen Blute und der stärksten Leibesbeschaffenheit, in seinem dreißigsten Jahre zu dem elenden Zustande herunter gebracht, der ein Mittelstand zwischen Leben und Sterben ist; gepeinigt durch Erinnerungen, welche sein Vergnügen hätten erhöhen sollen, und verdammt zu ohnmächtigen Versuchen, den Zorn der Natur durch die Geheimnisse der Kunst zu versöhnen, denen er die Verlängerung seines Daseins zu danken hatte. Diese gelehrten Köche, auf die er so stolz war, hatten das Ihrige getreulich beigetragen, zu gleicher Zeit seine Gesundheit zu zerstören, und die Werkzeuge seiner Empfindung abzunützen. So wie die Schwierigkeit seinen stumpfen Geschmack zu reizen zunahm, hatte sich ihr verderblicher Eifer verdoppelt, sie durch die Macht ihrer Kunst zu besiegen. Aber ihre Erfindungen hatten selten einen bessern Erfolg, als ihn den erkünstelten Kitzel etlicher Augenblicke mit langen Schmerzen bezahlen zu lassen.

Unser Emir erstaunte, an der Tafel seines betagten Wirtes die Eßlust wieder zu finden, die er Jahre lang vergebens gesucht hatte. Zwei gleich ungewohnte Dinge, eine Nüchternheit von vierundzwanzig Stunden, und die starke Bewegung, die er sich hatte geben müssen, trugen ohne Zweifel das meiste dazu bei, daß er an der Tafel der Günstlinge des Propheten im Paradiese zu sitzen glaubte. Nicht als hätte die Menge und Kostbarkeit der Speisen, oder eine sehr künstliche Zubereitung das geringste dazu beigetragen; denn es war kein größerer Überfluß da, als die Befriedigung des Bedürfnisses, und die Sorge, dem Geschmack einige Wahl zu lassen, erfoderte; und an der Zubereitung hatte die Kunst nicht mehr Anteil, als sie haben muß, um einen unverdorbenen Geschmack ohne Nachteil der Gesundheit zu vergnügen. Es ist wahr, gewisse feine Kunstgriffe waren dabei beobachtet, die entweder ihrer Einfalt wegen den gelehrten Köchen des Emirs unbekannt geblieben waren, oder vielleicht eine Aufmerksamkeit erfoderten, wozu sich diese wichtigen Leute die Mühe nicht nehmen mochten; indessen war es doch hauptsächlich bloß die natürliche Güte der Speisen, und eine Zurichtung, an welcher Avicenna selbst nichts auszusetzen gefunden hätte, was diese Mahlzeit von den prächtigen und teuern Giftmischereien fürstlicher Tafeln unterschied. Hingegen mußte sich der Emir gestehen, daß der Wein, der vielleicht so alt war als der Wirt, und die Früchte, womit die Mahlzeit beschlossen wurde, so vortrefflich waren, als die Natur beides nur unter dem glücklichsten Himmelsstriche hervorzubringen vermag.

›Ist alles dies Zauberei?‹ fragte sich der Emir alle Augenblicke; ›und was für ein alter Mann ist dies, der bei seinem schneeweißen Bart eine so frische Farbe hat, und dem Essen und Trinken so wohl schmeckt, als ob er erst itzt zu leben anfange?‹ – Er hatte alle Mühe von der Welt seine Verwunderung zurückzuhalten; aber die angenehmen Gespräche, wozu außer ihm selbst alle das Ihrige beitrugen, nebst der ungezwungenen und einnehmenden Art, womit man ihm begegnete, machten es unmöglich, die Gedanken, die in seinem Gehirne herum trieben, in einige Ordnung zu bringen.

›Koste diese Ananas‹, sagte der Alte zu ihm, indem er ihm die vollkommenste Frucht dieser Art anbot, die er jemals gesehen hatte. Der Emir kostete sie, und fand nicht Worte genug, ihren feinen Geschmack und Wohlgeruch zu erheben. ›Ich habe sie selbst mit eigener Hand gezogen‹, sagte der Alte. ›Seitdem ich zu alt bin, meine Söhne und Enkel zu den Feldarbeiten zu begleiten, beschäftige ich mich mit der Gärtnerei. Sie verschafft mir den Grad von Bewegung und Arbeit, den ich nötig habe, um so gesund zu bleiben als du mich siehest; und die frische Luft, mit den reinsten Düften der Blumen und Blüten bebalsamt, trägt vermutlich auch das Ihrige dazu bei.‹ Der Emir hatte nichts hierauf zu antworten: aber das Paar große Augen, die er an seinen Wirt machte, hätt ich sehen mögen! Der Alte pflegte gewöhnlich frisches Wasser, und nach der Mahlzeit drei kleine Gläser Wein zu trinken: ›Das erste‹, sagte er lächelnd, ›hilft meinem alten Magen verdauen, das andere ermuntert meine Lebensgeister, und das dritte schläfert sie wieder ein.‹ Der Emir (welcher kein Wasser trinken konnte, und wenn es aus der Quelle der Jugend gewesen wäre) machte dem Weine seines Wirtes Ehre. Er ließ sich so oft von einem Glase zum andern verleiten, bis er das Vermögen verlor, zu unterscheiden ob er fühle oder sich nur einbilde, daß er so munter sei als der Alte selbst.

Nach der Tafel schlich sich der Mann mit den silbernen Locken unbemerkt hinweg, und eine Weile darauf sagte einer von seinen Söhnen: ›Es ist eine Gewohnheit in unserm Hause, alle Abende vor Schlafengehen eine halbe Stunde in dem Schlafzimmer unsers Vaters zuzubringen. Ein Gast wird bei uns nie als ein Fremder gehalten; willst du uns begleiten?‹ – Der Emir ließ es sich gefallen, und, um artig zu sein, bat er sich die Ehre aus, der ältesten unter den Frauen des Hauses seinen schwachen Arm zu leihen.

Ein Zimmer öffnete sich, welches dem Tempel des wollüstigen Schlafs ähnlich sah. Verschiedene Blumentöpfe von zierlichen Formen düfteten die lieblichsten Gerüche aus, und einige Wachslichter, von grünen und rosenfarben Schirmen verborgen, machten eine Art von Dämmerung, welche die Augen zum sanften Entschlummern einlud. Gemalte Tapeten, von der Hand eines Meisters, stellten griechische Bilder des Schlafes vor: hier den schönen Endymion, vom Silberglanz der zärtlich auf ihn herab schauenden Luna beleuchtet; dort, von einem einsamen Rosengebüsche verborgen, die Göttin der Liebe, um deren sanft glühende Wangen und Lippen ein entzückender Traum zu schweben schien; oder Amorn auf dem Schoß einer Grazie schlummernd. Der Alte lag bereits auf seinem Ruhebette, und drei angenehme Frauenzimmer schienen beschäftigt, seinen Schlummer zu befördern. Eine, welche dem schönsten Herbsttage glich, den man sehen kann, saß zu seinen Häupten, und fächelte ihm mit einem Strauß von Rosen und Myrten Kühlung zu; die andern beiden saßen weiter unten zu beiden Seiten des Ruhebettes, diese mit einer Laute, jene mit einem andern Instrumente, welches bloß die Singstimme zu begleiten diente. Beide spielten und sangen, mit sanft gedämpftem Tone, bald wechselsweise, bald zusammen, Lieder, aus denen Zufriedenheit und ruhiges Vergnügen atmete; und die Lippen und Stimmen der Sängerinnen waren solcher Lieder würdig. Das Erstaunen des Emirs stieg auf den höchsten Grad. Unvermerkt entschlummerte der glückliche Alte am Busen der herbstlichen Schönen, und die übrige Gesellschaft, nachdem sie eine von seinen sanft herab gesenkten Händen geküßt hatte, schlich sich in ehrerbietiger Stille davon.

›Was für Leute das sind‹, hörte der Emir nicht auf zu sich selbst zu sagen.

Beim Eintritt in das Schlafzimmer, welches ihm selbst angewiesen wurde, fand er die beiden Knaben wieder, die ihn im Bade bedient hatten. Ihr Anblick erinnerte ihn an die schöne Dirne, die ihn auf eine so reizende Art willkommen gesungen hatte, und er konnte nicht mit sich selbst einig werden, ob er sich über ihre Abwesenheit betrüben oder erfreuen sollte. Er wurde ausgekleidet, und auf eine so weiche, so elastische, so wollüstige Ottomanne gebracht, als jemals von einem Emir gedrückt worden sein mag. Aber kaum hatten sich die Knaben weggeschlichen, so trat die schöne Sängerin mit ihrer Theorbe im Arm herein, einen Kranz von Rosenzweigen um ihre los gebundenen Haare, die bis zur Erde herab flossen, und einen Strauß von Rosen vor einem Busen, dessen Weiße die Augen des Emirs blendete. Mit stillschweigendem Lächeln neigte sie sich tief vor ihm, nahm von einem Armsessel neben seinem Ruhebette Besitz, stimmte ihre Theorbe, und sang ihm mit der angenehmsten Stimme von der Welt so zauberische Lieder vor, daß der gute Emir, von ihrer Gestalt, von ihrer Stimme und von dem achtzigjährigen Wein seines Alten berauscht, alles vergaß, was ihn billig hätte erinnern sollen weise zu sein. Die schöne Sängerin hatte vermutlich keinen Auftrag, in einem Hause, worin alles glücklich war, einen Unglücklichen zu machen. Aber ach!« –

Ein Blick des Sultans, der vielleicht eine ganz andere Bedeutung hatte als Danischmend sich einbildete, machte ihn stutzen. »Sire«, fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »um nicht in den Fehler des Vesirs Moslem zu fallen, begnüge ich mich zu sagen, daß der Emir Ursache fand, sich von allen Zauberern und Feen der Welt verfolgt zu glauben. ›Beruhige dich‹, sagte die schöne Sklavin mit einem Lächeln, in welches mehr Mitleiden als Verachtung oder Unwillen gemischt war, ›ich will dir ein Adagio vorspielen, auf welches du so gut schlafen sollst, als der glücklichste aller Schäfer.‹ Aber ihr Adagio tat das versprochene Wunder nicht. Der Emir konnte nicht aufhören sich selbst zu betrügen, bis endlich die Sklavin, welche seinen Eigensinn wirklich unbillig fand, für besser hielt sich zurück zu ziehen, indem sie ihm so wohl zu schlafen wünschte als er könnte.«

»Danischmend, ich bin mit deiner Erzählung zufrieden«, sagte der Sultan: »morgen wollen wir die Fortsetzung davon hören, und mein Schatzmeister soll Befehl erhalten, dir dreihundert Bahamd'or auszuzahlen.« Der Philosoph und der junge Mirza zogen sich hierauf zurück, und die Pforte des geheiligten Schlafgemachs wurde hinter ihnen zugeschlossen.


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