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Erster Teil.
Njal, der Seher, und Gunnar, der Held

*

Erstes Stück: Verblendung

Heimkehr

och im Norden ist's. Ringsum dehnt sich bis zum Himmelsrande das Meer. Die Abendsonne glänzt über den tiefblau rollenden Wogen: draus sprühen allenthalben silberne Schaumkronen auf. Einsam rauscht ein Drachenschiff durch die schimmernde See, das weiße Segel vom Wind aus dem Süden gebläht. Über den Wellen nickt der schwarze Schädel des Ungetüms mit aufgerissenem Rachen, blutrot schießt der Bug durch die Flut. Am Vordersteven steht Gunnar, der Sohn des Hamund im Helm, das Schwert an der Seite, die Rechte auf die Brüstung gestützt. Zum Eisenhut hervor quillt ihm das helle Haar auf die Schultern; der gelbe Bart kräuselt sich über der Brust; die Augen, dunkelblau wie das Meer unter ihm, spähen nach Norden hinaus.

Vom Auslande kehrt er zurück: vier Jahre lang war er auf Abenteuerfahrten, auf Wiking gewesen, Ruhm zu erringen und Reichtum. Mit Dänen und Schweden hat er gekämpft zu Land und zu Wasser, mit den Estenvölkern im Osten hat er sich geschlagen; Gold und Silber in Fülle, herrliche Kleinode hat er erbeutet: das Kostbarste aber führt er als Gastgabe seines Norwegerfreundes mit sich: Ölwirslust, die schärfste der Klingen, und die Hellebarde mit dem stahlblauen Axtblatt am silberbeschlagenen Schaft und der ragenden Spitze darüber – hellauf gellt es aus ihr, wenn er sie, um in die Schlacht zu ziehen, ergreift: Männertod sagt sie an.

In der Ferne am Himmelssaum schwimmt es, ein weißes Wölkchen, empor, wölbt sich, wächst. Fester umfaßt seine Rechte den Rand der Reling: nein, keine Wolke ist das!

Aus dem Laderaum steigt Kolskegg herauf, streicht sich das braune Gelock aus der Stirn und tritt neben den Bruder. Den Arm streckt er. »Island!« ruft er. Gunnar nickt sachte. »Die Heimat!«

An den Brüstungen schart sich hinter ihnen die Mannschaft …

Zum Himmelsrande hinab neigt sich die Sonne: purpurrot glühend erschaudert das Meer. Aus dem Glanze vor ihnen steigt statt der Wolke Gletschergewände eisumstarrt steil aus der Flut, dunkel drohen Berggipfel dahinter in Scharen.

»Der Inselferner!« ruft Kolskegg, »der Gewaltige mit seinem Doppelkopf ist's! nach Westen müssen wir wenden!«

Sie segeln der Küste entlang. Jeden Fleck Erde drüben kennen sie nun. Da ist er, der mächtige Waldstrom, der seine grünlichen Fluten von den Gletschern herab ins Meer stürzt! Dort am Fuße des Ferners lärmen zu Felsheim die Vettern ihres Freundes, die wilden! Zu Walden am Strome sitzt jetzt wohl in der Abendkühle vorm Hause ihr Mutterbruder, der Sigfussohn, Ketil Breitbart, und plaudert mit seinem Nachbarn Runolf, dem Sandgodensohn!

Nach Gunnars Arme greift Kolskegg. »Bruder, das Dreihorn!« Im Westen des Inselferners landeinwärts ragt es mit zackigen Gipfeln hinter dem langen Rücken der Stromhalde hervor: darunter liegt auf dem Hügel im Tal Haldenende, ihr Heim; dort haust ihre Mutter mit Hjört, dem Jüngsten – der wird schön aufgeschossen sein in den vier Jahren!..

Still gleitet in des Nordens heller Sommernacht der Drachen durch die beruhigte Flut. Im lichten Schleier des Zwielichts blinkt See und Land – Ahnung und Geheimnis zugleich! Ein Rauschen dringt aus dem Dämmer den Brüdern ans Ohr: die Zweigache strömt über die Felsen an ihrem Grunde ins Meer.

»Bergthorsbühl!« murmelt Gunnar: dort hinter der Höhe im Dämmer, dort muß es sein: dort schläft jetzt mit seinem Weibe Thora und den vier Söhnen der Seher! »Njal, mein Freund, nach dir verlangt hat es mich all die Jahre, du weisester und gütigster unter den Menschen!«

Da fängt der Himmel an dort, wo die Sonne untergegangen, sich von neuem zu röten …

Der Morgen erstrahlt. Noch zeigt sich kein lebendes Wesen am Lande. Vogelgelärm nur gellt von den Klippen. An der Krummache und am Stierstrom sind sie vorübergerauscht, an der Mark der Gaue im Süden und Westen. Und nun segeln sie in die seebreite Mündung des Flusses, der fernher vom Althingfelde herabströmt. Links ragen Häuser an einer Bucht auf: das ist Arnhausen, der Hafen. Dorthinein gleiten sie.

Am Strande stehen im Sonnenschein ein Halbdutzend Männer, vornedran einer lang und hager, bartlos das schmale Gesicht: der hält das Kinn in der Hand, eng beieinander forschen die Augen hinter der stolz geschwungenen Nase wie aus dunkler Tiefe dem Drachen entgegen.

»Njal!« ruft Gunnar. Auf den Kies knirscht der Kiel. Er springt vom Borde herab. Sie schütteln einander die Hände. »Du hier, Njal: was treibt dich her, Freund?« »Ferneher hab' ich dein Kommen im Geiste gespürt, und als mein Leib im Schlaf lag, war's meine Seele, die dich im Schiff nahen sah: da wollt' ich dich in der Heimat begrüßen! Komm nach Bergthorsbühl mit, daß ich dir dein Geld wieder aushändigen kann: es hat dir Zinsen getragen!«

*

Wie Feuer in dürrem Heidegras läuft's durch den Gau: Gunnar ist heimgekehrt, reich an Ruhm und an Schätzen!

Frohe Kunde ist das seinen Mutterbrüdern, den sieben Söhnen des Sigfus: die sitzen rings im Land auf ihren Gehöften vom Inselferner bis an die Krummach im Westen. Und der Jüngste darunter, geringer an Jahren noch als der Neffe, Thrain der Wildfang in Grießach, eine Stunde weit nur von Haldenende, der lacht übers derbe Gesicht. »Nun haben wir wieder einen Führer im Gau!«

Andere aber sind, die hören's mit heimlichem Ärger; denn nur solche, die selber ein Herrenherz in der Brust tragen, wissen sich auch an ihrem Orte zu fügen: immer und überall sind kleine Leute Empörer! Da grollt auf seinem Gehöfte am Fuße des Dreihorns Starkad mit den Söhnen, und sein Schwager Egil aus Sandschlucht am Forellensee brummt: »Der Troll hat ihn uns heimgebracht, den Gunnar von Haldenende: nun wenden sich sicher wieder alle Köpfe auf dem Thinge nach ihm!«

Der aber unter den Nachbarn heimlich am ärgsten wider ihn hetzt, ist Walgard der Graue aus Groß Tempelhof an der Krummach mit seinem Jungen Mörd, dem verschlagenen Gesellen. Eine Base Gunnars hat Walgard zum Weibe gehabt, die war bei der Geburt des Knaben gestorben: der reichen Erbin hatte Gunnar die Heirat mit dem Tückebold widerraten. Seitdem haßt Walgard ihn, so freundlich er ins Gesicht ihm auch lächelt.

 

Auf Bergthorsbühl

nmitten grüner Weiden ragte Njals Haus mit Ställen und Vorratshütten am Hügel. Unten im Tale wälzte die Zweigache ihre lehmgelben Fluten.

Eingetroffen war der Hausherr mit den Gästen vom Drachenschiffe daheim. Beim Abendtrunk saßen sie in der stattlichen Halle mit Schilden und Schwertern rings an den Wänden: Njal zur Linken Gunnar und Kolskegg; zu seiner Rechten Thora, die Hausfrau, kaum weniger hochgewachsen als er, stark von Knochen, um den Mund zwei strenge Falten im sonnengebräunten Gesicht; herb und fest schauten die grauen Augen daraus; ihr jüngstes Töchterchen Helga lehnte das Silberköpfchen an ihre Seite.

Ihnen gegenüber die Söhne, die Arme am Tisch aufgestützt. Den Rolf mit dem lichten Krauskopf hatte Njal vor der Ehe noch von der schönen Hrodny, seiner Nachbarstochter gewonnen. Die Väter, einander verfeindet, ließen die Heirat nicht zu, und als sie starben, hatte Njal schon Thora gefunden. Nun hauste Hrodny auf dem Gehöfte zu Berg im Norden des Dreihorns mit Rolf, aber so oft der schlanke Bursch in Bergthorsbühl zukehrte, und das war nicht selten, wiesen ihm Thora und Njal wie einem rechten Kinde den Sitz, und die Stiefbrüder rückten gerne vor ihm, denn sie hielten getreulich zusammen, alle Geschwister. Die andern hatte Thora dem Hausherrn geboren. Alle drei hatten sie, selber noch jung, junge Frauen, und sein eigenes Gehöft besaß in der Nähe ein jeder, aber zumeist schafften sie doch wie in lediger Zeit bei den Eltern, und den Schwiegertöchtern war's recht.

Skarphedin, der älteste, höher und breiter in den Schultern als Vater und Brüder, beugte, die langen Beine gestreckt, den Oberleib über den Tisch; hart blickten aus dem fahlen Gesichte die steingrauen Augen; tief hing ihm zu beiden Seiten des Hakenkinnes der Schnauzbart herab, darunter bleckte grimmig zur Oberlippe hervor das Gebiß, und daran kannte man ihn von weitem; hinter ihm an der Wand lehnte die »Schlachthexe«, seine Streitaxt, die breite: hinterm Gurt trug er sie stets auf all seinen Gängen. Über seine Schulter sah Helgis helles Gesicht, vom rötlichen Flaumbart umschimmert: der hatte die reiche Thorhalla im Westen, Asgrims Tochter auf Achenzunge zum Weibe. Grim neben ihm, der Jüngste, hielt die Stirne gesenkt, dunkel hing ihm das glatte Haar ums Gesicht.

Von ihren Fahrten und Kämpfen im Ausland erzählten Gunnar und Kolskegg. Da fragte Njal, ob sie ihm von der neuen Lehre zu berichten wüßten, die jetzt mächtig ward in der Welt, von der Botschaft des Christ aus dem Süden. – »Allzuviel hab' ich mich nicht drum gekümmert,« sagte Gunnar, »denn die ihm anhängen, reden wohl anders, aber handeln tun sie, scheint mir, grad so wie wir!« Skarphedin grollte: »Ich mag sie nicht leiden: in Weibertracht laufen ihre Priester herum, und vorm Kreuze rutschen ihre Männer auf den Knien wie Knechte! den Stolz beugen wollen sie uns!« Njal stützte den Kopf auf. »Ich weiß nicht! anders hat mir darüber vor Jahren einer ihrer Mönche auf Irland berichtet. Ein Krieger ohne Furcht sei für seinen Vater, den Himmelsgott, der Christ auf Erden gewesen, zum Tempel hinausgepeitscht habe er das Krämervolk in der Judenstadt, er ganz allein, und in den Tod sei er wie ein rechter Fürst für seine Gefolgsleute gegangen. Und noch eines, sagte das Mönchlein, lehre er uns: in uns selber hineinschaun, daß wir unsere Gedanken erforschen, gerechtes Gericht zu halten über uns selber!« Skarphedin sprach: »Gericht über mich mögen andere halten! mich kümmert nur eines: daß wir Njalssöhne allezeit unsere Köpfe so steif und hoch tragen, wie es die Väter getan!«

Als die Hausgenossen mit Kolskegg zu Bett gegangen waren, und die beiden Freunde allein in der Halle vorm verflackernden Langfeuer saßen, fragte Njal, was Gunnar nun zu unternehmen gedächte. – »Heim nach Haldenende will ich zunächst, und dann denk' ich, aufs Althing zu reiten, die Freunde von überallher zu begrüßen.« Dort, auf der Gerichtsstätte des Althings nämlich, kam im Sommer das Volk aus ganz Island auf zwei Wochen zur Beratung seiner öffentlichen Angelegenheiten zusammen. Njal schwieg eine Weile, dann sprach er: »Tu's nicht, besuch' nicht das Althing! es warnt mich im Innern, Schlimmes könnte dir davon kommen! und doch ist mir, du wirst nicht auf mich hören!« Gunnar schüttelte sachte den Kopf. »Um deine Zukunftsgesichte beneid' ich dich nicht: eine lähmende Last muß es sein, stets vorauszusehen, was kommt!« »Anders ist das, als du meinst: so fest bestimmt ist das Geschick keinem Menschen, daß es sein Wille nicht mit zu lenken vermöchte. Nicht von außen nur kommt's: auch in der eigenen Brust regt sich unser Schicksal!«

 

Die Thingfahrt

om Hause herab eilte die alte Mutter den Söhnen entgegen, als sie auf Haldenende vorm Hoftore hielten, und schloß sie in die hageren Arme. Mit leuchtenden Augen sah Hjört an den Brüdern empor. Und alsbald kamen die Nachbarn von allen Seiten herbei, die Heimgekehrten zu grüßen. Da folgte ein Gastgelage dem andern, immer wieder mußten sie von ihren Abenteuern erzählen, und es dauerte eine Weile, bis sie dazu kamen, sich richtig umzuschauen auf ihren Gütern.

So nahte der Tag des Althings heran. Kolskegg drängte den Bruder zu reiten. Gunnar dachte ans Warnen des Freundes und sträubte sich lang, endlich aber wuchs sein eigenes Verlangen, die Bekannten alle wiederzusehen, so stark, daß er ihm nachgab. Er holte die Festgewänder hervor, die er vom Dänenkönig Harald Blauzahn zum Preise erhalten, als er am Hofe des Fürsten seine Gefolgsleute in allen Waffenkünsten besiegte, und stieg mit Kolskegg zu Roß, prächtig zu schauen: im Helm, den blauen Mantel mit Silber bestickt, das Schwert Ölwirslust an der Seite, die Hellebarde im Bügel.

Lange sah ihnen die Mutter mit Hjört nach, wie sie im Tal dahintrabten. »Da reitet der tapferste und der schönste Mann auf ganz Island: mein Sohn! und seinen Rücken schützt ihm wie immer der treueste Bruder!«

*

Das weite Thingfeld hallte vom Gelärm des versammelten Volkes. Vor ihren Buden und Zelten standen in der Abendsonne die Goden, die Häuptlinge heißt das, die Gauführer und zugleich Tempelvorsteher waren. Wo sich die Brüder zeigten, gab's frohe Begrüßung. Asgrim von Achenzunge, der Schwäher des Njalssohnes Helgi, ging ihnen freudig entgegen. Gissur, der Weiße von Moosberg und sein Freund Geir von der Halde schüttelten ihnen die Hände. Hjalti, der Christ aus dem Stierachtal, faßte nach ihrer Rechten. Und bald waren sie dicht umringt von einer Schar alter Bekannten …

An einem klaren Morgen war Gunnar früh aufgestanden im Zelte und ging, Wasser zu holen, zur Axtach hinab, dem reißenden Strome, der durch die Thingebene braust. Nachdem er den Krug gefüllt, saß er unter den Felsen nieder am Strand: aus dem Schatten leuchtete sein Purpurrock mit goldenem Saum; den bloßen Kopf in die Hand gestützt, sann er vor sich. Da hörte er Frauenstimmen erschallen und helles Gelächter; auf dem schmalen Uferpfad nahte eine Schar Mädchen, an der Spitze eine, höher als die andern gewachsen: schlank und geschmeidig schritt sie in lichtem Linnengewand; goldrot glänzte über der Brust in der Sonne ihr langes Haar, das hatte sie nach vorn unter den Silbergürtel gezogen. So schien sie in einem Licht, das von ihr selber strömte, zu nahen. Wie in einem Glanzschleier sah er dahinter das helle Gesicht, leis vom Blute durchschimmert. Und jetzt heftete sie den Blick aus den schillernden Augen auf ihn …

Kichernd zogen die Mädchen an ihm vorüber und pufften einander sacht mit dem Ellbogen in die Seite.

In schneeweißem Linnen stand sie vor ihm, unter der hohen Brust die Arme gekreuzt. Die Hände ließ sie sinken und trat auf ihn zu: fremd war ihm Frauennähe in steten Männerkämpfen geworden. »Du bist Gunnar, Hamunds Sohn?« ertönte ihre Stimme in der Stille, wie wenn bei Festgelagen Kristall an Kristall klingt. Er nickte schweigend. – »Hallgerd, Höskulds Tochter aus dem Lachsachtal an der Breitenföhrde bin ich! Lügen die Leute nicht, so bist du es unter den Männern, mit dem es zu reden mir lohnt, denn den größten Helden heißen sie dich!« Ohne die Augen von ihr zu wenden, sprach er: »An Stolz zu fehlen scheint es dir nicht!« »Nein,« sagte sie, »das ist's, woran alle sich stoßen, die selber keinen besitzen!« »Da hat sie recht!« dachte er.

Sie ließ sich aufs Moos neben ihn nieder, löste den Gurt um die Hüften und stützte den Ellbogen aufs hochgezogene Knie: rotgolden schimmerte jetzt dicht unter ihm die Flut ihrer Haare, von der atmenden Brust leise bewegt. »Erzähl' mir von deinen Fahrten im Osten!« Auf die helle Schale der Hand, in der ihr Kinn ruhte, blickte er nieder. »Da ist nicht viel zu berichten: es ging mir nicht anders als jedem, der auf Wiking auszieht und Glück hat!« »Wer selber groß ist, der achtet nicht groß, was andern gewaltig erscheint: daran erkenne ich, daß der Held echt ist!« Sie hob das Gesicht zu ihm auf: aus der Tiefe der meergrünen Augen quoll es empor, unverhüllt, das Verlangen nach ihm. Sengend überströmte es ihn: er wandte sich unwillig ab im Kampf mit sich selber. Ihr Blick flammte auf und sie schnellte empor mit dem geschmeidigen Leibe. »Hast du etwa die Leute schon reden gehört über mich?« Er schüttelte schweigend den Kopf. – »Verächtlich ist mir ihr Raunen! Wisse, zwei Männern schon war ich vermählt, und beidemal ging es bös aus! Willst du es hören, wie's kam?« …

Die Sonne war schon über die Mittagshöhe am Himmel geglitten und strahlte in die Felseneinsamkeit über dem Strome. Die meergrünen Augen zu ihm aufgewandt, sprach sie immer noch. Still lauschte er ihr, und sein Blick folgte dem regen Spiel ihrer Lippen. Da umspann sie ihm, wie sie seine Sinne gefangen genommen, mit ihren Worten die Seele. Endlich warf sie den Kopf in den Nacken, daß ihr Haar zurückwogte. »Nun weißt du es, wie ich mich wehren gemußt: vergeben wider meinen Willen laß ich mich nicht!« Er fuhr auf. »Ein Frevel wär's an dem Gott, der dich erschaffen!« rief er, »ich wollte, beschützen dürfte ich dich!« Nach ihrer Hand griff er: die widerstrebte ihm nicht – da zog er ihre Rechte an sich. »Wär' es auch wider deinen Willen, wenn ich um dich freite?« Sie lächelte und blickte unter der Stirne hervor ihm ins Gesicht. »Mutig heißt man dich mit Recht!«

 

Trugaugen

ls es Abend ward, stand Gunnar in der Bude der Lachsachleute vor dem Goden Höskuld und warb um Hallgerd, die Augen noch trunken vom Glanze, der aus den ihren geströmt. Aufmerksam hörte der Alte im Graubart ihn an. »Gewiß bist du mir willkommen, aber mit ihr hat's seine besondere Bewandtnis!« Er seufzte. »Doch darüber mag dir der Bruder berichten! – Hrut!« rief er und ging hinaus. Hinter dem Vorhang trat ein großer Mann hervor mit weißem Schnauzbart im wettergebräunten Gesicht. »Du also willst die Hallgerd zum Weib haben?« fragte er; »seit wann kennst du sie denn?« »Seit heute früh!« »Nicht allzu lange ist das!« Er ließ den Schnauzbart durch die Rechte gleiten und dachte nach. Vor die Augen trat es ihm wieder, als wäre es heute gewesen, wie er sie zum ersten Male erblickt …

Nach langen Jahren war er einst heimgekommen von Wikingfahrten im Westmeer. Geheiratet hatte der Bruder inzwischen, aber die Frau war ihm nicht lange nach der Geburt der Tochter gestorben. Als Hrut zum erstenmal wieder in der Halle daheim saß, sah er unter der Kinderschar vor der offenen Türe ein Mädchen spielen mit langen goldroten Haaren, die gingen ihr bis unter die Knie. »Komm herein, Hallgerd,« rief Höskuld, »das ist dein Ohm hier!« Sie lief auf ihn zu. Er nahm sie bei den Händen und schaute ihr in die Augen, die schillerten grün wie vor dem Sturme das lebenverschlingende Meer. Höskuld schickte sie wieder weg zu ihren Gespielen. »Nun, was sagst du zu ihr?« fragte der Gode, »ist sie nicht schön?« »Sie ist's,« sprach er, »aber – sag, Bruder, wie gerieten die Trugaugen in unser Geschlecht?« Darüber kam es zwischen ihnen zu schwerer Verstimmung.

Er fuhr auf aus seinen Gedanken und hob die Augen zu Gunnar empor. »Hat sie dir von ihren beiden Männern gesprochen?« »Sie hat es!« »Dennoch sollst du es auch von uns hören, denn da könnte doch manches anders erscheinen, als sie's sieht!« Und er erzählte ihm offen und ehrlich, wie es sich mit ihr verhielt. »Kaum fünfzehn Jahre war sie,« sagte er, »als ihre Schönheit schon den Burschen rings im Gau in die Augen zu stechen begann, daß immerzu böse Händel unter ihnen entstanden. Da waren wir froh, sie in gute Hände zu geben, als Thorwald, der Godensohn, um sie warb. Sie aber grollte uns in ihrem Hochmut, weil wir sie vergeben hatten, ohne sie erst zu fragen.« »Hatte sie da nicht recht, euch zu grollen?« »Hör, welch ein Ende es nahm! Thjostolf hieß der Milchbruder ihrer Mutter: seit ihrem Tode wich er der Kleinen wie eine Kindermuhme nicht von der Seite, und bald hing sie an ihm mehr als an uns! Ein übler Gesell war's, und es hieß, er treibe insgeheim unsaubere Künste. Nun war er ihr in die neue Heimat gefolgt: ihm klagte sie ihre Nöte und reizte ihn auf gegen Thorwald, bis der Unhold dem Mann die Axt hinterrücks in den Kopf hieb! Hat sie es dir so erzählt, Gunnar?« »Ähnlich, nicht ganz so! aber sprich weiter!« »Mit einem Kinde kehrte sie heim, einem Mädchen, der schlanken Gerd, ungleich der Mutter, zart von Gliedern und schüchternen Herzens. Ein Jahr nach dem Tode Thorwalds warb wieder einer um Hallgerd: Glum, Oswifs Sohn. Diesmal fragten wir sie, ob er ihr recht sei, und sie stimmte zu, denn er war ein stattlicher Bursch, verliebt bis über die Ohren. Dennoch mochte sie auch diesmal von Thjostolf, dem Unhold, nicht lassen, als wären ihre Seelen vom Schicksal heimlich verknüpft miteinander. Sie nahm ihn mit sich. Und bald kam es dazu, daß er den Mann aus Eifersucht im eigenen Hause erschlug. Freilich geschah es diesmal ihrem Willen entgegen. Auch nahm sie es schweigend hin, daß ich dem Hexenkerl ein blutiges Ende bereitete, als der auf der Flucht zu uns ins Lachsachtal lief. Das ist's,« sagte er, »was wir dir nicht verhehlen wollten, denn wir schworen's uns zu, Schaden tun sollte sie nicht mehr, so weit wir's zu hindern vermögen!«

Gunnar stand auf. »Ich danke euch, daß ihr gesprochen, ohne sie und euch selber zu schonen, als Männer zum Mann. Aber anders denk' ich in dieser Sache als ihr: ein köstliches Gut, meine ich, gilt's hier zu bergen, denn etwas Köstliches ist es um ein Geschöpf, das die Götter gebildet wie sie! Freilich, einen Mann braucht sie, der sie leitet und ihren hohen Mut vom Hochmut zu säubern versteht! Und da ist es nun so, daß ich es als Schimpf nehmen würde, wenn ihr sie mir weigert!« »Das soll nicht sein!« sagte Hrut und rief den Bruder herein. Sie schickten nach Hallgerd. Da ward sie ihm angelobt und legte vor den Verwandten als Zeugen beide Hände in seine Rechte. Auf Haldenende sollte die Hochzeit im Herbst sein.

Zu alledem verhielt sich Kolskegg sehr still: Gunnar in seinem Glück übersah es, die Braut aber fing es doch an in die Länge zu wurmen. »Ein neidischer Gesell scheint mir dein Bruder zu sein!« sprach sie, denn anders erklären konnte sie sich seine Schweigsamkeit nicht. Da lachte Gunnar. »Warum nicht gar? grad so gut könnte mir einer vormachen wollen, eine häßliche Hexe wärst du! Kolskeggs Sache war's nie, viel zu reden!«

*

Nach Bergthorsbühl ritt Gunnar auf dem Rückweg vom Thinge. Vorm Hause stand Thora und sah ihn herantraben. »Gunnar kommt, Mann!« rief sie ins Haus zurück. Njal trat ihr an die Seite und hob die Hand vor die Stirne.

Schnell sprengte der Gast hügelan, riß den Gaul hoch und schwang sich aus dem Sattel. »Die ersten, die es erfahren, sollt ihr sein!« rief er, »ein Weib gefreit hab' ich mir, und ein schöneres hätte ich schwerlich finden können auf Island!« »Wer ist's?« fragte Thora. – »Hallgerd aus Lachsachtal, die Tochter des Höskuld!« Sie zuckte zusammen und blickte Njal an. »Soso, die Hallgerd!« sprach sie langsam, »die kennen wir: schön ist sie freilich!« »Hast du es schon festgemacht vor den Gesippen?« fragte der Hausherr. – »Auf dem Thinge gleich im Zelt ihres Vaters!« »So wünsch ich dir Glück!« …

Als Gunnar des Abends mit Njal am Strande der Zweigache hinschritt, sprach er: »Ihr scheint es schwer zu nehmen mit meiner Verlobung?« »Wohl gibt's mir zu denken. Wandeln wird sich's nun unter uns: ein Weib ist dazwischen getreten!« »Niemals!« rief Gunnar, »an keinem Weibe soll je unsere Freundschaft zerbrechen!« »Das nicht: aber hart genug wirst du versucht werden, fürcht' ich!«

Als Njal zu Bett ging, sprach er zu Thora: »Recht hat mein Ahnen gehabt: Unheil hat sich Gunnar vom Thinge nach Haldenende geholt!«

 

Die Doppelhochzeit

erbst war es geworden, und schon wirbelte der Schnee über Land. Emsig rüsteten sie auf Haldenende die Hochzeit. Von Bergthorsbühl war Thora mit ihren Schwiegertöchtern gekommen, den Frauen zu helfen, und von Grießach in der Nähe Thrains Weib, Thorhild, mit zackiger Nase im dürren Gesicht, behend wie ein Wiesel, die wußte Spottverse zu schmieden trotz einem Skalden, und sie gerieten meistens hübsch scharf: auch konnte sie trefflich die Leute nachahmen, daß es lächerlich zum Anschauen war. Da gab es Kurzweil genug unter den Mägden und Weibern, und die Arbeit lief wie von selbst unterdessen. Thora von Bergthorsbühl nur blickte herbe zu all dem Spaß, und als die behende Skaldin Thrain darzustellen begann, wie er beim Frühmahl, während er mächtige Brocken in den Mund stopfte, die Schultern schief, von seinen Heldentaten erzählte, rief sie zornig, für sie sei es kein Grund, sich zu freuen, wenn eine ihren eigenen Mann zum Gelächter mache vor Fremden!

Nun kamen allmählich die Schlitten mit den Gästen geklingelt. Aus dem einen stieg die Braut mit der Tochter. Von den Pelzen half ihnen in der Vorhalle Thrain – da brachte er seine Blicke von Gerd, der jungen, nicht los: schlank und zart stand sie da wie ein Küchlein unter dem Flügel der Henne, an die Schulter der stolzen Mutter geschmiegt, und lichten Morgenwölkchen gleich krauste sich ihr das Haar um die Schläfen. »Anders als meine bissige Skaldin mit ihrer spitzen Nase schaut diese!« dachte er.

Voll besetzt waren am Hochzeitstag alle Bänke in der geräumigen Halle. Im Hochsitz lehnte der Hausherr, die Goldbinde um die Stirne, über dem Purpurrock den Gürtel mit den Silberbeschlägen gespannt. Ihm zur Rechten ragte Njal ernsten Auges. Neben ihm der Reihe nach Rolf, Skarphedin, Helgi, Grim und ihre Vettern aus Felsheim, die Trotzköpfe: Leif Rabe, Grim Großmann, Klammgeier, der grimme. Zur Rechten des Wirtes rieben die breiten Schultern aneinander die sieben Söhne des Sigfus, von Ketil zu Walden an bis auf Thrain, den jüngsten. Auf dem Ehrenplatz dem Bräutigam gegenüber strich sich sein Schwäher Höskuld den Graubart: den Bruder Hrut und seinen Sohn Olaf hatte er mitgebracht, einen schönen Jüngling in rötlichem Ringelhaar, aus seiner zweiten Ehe mit einer kriegsgefangenen Königstochter aus Irland, Melkorka – man hieß ihn den Pfau, weil er so viel auf sein schmuckes Aussehen hielt und prachtliebend war. Auch Walgard des Grauen Gesicht sah zum Schwarme hervor, und seines Sohnes Mörd listige Augen huschten von einem zum andern der Gäste.

Auf der Bühne im Hintergrunde der Halle scharten sich um Rannweig und Hallgerd mit ihrer Tochter die Frauen und Mädchen.

Njals Schwiegertöchter und Thorhild trugen den Gästen das Bier zu. Im besten Gang war das Fest, und immer lauter schallte frohes Gelärm durch die Halle. Da meinte die Skaldin zu merken, daß ihr Mann seine Augen von Gerd auf der Frauenbank hinten nicht wegwenden konnte. Zornig stieß sie den vollen Humpen vor ihn auf den Tisch hin, daß das Bier überfloß. »Thrain!« rief sie gell, daß alle Köpfe im Saal sich nach ihr wandten. – »Was soll's?« grollte er auf. Da sprach sie laut vor den Leuten die Verse:

»Was gaffst zu den Frauen
Du gierig hinüber,
Wie der Hund nach dem Schinken
Heimlich hin schielt?«

Still ward es ringsum – Spottverse auf einen zu sprechen und ihm so die Ehre zu verletzen, galt dazumal wie ein Angriff aufs Leben vor dem Gesetz.

Thrain sprang auf. »Kommst du mir so? Beißzange, voll ward dein Maß: von meinem Haus, von Tisch und Bett geschieden sage ich dich hiermit nach dem Gesetz zu aller Leute Gehör! Eins nur von uns beiden bleibt hier beim Fest, du oder ich!« Ihre Nasenspitze erbleichte. »Ich geh' schon!« kreischte sie, »und lieber als ich in meiner Dummheit gekommen, dein Haus von Unrat zu misten!« Sie hastete zur Halle hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.

Thrain setzte sich nieder und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Da ging ein Reden und Raunen an über den Vorfall an allen Ecken und Enden, doch fanden die meisten, gar zu arg hätte sie es getrieben und er hätte recht gehabt, sie zu verstoßen. Bald aber war auch diese Sache in der Festlust überm Schmausen und Zechen vergessen, und der Fröhlichsten einer war Thrain selber geworden, wie ein Gefangener, der glücklich dem Kerker entkommen.

Am andern Tage hielt er bei Hallgerd und Höskuld um Gerd an, und da Njal wie Gunnar gute Auskunft über ihn und seinen Besitz gaben, ward sie ihm auch zugesprochen und ihre Hochzeit zugleich mit der ihrer Mutter gefeiert.


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