Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

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31

Etwa um die Mittagsstunde meldete sich am Tor von Spittering Farm abermals ein Besuch, und Peter war von dem Anblick so betroffen, daß er Miß Jetta Ormond ohne weiteres einließ. So etwas von einer lebenden Puppe hatte er noch nicht gesehen, und er schielte teils neugierig, teils mißtrauisch nach all den zierlichen Dingen, die sich höchst gebieterisch vor ihm aufpflanzten.

»Führen Sie mich zu Mr. Rayne!« befahl die junge Dame kurz, und Mr. Forge in seinem neuen großkarierten Anzug mit der neuen orangefarbenen Krawatte glättete sich etwas ratlos den gewichsten Scheitel. Er hatte Rayne vor einer Weile in den Park gehen sehen und konnte doch das kleine Frauenzimmer nicht durch das Gras und das schreckliche Gestrüpp schleifen. Wenn sie mit den wenigen Sachen, die sie anhatte, irgendwo hängen blieb, konnte es das größte Unglück geben.

Er stapfte also voran zum Haus und verstaute die Puppe zunächst einmal in dem Zimmer neben dem Eßraum, um sich dann eiligst auf die Suche nach Rayne zu machen.

Jetta Ormond trippelte ungeduldig auf und ab, und ihre Erregung war so groß, daß sie sogar Puderdose und Lippenstift vergaß. Es hing auch von der nächsten halben Stunde für sie allzuviel ab. Die rätselhafte Schmuckgeschichte hatte sie nicht nur um die glitzernden Steine gebracht, sondern auch um ihre Starstellung am Parisiana-Theater, wo für sie gestern eine niederträchtige Rivalin eingesprungen und »mit Applausstürmen überschüttet« worden war, wie sie heute am Frühstückstisch hatte lesen müssen. Jetta wunderte sich, daß sie in diesem schrecklichen Augenblick nicht gestorben war und sich damit begnügt hatte, dem Colonel lediglich die Zeitung an den Kopf zu werfen. Dann waren allerdings etwa eine halbe Stunde lang noch einige arge Anzüglichkeiten über seinen äußeren und inneren Menschen gefolgt, und schließlich hatte sie dem völlig gebrochenen, graugelben Mann erklärt, daß es zwischen ihnen endgültig aus sei.

Und nun war sie in Spittering Farm, um zunächst einmal hier bezüglich ihrer Zukunft zu sondieren. Dieser Aubrey Rayne hatte einen außerordentlichen Eindruck auf sie gemacht, und wenn die Sache mit dem Schmuck auch eine Gemeinheit sondergleichen war, so zeugte sie anderseits wieder von einer männlichen Entschlossenheit, die ihr gefiel. Ihre Begriffe über diese Dinge waren von frühester Jugend an etwas verwirrt, und die Gesellschaft, in der sie sich bewegte, hatte sie nicht zu klären vermocht. Sie wußte, daß auch der Colonel so manches auf dem Kerbholz hatte, und sogar sie selbst war dem alten Johnson bei verschiedenen Dingen behilflich gewesen, die nicht gerade sauber waren. Aber das ging schließlich außer der pedantischen Polizei niemanden etwas an, und sie war weit davon entfernt, dem feschen Mann die Geschäfte, die er zu treiben schien, übelzunehmen. Im Gegenteil, solch eine Beschäftigung mußte ungemein reizvoll sein, und Jetta Ormond schien es geradezu verlockend, den langweiligen Mr. Rowcliffe gegen einen Freund zu vertauschen, den die Gloriole eines waghalsigen Abenteurers umwob. Wenn sie ihn erst in ihren Netzen hatte, ließ sich auch der Verlust von vorgestern sicher wieder einbringen, obwohl ihr daran augenblicklich nicht so sehr gelegen war. Ihre Attacke galt zunächst dem Mann als solchem, und wenn der Colonel mit seiner Behauptung von dem tätowierten Mädchen recht hatte, so wollte sie mit doppelter Leidenschaftlichkeit ins Zeug gehen. Sie empfand gegen diese Person einen tödlichen Haß und kannte keinen anderen Wunsch, als ihr die ausgiebige Ohrfeige gehörig heimzuzahlen.

Aber vorläufig durfte sie an diese Sache nicht denken, denn die Wut stand ihr nicht besonders. Sie bemühte sich vielmehr krampfhaft, ihrem pikanten Gesichtchen einen melancholischen Ausdruck zu geben und ihre goldbraunen Augen in einem hingebungsvollen Schmelz leuchten zu lassen, und eben als Aubrey Rayne mit sichtlicher Verwunderung eintrat, glaubte sie endlich die richtige Nuance gefunden zu haben.

Der Blick, den sie auf ihn richtete, war halb verlegen und vorwurfsvoll, halb lockend und verheißend, und ihr roter Mund war zu einem entzückenden Schmollen gespitzt, aber der große Mann hatte als Antwort nur eine deutliche stumme Frage und eine einladende Handbewegung, der Jetta Ormond mit einem schüchternen Seufzer nachkam.

Dieser Empfang enttäuschte sie, und das Schweigen brachte sie völlig aus dem Konzept, aber dann fiel ihr ein, daß der Mann jedenfalls ein schlechtes Gewissen hatte, und daß sie ihn zunächst über den Zweck ihres Besuches beruhigen mußte.

»Sie scheinen über mein Kommen nicht gerade erfreut zu sein«, hauchte sie, »und wir haben uns doch vorgestern so gut unterhalten. Aber dann haben Sie sich allerdings wenig nett benommen, da Sie sich gar nicht mehr um mich bekümmerten.«

»Sie waren leider plötzlich verschwunden«, gab Rayne mit kühler Höflichkeit zurück, und sie nickte geheimnisvoll und nahm eine jener verführerischen Posen ein, mit denen sie auf der Bühne Erfolg hatte.

»Ja«, flüsterte sie harmlos, indem sie ihre behandschuhte Rechte vertraulich auf die seine legte, »denken Sie sich nur, was mir widerfahren ist: Ich hatte mich ein Weilchen in die Direktionszimmer zurückgezogen und wurde dort betäubt und meines Schmuckes beraubt. Sie haben ja die Steine selbst gesehen. – Aber daran liegt mir eigentlich nicht gar zuviel«, fügte sie hastig hinzu und sah Rayne bedeutsam an, »im Gegenteil. Ich habe mich nämlich wegen dieser Sache mit dem Colonel verkracht, und das ist mir mehr wert als so ein lumpiger Schmuck.« Jetta geriet in ehrlichen Eifer, und in solchen Augenblicken pflegte sie ihre Worte noch weniger auf die Waagschale zu legen als sonst. »Nun bin ich den gelben Popanz endlich los, und ich dachte mir, daß Sie das vielleicht interessieren wird. – Und überhaupt wollte ich mich einmal umsehen, wo Sie eigentlich stecken, weil man Sie sonst vielleicht erst wer weiß wann wieder zu Gesicht bekommen hätte.«

Der temperamentvolle Rotkopf meinte, daß dies der Begründung und Einleitung genug sei, und ließ nur der Sicherheit halber die wunderbaren Beine noch etwas länger werden. Aber der Mann ihr gegenüber war offenbar so schwerfällig, daß er weder mit dem einen noch mit dem anderen etwas anzufangen wußte. Er saß korrekt und steif wie ein Steinbild da, und Jetta mußte sich mit einem schmachtenden Seufzer entschließen, noch etwas deutlicher zu werden.

»Was Sie doch für ein komischer Junge sind!« lispelte sie und blitzte ihn mit heißen Augen an. »In Chesterhills waren Sie so schneidig und heute, da ich zu Ihnen komme und wir allein sind, tun Sie auf einmal wie ein Mönch. – Statt lieb und nett zu mir zu sein, wo ich doch so verlassen und so unglücklich bin.« Sie seufzte sehr hörbar und richtete den tränenschweren Blick lauernd auf ihr Gegenüber, aber bei diesem Eiszapfen von einem Mann schien einfach alles zu versagen. Er sah sie aus halb geschlossenen Augen noch immer völlig verständnislos an.

»Wenn Sie mir sagen wollten, womit ich Ihnen dienlich sein kann . . .«, meinte er endlich mit kühler Höflichkeit, und Miß Jetta begann in Erregung zu geraten.

»Dienlich sein kann . . .!« äffte sie ihn ärgerlich an. »Reden Sie nicht so geschwollen und tun Sie nicht so albern. Ich bin hergekommen, weil ich mich mit Ihnen aussprechen wollte. Sie haben ja vorgestern so getan, als ob Ihnen das nicht so unangenehm wäre.«

»Ich bedaure, daß Sie mich mißverstanden haben, Miß Ormond«, sagte er unverfroren, und die temperamentvolle Dame schnellte empor wie ein geschmeidiges Raubtier. Einen Augenblick versagte ihr die Stimme, aber dann brach sie kreischend los. »Mißverstanden, so . . .? – Sie sind mir ein feiner Hecht. Da haben Sie es wohl von Anfang an nur auf meine Steine abgesehen gehabt?« Sie brach in ein krampfhaftes hysterisches Kichern aus, und es schien, als ob sie sich im nächsten Augenblick auf den großen Mann stürzen wollte. »Und so etwas spielt den Gentleman«, fuhr sie in wild auflodernder Wut fort. »So ein gemeiner Hochstapler, so ein Räuber und Mörder . . .« Sie mußte eine Sekunde nach Luft schnappen, weil sie zu ersticken drohte, aber dann ging es im höchsten Diskant weiter. »Aber das werde ich Ihnen heimzahlen. Und Ihre heutige Niedertracht auch, denn ich weiß, warum Sie so scheinheilig tun. Wenn mir dieses tätowierte . . .«

»Miß Ormond wünscht zu ihrem Wagen geleitet zu werden«, schnitt ihr die kalte Stimme Raynes jäh das Wort ab, und Tom, der an der Schwelle stand, machte eine sehr entschiedene einladende Handbewegung.

Einen Augenblick überlegte die ergrimmte junge Dame, wie sie sich einen möglichst effektvollen Abgang schaffen könnte, aber die Sache schien ihr nicht ganz geheuer, und sie zog es daher vor, schleunigst davonzustürmen.

Es war ein Glück,, daß Grace Wingrove die Stufen noch nicht ganz erreicht hatte, als die andere wie ein Pfeil aus dem Haus geschossen kam, aber beide Gegnerinnen blieben mit einem Ruck stehen und starrten einander sekundenlang an.

Der Blick des jungen Mädchens war fragend, überrascht und böse, jener des Rotkopfes stechend und voll glühenden Hasses. Blitzschnell dachte Miß Jetta daran, daß sie vielleicht hier den Knalleffekt anbringen könnte, nach dem es sie gelüstete, und sie war bereits auf dem Sprung – aber dann erinnerte sie sich an die schmerzhafte Ohrfeige und begnügte sich damit, einige Male höchst giftig auszuspucken. Peter riß mit großer Eilfertigkeit das Pförtchen auf, und als die rasende Puppe an seinem gespitzten linken Mundwinkel vorüberkam, konnte sie gerade noch im letzten Augenblick empört zurückspringen.

Der ungezogene Mann bekam ein kräftiges Schimpfwort aus Deptford an den Kopf geworfen und tat darüber sehr beleidigt.

»Das hat man von seinem guten Willen«, knurrte er ihr nach.

»Ich habe Ihnen doch nur zeigen wollen, wie man's macht. Sie spucken zu kurz, Miß.«

 

Colonel Rowcliffe hat auch später nie erfahren, welchen besonderen Umständen es zuzuschreiben war, daß sich seine erzürnte Freundin noch am selben Abend seinen zaghaften Versöhnungsversuchen zugänglich erwies.

Er hatte nach der stürmischen Szene am Morgen diesmal wirklich das Allerschlimmste befürchtet, und das hatte ihm den Tag noch aufregender und sorgenvoller gestaltet, als dieser sich ohnehin schon anließ. Die leidige Schmuckgeschichte schien mit einemmal sehr bedenklich zu werden, denn er hatte in dieser Sache heute bereits zwei dringende Telefonanrufe aus Highgate-Castle über sich ergehen lassen müssen, und die verstörten halben Andeutungen von Lady Margaret hatten ihm verraten, daß etwas höchst Unangenehmes im Zug war. Solche Überraschungen, deren Entwicklung sich nie absehen ließ, liebte der Colonel nicht, und nachdem er einige Male vergeblich bei Johnson angeklingelt hatte, begann er sich mit ernsten und weittragenden Plänen zu beschäftigen. Er hatte eine ungemein feine Witterung, und die Ereignisse der letzten Woche mit ihren eigenartigen Begleitumständen wollten ihm gar nicht gefallen. Selbst der Alte in Limehouse hatte bei seinem gestrigen Besuch eine bedenkliche Unruhe gezeigt, und wenn der Colonel alles zusammennahm, so schien ihm eine schnelle Luftveränderung äußerst ratsam. Nicht, daß er sich gerade eines Vergehens gegen die Gesetze bewußt gewesen wäre, aber es gab verschiedene Beziehungen, über deren Bedeutung er sich nicht recht im klaren war, und vor allem wollte er den unvermeidlichen Auseinandersetzungen mit Lady Shelley aus dem Wege gehen. Die Sache ließ sich sehr rasch und ohne irgendwelche Schwierigkeiten machen, denn er war ein sehr bedachtsamer Mann und hatte in seiner Voraussicht alles so wohl geordnet, daß er den Staub Englands jederzeit binnen wenigen Stunden von den Füßen schütteln konnte, ohne auch nur den geringsten wesentlichen Wert zurücklassen zu müssen.

Leider war er aber augenblicklich gerade jenes Besitzes, an dem er am meisten hing und den er um keinen Preis im Stich lassen wollte, nichts weniger als sicher, und alle seine Entschlüsse hingen letzten Endes davon ab, was Jetta Ormond dazu sagte. Erst nach vielen Stunden, die er grübelnd, telefonierend und allerlei Vorbereitungen treffend, in seinen Zimmern zugebracht hatte, wagte er es, den entscheidenden Schritt zu tun, und als er zu seiner größten Überraschung ohne weiteres vorgelassen wurde, begann seine Zuversicht zurückzukehren. Er fand seine Freundin zwar mit höchst ungnädigem, verweintem Gesicht vor, aber daß sie nicht sofort neuerlich zu einem temperamentvollen Angriff überging, war ein gutes Zeichen, das er raschestens ausnützen wollte.

»Ich mache mir die schwersten Vorwürfe«, begann er reuig und in seinem öligsten Tonfall, indem er verliebt die Augen verdrehte, »daß ich auf deinen Zustand keine Rücksicht genommen habe. Die schreckliche Geschichte war zuviel für die Nerven einer Frau, und du bedarfst dringend einer ausgiebigen Erholung. Ich habe daher auf einem Luxusdampfer, der morgen von Portsmouth nach dem Mittelmeer abgeht, Plätze belegt. – Keine Widerrede«, fuhr er mit zärtlicher Entschiedenheit fort, obwohl gar kein Widerspruch erfolgt war, »denn dein Wohlbefinden geht über alles. Die Sache mit dem Parisiana-Theater habe ich bereits in Ordnung gebracht, und deine Vorbereitungen werden sich gewiß im Laufe des Abends erledigen lassen. Wir fahren um acht Uhr früh mit dem Auto nach London und von dort nach Portsmouth; der Dampfer geht um sechs Uhr nachmittag in See.«

Er hatte immer rascher und bestimmter gesprochen, und je weiter er kam, desto herzzerbrechender schluchzte Miß Jetta Ormond, weil sie sich so furchtbar bedauernswert vorkam.

Erst nach einer längeren Weile vermochte sie ihres Schmerzes einigermaßen Herr zu werden und endlich die Sprache wiederzufinden.

»Ist das so ein großes Schiff, auf dem man sich unterhalten kann und auf dem auch getanzt wird?« fragte sie mit tränenerstickter Stimme mißtrauisch, und der Colonel bejahte lebhaft.

»Du wirst in jeder Hinsicht zufrieden sein«, versicherte er ehrlich, und eine Viertelstunde später raste der Rotkopf trällernd durch die Zimmer und brachte die abgehetzte Zofe über all den Koffern zur Verzweiflung.

Am nächsten Morgen war von Colonel Rowcliffe und Miß Jetta Ormond in Chesterhills nur eine flüchtige Abschiedskarte zurückgeblieben, die Mr. Hearson mit pedantischer Gründlichkeit und einem nervösen Hüsteln immer wieder überflog.


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