Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

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3

Der Assistent am Zoologischen Garten besah sich das Lehmstück, das ihm Oberinspektor Murphy ohne weitere Erklärung behutsam auf den Tisch gelegt hatte, sehr lange und eingehend, dann gab er Auftrag, einen bestimmten Aufseher zu rufen.

»Meiner Ansicht nach ist das entschieden die Fährte einer Großkatze«, meinte er, »ich möchte mich jedoch auf mein Urteil nicht ganz verlassen. Aber der Mann, der kommen wird, wird es uns mit unfehlbarer Sicherheit sagen. Er hat sich jahrelang in allen Weltteilen herumgetrieben, und gerade diese Tiere sind seine Spezialität.«

Der kleine ausgetrocknete Mann hatte aus seinen geschlitzten Augen auch kaum einen Blick auf den scharf umrissenen Abdruck geworfen, als er bereits im Bilde war.

»Die linke Vorderpranke eines Panthers. Es ist aber kein ausgewachsenes Exemplar.«

Murphys Augen funkelten, die Ohren gingen wie Wedel hin und her.

»Eines schwarzen Panthers?«

»Es kann auch ein gefleckter gewesen sein«, erklärte der alte Jäger mit einem Achselzucken.

»Wollen Sie sich vielleicht unsere Tiere ansehen?« fragte der Assistent entgegenkommend, und Murphy war von diesem Vorschlag sofort begeistert. Er hatte an diesem Vormittag schon so viel von diesen gefährlichen Bestien zu hören bekommen, daß es ihn gelüstete, sie näher kennenzulernen. Seine zoologischen Kenntnisse und Vorstellungen waren sehr verschwommener Art, wenn er aber mit einer Sache irgendwie zu tun bekam, liebte er es, darüber völlig im klaren zu sein. Der kleine dünne Spang schlürfte teilnahmslos hinter ihm drein, wie ein wohldressierter Hund hinter seinem Herrn. Er hatte keine Ahnung, worum es sich bei dieser seltsamen Exkursion eigentlich handelte, und Neugierde kannte er nicht. Er wußte, daß ihm eine vorzeitige Frage höchstens eine saftige Grobheit seines Chefs eintragen konnte. Wenn es an der Zeit war, würde ihn dieser schon auf die Fährte setzen, und dann begann seine Arbeit.

In dem ausgedehnten Raubtierhaus äugelte der Oberinspektor lebhaft nach allen Seiten, aber er mußte sich eine ziemliche Weile gedulden, ehe sie an Ort und Stelle waren. Man hatte die drei schwarzen Sundapanther, zwei alte Tiere und ein junges, sogar von ihren gefleckten Artgenossen abgesondert, da ihre unzähmbare Wildheit jede Verträglichkeit ausschloß. Sie hatten auch kaum die kleine Gruppe vor ihren Gitterstäben erblickt, als sie die langgestreckten Leiber aufschnellten und mit federnden Gelenken und fliegenden Flanken einen erregten Rundgang begannen.

Murphy hielt seine Melone mit beiden Händen an die Brust gedrückt und wandte keinen Blick von den fast tiefschwarzen wiegenden Körpern der geschmeidigen Katzen. Erst nach langen Minuten wandte er langsam den Kopf und winkte den Sergeanten ganz nahe heran.

»Sehen Sie sich das genau an, Spang«, raunte er. »Das sind sehr bösartige wilde Tiere. Ich mache Sie darauf aufmerksam, weil man bei Ihrer Einfalt nie vorsichtig genug sein kann.«

Spang riß gehorsam die Augen auf und nickte krampfhaft, wie er es immer tat, wenn er absolut nicht wußte, was sein Chef eigentlich von ihm wollte.

Erst als sie den Regents Park schon längst passiert hatten und in einer klapprigen Autodroschke gegen Süden fuhren, öffnete der schläfrige Oberinspektor wieder den Mund, und der arme Sergeant mußte abermals eine wenig schmeichelhafte Kritik seiner geistigen Fähigkeiten über sich ergehen lassen. »Wenn ich nicht wüßte, daß es bei Ihrer Beschränktheit ganz zwecklos ist, möchte ich Sie fragen, weshalb Sie mir eigentlich diesen Tagedieb Kitson mit seinem Stückchen Blech herangeschleift haben. Wissen Sie überhaupt, was das für ein Ding war?«

Der Sergeant machte sich so dünn wie möglich und blinzelte seinen Vorgesetzten forschend von der Seite an. Wenn dieser so gesprächig und ausfallend wurde, war gewöhnlich etwas los, und Spang machte seine Hechtschnauze noch spitziger als sie ohnehin schon war.

»Ich dachte, es sei ein Ring von einer Brieftaube«, bemerkte er etwas unsicher. »Jedenfalls kam mir das Zeug verdächtig vor.«

»Was Sie nicht sagen!« höhnte Murphy. »Es kam Ihnen verdächtig vor! Wenn ich meinem Hannibal, der doch nur ein Geschöpf mit vier Beinen ist, so ein Blechstück zeigen werde, auf dem eine Zahl, ein Panther und mein schöner ehrenwerter Name in einem Kreis eingeritzt sind, wird ihm das nicht nur verdächtig vorkommen, sondern er wird sofort auch wissen, was das zu bedeuten hat. Aber das ist eben ein intelligenter Hund, mein Lieber. Intelligenz, das ist die Hauptsache, und die haben Sie nicht. Wenn Sie sie nämlich hätten, würden Sie schon längst den gelben Affen bemerkt haben, der hinter uns drein ist, seitdem wir die Nase aus Scotland Yard herausgesteckt haben. Falls Sie sich aber unterstehen sollten, jetzt den Kopf nach ihm umzudrehen«, fügte er mit leiser Drohung hastig hinzu, »so kriegen Sie einen Puff, daß Sie wie ein Ball aus dem Wagen springen. – Wo, sagten Sie, daß dieser Aubrey Rayne wohnen soll?«

»118, Brook Street«, gab Spang dienstbeflissen zurück und starrte mit steifem Hals geradeaus.

Murphy beugte sich schnaufend zu dem Schofför und gab die Adresse weiter.

»Bei dem nächsten Zigarrenladen, an dem wir vorüberkommen, können Sie einen Augenblick haltmachen«, fügte er hinzu.

Das Stoppen geschah etwas unvermittelt, da der Mann das Geschäft erst im letzten Augenblick gewahrte, und der luxuriöse offene Zweisitzer, der dicht hinter der Droschke her war, mußte sich bequemen, rasch auszuweichen und vorzufahren.

Der Fahrer war ein eleganter Herr von etwa vierzig Jahren, aber viel konnte man von ihm nicht sehen, denn es schien plötzlich an der Kupplung irgend etwas nicht in Ordnung zu sein, und er hatte den Kopf tief nach unten gebeugt.

»Haben Sie ihn?« fragte Murphy leichthin, indem er aus der Droschke kletterte.

»Totsicher«, hauchte Spang, und er wußte, was er sich zutrauen durfte. Obwohl er dem Colonel Rowcliffe nur für den Bruchteil einer Sekunde voll ins Gesicht hatte sehen können, saß das Bild fest in seinem Gedächtnis, und er war imstande, den Mann fortan unter Tausenden wieder herauszufinden. Er besaß zwar keine Intelligenz, aber dafür hatte er andere besondere Fähigkeiten.


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