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Zweites Stück: Der Gode von Blankenhorn

Vom Christentume auf Island

m die Zeit gab es einen Thronwechsel in Norwegen. Hakon Jarl war von Olaf, dem Sohne des Tryggwi, einem Nachkommen Harald Schönhaars, verdrängt worden und dabei ums Leben gekommen: ein Verräter, Kark, der Knecht, hatte ihm im Felsenversteck, wohin er sich geflüchtet, den Hals abgeschnitten. Olaf aber war ein ebenso eifriger Christ wie Hakon ein Heide gewesen, und er ging so scharf vor, daß sich bald ganz Norwegen zum neuen Glauben bekehrte; denn wer das nicht tat, geriet unters Schwert der Bekehrer.

Als die Nachrichten davon nach Island kamen, gab's einen gewaltigen Aufruhr unter den Leuten: viele waren, die noch dem Glauben der Väter anhingen, und andere wieder waren schon der neuen Lehre ergeben. Da ging ein Streiten und Hadern durch alle Gaue.

Njal auf Bergthorsbühl fing um die Zeit an, die Menschen zu meiden. Hirten erblickten ihn oft, wie er einsam durch die Heide wanderte, stundenweit, und sie meinten ihn murmeln zu hören, als redete er zu jemandem, den sie nicht sahen.

»Großes geht vor!« sprach er daheim zu den Söhnen, »Gesichte seh' ich hinter den Wolken am Himmel, Geister kämpfen um die Seelen der Menschen, es zuckt in den Eingeweiden der Erde: wandeln will sich die Welt!« …

Dankbrand hieß ein Priester aus Bremen im Sachsenland, hoch und breit, wie ein Eichenstamm knorrig: ein gewaltiger Streiter durchaus, mit dem Worte Gottes und mit den Waffen nicht minder. Den sandte König Olaf nach Island. Er zog auf der Insel umher, predigte, taufte die Leute, und andere, die sich wider ihn setzten, erschlug er. Viele Häuptlinge standen ihm dabei getreulich zur Seite: Hall von der Leite im Osten mit seinen Brüdern und Söhnen und seinem Schwiegersohn Flosi von Schweinfels; im Westen Gest, Oddleifs Sohn; im Süden Gissur der Weiße, und vor allen andern Hjalti aus dem Stierachtale, der Hitzkopf. Dennoch mußte der Sachsenpriester nach zwei Jahren Island verlassen, denn auf dem Althing gewannen die Heiden die Oberhand, und er ward mit Hjalti wegen Lästerung der alten Götter des Landes verwiesen.

Aber Olaf Tryggwissohn ließ in seinem Eifer nicht nach. Hjalti trotzte dem Bann, kehrte zurück, und des Königs Geld fing an, im Land umzulaufen.

Als im Jahre eintausend nach des Heilands Geburt das Althing wie alle Sommer zusammentrat, waren die Leute so grimmig und scharf gegeneinander geworden, daß alle Bande des Gemeinwesens barsten, Christen und Heiden sagten sich Frieden und Recht auf, und schon kamen sie gegeneinander angestürmt mit geschwungenen Waffen. Da warf sich der Gode Snorri dazwischen, der größten Häuptlinge einer aus dem Westen der Insel, und schrie, daß es wie ein Donnerkeil einschlug: »Habt ihr vergessen, daß ihr ein Volk seid, blutige Narren? wessen Gott wird sich's zur Ehre rechnen, wenn Landsleute und Brüder einander selber vertilgen?«

Verdutzt starrten die ärgsten Schreier ihn an, für eine Weile verebbte das Toben, besonnene Leute kamen zu Wort, und nach langem Hin und Her wurden sie einig: ein Mann sollte darüber endgültig für sie alle entscheiden, welcher Glaube zu herrschen habe auf Island. Dazu wurde Thorgeir, der Sohn des Tjörwi, ersehen von den Christen wie von den Heiden; denn alle wußten, es gab keinen, der klüger wäre und von so unbestechlichem Sinn. Er aber erklärte: seinen Spruch fällen würde er nur, wenn sie's vorher alle miteinander beschwören wollten, sich ihm unverzüglich und ohne Murren zu fügen, ob es ihnen lieb oder leid wäre im Herzen. Danach sagte er, er müßte sich allein mit seinem Geiste bereden, ging in sein Zelt, legte sich nieder und zog sich einen Pelzmantel über den Kopf. So blieb er drei Tage und drei Nächte liegen und rührte sich nicht. Inzwischen kühlten sich die heißen Köpfe allmählich ab, einer erkannte den andern wieder als seinen Landsmann und Vetter: die Augen gingen ihnen auf, an welchen Abgrund des Verderbens sie hingetaumelt waren im Grimm, und als Thorgeir endlich aufstand und seinen Spruch tat, gaben sich alle damit zufrieden. Der lautete: Als Glaube des Volkes sollte von nun an das Christentum öffentlich gelten, wer aber den Göttern nach wie vor opfern wolle, müsse es im Verborgenen tun. Und Roßfleisch zu essen, sollte den Leuten erlaubt sein, obwohl das ein heidnischer Opferbrauch war und den fremden Bekehrern ein Greuel, denn davon hätte der gemeine Mann am schwersten gelassen.

So war denn wieder Friede auf Island. Da traten viele zum neuen Glauben über, weil sie einsahen, daß der stärker war als der alte. Nur ein ganz vorsichtiger Häuptling im Osten ließ zuvor ein paar alte Weiber taufen, um es an ihnen auszuversuchen, ob kein schädlicher Zauber dabei sei und danach erst entschloß er sich selber dazu.

Auch Njal mit seiner Frau und den Söhnen sowie allen Hausgenossen stieg ins Taufwasser. Skarphedin allein tat nicht mit. »Ich bin kein anderer geworden, als ich von je war: warum sollt' ich den Glauben da wechseln? mir gefällt es nicht, untreu zu werden gegen mich selber!« Und als sie ihm Njals Beispiel vorhielten, sprach er: »Ihm steht es an; denn er war immer in seinem Herzen ein Gefolgsmann des Christ, wenn es auch wenige erkannt haben werden wie ich!«

 

Hildigunn

ittlerweile war Höskuld zu einem trefflichen Manne gediehen, klug und gewandt in den Waffen, mit langem hellem Haar und offenen Augen im heiteren Gesichte. Freundlich kam er allen Leuten entgegen. So weit ihn sein Gaul immer trug, war er beliebt, und ihm gram zu sein, brachten selbst grobe Gesellen nicht fertig. Einer nur war, Mörd Walgardssohn: der haßte ihn wie der Maulwurf unter der Erde das Licht, das die tückischen Augen ihm blendet.

Da meinte Njal, es wäre nun an der Zeit, daß der Pflegesohn sich um ein Weib schaue und einen eigenen Haushalt begründe. – »Bestimme du, Vater,« sprach Höskuld, »du hast es noch immer am besten für uns getroffen!« …

Hildigunn Starkadstochter hieß eins der schönsten Mädchen auf Island, gescheit und in jeder Frauenarbeit geschickt, doch im Umgange etwas herb und verschlossenen Sinnes: gerne war sie allein, dann ließ sie ihre Träume ins Wunschland fliegen, und die stiegen hoch! Sie wohnte bei ihrem Oheim, dem Häuptlinge Flosi auf Schweinfels im Osten der Südküste, einem stattlichen Hofe unter den mächtigen Wasserstürzen, die von den Gletschern des Seeferners herab brausten. Flosi liebte sie sehr und war ihr in allem zu Willen.

Als sie an einem hellen Sommermorgen mit ihrer Handarbeit draußen saß, kam vom Tal her ein Trupp Männer herangeritten, an der Spitze ein alter Mann in Helm und blauem Mantel; ihm zur Seite ein junger, das helle Haar bloß, mit lachenden Augen, die strahlten wie die Sonne aus lichtem Gewölk. Ihr ward, als fühlte sie einen Stich leise im Herzen und das Blut stieg ihr ins Gesicht, ohne daß sie wußte warum.

»Sieh da, Njal mit seinen Söhnen!« rief's hinter ihr – der Oheim war's unter der Türe: »ein seltener Besuch, und im Festgewand alle! Was werden die bei uns wollen?«

Als die Gäste gegessen und sich ausgeruht hatten, gingen Njal und Flosi zum Zwiegespräch miteinander vor's Haus, und der Alte fing an um Hildigunn für Höskuld zu werben. Damit war Flosi nun wohl einverstanden, doch stellte es sich dabei heraus, daß er der Stolzen versprochen hatte, sie nur einem Häuptlinge zu vergeben, der ein Godentum besaß und damit thinghörige Mannen. Die Godentümer aber waren damals alle in festen Händen.

»So müssen wir neue schaffen!« sprach Njal.

Jedes Viertel des Landes hatte am Althing sein eigenes Gericht. Aber wenn die Schöffen unter sich uneins waren, konnte oftmals kein rechtsgültiges Urteil ergehen, und da suchten es die Leute meistenteils unter sich mit Schwert und Speer abzutun; denn es fehlte an solchen, die über zweifelhafte Sachen aus den Viertelsgerichten letzten Endes entschieden. Das brachte Njal am nächsten Althing zur Sprache, und es gelang ihm, die Männer zu überzeugen, die für die Gesetze zu sorgen hatten, daß da Wandel geschafft werden müsse. So wurde beschlossen, ein fünftes Gericht zu gründen: dahin sollten als oberstes alle Sachen aus den vieren gehen, die dort nicht zu Ende gebracht werden konnten. Und um dies Gericht zu besetzen, mußten neue Godentümer geschaffen werden, denn nur für Häuptlinge solcher Art war auf der Schöffenbank Raum nach des Landes Gesetz.

Da erwarb Njal ein Godentum im Osten von Bergthorsbühl an der Küste für Höskuld: davon hieß er seitdem der Gode von Blankenhorn unter den Leuten.

»Nun, Nichte, ist er dir jetzt recht?« fragte Flosi auf Schweinfels und lachte. Da stieg ihr das Blut ins stolze Gesicht, aber sie schwieg und dachte: »Einen andern Mann hätte ich schwerlich genommen, wenn es ihm nicht geglückt wär'!«

Im selben Herbst noch war die Hochzeit auf dem Gehöft ihres Oheims. Auch Mörd war unter den Gästen und machte sich mit den Njalssöhnen zu schaffen. »Schaut nur,« sprach er, »euern Vater: ganz jung ist er wieder geworden! das macht, sein teuerstes Kind, seinen Liebling hat er nun versorgt!« Er rieb sich die Hände. »Ist es nicht seltsam? der Sohn Thrains, den ihr erschlagen habt, ist nun durch eures Vaters Fürsprache Gode geworden!« Skarphedin sah über die Schulter. »Wir gönnen es ihm!« »Freilich, freilich! er verdient's, das sage auch ich! nur daß ihr, Njals rechte Söhne, dabei übergangen seid, wundert die Leute, und manch einer sagt: ja, der versteht seinen Vorteil, der Höskuld!« Grim blickte zur Seite. »Unsere Sache ist das: was kümmert es dich?« …

Höskuld und Hildigunn zogen in die Nähe von Bergthorsbühl auf den Wörsahof, und sie hausten gut miteinander. Njal war viel bei ihnen und blieb manchmal auch über Nacht dort. Das Gesinde zu Bergthorsbühl sprach darüber, was das für eine große Liebe zwischen Pflegevater und Pflegesohn wäre, und eines sagte etwas spöttisch, ob das dem Recht ihrer Hausfrau nicht Abbruch tun könnte am Ende. Da wurden die Njalssöhne unwillig. Aber Thora blickte verächtlich. »Laßt sie: Worte aus ungewaschnem Munde tun mir nicht weh! Zwischen Njal und mir stand es jederzeit so, daß niemand dem angekonnt hätte, und so wird es immer zwischen uns bleiben!« …

»Munter bist du, Mörd!« sprach Thorkatla, als er von der Hochzeit auf Haldenende zurückkam, »davon werden meist andere betrübt! was hast du dir ausgeheckt, he?« Er pfiff vor sich hin. »Saatkörner ausgestreut habe ich: noch schlummern sie zwar in der Erde, aber zu rechter Zeit werden sie aufgehn!«

 

Arge Saat

aum eine Wegstunde westlich von Grießach hauste auf Samstetten ein Schwager der Sigfussöhne, Lyting mit Namen: starken Leibes, aber plump von Gliedern und Geist, ein törichter Gesell voller Jähzorn, und wenn der verbraust war, hilflos und ohne Rat.

Zu dem kam eines Abends Mörd auf Besuch. Als sie vor den Bierkrügen saßen, runzelte der Gast die Stirne. »Sag einmal, Nachbar, reitet nicht seit einiger Zeit Rolf Njalssohn öfter an deinem Hofe vorüber?« »Alle Morgen schier,« brummte Lyting, »was soll's?« »Nun, ich meinte nur – es ist nämlich so: die Leute sagen, dir zum Verdruß täte er das!« »Wieso denn?« »Na, Vetter, hast du denn seinerzeit etwas von dem Bußgeld für Thrain erhalten?« »Ich? keinen Schilling!« »Siehst du wohl, leer ausgegangen bist du allein von den Verwandten. Darüber ward neulich unter den Nachbarn geredet, und sie meinten, die Sache mit Thrain sei noch nicht erledigt: vom Leder ziehn könntest du jederzeit, denn nicht mit eingeschlossen seist du in den Vergleich! Rolf aber lachte: ›Das will ich doch sehn, ob er's wagt! Jeden Morgen reit' ich von nun ab ihm zum Hohn an seinen Fenstern vorüber, aber da wett' ich meinen besten Ochsen im Stalle, der feige Kerl rührt sich nicht!‹« »Der Schuft!« schrie Lyting, rot wie ein gesottener Krebs im Gesicht, »so, du Hund, ist es gemeint! darum lächelt er immer, wenn er mich grüßt! aber wart', wenn ich dich wieder erwische!« »Du wirst doch nicht, Lyting.« »Was werde ich nicht?« brüllte er, »was der Hund will, soll er haben!« …

Acht Tage darauf saß Mörd bei dem Goden vom Blankenhorne zu Gast. Höskuld war wenig erfreut, und Hildigunn setzte ihm schweigend das Bier vor. Als nach dem Essen die Tische weggeräumt wurden, sagte Mörd: »Mich wundert's, daß Njal heute bei euch fehlt!« Höskuld lächelte. »Es kommt freilich nicht oft vor!« »Ich weiß! Aber meint ihr nicht auch, daß es zu einer Gefahr werden könnte für euch? Warum, fragt ihr? nun, fürchtet ihr nicht, eifersüchtig könnten die Njalssöhne werden, wo sie doch an ihrem Vater alle so hängen?« Der Gode lachte. »Um ihres Vaters Liebe bangen brauchen sie nicht: es langt für uns alle!« Mörd wiegte bedenklich den Kopf. »Je nun, ich weiß nicht: auf eurer Hochzeit ließ Skarphedin so etwas fallen, als habe Njal mit dem Godentum für den fremden Vogel im Nest besser als für die eigenen gesorgt!« Höskuld ergriff ihn beim Arme. »Skarphedin neidisch? nein, Mörd, das glaub' ich dir nicht! auch wissen sie, ihnen gehört alles, was mein ist, wie mir!«

Als Mörd weggeritten war und Höskuld, der ihn vors Haus begleitet hatte, zurückkam, saß Hildigunn am Fenster, die Stirn in den Händen. – »Hat dich der Bursche verstört?« fragte er. Sie sah auf. »Zuwider ist er mir mit seinen stechenden Augen. Dennoch, in manchem – vielleicht hat er doch nicht so unrecht: ohne Eifern zu sein, ist wenigen Menschen gegeben! acht haben solltest du, Höskuld! denn du,« sie stand auf und legte beide Hände ihm auf die Schultern, »du bist ganz ohne Arg!«

 

Hrodny

uf dem Gehöfte zu Berg saß Hrodny im Abend am Herde, Njals Geliebte vor langen Jahren. Auf ihren Sohn Rolf wartete sie, sah ins Feuer und dachte der alten Zeiten, da die Hände, die ihr jetzt welk im Schoße lagen, zärtlich gestreichelt wurden von Njal. Sie hatte ihm Treue gehalten; er hatte eine andere erwählt; aber den Sohn hatte er ihr zu Trost und Schutz hinterlassen, und ein guter Vater war er jederzeit ihm geblieben.

Herdenglocken läuteten. Die Sonne erlosch. »Was bleibt er heute so lang aus?« dachte sie.

Da hört sie: ein Wehruf tönt aus weiter Ferne, schwillt, Klagegeschrei von vielen Stimmen dringt näher. Sie erbleicht, steht langsam auf: ins Haus hinein stürzt das Gesinde. – »Was ist?« »Der Half! – Er soll es selber ihr sagen!«

Auf der Schwelle steht der Hirt, atemlos. »Rolf, Frau, erschlagen liegt er – im Geröll, bei Samstetten unterm Hof!« Sie stützt sich mit beiden Armen auf die Herdplatte hinten. »Wer – hat das getan?« »Lyting und seine Brüder – in den Gestrüppwald geflüchtet haben sie sich an der Querach!« Sie atmet schwer. »Spannt die Gäule an!« stößt sie's hervor, »ich will ihn sehn, wo er liegt!«

Durch die Dämmerung rattert auf dem holprigen Wagen der Karren …

Half zieht die Zügel an. »Da, Herrin!« flüstert er. Im Zwielicht unter dem Felsen, vor dem er sich gewehrt, liegt Rolf: in einer Blutlache der Kopf. Sie tritt heran und beugt sich über ihn. Dann richtet sie sich auf. »Es ist noch Leben in ihm!« sagt sie laut, »ladet ihn auf, nach Bergthorsbühl fahren wir: Njal weiß Wunden zu heilen!« …

In dichter Finsternis halten sie vorm Gehöfte. Sie schreitet voran. Hinter ihr schleppen Rolfs Leib keuchend die Knechte: »Wohin, Herrin?« Sie tritt an den Schafstall hin und tut die Tür auf. »Setzt ihn dort an die Wand!«

Aus dem Hause tritt Njal. Über ihn streckt Skarphedin ein Windlicht empor. Hinter ihm drängen sich die Brüder. »Wer lärmt hier bei der Nacht? Du bist es, Hrodny! was hast du?« »Weck' deinen Bettschatz, Njal, und kommt alle mit mir!«

Sie folgen ihr. Auf den Schafstall zu schreitet Hrodny, bleibt auf der Schwelle stehn, nimmt aus Skarphedins Händen das Windlicht und hebt es. »Seht her!«

Von der Wand starrt, die Augen offen im blutbefleckten Gesicht, der Tote sie an. »Rolf!« murmelt der Vater. »Gezeichnet hat ihn der Tod: hier ist nicht zu heilen! Warum habt ihr die Leichenhilfen ihm nicht gegeben, wie sich's gehört, und ihm die Augen geschlossen?« Hrodny reckt sich auf. »Das hab' ich euch zugedacht: darum brachte ich ihn hierher!«

Skarphedin nickt: Rache zu nehmen schwört dem Erschlagenen, wer ihm den letzten Dienst tut! Er neigt sich über den Bruder und drückt die Augen ihm zu.

Hrodnys Rechte hat Thora in die Hände genommen: da sinkt sie auf dem Schemel zusammen.

*

In der Finsternis streichen die Brüder durch die weite Gestrüppwüste an der Querache. »Halt!« flüstert Skarphedin. Von dem Hügel herab, der aus den Gebüschen vor ihnen im Sternenlicht ragt, tönt Stimmengemurmel. – »Sie sind es!«

*

Die Morgensonne strahlt vor der Haustüre Njals. Er sitzt auf der Bank davor und blickt in die Ferne: zwei Tage schon sind sie weg, seine Söhne.

Da kommen sie aus der Schlucht im Norden geschritten. Den blutigen Speer schüttelt Helgi über dem Haupte.

»Habt ihr sie gefaßt?« fragt der Vater. – »Entwischt ist uns Lyting, seine beiden Brüder haben wir niedergehauen!«

Abend war es geworden. Vom Rachezuge ermüdet, schliefen die Brüder und Kari schon lang. Da sprengte Höskuld vom Wörsahof her. Njal ging ihm entgegen. »Lyting war bei mir, Vater!« rief er. – »So dacht' ich es mir, und er wird sich vergleichen wollen mit uns!« Höskuld nickte. »Schweres hat euch mein Schwager angetan, Vater, nicht leicht wird es mir, zum Frieden bei dir zu reden, und doch: zertreten wir diesen Funken nicht gleich, so wird er zur Flamme, die all unsere Häuser bedroht!« »Das ist richtig,« sprach Njal, »dennoch, gut ist's, daß du nicht schon gestern gekommen, denn da hätt' ich weniger leicht auf Friedensworte gehört! und eines sag' ich dir gleich: verrechnen werde ich Lytings Toten nimmermehr gegen Rolf! bußlos lasse ich seine Brüder und doppelten Manneswert für den Sohn muß er mir zahlen!« »Zu allem ist er bereit: er zittert, seit er Skarphedins Axt krachen gehört in die Knochen der Seinen!« »Dir zulieb tue ich's, Höskuld, und wären meine Söhne noch wach, so käme es niemals dazu! doch mein Wort zuschanden machen werden sie nicht!«

Sie schlugen Hand in Hand, und Höskuld ritt wieder davon.

Skarphedin trat aus der Schlafkammer ins Freie, hinter ihm Kari und Grim. »Wer war das, Vater, der eben mit dir gesprochen?« »Höskuld,« sagte Njal. Helgi fuhr auf. »Wegen Lytings? um seinen Schwager zu schützen gewiß? Ihr habt euch verglichen?« »So ist's!« sagte Njal. – »Bitter ist das!« rief Grim, »wie mochtest du's tun ohne uns?« »Rechten wir nicht mit unserm Vater!« sprach Skarphedin, »es ist geschehen!«

Njal wandte sich um und ging ins Haus.

Die Brüder blieben im Sternenschein draußen. »Recht hat der Mörd gehabt!« rief Grim, »mehr gilt dem Vater der eine Höskuld als Rolf und wir, seine rechten Söhne alle zusammen!« Helgi knirschte. »Auf seinen ersten Gaul gehoben haben wir ihn und das Knäblein fechten gelehrt: so dankt er es uns! beschwatzt hat er hinter unserm Rücken den Vater! Hrodny unter die Augen zu treten, trau ich mich nicht mehr!« »Was sagst du dazu, Skarphedin?« fragte Kari.

Der lehnte am Türpfosten, die Arme über der Brust; kalt und scharf klang seine Stimme durchs Dunkel: »Er hat gewählt zwischen den Sigfussöhnen und uns: so soll ihm werden, was er sich selber erwählt!«

 

Schlimme Ernte

ls Mörd vom Totschlag an Rolf Njalssohn erfahren hatte, lief er einen ganzen Vormittag auf und ab in der Stube und rieb sich die Hände. »Im Gang ist der Karren: jetzt rollt er von selber bergab!« Und auch als er vernahm, daß der Gode von Blankenhorn einen Vergleich zustande gebracht hätte zwischen Njal und Lyting, blieb er guten Mutes. Doch sattelte er seinen Gaul und ritt zu Höskuld hinüber.

Dort aber traf er den Gutsverwalter allein an: Der Hausherr, hieß es, hätte sich mit der Frau nach Schweinfels aufgemacht zu Besuch bei ihrem Oheim Flosi; Njal sei dagewesen, den Tag nach Rolfs Begräbnis und habe ihm dazu geraten, bis zum Frühling drüben zu bleiben.

»Alter Eisfuchs!« dachte Mord, »verlöschen, meint er, soll so das Feuer von selber! aber ich schüre schon nach!« …

Den Winter über ließ sich Mörd öfter auf Bergthorsbühl sehen, und die Njalssöhne waren freundlicher zu ihm als früher. Schließlich kam es dazu, daß auch sie ihn besuchten. Da gab er Skarphedin zum Gastgeschenk eine Spange von Gold, Kari einen silberbeschlagenen Gürtel, und auch Helgi und Grim erhielt prächtige Gaben.

Als sie die daheim vorwiesen und Mörds Freigebigkeit rühmten, sprach Njal: »Einen teuren Preis werdet ihr dafür zahlen! was habt ihr an dem Tückebold nur gefunden, daß ihr euch gemein mit ihm macht?« »Er ist nicht so schlimm,« sagte Grim, »erklärt hat er's uns, wie sich's fügte, daß er beim Totschlag an Gunnar zugegen war wider Willen!« »Daß er zu lügen versteht, weiß ich wohl! Früher habt ihr auf mich gehört, meine Söhne, und ihr seid darum nicht schlechter gefahren!« »Wir waren es nicht, die zuerst vom Sippenwege gewichen!« sprach Helgi. – »Blind seid ihr!« rief Njal, »meint ihr, mich hat Rolfs Tod weniger getroffen als euch? um euretwillen vor allem schloß ich den Frieden!« »Weiser als deine Söhne bist du,« sagte Skarphedin, »wir aber sehn nun einmal nicht über des Bruders Leiche hinaus, und wir wollen's auch nicht!«

Immer häufiger kam Mörd zu Besuch, und als die Tage länger wurden, saßen er und die Njalssöhne oft vor dem Haus beieinander und steckten die Köpfe zusammen.

»Was haben sie nur immerfort mit dem Kerl zu beraten?« fragte im Bettverschlag Thora ihren Mann. – »Ich weiß es nicht,« sprach er, »was Rechtes ist's kaum, sonst würden sie mich dazuziehn! Allerhand, Frau, ist über uns in langem Leben ergangen, und nun ist's auch noch dazu gekommen, daß sich unsere Söhne trennen von uns!« Sie faßte nach seiner Rechten. »Zurückkehren werden sie in Reue zu dir, wie ich es getan!« »Dann wird es zu spät sein!«

*

Ein froher Winter ward es für Flosi auf Schweinfels: Hildigunn hatte er wieder, und von Tag zu Tag wurde der Gode vom Blankenhorne ihm lieber. Als es zu lenzen begann, fing Höskuld davon an zu reden, daß sie nun heimkehren müßten.

»Bleibt noch,« bat Flosi, »was treibt euch?« und er warnte: »Nachricht ist mir gekommen, Haßreden führen die Njalssöhne immer noch, Höskuld, auch sei es zwischen ihnen und Mörd zu dicker Freundschaft gediehen! das weissagt mir nichts Gutes für euch!« »Hörst du, Höskuld?« rief Hildigunn. Aber er lächelte nur. »Was sollte mir Böses kommen von meinen Brüdern? daß sie aufgebracht sind gegen mich, weil ich ihrer Rache an Lyting den Weg vertrat, ich versteh's: ihren Schmerz verwinden müssen sie erst. Aber die Zeit wird sie's lehren, daß ich auch zu ihrem Besten geraten!« Er ließ sich nicht länger halten und brach mit Hildigunn auf. Zum Abschied schenkte ihm Flosi einen Mantel von Scharlach, mit Goldborten rings eingefaßt. – »Groß ist deine Liebe zu uns, Ohm!« sprach Höskuld. – »Ich wollte,« entgegnete Flosi, »er könnte wie ein Zauberhemd vor allem Unheil dich schützen!« …

Als sie auf Wörsahof angekommen waren, ward Höskuld fröhlich. »Schön war's auf Schweinfels!« rief er, »aber am schönsten, Hildigunn, haust sich's doch mit dir daheim!«

Bald wurde es im Gau allenthalben bekannt, der Gode von Blankenhorn sei wieder da. Und kaum hatten's die Njalssöhne erfahren, da sprang Grim in den Sattel und ritt nach Groß Tempelhof. Mit Mörd kam er andern Tages zurück …

Mitternacht war's. In tiefem Schlaf lagen Thora und Njal. Da fuhr er plötzlich an einem jähen Herzschlag empor, starrte eine Weile ins Dunkel, dann stand er auf und ging in die Kammer der Söhne hinüber: die war leer! Nach ihren Waffen an der Wand griff er: sie waren weg! – »Was gibt's?« fragte Thora, als er schweren Schrittes zurückkam. Er saß neben sie am Bettrande nieder. »Unheil!« sprach er dumpf.

*

Im Mondlicht schlichen die Njalssöhne mit Kari und Mörd weit von Bergthorsbühl schon auf dem Wege zum Wörsahof. Mörd vornedran wandte sich um. »Gesellen,« sprach er, »ein guter Einfall ist mir gekommen: ich bleibe zurück und stelle mich morgen voll Wut über euch: Dann leit' ich die Klage am Althinge ein wider die Sippe und führe sie so, daß sie hinfällt! was meint ihr dazu?« »Daß du die Hosen voll hast!« knurrte Skarphedin, »drück' dich: wir brauchen dich nicht!«

*

Es ging gegen Morgen: unruhig warf Hildigunn sich im Schlaf hin und her und stöhnte leise. Besorgt beugte Höskuld sich über sie. »Was hat sie nur?« dachte er. Sachte stand er auf, sie nicht zu wecken, warf Flosis Scharlachmantel um und trat hinaus.

Eben zerfloß die Dämmerung vor dem Frühlicht. Noch war die Sonne nicht droben, aber schon flammte der Himmel golden im Osten, und Vogelgezwitscher tönte ringsum. Er ging durch die Wiese zum Hoftor hinaus. In grünem Flaum blinkten die Saatfelder weithin; überm Strom drüben, sah er, zog der Nachbar mit dem Ochsengespann hin, und von der Höhe dahinter spähte ein Mann herüber. Er saß auf einen Feldstein vorm Hügel nieder: ein leiser Lufthauch wehte den frischen Atem der Frühlingserde ihm zu.

Da hörte er leise Schritte knirschen im Kiese, und als er aufsah, standen in der Helle vier Männer in Waffen vor ihm wie aus dem Boden gewachsen … Er starrte sie an, sprang auf. »Skarphedin,« rief er, »was soll's?« Der schwang die Axt hoch. »Verräter! Gericht zu halten über dich, sind wir gekommen: gestohlen hast du uns des Vaters Liebe mit List und vor unsers Bruders Mörder bist du zu seinem Schutze getreten – so fällst du an seiner Stelle zu Recht!«

Er schlug zu. In die Knie brach Höskuld. »Was tut ihr, Brüder?« stammelte er, »Gott vergeb' euch!« Die Arme streckte er. Auf ihn ein hieben Helgi und Grim mit den Schwertern. Blutüberströmt fiel er zu Boden …

In ihrer Kammer fuhr Hildigunn aus dem Schlafe, tastete neben sich mit der Linken: »Höskuld!«

Zur Haustür hervor rannte sie, »Höskuld!« schreit sie, »Höskuld, wo bist du? bleib hier! weh mir, mein Traum!«

Durchs Gelände irrt sie weithin, ruft seinen Namen, und plötzlich, unter dem Hügel, wirft sie die Hände über den Kopf und stürzt in die Knie nieder über seinen blutigen Leichnam.

Vom Hofe herab kommt das Gesinde gelaufen, jammernd scharen sich Knechte und Mägde um sie am Boden. Da schnellt sie jählings empor: »Geschlachtet wie ein wehrloses Opfertier haben sie dich: Sonne vom Himmel, sieh her!« Ins goldne Licht hebt sie mit beiden Händen den Mantel des Toten, von dem trieft allenthalben das Blut.

*

Schweigend schreiten einer hinter dem andern die Njalssöhne heimwärts. Die Brauen hat Skarphedin niedergezogen, am Schnurrbart kaut Helgi, mit gesenkten Lidern geht Grim, bleich im Gesichte ist Kari.

Zwischen kahlen Höhenrücken hebt sich im Abendsonnenglanz Bergthorsbühl. Vorm Hause ragt dunkel im Lichte ein Mann.

»Der Vater!« murmelt Helgi. – »Verschweigen wir's ihm noch bis morgen!« spricht Grim. – »Deswegen ist's doch heute geschehn!« sagt Skarphedin, »kein Weib ist er: die Wahrheit verhalt' ich ihm nicht!«

Droben hebt Njal die Hand vor die Augen und sieht den Söhnen entgegen: langsam ziehen sie her; von blutigem Tagewerk, er weiß es, kommen sie heut'! haben sie sein Wort für nichts geachtet und den Vergleich mit den Sigfussöhnen gebrochen, so lebt Lyting nicht mehr!

Skarphedin, die Axt im Gurt, tritt auf ihn zu. »Wir kommen, dir den Tod deines Pflegesohnes Höskuld zu sagen!« Njal starrt ihn an … »Höskuld?« … Er sinkt zurück auf die Bank. »Jetzt habt ihr mich an der Wurzel getroffen!«

Stumm stehen die Söhne um ihn. Tränen rinnen ihm über die eingefallenen Wangen. »Höskuld, gefällt von den Brüdern! Bitter war mir's, als ich hörte, Thord sei erschlagen! schlimmer, viel schlimmer, da ich von Gunnars Tode erfuhr und als Hrodny mir den ermordeten Sohn im Schafstalle wies! aber das schlimmste im Leben ward mir bis zuletzt aufgehoben von meinen Söhnen!«

Skarphedin zuckt mit den Brauen. »Freilich, lieber als wir alle war Höskuld dir jederzeit!«

»Toren ihr!« ruft der Vater, »nicht um ihn allein traure ich! an euer eigenes Leben habt ihr die Axt gelegt: sein Tod zieht uns alle nach sich ins Grab!«

*

Bei Höskulds Ahne Hallgerd in Grießach sitzt Ketil Breitbart grade zu Gast, da kommt Mörd herangesprengt: eine Freveltat, unerhört, ist geschehn! der Gode von Blankenhorn, von den Njalssöhnen ist er ermordet! Nein, keine Lügenmären sind das! den Waffenlosen hat Skarphedin niedergeschlagen: von den Nachbarn selber hat er's erfahren!

Hallgerd fährt auf. »Nun habt ihr Sigfussöhne euern Lohn von der Njalssippe, wie ich's euch immer vorausgesagt habe! Machtlos, ein altes Weib bin ich geworden, aber in Granis Blut kocht er zum Glücke weiter, mein Grimm!« »Die Klage am Althing,« schreit Mörd, »müßt ihr erheben: gesühnt werden muß nach dem Gesetz solch eine Tat, geächtet müssen die Njalssöhne werden für immer, Waldgänger auf Lebenszeit müssen sie werden! und dir, Ketil, kommt's zu, die Klage gegen die Mörder zu führen – der älteste in der Sippe bist du!«

In den Nacken langt Ketil sich mit der Rechten. »Njals Tochtermann bin ich! es heißt nicht umsonst: am nächsten sitzen der Nase die Augen! ein heikles Ding würde das für mich werden daheim! Auch kennen wir Sigfussöhne uns schlecht mit den Gesetzen und Rechtsbräuchen aus!« »So laß mich die Sache führen für euch!« ruft Mörd, »ich weiß um die Kniffe! ein Freund war mir Höskuld! vergebens habe ich bei den Njalssöhnen allezeit zum Frieden geredet: nun will ich, treffen soll sie die Strafe!«

Da wundert sich Ketil über seinen gewaltigen Eifer und tritt die Klagesache ihm ab. Zugleich schicken sie Eilboten zu Flosi nach Schweinfels, ihm den Totschlag an Höskuld zu künden. Und Mörd reitet nach Wörsahof, die Nachbarn zum Zeugnis aufzurufen am Althing, denn es ist nicht mehr lang bis dahin. Wenn er aber mit den Njalssöhnen zusammentrifft irgendwo, stellen sie sich fremd und kalt gegeneinander.


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