Christoph Martin Wieland
Der goldne Spiegel
Christoph Martin Wieland

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8.

»Inzwischen lebte der junge König Azor einige Jahre so glücklich als Jugend, blühende Gesundheit und unumschränkte Macht einen Sterblichen machen können, der seine Glückseligkeit in einer immer währenden Berauschung der Seele, in den ausgesuchtesten Wollüsten der Sinne, der Einbildung und des Herzens findet. Azor liebte das Vergnügen über alles; aber sein edles und gefühlvolles Herz liebte auch es auszubreiten, und wenn er sich selbst glücklich fühlte, so wollte er so weit als sein Gesichtskreis sich erstreckte, lauter Glückliche um sich sehen.

Drei oder vier Jahre gingen auf diese Weise in einer ununterbrochenen Kette von Festen und Ergetzungen vorüber, in welchen Witz und Kunst alle ihre Kräfte zusammen setzten, die kleine Anzahl angenehmer Rührungen, deren die sparsame Natur den Menschen fähig gemacht hat, ins unendliche zu verändern, zu vervielfältigen, zu vermischen, zu erhöhen, und durch tausend geschickt verborgene Handgriffe diese angenehmen Täuschungen hervorzubringen, die den Überdruß betrügen, und die Seele in einem Wirbel von Freuden so schnell herum drehen, daß ihr nicht so viel Macht über sich selbst bleibt, Betrachtungen über das was in ihr vorgeht, und über den Wert der Gegenstände, in deren angenehmer Gewalt sie ist, anzustellen. Man glaubt neue Sinne zum Gefühl des Vergnügens zu bekommen, mit jedem Tage zu einem neuen wollüstigern Dasein hervor zu gehen; und man wird nicht eher gewahr, daß man sich unter einer Art von Bezauberung und außerhalb des angewiesenen Kreises der natürlichen Wirksamkeit befindet, bis Erschöpfung der Lebensgeister, Erschlaffung der Sinne, oder noch empfindlichere Folgen einer wollüstigen Unmäßigkeit, die Seele aus ihrem süßen Taumel wecken, um sie dem Gefühl einer unerträglichen Leerheit und einer Reihe unangenehmer Betrachtungen zu überliefern, welche auf den Weg der Weisheit führen könnten, wenn die Gewohnheit uns nicht bald wieder mit mechanischer Gewalt zu eben diesen Gegenständen und Vergnügungen zurück zöge, deren betrügliche Beschaffenheit wir vergebens erfahren haben, weil sie sich nur unter einer neuen Gestalt zeigen dürfen, damit wir uns aufs neue von ihnen betrügen lassen.«

»Madam«, sagte der Sultan, »pflegt man das, was Sie uns eben itzt mit dem melodiösesten Akzent von der Welt vorgelesen haben, nicht eine Tirade zu nennen? Was es auch für einen Namen haben mag, so erkläre ich hiermit, daß ich nur ein sehr mittelmäßiger Liebhaber davon bin. Ich bin zwar der Moral nie so gram gewesen als mein werter Oheim Schach-Baham, glorreichen Gedächtnisses: aber gleichwohl werden Sie mich verbinden, wenn Sie künftig alle Deklamationen dieser Art, denen Ihr Autor aus einem Naturfehler ziemlich häufig unterworfen zu sein scheint, ohne die mindeste Furcht daß ich etwas dabei verlieren möchte, überhüpfen werden. Ich kann nichts in diesem Geschmacke lesen oder hören, ohne daß ich stracks meinen Iman mit seinen aufgezogenen Augenbraunen und blasenden Backen vor mir stehen sehe. Es ist unangenehm, daß unsre Schriftsteller noch immer den rechten Ton so gern verfehlen, und uns aufgedunsene Perioden, worin irgend ein alltäglicher Gedanke in einem gothischen Putz von schallenden Worten und rednerischen Figuren strotzt, für Philosophie verkaufen wollen.«

Nurmahal, nachdem sie vor diesem schlimmen Geschmacke sich sorgfältig zu hüten versprochen hatte, setzte ihre Erzählung also fort.

»Es war ein Unglück für Scheschian, daß die reizende Xerika, auf welche die erste Neigung des jungen Königs fiel, von derjenigen Art von Seelen war, welche die Natur ausdrücklich für die Liebe und für sie allein gebildet zu haben scheint. Das Herz Azors, wär er auch ein bloßer Schäfer gewesen, war das einzige, was einen Wert in ihren Augen hatte; sie war lauter Empfindung, aber nur für ihn; ihn glücklich zu machen war ihr einziger Wunsch, ihr einziger Stolz, ihr einziger Gedanke. Auch war er's, so lange die Bezauberung der ersten Liebe dauern kann, in einem so hohen Grade, daß, wenn er in irgend einer einsamen Laube zu ihren Füßen lag, und mit dem Kopf auf ihren Schoß zurück gelehnt seine gierigen Blicke in ihren in Liebe schwimmenden Augen weiden ließ,Dieses Bild erinnert uns an eines der vollkommensten Gemälde des Tasso, auf welches man diese Stelle für eine Anspielung halten würde, wenn Nurmahal nicht etliche Jahrhunderte früher gelebt hätte als der wälsche Dichter.

Ecco tra fronde e fronde il guardo avante
Penetra e vede, o pargli di vedere:
Vede pur certo il vago e la diletta,
Ch' egli è in grembo a la donna, essa a l'erbetta:

Ella dinanzi al petto hà il vel diviso
E'l crin sparge incomposto al vento estivo:
Langue per vezzo, e'l suo infiammato viso
Fan biancheggiando i bei sudor più vivo.
Qual raggio in onda, le scintilla un riso
Ne gli umidi occhi tremulo e lascivo,
Sovra lui pende ed ei nel grembo molle
Le posa il capo e'l volto al volto attolle.

E i famelici sguardi avidamente
In lei pascendo si consuma e strugge, etc.

                             GOFFREDO, C. XVI. 17, 18, 19.

der gute König seiner Krone und aller Kronen des Erdbodens, mit allen davon abhangenden Rechten und Pflichten, so gänzlich vergaß, als ob diese Laube die ganze Welt, und Xerika nebst ihm selbst die einzigen Bewohner derselben gewesen wären. Die Geschäfte der Regierung, und dasjenige, was man die Austeilung der Gnaden nannte, befanden sich also in den Händen eines Günstlings der Sultanin Lili, durch welchen sie wieder stufenweise in so viele andere Hände gespielt wurden, daß (wenn man den geheimen Nachrichten von dieser Regierung glauben darf) sogar Komödianten und Tänzerinnen zu gewissen Zeiten wichtige Personen auf dem Staatstheater von Scheschian vorgestellt haben sollen.«

»Um Vergebung, daß ich Sie schon wieder unterbrechen muß«, sagte der Sultan: »was war das, was man an diesem so wohl eingerichteten Hofe die Austeilung der Gnaden nannte?«

»Sire«, antwortete Nurmahal, »es war schon unter den vorigen Regierungen unvermerkt zur Gewohnheit geworden, alle Arten von Ämtern und Bedienungen, mit welchen Ansehen, Gewalt und Einkünfte verbunden waren, nach Gunst und Gefallen auszuteilen. Man pflegte daher die Besetzung einer solchen Stelle eine Gnade zu nennen. Nach und nach erweiterte sich die Bedeutung des Wortes, und es kam zuletzt so weit, daß aller Begriff von Verdienst dadurch verdrängt, und sogar ein Künstler oder Kaufmann, welcher für gelieferte Arbeit oder Waren eine Forderung zu machen hatte, seine Bezahlung, nach tausend mühseligen Weitläuftigkeiten und Verzögerungen, durch geheime Ränke, und mit Aufopferung eines beträchtlichen Teils der Forderung, als eine Gnade nachzusuchen genötiget wurde. Es gab zwar schon damals Leute, welche behaupteten: Ein König von Scheschian habe so viel zu tun, einem jeden das Seine zu geben, daß ihm wenig oder keine Gnaden zu erteilen übrig blieben; jede Ehrenstelle oder Bedienung erfodre gewisse Talente und Tugenden, und müsse also mit demjenigen besetzt werden, welcher die größten Proben gegeben habe, daß er diese Talente und diese Tugenden besitze; ja, der König sei nicht einmal berechtiget, die Pensionen, welche aus dem öffentlichen Schatze bewilliget würden, als Gnaden anzusehen, weil der öffentliche Schatz zu Bestreitung derjenigen Ausgaben geheiliget sein müsse, welche die Ausübung des königlichen Amtes notwendig macht; kurz, der König habe keine Gnaden auszuteilen als aus seinem eigenen Beutel; und alles Gute, was er als König tue, fließe aus einer eben so verbindlichen Schuldigkeit ab, als diejenige sei, vermöge welcher die Untertanen ihm Ehrfurcht und Gehorsam zu beweisen, und nach Verhältnis ihres Vermögens ihren Anteil zu den Einkünften der Krone beizutragen schuldig seien – allein diejenigen, welche dergleichen Sätze vorbrachten, hätten eben so wohl getan sie für sich selbst zu behalten; denn sie wurden nicht gehört, und der Hof erhielt sich im Besitze, alles was er tat so sehr aus Gnade zu tun, daß, wie gesagt, das Wort Verdienst in seiner eigentlichen Bedeutung zu den verhaßten Wörtern herab sank, welche aus der Sprache der guten Gesellschaft verbannt waren; und daß es niemals anders gebraucht wurde, als, um diejenigen Eigenschaften oder Verhältnisse zu bezeichnen, wodurch man das Glück hatte, den Personen, welche Gnaden austeilen konnten, angenehm zu sein. In den ersten Jahren der Regierung des Königs Azor hingen die meisten Gnaden von der Amme der Königin Lili, von der persischen Tänzerin, welche den Vertrauten des obersten Visirs gefesselt hatte, und von einem gewissen Bonzen ab, der mit großem Eifer arbeitete, diese Tänzerin von der Religion der Feueranbeter, in welcher sie geboren war, zu der seinigen zu bekehren. Es gab also während dieser Zeit ordentlicher Weise nur dreierlei Arten von Verdiensten oder Wegen, Gnaden zu erhalten: das Verdienst sie bezahlen zu können, eine viel versprechende Figur (denn die Tänzerin war sehr uneigennützig), und das Verdienst der Dummheit.

Azor, dessen Hof in dieser Zeit den Glanz der prächtigsten in Asien auslöschte, welcher jährlich dreihundertundfünfundsechzig Feste gab, und im Besitz der liebenswürdigen Xerika der glücklichste unter allen Unsterblichen zu sein glaubte – denn wie hätte er auf einer so hohen Stufe von Glückseligkeit nicht vergessen sollen, daß ihn seine Mutter sterblich geboren? – Azor wußte nichts davon, daß seine Provinzen mit raubgierigen Statthaltern besetzt, seine Gerichtsstellen an unwissende und leichtsinnige Gecken verhandelt, und die Verwaltung der Kroneinkünfte, mittelst gewisser geheimer Verträge, an Leute überlassen wurde, die das Arkanum besaßen, an jeder Million, welche sie für den König einzogen, den fünften Teil für sich selbst zu gewinnen; eine Kunst, die in der Folge zu einer solchen Vollkommenheit getrieben worden ist, daß die ersten Meister kaum den Namen von Anfängern verdienten. Der gutherzige Azor glaubte, daß seine Völker glücklich wären, weil er es selbst war, weil er sie glücklich zu sehen wünschte, und weil er gewohnt war alle seine Wünsche erfüllt zu sehen. Überdies hatte er so wenig Begriffe von den Erfordernissen der Regierungskunst, daß man nicht ohne Grund vermutet, er habe sich mit eben der Zuversicht darauf verlassen, daß der Staat ohne sein Zutun aufs beste besorgt werden würde, mit welcher er sich darauf verlassen konnte, daß die Sonne alle Tage auf- und untergehen, die Jahrszeiten wie gewöhnlich auf einander folgen, und in allen dreien Reichen der Natur alles geschehen würde was sich gebührt, ohne daß Seine Hoheit Sich im mindesten darum zu bekümmern hätte.

Der Überfluß, welchen Fleiß und Handelschaft noch immer über den größten Teil des Reiches verbreiteten, nebst den immer währenden Lustbarkeiten, die bei Hofe und in den Hauptstädten herrschten, machten die Folgen einer so übel besorgten Staatsverwaltung eine Zeit lang im ganzen unmerklich. Wie leicht werden zehen tausend unterdrückte Bürger unter einer großen, geschäftigen, mutvollen, und von Entwürfen einer schimmernden Glückseligkeit schwellenden Nation übersehen! Und wie sollte das stumme Seufzen, oder selbst das laute Geschrei dieser zerstreuten Unglücklichen, vor dem noch lautern Getümmel der allgemeinen Emsigkeit und Fröhlichkeit gehört worden sein, oder sich den Weg zum Ohre des mitleidigen Azors haben öffnen können?

Aber eine Veränderung des Systems, worin damals die Staaten des östlichen und mitternächtlichen Teils von Asien verbunden waren, eine Veränderung, wobei der Hof von Scheschian unmöglich gleichgültig bleiben konnte, gab dem jungen Könige Gelegenheit wahrzunehmen, daß seine Geschäfte sehr übel besorgt wurden. Man hatte die Zeit und das Geld, die auf die Zurüstungen zu einem unvermeidlichen Kriege verwendet werden sollten, mit Lustbarkeiten und unnützen Unterhandlungen zugebracht, und die Feinde waren im Begriff in die Grenzen des Reiches einzudringen, als man erst gewahr wurde, daß es sich nicht einmal im Verteidigungsstande befand. Zum Unglück war auch die königliche Kasse so erschöpft, daß Azor sich genötiget sah, seine Zuflucht zu den Kassen seiner Finanzaufseher und Oberpachter zu nehmen, in welchen eine Fülle herrschte, die mit der Leerheit der königlichen vermutlich einerlei Ursache hatte. Das Murren der Nation, welche zu Bestreitung der Kriegsunkosten mit gedoppelten Auflagen belegt wurde, und gleichwohl ihre Beschützung in so schwachen Händen sah, nahm täglich zu; die Feinde bemächtigten sich einer Provinz nach der andern, und der König wußte noch immer nichts von dem eigentlichen Zustande der Sachen: als Alabanda (eine Dame des Hofes, die schon seit geraumer Zeit an einem Entwurf arbeitete, die zärtliche und untätige Xerika zu verdrängen) sich eines günstigen Augenblicks bemächtigte, und zum ersten Male Eindruck auf das Herz Azors machte, indem sie sich das Ansehen gab, von einem lebhaften Eifer für seine Ruhe und für die Glorie seiner Regierung beseelt zu sein. Diese Frau vereinigte alle die Reizungen in ihrer Person, welche das Herz eines Prinzen wie Azor zu fesseln fähig waren; eine blendende und untadelhafte Schönheit mit der Blüte der Jugend, und den angenehmsten Witz mit tausend liebreizenden Grazien. Sie war unwiderstehlich, wenn sie sich vorgesetzt hatte es zu sein; und Azor konnte von dem ersten Augenblick an, da die Gleichgültigkeit, worin Xerika seine Sinne zu lassen anfing, ihm erlaubte ihre Nebenbuhlerin mit Aufmerksamkeit anzusehen, sich nicht genug wundern, wie er so lange von einem so vollkommnen Gegenstande habe ungerührt bleiben können. Die zärtliche Xerika hatte in dem Könige nur Azorn geliebt; Alabanda liebte in Azorn nur den König. Zwanzig andre taugten eben so gut oder besser ihre wollüstige Sinnesart zu vergnügen: aber ihre Eitelkeit konnte nur durch eine unumschränkte Gewalt über das ganze Scheschian befriediget werden; und der Plan, den sie zu diesem Ende machte, bewies ihre Klugheit. Sie entdeckte Azorn, wie übel der Staat unter der Regentschaft seiner Mutter verwaltet worden sei, und überredete ihn, die Zügel der Regierung künftig selbst zu führen. Der Staatsrat und die obersten Kronbedienungen wurden also mit Kreaturen der schönen Alabanda besetzt: und da nichts Unbeständigeres sein konnte als die Gunst dieser Dame; so veränderte sich der Divan unter ihrer Regierung so oft als ihr Kopfputz, oder als die Farben ihres Anzugs, durch deren täglichen Wechsel sie bewies, daß ihre Schönheit in jedem Lichte sich selbst gleich bleibe, und über alles triumphiere, was neben ihr glänzen wolle.

Der König wunderte sich sehr, da er eine Bürde, die er sich so schwer vorgestellt hatte, so leicht fand. Es kostete ihm nur einen Wink, oder höchstens ein bloßes Ja zu allem was ihm die schöne Alabanda in eigener Person oder durch ihre Werkzeuge vorschlug. Nichts konnte bequemer sein; aber Scheschian befand sich auch um nichts besser bei einer Regierung, die dem Könige so leicht gemacht wurde.

Gleich zu Anfang des vorerwähnten Krieges hatte sich der Günstling der Sultanin-Mutter, in dessen Händen damals die höchste Gewalt lag, genötiget gesehen, die Anführung der Kriegsheere einem erfahrnen Feldherrn zu übergeben, der zu alt war, um bei dem neuen Hofe in Ansehen zu stehen. Seine Figur, seine Manieren, sein Ton, seine Art sich zu kleiden, und sein Charakter hatten schon lange aufgehört nach der Mode zu sein: aber seine Talente, seine Liebe zum Vaterlande und seine Erfahrung waren Eigenschaften, deren Wert allgemein anerkannt zu werden pflegt, sobald die Zeit kommt, wo man ihrer vonnöten hat. Die dringende Gefahr entschuldigte den Minister, daß er von einem Grundgesetze des Hofes abgehen, und einen so wichtigen Posten einem Manne auftragen mußte, der aus einer andern Welt war, und nichts als – persönliche Verdienste hatte.

Die guten Anstalten, welche der alte Feldherr machte, und die beträchtlichen Vorteile, die er in kurzer Zeit über die Feinde erhielt, ließen einen glücklichen Fortgang des Feldzuges hoffen. Aber kaum hatte sich Alabanda des Königs und der Regierung bemächtiget, so wurde der alte Mann, unter dem Vorwande daß er nicht Feuer genug habe, zurück berufen, und ein sehr artiger junger Herr an seine Stelle geschickt, welcher unstreitig der beste Tänzer am ganzen Hofe war. Er hatte sich durch dieses Talent, und durch die Gabe kleine satirische Verschen über die Damen zu verfertigen, denen die stolze Alabanda nicht erlauben wollte liebenswürdig zu sein, bei der Favoritin in Achtung gesetzt; und weil seine Finanzen sich damals in der niedrigsten Ebbe befanden, so hatte er sich den Posten eines Oberfeldherrn, als ein Mittel wieder zu Kasse zu kommen, von ihr ausgebeten. Die Feinde gewannen mehr dabei, als wenn sie drei Siege über den alten General erhalten hätten. Der Unwille des Adels, der Armee und des Volkes über die unleidlichen Fehler, die dieser eben so unwissende als eigensinnige und raubgierige Heerführer beging, stieg endlich zu einem so hohen Grade, daß sich Alabanda genötigt sah, den Tänzer zurück zu berufen; welcher, nachdem er einige Millionen gewonnen, und dem Reiche für zehnmal so viel Schaden zugezogen, so hoffärtig und mit solchem Geräusche nach Hofe zurück kam, als ob er die herrlichsten Taten verrichtet hätte. Auch empfing er die Krone von Pfauenschwänzen, ein Ehrenzeichen, welches die Großen des Reichs von den niedrigern Klassen des Adels unterschied, aus der eigenen Hand seines Königs, und tanzte bei dem ersten großen Ball, der bei Gelegenheit eines von seinem Nachfolger erhaltenen Sieges dem Hofe gegeben wurde, mit so außerordentlichem Beifalle, daß es nur auf ihn ankam, so viel Herzen zu erobern als er wollte oder behaupten konnte.

Die Vorteile, die der neue Feldherr über den Feind erhielt, versprachen einen glänzenden Ausgang der Sachen. Aber die Ehre des schönen Tänzers, der durch die Krone von Pfauenschwänzen, und die Beute die er den Scheschianern abgenommen hatte, eine wichtige Person im Reiche geworden war, machte es notwendig, einem so gefährlichen Nachfolger in Zeiten Einhalt zu tun. Weil der König itzt durch sich selbst regierte, so fand man, es schicke sich schlechterdings nicht, daß der Feldherr irgend einen Schritt von Wichtigkeit ohne ausdrücklichen Befehl vom Hofe sollte unternehmen dürfen. Er erhielt also, auf seine Anfrage, den Befehl zu einem Treffen gerade zu der Zeit, da die Gelegenheit es mit Vorteil zu liefern vorüber war; er mußte sich ostwärts ziehen, wenn die gegenwärtige Lage ihn westwärts rief, oder einen Posten verlassen, da die Umstände unumgänglich erfoderten ihn zu besetzen. Außer diesem wußte man ihm so viele andre Hindernisse in den Weg zu legen, daß der Heldenmut eines Alexanders darüber hätte ermüden mögen. Bald fehlte es ihm an Truppen, bald an Geld, bald an Proviant, bald an Kriegsvorrat, bald an allem. Gleichwohl überwand er alle diese Schwierigkeiten durch die Hülfsmittel, die er in seinem Genie und in seiner Ruhmbegierde fand, und er war im Begriffe, durch einen entscheidenden Streich den Krieg auf die rühmlichste Weise zu Ende zu bringen, als er die Nachricht erhielt – daß der Friede geschlossen sei.

Wenn die Bedingungen dieses Friedens dem König Azor wenig Ehre brachten, so mußte man doch gestehen, daß sie seinen Ministern desto vorteilhafter waren; denn jede Bedingung wurde ihnen mit hunderttausend Unzen Silbers bezahlt. Scheschian verlor zwar dadurch eine seiner besten Provinzen; aber die schöne Alabanda gewann einen diamantnen Gürtel, der eine kleine Provinz wert war. Azor hatte den Vorteil, mit der Geographie seines Reichs so wenig bekannt zu sein, daß er nichts verloren zu haben glaubte. Man versicherte ihn, die Provinz, die er abtrat, koste mehr zu erhalten als sie wert sei; und alle Hofbonzen und Hofpoeten wurden dazu gedungen, die uneigennützige Großmut des Königs und sein väterliches Mitleiden mit seinem Volke in die Wette zu preisen, und zu einer Heldentugend zu erheben, welche die Taten der größten Eroberer verfinstre.«

»Nach diesen Proben von eurem guten König Azor zu urteilen«, sprach der Sultan, »ist das gelindeste was man von ihm sagen kann, daß er zu einem sehr schwachen Herzen einen noch schwächern Kopf gehabt haben müsse. Ich meines Orts gestehe, daß ein Fürst, der seinen Namen zu den Übeltaten seiner Lieblinge herleiht, ein verächtliches Geschöpf in meinen Augen ist; und ich sehe gar nicht, warum man ihm die Ehre erweisen soll, ihn gut zu nennen, wenn seine Völker bei aller seiner Güte sich nicht besser befinden als sie tun würden, wenn er ein Tyrann wäre.«

»Sire«, erwiderte die schöne Nurmahal, »erlauben Sie mir zu sagen, daß Sie ein wenig zu strenge mit dem guten König Azor verfahren. Er war wirklich einer der liebenswürdigsten Prinzen seiner Zeit. Es mangelte ihm weder an Geist noch an Geschmack, und man hat eine Menge kleiner Anekdoten von ihm, welche das edelste und gütigste Herz beweisen. Eine unglückliche Erziehung« –

»Um Vergebung, Madam«, fiel ihr der Sultan in die Rede: »ich wollte nicht gern, daß man den Fürsten diese Entschuldigung gelten ließe. Die Erziehung der Personen, die zum Throne geboren werden, ist selten so gut als es zu wünschen wäre; und nach Ihrem Grundsatze hätten immer fünfundneunzig von hundert meinesgleichen ein Privilegium, so übel zu regieren, als es ihren Weibern, ihren Bedienten und dem Zufalle belieben möchte. Soll ich euch sagen, wie ich selbst erzogen worden bin? Beim Barte des Propheten! wenn jemals ein Sultan berechtiget war keinen Menschenverstand zu haben, so bin ich's. Weil wir hier unter uns sind, so will ich mir doch das Vergnügen machen, euch ein oder zwei Kapitel aus der Geschichte meiner Jugend zu erzählen.

Mein Oheim Schach-Baham – Friede sei mit seinem Staube! – vertraute meine Erziehung einem seiner Verschnittenen an, unter dessen Aufsicht ein gewisser Fakir, der löblichen Gewohnheit zu Folge, mich so gelehrt machen sollte, als Schach-Baham glaubte, daß der Sohn des jüngern Bruders eines regierenden Sultans zu sein nötig habe. Ich erinnere mich noch so lebhaft als ob es erst heute geschehen wäre, wie vergnügt der gute Oheim Baham war, als ich es in der Mathematik und Physik so weit gebracht hatte, den Mechanismus der bewundernswürdigen Erfindung seines Freundes des Königs Strauß, den fliegenden Drachen, mit Hülfe einer Menge fürchterlicher Kunstwörter, von denen er nichts verstand, erklären zu können. Er beschenkte mich in der Freude seines Herzens mit einer zierlich ausgeschnittenen papiernen Gans in rosenfarbnem Domino, von seiner eigenen Arbeit, außer einem großen Korb voll Zuckerwerk, den ich, sobald es möglich war zu entwischen, zu den Füßen meiner kleinen Mätresse, einer jungen Sklavin der Sultanin meiner Tante, niederlegte. Im übrigen war die Theorie des papiernen Drachen der höchste Gipfel, den ich damals in der Erkenntnis der Natur- und Kunst-Lehre erstieg; denn der Fakir Salamalek, mein verdienstvoller Lehrer, war aufrichtig genug zu gestehen, die Erforschung der Natur sei keine Sache für einen Mann wie er. Aber dafür wußte er sich desto mehr mit meiner Stärke in der Geschichte. Ich zählte alle morgenländische Könige von Schjan-Ben-Schjan, der einige tausend Jahre vor Sultan Adam, dem ersten Menschen, regierte, bis auf den glorwürdigen Schach-Baham, meinen Oheim, an den Fingern her; ich nannte die Namen aller Frauen und Beischläferinnen des Propheten Salomon, und wußte eine Menge schöner Historien von Königen, die in allem was sie unternahmen überaus glücklich gewesen waren, weil sie schöne Moskeen gebaut, und schöne Stiftungen zum Unterhalt frommer Derwischen, welche Tag und Nacht nichts zu tun hatten als den Koran zu lesen, gestiftet hatten. Nach diesem Teile meiner Gelehrsamkeit könnt ihr euch vorstellen, was für eine Moral und Staatswissenschaft das war, was mir der ehrliche Salamalek unter diesem Titel beizubringen suchte. Die arme Seele! Das muß ich ihm nachrühmen: er ließ sich's so angelegen sein, daß ihm oft der Schweiß in großen Tropfen auf der Stirne hing. ›Denn die Geister aller Einwohner von Indostan bis ins tausendste Glied würden als Ankläger gegen mich aufstehen‹, sagte er, ›wenn ich diesen wichtigsten Teil der Erziehung eines Prinzen, der dem Throne so nah ist, vernachlässigte.‹ Seine Absicht war gut, wie ihr sehet; und wenn seine Begriffe nicht eben so gut waren, lag die Schuld an ihm? Warum hatte Schach-Baham einen Fakir bestellt, seinen Bruderssohn Moral und Politik zu lehren? – Nach Salamaleks Meinung war der größte und beste aller Sultanen derjenige, der seine fünf Gebete und seine gesetzmäßigen Waschungen mit der pünktlichsten Genauigkeit verrichtete, sich alle Tage seines Lebens vom Wein enthielt, die meisten Derwischereien stiftete, und wenigstens den zehnten Teil seiner Einkünfte unter die Armen austeilte. Er hatte keinen andern Begriff von der Wohltätigkeit eines Fürsten; und wenn man ihn über diesen Artikel predigen hörte, so hatte ein König nichts zu tun, als seine arbeitsamen Untertanen zu Bettlern zu machen, um den müßigen gute Tage zu verschaffen; eine Methode, die er vermutlich deswegen so vortrefflich fand, weil auf diese Weise Bettelei und Reichtum unaufhörlich zirkulieren, und es einem Fürsten nie an Mitteln und Gelegenheit zur Wohltätigkeit fehlen kann, ohne daß es ihm die kleinste Mühe kostet. Diesen feinen Begriffen zu Folge war mein Fakir ein erklärter Feind des Luxus, und behauptete in vollkommnem Ernste: daß es einem Staat unendliche Mal besser wäre, wenn die Hälfte der Nation ihre Tage auf Unkosten der andern mit Müßiggehen zubrächte, als mit den verderblichen Künsten, welche die Üppigkeit beförderten. Die ganze Politik des ehrlichen Mannes war von diesem Schlage. ›Der gerechteste und gottgefälligste Krieg‹, sagte er, ›ist ein Krieg, den man unternimmt, die Feinde des Propheten zu vertilgen, und das islamische Gesetz auf Erden auszubreiten‹; und er nannte mir verschiedene Prinzen, welche sichtbarlich gestraft worden wären, weil sie Juden, Christen, Gebern und Banianen in ihre Staaten aufgenommen, und einem jeden Freiheit gelassen hätten, das höchste Wesen nach seiner eigenen Überzeugung zu verehren. Die Philosophie und die schönen Künste verachtete er als eitles Spielwerk und profane Erfindungen der alten Heiden; und er schalt mit vielem Eifer auf die Üppigkeit der Abassiden,Vermutlich sind die Kalifen Harun Al Raschid und sein Sohn Almamon hier gemeint, unter welchen, wie bekannt ist, die griechischen Wissenschaften und Künste in das sarazenische Reich verpflanzt wurden.

Anmerk. des latein. Übersetzers

durch deren sträfliche Neugier und verkehrten Geschmack diese Greuel sich unter die Rechtgläubigen eingeschlichen hätten. ›Wer den Koran und die Auslegungen der zwölf Imans wohl inne hat‹, pflegte er zu sagen, ›der allein ist ein wahrer Weiser! Alle diese Theorien der Sittenlehre und Staatswissenschaft, welche man auf die Natur zu gründen vorgibt, sind Blendwerke der bösen Geister, und verdammt sei derjenige‹, rief er mit glühenden Wangen und feurigen Augen, ›der die Seelen der Muselmannen mit diesem Gift ansteckt!‹ Er pflegte oft mit Entzücken von Amru Ben Alas, dem Feldherrn des Kalifen Omar, zu sprechen, der die berühmte Büchersammlung zu Alexandria zum Einheizen in die öffentlichen Bäder hatte verteilen lassen, weil, wie er meinte, alle diese Bücher zu nichts besserm taugten, falls nichts darin enthalten wäre als was man im Koran kürzer und besser gegeben fände, und des Feuers schuldig wären, wofern sie etwas andres enthielten als der Koran. ›Das waren goldne Zeiten!‹ rief er mit einer andächtigen Verzerrung seines plumpen Gesichts. ›Das waren die Zeiten, wo die Angelegenheiten des Islamismus blühten! wo die Ungläubigen unter unsre Füße getreten wurden, und das Gesetz des Propheten sich mit einer wundertätigen Schnelligkeit über den Erdboden ausbreitete!‹ – Urteilet aus diesen Proben«, fuhr der Sultan fort, »ob mein Fakir seine Schuldigkeit besser hätte tun können, wenn ihm mein Oheim Baham aufgetragen hätte, mich zu einem Fakir zu bilden! Glücklicher Weise für mich (und für Indostan, denke ich) war unter den Sklaven, die mir zur Bedienung gegeben waren, ein junger Cyprier, der Genie und Erziehung hatte, und die Begriffe und Maximen meines Fakirs, die ihm äußerst ungereimt vorkamen, auf eine so feine Art zu verspotten wußte, daß es ihm sehr wenig Mühe kostete, die Spuren auszulöschen, die sie vielleicht in meinem Gemüte hätten lassen können. Da er überdies die Geschicklichkeit und den guten Willen hatte, mir in meinen kleinen Liebesnöten Dienste zu tun, so bemächtigte er sich meines Vertrauens in einem so hohen Grade, daß ich ihn wie die Hälfte meiner Seele liebte. Wir spielten dem alten Verschnittenen und dem weisen Fakir tausend Streiche, auf deren Erfindung und Ausführung wir uns nicht wenig einbildeten. Gleichwohl konnten wir es nicht so fein machen, daß wir nicht dann und wann über der Tat ertappt und mit großer Feierlichkeit bei dem Sultan verklagt worden wären. Aber Schach-Baham, wiewohl er den Eifer meiner Vorgesetzten lobte, konnte doch selten dahin gebracht werden, unsern jugendlichen Mutwillen züchtigen zu lassen. Er lachte gemeiniglich so herzlich über die Erzählung, die ihm der Fakir in einem kläglichen Ton und mit tragischen Gebärden davon machte, daß er sich die Seiten mit beiden Händen halten mußte; und am Ende mußte sich der ehrliche Fakir mit seinem gewöhnlichen Sprichworte, Jugend hat nicht Tugend, zufrieden stellen lassen. ›Ich erinnere mich noch ganz wohl‹, pflegte er mit einer schlauen Miene hinzu zu setzen, ›daß ich es in Gebals Alter nicht besser machte. Ich war immer ein loser Vogel; der Fakir, mein Hofmeister, Gott tröste seine Seele! hatte seine liebe Not mit mir, und die Kammerjungfern der Sultanin meiner Mutter konnten nicht genug auf ihrer Hut sein. Gebal ist ein aufgeweckter Kopf; er wird wohl klug werden, wenn er ausgetobt hat‹, – und was dergleichen Sprüche mehr waren, an welchen der gute Oheim niemals Mangel hatte. – Was dünkt Ihnen nun von meiner Erziehung, Madam? Finden Sie nicht, daß ich unter den Händen eines alten mürrischen Negers, eines Fakirs der mir so gute Grundsätze beibrachte, eines leichtfertigen jungen Cypriers, etlicher mutwilliger Kammermädchen, und eines Oheims wie Sultan Baham, vortrefflich vorbereitet werden mußte, dem Thron von Indien Ehre zu machen?«

»Sire«, sagte Nurmahal lächelnd, »wenn es mir erlaubt ist, meine Meinung so frei zu sagen, so glaube ich, daß gerade diese Umstände sich vortrefflich zusammen schickten, einen Genie wie der Ihrige war, zu entwickeln. Wenn es wahr ist, daß lebhafte junge Leute gemeiniglich einen unwiderstehlichen Trieb in sich finden, immer das Widerspiel von dem was ihre Hofmeister sagen zu tun, wie konnte man Ihnen einen schicklichern Hofmeister wünschen als den Fakir Salamalek? Die artigen Kammermädchen der Sultanin waren schlechterdings unentbehrlich, die Federn Ihrer Einbildungskraft spielen zu machen, und eine sehr nachteilige Stagnation Ihres Herzens, die bei einer so pedantischen Erziehung zu besorgen war, zu verhüten. Der junge Cyprier mag wohl vielleicht der strengen Sittenlehre Ihres Fakirs das Gegengewicht zuweilen mehr als nötig war gehalten haben; aber wenn er Ihnen auch zu nichts gedient hätte, als den Unterricht dieses albernen Mentors unschädlich zu machen, so war das schon sehr viel. Allein ich bin gewiß, daß er Ihnen einen noch wichtigern Dienst erwies. Seine Spöttereien über die Grundsätze des Fakirs kamen Ihrer eigenen Vernunft zu Hülfe, und befestigten Sie auf die natürlichste Weise von der Welt in den entgegen gesetzten; und es kann nicht fehlen, man hat ein großes gewonnen, um klug zu werden, wenn man über die Torheit lachen gelernt hat. Überdies mußte das Beispiel Schach-Bahams und seiner drei Vorgänger« – –

»O, was dies betrifft, Madam«, fiel ihr der Sultan lachend ins Wort, »da haben Sie recht! Drei oder vier solche Vorgänger sind eine unvergleichliche Schule für einen Nachfolger, der sie in ihrem gehörigen Lichte zu betrachten weiß. – Aber genug für heute von Königen und Staatsangelegenheiten; ich bin lange nicht so aufgelegt gewesen zu vergessen, daß ich die Ehre habe Sultan zu sein. Schicken Sie mir etliche von Ihren Odaliken, Nurmahal; ich will versuchen, ob ich mich nicht eben so gut in den Schlaf singen lassen kann, als der alte Weißbart, von dem uns Danischmend letzthin so wunderreiche Dinge vorleierte.«


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