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5

Nun war Hedy so verliebt, daß sie sich schämte, es ihm zu sagen. Alles an ihm bezauberte sie: sein gekräuselter Bart, der nach dem Aroma kostbarer Pelze duftete, seine kleinen weißen Hände, seine glänzenden Augen, die sich nie bewegten. Aber plötzlich konnten sie groß werden, unendlich tief, und sie bekam Angst vor ihnen.

Sie trafen einander fast jeden Tag. Jegor Wolsky, der mit rohen und bearbeiteten Fellen handelte, war der Geschäfte wegen in Berlin. Er war sehr reich, seit einigen Jahren schon über die erste Blüte hinaus, vom Leben gesättigt. Hedy schien es, als wisse er alles und als sei vor seinen stillen, beinahe stumpfen Augen alles klein und unbedeutend. Ganz weich, ganz mädchenhaft hing sie an seinem Arm. Jetzt sah sie wie eine Dame aus. An ihrer weißen Russenbluse schimmerten viele kostbare Spitzen. Ein dünner, roter Ledergürtel schmiegte sich weich um ihre schmale, knabenhafte Taille. Sie parfümierte sich nicht mehr wie zu Erwins Zeiten; nur einmal ließ sie über Nacht ihr Taschentuch in Jegors Schrank, wo es das scharfe und berauschende Aroma seiner Pelze annahm.

Sie wagte oft nicht zu sprechen; sein Blick hypnotisierte sie. Und er, in der Trägheit seiner alternden Jahre, ließ sich ihre Liebe gefallen. Manchmal bekam er Angst vor ihren wilden Küssen; er fürchtete, sie könne in seinen Armen sterben. Er dachte, ihr den Abschied zu geben, ihr durch die Post in einem Kuvert mit einer Visitenkarte eine große Banknote zuzusenden und heimlich von Berlin fortzureisen. Aber etwas an ihr hielt ihn zurück, zog ihn an, wenn er es auch nicht zeigen mochte. In seiner Ehe war er der Schwächere gewesen; jetzt, zum erstenmal in seinem Leben, sah er sich angebetet, verehrt, geliebt. Geliebt ohne Grund, denn Hedy mochte weder Geld noch Schmuck von ihm annehmen. Bloß den Opalring hatte sie behalten, hatte ihm dafür einen silbernen Kinderring aufgedrängt. Oft war ihr, als hätte sie Erwin nie gekannt.

Aber der Pelzhändler wollte fort. Er bekam Angst, Hedy könnte ihm unentbehrlich werden. Konnte er sie heiraten? Sollte er seinem kleinen Töchterchen eine Mutter geben, die er auf der Straße aufgelesen hatte? Und immer wieder dachte er an den Abschied, an ein Adieu ohne Eklat, ohne Tränen, ohne viel Worte, die er ohnedies nicht liebte.

An einem Sonntag machte er einen Ausflug mit Hedy. Es war Ende Mai. Die Sonne schien, der See bei Erkner war sanft bewegt, und auf der braunen Walderde schwankte hold der Schatten der Bäume. Jegor versuchte einige Male, von der Notwendigkeit einer Trennung zu sprechen. Aber sie verstand ihn nicht. Und während er es ihr erklärte, wurde ihm schwer zumute. Er wiederholte immer wieder, er sei fünfzig Jahre und Hedy erst achtzehn. Und seine Heimat sei ein kleiner Ort in einer großen, öden Steppe, in der es keine Wälder, keine Autos, keine Kinos gab. Er lächelte. (Es war nicht richtig, denn man lebte in den Städten Wolhyniens besser als in Berlin.) Sie sah ihn erstaunt an. An ihrem Schweigen, an dem Druck ihres kindlichen Armes merkte er, daß alle Worte vergeblich waren. Hedy strahlte. Nie war sie so schön gewesen wie an diesem Tag. Goldener Glanz lag in ihren großen, grauen Augen. Ihr Gang war anmutig wie ein Tanz. Wenn sie später an diesen Tag zurückdachte, war es ihr, als hätte damals die ganze Zeit hindurch Musik gespielt, hinter den dunklen Stämmen der Bäume versteckt.

Spät abends kehrten sie heim. Jegor schützte eine Konferenz mit einem Geschäftsfreund vor; er wollte, er mußte diesem Abenteuer ein Ende machen. Nach fünf Minuten sprach er eine Prostituierte an, trank unmäßig und traurig, verjubelte fünfhundert Mark, und in dem giftigen Kuß der Dirne empfing er den Keim einer schweren Krankheit.


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