Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

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12

Schon wenige Minuten später ertönte seine gewaltige Stimme von der vorderen Parkmauer her, aber erst nachdem der unendlich lange holländische Fluch abgerollt war, vermochte Rayne einigermaßen darüber klar zu werden, was es dort gab.

»Du Strauchdieb, was hast du dich hier herumzutreiben?« brüllte Peter in höchster Wut. »Aber ich werde dir Beine machen. Das heißt, Beine wirst du nicht brauchen, denn ich schmeiß dich wie ein Dreckbündel über die Mauer . . .«

Der große Mann eilte mit langen Schritten der Stelle zu, denn wer immer auch der Eindringling sein mochte, Peter war nicht der Mann, die Sache in Ordnung zu bringen.

Vorläufig bemühte er sich schnaufend und mit krebsrotem Gesicht, des Übeltäters habhaft zu werden, aber dieser war trotz des gleichen Körperbaues etwas flinker als er. So oft der Vierschrötige vorschoß und mit seinen Pranken zugriff, entwischte ihm der andere hinter einem Baum und benützte die Gelegenheit, seine Knie und Ellbogen von dem Mörtel zu säubern.

Auf den ersten Blick erkannte Aubrey Rayne den Mann von Scotland Yard, der ihm gestern einen Besuch abgestattet hatte, und er konnte sich denken, weshalb er kam.

»Mr. Forge«, rief er energisch, und so günstig Peter diesmal die Gelegenheit schien, den anderen zu erwischen, hielt er doch in dem entscheidenden Sprung inne.

»Der Strolch ist über die Mauer geklettert«, erklärte er ergrimmt, aber der große Mann winkte ihm herrisch ab, und Murphy zog höflich seinen zerknüllten Strohhut.

»Weil Sie hier keine Klingel haben«, rechtfertigte er sich, indem er noch immer an seinem Anzug herumstäubte. »Ich habe wenigstens eine halbe Stunde nach einer solchen gesucht, aber nichts dergleichen gefunden.« Er lächelte Rayne freundlich an und wischte sich umständlich den Schweiß von der Stirn. »Gut, daß ich auf den netten Herrn hier gestoßen bin, sonst hätte ich vielleicht noch durch ein paar Fenster turnen können, um Sie zu finden.«

Rayne gab dem mißtrauisch wartenden Peter einen kaum merkbaren Wink, und dieser hatte es plötzlich sehr eilig, das Feld zu räumen.

»Womit kann ich Ihnen dienen?« fragte der junge Mann mit den grauen Schläfen kühl, aber der Oberinspektor hob abwehrend seinen ziegelfarbigen Handteller.

»Ich will Sie wirklich gar nicht in Anspruch nehmen, Mr. Rayne«, versicherte er lebhaft. »Nicht im mindesten. Wie käme ich auch dazu? Aber nachdem wir uns gestern kennengelernt haben, und ich eben hier bin, habe ich mir gedacht, ich müßte Sie eigentlich aufsuchen. Ich bin zwar nur ein alter schlichter Polizeibeamter, aber ich weiß, was sich gehört.«

»Ich freue mich«, sagte Rayne mit zurückhaltender Höflichkeit, aber da in diesem Augenblick vom Haus her ein leises Summen zu hören war, entschloß er sich, rasch noch einige verbindliche Worte hinzuzufügen. »Und wenn Sie sich Spittering Farm etwas näher ansehen wollen, so bin ich gerne bereit, Sie herumzuführen. Es dürfte Sie vielleicht manches interessieren.«

Murphy wackelte ganz leicht mit den Ohren und rieb heftig an dem Mörtelfleck an seinem Ellbogen.

»Natürlich würde mich das interessieren. Aber wissen Sie, allzuviel herumlaufen möchte ich doch nicht. Nur, daß ich mit gutem Gewissen sagen kann, ich kenne Spittering Farm. Es wird ja jetzt soviel von der Gegend gesprochen, und nach dem neuen Fall wird schon gar der Teufel los sein.«

Rayne lauschte eine Sekunde nach dem Haus, bevor er gelassen seine Frage stellte.

»Nach welchem neuen Fall?«

Der Oberinspektor schüttelte mit dem Kopf.

»Natürlich, davon werden Sie ja gar nicht wissen. Wenn man keine Klingel im Haus hat, wird man nicht belästigt und weiß nicht, was ringsum vorgeht. Das ist auch immer mein Traum gewesen. Keine Hausklingel, keine Zeitung und kein Telefon. Da lebte man schön ruhig dahin und hat keinen Ärger, keine Scherereien und keine Sorgen.«

Rayne hatte langsam den Weg nach dem Wohnhaus eingeschlagen, und der Oberinspektor stapfte etwas atemlos neben ihm her.

»Diese Hitze«, jammerte er. »Und dabei soll ein Mensch seine fünf Sinne beisammen haben, um so eine verdammte Geschichte aufzuklären.« Sie standen bereits auf den Stufen, und Murphy deutete mit dem riesigen Zeigefinger über die Parkmauer. »Es war wiederum da drüben. Ich schätze, es dürfte nicht mehr als ein paar hundert Schritte von hier sein. Wenn dort ein Schuß fällt, muß man es hier ganz deutlich hören. Besonders in der Nacht. Und man kann in wenigen Minuten drüben sein. – Kennen Sie das Wäldchen?«

»Nein«, erwiderte Rayne und lud den Oberinspektor durch eine höfliche Geste ein, einzutreten. »Ich komme nur selten nach Spittering Farm und hatte noch nicht Gelegenheit, mir die Umgebung anzusehen.«

Murphy nickte verständnisvoll und begann, kaum auf der Schwelle der Diele, sofort behaglich zu schnuppern.

»Oh, wie es hier duftet.« Er steckte ohne weiteres sein wohlgenährtes Gesicht durch die halboffene Küchentür, weitete die Nase noch mehr und sah sich bewundernd um.

Fanny, die glühend am Herd stand, wandte etwas mürrisch den Kopf, aber da Rayne dabei war, machte sie einen artigen Knicks, den der Oberinspektor mit einem schwungvollen Kratzfuß erwiderte.

»Verzeihung, Madam, aber wo ich eine Küche sehe, da muß ich hineingucken. Das ist meine schwache Seite.« Er wiegte bewundernd mit dem Kopf und ließ ein leises Schnalzen hören. »Großartig, wie das alles blitzt. Ich mache Ihnen mein Kompliment, Madam.«

Die flachsblonde Frau zeigte ihre starken Zähne, und Murphy lüftete seinen Panama und rannte die Diele weiter. Er wartete gar nicht auf die Führung seines Begleiters, sondern steckte die Nase neugierig durch alle Türen, und seine halblauten Ausrufe des Entzückens wollten kein Ende nehmen. Er fand auch den rückwärtigen Gang und lief hinauf in das Obergeschoß, wo er in dem getäfelten Zimmer einen Augenblick Rast machte.

»Ein wunderschönes Haus«, sagte er begeistert. »So etwas möchte ich auch finden, wenn ich einmal in Pension gehe. Da hätten meine Kakteen im Winter das richtige Licht, und im Sommer könnte ich sie in den Garten setzen. Nur etwas zu groß wäre so etwas für mich«, fuhr er nachdenklich fort, »und auch Sie können eigentlich mit den vielen Räumen nichts Rechtes anfangen. Die meisten stehen ja leer. Nun ja, drei Leute können sich nicht so ausbreiten.« Er ging zum Fenster, sah einige Augenblicke gedankenvoll in den Park und klopfte dann mit dem Fingerknöchel prüfend auf die starke Holzverkleidung. »Überall solide Zimmermannsarbeit«, äußerte er anerkennend, indem er seinen Blick bis zur Decke schweifen ließ. »Natürlich auch oben Holz. Sehr fein und praktisch. Ja, wenn man Geld hat, kann man sich so etwas leisten. Sie müssen ein paar tausend Pfund hineingesteckt haben. – Der Besitz gehört doch Ihnen?«

»Nein«, erklärte Rayne kurz, ging aber nicht weiter auf die Frage ein, und der Oberinspektor schien auch kein sonderliches Gewicht darauf zu legen. Er drehte seinen Hut zwischen den Fingern, blinzelte schläfrig vor sich hin und traf dann Anstalten, sich wieder in Bewegung zu setzen.

»Jetzt habe ich aber ihre Liebenswürdigkeit wohl schon zu lange in Anspruch genommen«, meinte er, indem er einen etwas erschreckten Blick auf seine Uhr warf. »Wie doch die Zeit vergeht. Und dabei habe ich noch nicht einmal einen Blick in den Keller und in das Dachgeschoß geworfen. Aber ich kann mir denken, daß dort auch alles so wunderbar eingerichtet ist, wie im ganzen Haus, und vielleicht komme ich ein andermal dazu. Nur Ihre berühmten Tiger möchte ich mir noch anschauen, falls Sie es gestatten. Denn die muß man ja gesehen haben, wenn man in Spittering Farm gewesen ist.«

»Selbstverständlich«, sagte Rayne und geleitete den Besucher wieder in den Park. Aber kaum kam der Zwinger in Sicht, blieb der Oberinspektor stehen und steckte den Kopf vorsichtig durch das Gebüsch.

»Wissen Sie«, flüsterte er etwas ängstlich, »weiter möchte ich nicht gerne gehen. Vor Schlangen und sonstigen wilden Tieren habe ich einen Heidenrespekt. Man kann ihnen nie trauen. Und ich sehe auch von hier ganz gut.«

Er starrte minutenlang nach dem Zwinger hin, aber als die Panther unruhig zu werden begannen, zog er rasch den Kopf zurück und trachtete sich schleunigst in sichere Entfernung zu bringen. Er hatte es überhaupt sehr eilig und machte erst am Tor wieder halt, das ihm Rayne selbst aufschloß.

»Wissen Sie, worüber ich mir seit gestern fortwährend den Kopf zerbreche?« fragte er unvermittelt und blinzelte mit seltsamem Gesicht zu dem großen Mann auf. – »Wo wir uns schon einmal gesehen haben. Oder wenigstens, wo ich Sie schon gesehen habe.«

Rayne hob etwas kühl die Schultern.

»Ich bin erst vor einigen Monaten wieder nach England zurückgekehrt.«

»Ich weiß. Von Java.« Der Oberinspektor nickte lebhaft und schien sich dann an etwas zu erinnern, denn er begann hastig in seinen Taschen zu kramen. »Es muß auch schon früher gewesen sein. So vor drei oder vier Jahren. Aber ich werde schon daraufkommen.«

Er lüftete bereits höflich den Hut, als ihm noch etwas einfiel. »Weil wir eben von Java gesprochen haben: Wir suchen einen Mann, der auch von dort hergekommen sein soll. Er ist in der Vorwoche mit der ›Niobe‹ in Folkestone eingetroffen, sofort nach London gefahren und in einem kleinen Hotel in Bermondsey abgestiegen. Er hat noch am Tage seiner Ankunft und auch an den beiden nächsten einige Wege erledigt, ist aber am dritten Abend nicht mehr zurückgekehrt. Er hat nur eine kleine Handtasche mit dem Allernotwendigsten, was man so mit sich führt, hinterlassen, und die Hotelleitung hat gestern für alle Fälle die Anzeige erstattet.« Murphy machte eine kleine Pause und bog die Krempe seines Strohhutes ins Gesicht. »Er soll an demselben Abend verschwunden sein, an dem die gewisse Geschichte in dem Wäldchen da drüben passiert ist. Vielleicht haben wir da endlich eine Spur.«

»Möglich«, gab Rayne leichthin zu und sah mit halbgeschlossenen Lidern über den Oberinspektor hinweg. Die Sache begann immer kritischer zu werden, denn der Mann von Scotland Yard befand sich offenbar bereits auf der Fährte.

Aber Murphy hatte sogar noch einen weiteren Trumpf in der Tasche. Er zog ein ziemlich abgegriffenes zusammengefaltetes Papier heraus, legte es auf den einen Handteller und strich mit dem anderen sorgsam darüber.

»Das haben wir in dem zurückgelassenen Gepäck gefunden«, sagte er. »Es ist allerdings nicht viel. Nur drei Worte: ›Essex, Chesterhills, Spittering Farm‹. – Seltsam«, murmelte er, indem er mit dem Kopf wiegte und das Papier wieder zu sich steckte. »Und das soll sich unsereiner jetzt zusammenreimen.«

Er zog mit einem etwas trüben Lächeln neuerlich den Hut, und Rayne sah ihm mit verkniffenen Augen nach, bis er hinter den Hecken auf dem Feldweg nach Chesterhill verschwunden war.


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