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Mr. Hearson horchte nach der Tür, bis die Schritte der beiden verklungen waren, dann schob er sich einen Stuhl zu dem schnaufenden Oberinspektor heran und dämpfte seine Stimme zu einem vertraulichen Flüstern.
»Wir sind Ihnen sehr dankbar, Mr. Murphy, daß Sie gekommen sind. Ich werde sofort dem Sheriff telephonieren, und dieser wird Ihnen dasselbe sagen. Als wir uns unten vor dem Hotel trafen, war ich gerade unterwegs, um Sie anzurufen und zu bitten, sofort herauszukommen.« Er beugte sich noch näher heran und sah dem Oberinspektor durch die scharfen Brillengläser bedeutsam in die schläfrigen Augen. »Es hat sich nämlich neuerlich etwas ereignet, was die möglichst rasche Durchführung der Untersuchung dringend gebietet. – Wir hatten hier in der verflossenen Nacht ein heftiges Gewitter . . .«
Murphy zuckte mit den Ohrenspitzen, als ob er eine zudringliche Fliege abwehren wollte, und öffnete für einen Augenblick die müden Lider.
»Wir in London auch«, fiel er verdrießlich ein. »Dabei haben einige meiner schönen Topfkakteen stundenlang unter Wasser gestanden, und ich werde jetzt keine Ruhe haben, bis ich sicher bin, daß sie nicht Schaden genommen haben. Ich habe zwar meiner Haushälterin gesagt, wie sie die armen Pflänzchen zu behandeln hat, aber in solchen Dingen kann man sich auf niemanden verlassen.«
Hearson nickte höflich, aber auch etwas ungeduldig.
»Gewiß. – Und während dieses Gewitters ist hier abermals ein Verbrechen verübt worden, das dem ersten ganz auffallend ähnelt.« Der elegante Herr machte eine Pause, um seine Brille pedantisch zurechtzurücken, und der Oberinspektor zerrte an seiner dicken Nase, um sich einigermaßen wach zu erhalten.
»Was Sie nicht sagen«, brummte er nach einem herzhaften Gähnen.
»Jawohl.« Hearson nickte ernst und lebhaft, und sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel darüber, daß er die Sachlage als äußerst beunruhigend betrachtete. »Alles spricht dafür«, erklärte er wichtig, »daß der Mord während des Gewitters, das allerdings einige Stunden währte, begangen worden ist. Es handelt sich nämlich diesmal offenkundig um einen Mord. Man hat den Toten bereits am frühen Morgen gefunden, und die Jury, die vor etwa zwei Stunden zusammengetreten ist, hat ein einstimmiges Votum abgegeben. Aber es mußte natürlich alles möglichst unauffällig vor sich gehen, damit unsere Badegäste nicht kopfscheu werden. Wir sind ein aufstrebender Badeort, der sich so kritische Sensationen nicht leisten darf. Ich bitte Sie – der zweite Fall innerhalb weniger Tage. Und wiederum an der gleichen Stelle und auf die gleiche Art. Nur daß das Opfer diesmal nicht beiseite geräumt wurde.«
Der Oberinspektor riß die Lider auf, wiegte mit dem Kopf und ließ ein verwundertes Schnalzen hören.
»Und wer ist diesmal das Opfer?«
»Abermals ein Unbekannter«, erklärte Hearson mit einem Achselzucken.
»Und er ist wirklich mausetot?« fragte Murphy und hatte plötzlich eine belegte Stimme und nasse Äuglein.
»Jawohl. Der Mann hat einen Hieb erhalten, der den Hinterkopf völlig zertrümmerte. Die Leichenschau ist bereits vorüber, aber am Nachmittag findet im Hospital noch die Obduktion statt. Wenn Sie sich vielleicht dafür interessieren sollten . . .«
Der Oberinspektor verzog entsetzt das wohlgenährte Gesicht und hob abwehrend die Hände.
»Nicht die Spur. So etwas ist nichts für mich. Ich kann nämlich kein Blut sehen und Leichen schon gar nicht. Wenn ich bei so einer Sache ja einmal dabei sein muß, habe ich noch vierzehn Tage nachher die schrecklichsten Zustände.«
»Ich kann das verstehen«, bemerkte Hearson verbindlich, »denn auch für mich wäre so etwas nichts. Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen, damit Sie über alles informiert sind. Und wenn Sie sich vielleicht den Schauplatz ansehen wollen, so stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Es ist, wie ich schon bemerkte, fast genau dieselbe Stelle, an der die Patrouille der Automobile Association in der letzten Woche den Schwerverletzten aufgefunden haben will. Das Wäldchen liegt kaum drei Meilen oberhalb der Bucht, und ich kann Sie mit meinem Wagen in wenigen Minuten hinbringen.«
»Ausgezeichnet«, nickte Murphy lebhaft. »Sie sind sehr liebenswürdig, Mr. Hearson, und ich bin Ihnen aufrichtig dankbar. Natürlich werde ich mir den Ort gründlich ansehen, aber nicht jetzt gleich. Vielleicht gegen Abend, wenn die Sonne nicht mehr so kannibalisch brennt. Vorläufig möchte ich ein kleines Schläfchen machen, denn ich mußte heute etwas früher aufstehen, und die Fahrt hat mich auch sehr mitgenommen. Also sagen wir, so um sechs Uhr, wenn es Ihnen paßt. Auf die paar Stunden kann es ja jetzt nicht mehr ankommen. Und dafür werde ich mich dann um so mehr ins Zeug legen.«
»Ganz wie Sie wünschen«, sagte der elegante Herr höflich und erhob sich. »Ich werde auch den Inspektor Elliot mitbringen, der vorläufig die Untersuchung leitet. Er ist ein sehr tüchtiger junger Mann, und es wird Ihnen angenehm sein, von ihm genauestens unterrichtet zu werden.«
»Sehr angenehm sogar«, versicherte der Oberinspektor und schüttelte Hearson kräftig die Hand. »Diese jungen Leute haben viel schärfere Augen als wir Alten und auch eine modernere Methode«, gab er etwas wehmütig zu. »Aber dafür hat unsereiner wieder seine Erfahrungen. Jedenfalls werden wir die Geschichte schon ins richtige Fahrwasser bringen. Darauf können Sie sich verlassen.«
Hearson war noch nicht ganz bei der Tür draußen, als Murphy bereits pustend und stöhnend seinen Rock abwarf und in Hemdärmeln eine Weile in seinem Gepäck zu kramen begann. Er brachte zunächst einen etwas bunten Pyjama und ein Paar bequeme Hausschuhe zum Vorschein, aber das Auspacken schien ihn so anzustrengen, daß er erst wieder ein bißchen ausruhen mußte. Er ließ sich neuerdings in den Armstuhl fallen, verschränkte die Hände über dem Bauch und schloß erschöpft die Augen. Nur seine Ohren konnten nicht zur Ruhe kommen und vibrierten unaufhörlich.
Nach etwa fünf Minuten sprang er plötzlich elastisch auf, horchte eine Weile nach dem Gang und machte sich mit einer Handtasche zu schaffen. Er entnahm ihr eine auf Leinwand aufgespannte Karte, einen Feldstecher und einen Browning, der sich in seiner Riesenhand wie ein Kinderspielzeug ausnahm, steckte die Dinge vorsichtig in die Taschen und ließ dann einen zusammengerollten Panamahut nachfolgen. Mittlerweile schlich Hannibal neugierig und mißtrauisch durch die Räume, beschnupperte jeden Gegenstand und schnappte hie und da grimmig nach einer allzu frechen Fliege. Plötzlich vernahm er einen kurzen, dünnen Laut, der wie das Pfeifen eines Wiesels klang, und so lange er es sich überlegte, bevor er auf die gewissen Pfiffe und die Donnerwetter seines Herrn reagierte – wenn dieser ihn so durch die Zähne rief, hörte, wie er wußte, die Gemütlichkeit auf. Er spitzte daher zu dem Stumpf auch noch das andere Ohr und setzte sich in Galopp.
Murphy stand an der Tür und deutet mit seinem mächtigen Zeigefinger auf die Schwelle.
»Down, Sir«, zischte er, und wenn Hannibal diese höfliche Anrede hörte, konnte er nicht rasch genug auf alle viere kommen. Während der Hund, ein Bündel wachsamen Instinkts und sprungbereiter Angriffslust, hinter der Tür lag und den Wind von draußen geräuschlos einsog, watschelte sein Herr ohne Hut gemächlich durch die Gänge. Das Hotel war ziemlich geräumig, und es währte eine Weile, bis er den rückwärtigen Trakt erreichte. Dort stieß er auf eine unscheinbare Flügeltür, und als er dahinter eine Treppe gewahrte, stieg er diese hinab. Er kam unten in einen von Küchendüften erfüllten Vorraum und dann auf einen riesigen Hof, zu dessen beiden Seiten Autos in langen Reihen parkten. Er schlenderte mit den Händen in den Hosentaschen unbefangen an dem hin und her eilenden Personal und den Wagenputzern vorüber, und niemand schenkte ihm die geringste Aufmerksamkeit. Vor ihm schritt ein geschäftiges Mädchen mit einem Korb am Arm, und wenige Augenblicke nach ihr zwängte sich Murphy durch den kleinen Ausgang für die Lieferanten.
Das Hotel lag ziemlich weit vorn in der Seitenbucht, und noch weiter gegen die Hauptbucht zu erhob sich auf einem sanft ansteigenden Gelände in ganz unregelmäßiger Gruppierung eine Kolonie von Landhäusern mit kleinen Gärten.
Murphy wandte sich nach der andern Seite, wo sich längs des Strandes und an der Lehne eine Reihe alter niedriger Bauten hinzog. Auch diese standen wirr durcheinander, und als der Oberinspektor mit erstaunlicher Behendigkeit den Aufstieg zur Lehne begann, mußte er einen förmlichen Zickzackkurs einschlagen, um den Mauern auszuweichen.
An einer dieser Ecken verspürte er plötzlich einen heftigen Anprall, und der Mann im Sportdreß, der in großer Eile etwas unsanft gegen seine mächtige Schulter gerannt war, drehte sich wie ein Kreisel. Murphy griff mit einer höflichen Entschuldigung hastig zu, und als er das scharf geschnittene Gesicht mit der kühn vorspringenden Nase und den stechenden Augen vor sich sah, stieß er einen leisen Ruf der Überraschung aus.
»Bill Short!« murmelte er gedehnt und überlegte blitzschnell. »Sieh da! – Es ist bereits eine Weile her, seit wir uns zum letztenmal gesehen haben.«
Der andere schien von der Begegnung nicht gerade angenehm berührt und auch nicht gesonnen zu sein, alte Erinnerungen aufzufrischen. Er suchte sich mit einem etwas verbissenen Lächeln wortlos freizumachen, aber die Hand Murphys hielt ihn wie ein Schraubstock fest.
»Mein Gedächtnis ist nicht gerade das beste«, fuhr der Oberinspektor sinnend fort, »aber ich glaube, es werden ungefähr drei oder vier Jahre sein. – Was war das doch gleich für eine Geschichte?«
Die lauernden Mienen des Mannes verzogen sich zu einer hämischen Grimasse, und seine Augen blitzten herausfordernd.
»Das müßten Sie doch eigentlich wissen«, höhnte er, zuckte aber in demselben Augenblick zusammen, da sich die Finger Murphys wie ein Stahlring um sein Handgelenk schlössen.
»Natürlich weiß ich es«, kam es langsam von den Lippen des Oberinspektors, der mit einem seltsamen Blick irgendwohin ins Weite sah. »Es war die Geschichte mit dem Leoparden . . . Der Panther, auch Leopard genannt . . .«, murmelte er dann plötzlich zusammenhanglos vor sich hin und nahm ohne ein weiteres Wort seinen Weg wieder auf, während Bill Short mit gelenkigem Sprung zwischen den Häusern verschwand.