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Zweiter Teil
Njal und seine Söhne

*

Erstes Stück: Thrain

Auswärts

un ist von Thrain zu berichten, daß er eine glatte Überfahrt nach Norwegen hatte und dort bald zu Ansehen kam. Hakon Jarl, der eifrige Heide, war damals Herr im Land: in seinem Gefolge stritt Thrain drei Jahre lang und holte sich manche tüchtige Narbe für ihn. Da machte ihn der Jarl zu einem vornehmen Manne und schenkte ihm einen trefflichen Drachen: der hieß nach dem buntbemalten Schädel vorne am Steven der Greif. Eines Tages lag Thrain nördlich von Drontheim im Hafen von Lade vor Anker, wo Hakon grad Hof hielt, als ein stattliches Kaufmannsschiff heransegelte und an Land stieß. Die Schiffsführer aber, die von Bord stiegen, waren die Njalssöhne Helgi und Grim.

Sie waren auf ihrer Ausfahrt von Stürmen aus dem Norden nach Schottland verschlagen worden. Kaum waren sie mit Mühe und Not in einer Felsenföhrde gelandet, da wurden sie von Seeräubern überfallen und ihre Auslandsreise hätte hier ein Ende gefunden, wenn nicht im letzten Augenblick an der Spitze von zehn Schiffen ein Landsmann von ihnen dazwischen gefahren wäre, ein Flottenführer aus dem Gefolge des Häuptlings Sigurd von den Orkaden: Kari, der Sohn des Sölmund, ein Haudegen aus der Weise und ein wackerer Bursch. Da mußten die Räuber über die Klinge springen. Den Geretteten aber ward Kari ein treuer Freund. Er nahm sie an den Hof Sigurds mit sich, und in dessen Dienste erwarben sie sich bald Reichtum und Ruhm. Nun waren sie mit dem Landsmann, der den Zins des Orkadenhäuptlings an seinen Oberherrn überbringen sollte, nach Norwegen gesegelt. Da hatte Unwetter ihre Schiffe getrennt, und die Njalssöhne waren allein im Hafen von Lade gelandet.

Groß war ihre Freude nicht, als sie dort zu allererst auf Thrain stießen, und auch von seiner Seite gab es nur eine kühle Begrüßung. Aber bald sollten sie mehr miteinander zu tun bekommen, als den Njalssöhnen lieb war.

Der Mordhrapp hieß ein Isländer aus dem Ostviertel, ein wüster Gesell: wegen seiner Übeltaten hatte er die Heimat verlassen müssen und war nach Norwegen verzogen; dort hatte er Aufnahme und Schutz bei Hakon Jarls bestem Freunde, Gudbrand, dem Greise gefunden. Das vergalt Hrapp ihm damit, daß er Gudbrands Tochter verführte, ihm mehrere Leute erschlug und zum Schlusse in seinen Haupttempel einbrach, die Schätze draus raubte und Feuer an das Götterhaus legte. Durch die Wälder von des Jarls Mannen gehetzt, floh er ans Meer, zum Hafen von Lade.

Thrain lehnte grade am Bord seines Schiffes. Wie ein Wolf kam Hrapp in mächtigen Sätzen durch die Strandgebüsche gefegt, auf den Drachen zu rannte er, das Gewand in Fetzen, und keuchte: »Birg mich, Landsmann!« Von oben her blickte der andre ihn schief an. »Dir eilt es scheint's mächtig: wer jagt dich denn, Hrapp, und weswegen verfolgen sie dich?« »Das kann ich dir später erzählen!« »So kommt das Geschäft zwischen uns nicht zustande!« »Aus Gudbrands Götzenhaus hab' ich die Schätze geraubt und sie im Walde vergraben: ich teile sie mit dir!« »Auf dem Dach sitzt die Taube, mein Guter! und teuer müßt' ich mit der Freundschaft des Jarls den Reichtum bezahlen!« Hrapp ließ sich auf einen Stein niederfallen, den Kopf zwischen den Fäusten. »Nun wohl, so sollen sie mich dir zur Schmach vor deinen Augen erschlagen!«

Die Stirne runzelte Thrain: sein Landsmann war der Kerl immerhin, und das mit den Schätzen, wer weiß, vielleicht konnte man doch einmal an sie heran? »Mach dich ins Schiff, aber schnell!«

Kaum hatten sie im Laderaum aus einer Tonne den Boden geschlagen, ihn hineingezwängt und das Faß von neuem vernagelt, da rasten auch schon die Verfolger herbei: an ihrer Spitze mit wehendem Bart, blutrot vor Wut unterm Grauhaar, Jarl Hakon selbst. Er riß den Gaul hoch und hob drohend die Faust. »Hierher rannte der Schuft: Thrain, du hast ihn geborgen!« »Nein, Herr!« sagte Thrain. – »Du lügst: wir sahen's! ist das der Dank dafür, daß ich dich groß gemacht habe? auf dem Drachen, den ich dir geschenkt, willst du den Tempelräuber mir hehlen?« Thrain zuckte die Achseln. »Seht selber zu, Herr, sucht das Schiff aus!«

Der Jarl stieg mit dem Gefolge an Bord …

Von der Reling ihres Seglers schauten die Njalssöhne dem Treiben drüben zu. Der Steuermann, ein Norweger, trat zu ihnen. »Der im Goldhelm ist Hakon Jarl selbst, ich kenn' ihn: wenn er den Flüchtling verfolgt, so hat der gewiß nicht Geringes verbrochen!« »Da steckt er schön in der Klemme, der Thrain!« rief Helgi. – »Halb so schlimm, Herr: gut eingepökelt haben sie jenen im Salzfaß! seht ihr, da kehren sie wieder ohne den Burschen: umsonst gesucht haben sie!«

Drüben sprangen die Verfolger in den Sattel und trabten aufs Schiff der Njalssöhne zu.

»Oho,« rief Grim, »jetzt treibt es das Wetter hierher! nun fragt sich's: sollen wir die Wahrheit hehlen und um Thrains willen unsre Köpfe dran wagen?« »Tun wir's nicht, Grim, so liefern wir ihn Hakon ans Messer! und mich dünkt es nicht richtig, andere für uns die Schulden zahlen zu lassen, so lange wir hoffen, sie selbst zu begleichen!«

Der Jarl trabte mit den Seinen heran. »He, ihr da, wer seid ihr?« »Isländer, Herr, die Söhne des Njal!« »Saht ihr's nicht, wie der Ausreißer drüben im Drachen versteckt ward?« »Fremde sind wir und kümmern uns nicht um Dinge, die uns nichts angehn!« »Wollt ihr Ausflüchte machen? Leute, aufs Schiff!« Die Mannen stürmten hinauf. Er stieg die Schiffsleiter empor ihnen nach und trat dicht vor die Njalssöhne hin. »Heraus mit der Sprache!« Einer der Gefolgsleute rief: »Ich meine, sie selber sind's, die den Mordhrapp aufgenommen haben bei sich!« »Bindet sie!« schrie der Jarl, »steckt er hier, so knüpfen wir euch neben ihm am Mastbaume auf!«

Da gellte es hinter ihm: »Der Thrain, Herr, schaut herum!«

Hakon wandte sich jäh: dem Meer zu fuhr mit geblähten Segeln der Drachen. Vom Hintersteven her klang's über's Wasser:

Breite die Schwingen und brause,
Greif, über's grollende Meer!
Es hält keine Fessel den Freien:
Hänge uns, fängst du uns, Fürst!

Die Fäuste schüttelte wütend der Jarl und stampfte den Boden. »Euch dank' ich's,« schrie er die Njalssöhne an, »daß mir der da entwischt! nieder mit ihnen: die Köpfe vom Rumpfe den Schurken!«

Die Dämmerung war hereingebrochen. Auf den Knien lagen, die Hände am Rücken gebunden, Helgi und Grim. Der Jarl riß das Schwert aus der Scheide. Da trat aus dem Gefolge Erik auf ihn zu, sein ältester Sohn. »Sieh, Vater: die Sonne ist untergegangen. Der Tag soll scheinen über gerechtem Gericht! warte noch, Vater, bis morgen!«

Knurrend stieß der Jarl das Schwert in die Scheide zurück …

Der Mond ist über der Hafenbucht aufgegangen und seine Lichtbrücke funkelt über's glatte Gewässer. Ferneher braust vom Meere die Brandung. Am Deck ihres Schiffes liegen die Brüder nebeneinander, die Arme am Rücken verschnürt, Hände und Füße gefesselt, und im Laderaum unten schnarcht warm gebettet die Mannschaft des Jarls. Verloren sind sie: woher sollen sie hier in der Fremde Hilfe erwarten? … Da rauscht es im Silberdämmer heran: ein Segel erschimmert und sinkt am Mastbaume nieder, Ruderschläge erschallen; ein Drachen schwimmt in den Hafen, Stimmen tönen, auf den Strand stößt das Schiff … »Kari!« flüstert Grim. – »Er ist's, murmelt Helgi, »zu ihm – wenn wir könnten!« Im Mondlicht neben ihm blinkt es auf: eine Axt ist's, mit der Spitze in den Boden geschlagen. Er wälzt sich langsam Ruck um Ruck näher, vorsichtig, daß nicht die Leute unten erwachen: er reibt den gefesselten Arm an der Schneide. Der Strick reißt, der scharfe Stahl dringt ins Fleisch, vom wunden Arm rieselt das Blut … Er wendet sich auf die andere Seite und sägt an der Beilschneide weiter …

Unten im Laderaum hebt einer verschlafen den Kopf: klatschte da nicht etwas ins Wasser? aber schon sinkt er wiederum müde zurück …

Finstern Gesichtes saß Jarl Hakon am nächsten Morgen in der Königshalle zu Lade. Vor ihm zur Rechten stand Kari, Fürst Sigurds Bote von den Orkaden, schlank und kerzengrad wie ein Mastbaum, den Kopf voll trotzigen Kraushaars steif auf dem Nacken. Zur Linken, in einen Haufen zusammengedrängt, starrten die Mannen, die den Njalssöhnen zur Wache gesetzt waren. Hakon im Hochsitz beugte sich vor. »Ist das so, Kari, wie diese hier klagen: hast du die beiden, die uns entflohen, auf deinem Drachen geborgen?« »Ja, Herr, so ist es: in meinen Schutz hab' ich sie als Sigurds Gesandter genommen, denn seine Gefolgsleute sind sie!«

Der Jarl zuckte auf. Da legte ihm von hinten sein Sohn die Hand auf die Schulter und neigte sich flüsternd zu ihm: »Vater, übermannt hat dich gestern der Grimm: sei froh, so wirst du am besten die Lästigen los! Wenig Ehre brächte solch blutiger Handel mit den Isländern dir und viel Verdruß: sie sind aus edlem Geschlechte!« …

Als Kari am andern Tage mit den Njalssöhnen aus dem Hafen von Lade in die offene See hinausfuhr, legte er den beiden die Arme um die Schultern und sprach: »Fest zusammengeschmiedet hat uns die Not, und nun, bedünkt mich, sollten wir uns nimmermehr trennen, Gesellen!«

Und als nach Jahresfrist Helgi und Grim die Orkaden verlassen wollten, um heimzukehren, nahm auch er Urlaub von seinem Herrn und schiffte sich nach Island mit ihnen ein.

 

Alte Schulden

nterdessen hauste Thrain, dem Jarle entronnen, gemächlich zu Grießach, und sein Schützling, der Mordhrapp hielt sich beständig bei ihm auf: von allem Anfang an hatte er sich gut mit den Hausgenossen zu stellen gewußt, im besonderen mit Gunnars Sohn Grani. Am besten aber verstand er sich doch mit dessen Mutter, der Hallgerd: deren Schönheit glänzte noch immer von ihrem rotgoldenen Haar und leuchtete herb und stolz aus den hartgewordenen Zügen.

Nur Höskuld Thrainssohn, ihr Enkel, der zu einem hübschen Knaben heranwuchs, so freundlich er sonst aus seinen blauen Augen jedermann ansah, an den neuen Gast wollte er sich nicht gewöhnen, und wenn der des Abends unter den Mannen am Langfeuer prahlte, schlich er sachte zu Gerd in die Frauenstube hinüber. »Was hast du, Kind? haben dich die Männer vertrieben?« Er schüttelte den Kopf. »Ich mag nicht drüben sein, Mutter: unsauber sind Hrapps Worte wie seine Hände – er lügt!«

Als Thrain nun hörte, daß die Njalssöhne aus dem Ausland glücklich in Bergthorsbühl wieder angelangt seien, krauste er die Stirne, und es war acht Tage lang nicht gut mit ihm zu reden. Hrapp aber grinste. »Hoffentlich haben sie sich von den Schrammen erholt, die sie um unsertwillen erlitten, die guten Jungen!« Und Hallgerd rief: »Alt ist Jarl Hakon geworden, daß er sie mit dem Schrecken davon kommen ließ: eine Ruhestatt unter Norwegens Rasen hätt' ich den Gecken gegönnt!«

Eine Weile danach saß Mörd Walgardssohn bei ihnen zu Gast und erzählte ihnen von den Neuigkeiten im Gau. Das Wichtigste wäre, meinte er, daß die Sippe des Njal mächtig an Ansehen gewonnen habe, seit Helgi und Grim den Kämpen Kari mit sich gebracht hätten: nicht anders als ein Sohn im Hause sei er bei ihnen; den Alten ehre er wie einen Vater und dem Skarphedin ginge er überhaupt nicht mehr von der Seite. »Um Njals Jüngste, die Helga, hat er letzthin gefreit, und im Winter, heißt's, soll die Hochzeit in Bergthorsbühl sein: danach wird sich mancher auf etwas gefaßt machen müssen, der den Njalssöhnen früher am Felle geflickt hat!« »Meinst du mich?« grollte Thrain. – »Wieso?« sprach Mörd, »daß sie beim Jarl in die Klemme gerieten, dafür konntest doch du nicht: das war ihr eigener Unstern! Und das mit dem Sigmund damals sind vollends alte Geschichten! Freilich, freundlich über euch reden tun sie grad nicht, und was die Thora über dich, Hallgerd, verbreitet, das trau' ich mich gar nicht zu wiederholen vor euch!« »Heraus damit!« zischte sie. – »Nun ja, wenn man's recht betrachtet, ist es auch nur zum Lachen: mehr als gut Freund wärst du mit dem Hrapp hier geworden – so soll sie gesagt haben, heißt es!« …

Aber auch nach Haldenende ritt Mörd und dort erzählte er, wie sie zu Grießach über Grims und Helgis Schrammen gespottet und über den Schrecken, den der Jarl ihnen eingejagt habe. Da wurden die beiden rot bis über die Ohren, doch zuckten sie nur die Achseln und meinten, jedem Weibertratsch nachzugehn lohne sich nicht.

Als aber bald darauf ihr Schwager Ketil Breitbart von Walden, der Sigfussohn, sie aufsuchte, um Schlachtvieh von ihnen zu kaufen, und als die Alten schon zu Bett lagen, während die Jungen mit ihm noch ums Feuer herumsaßen, sprach Helgi: »Wie soll das nun eigentlich mit deinem Bruder werden, dem Thrain? Was wir im Hafen von Lade um ihn und den Hrapp litten, daß sie freikommen konnten, weißt du. Da dachten wir, er würde uns unsere Not und unsere Wunden freiwillig büßen, aber nun hat's den Anschein, daß wir ihn mahnen müssen darum. Willst du da zunächst einmal das Gedächtnis ihm schärfen?« Ketil kraute sich im Nacken: das wäre eine heikle Sache, denn der Thrain habe einen Schädel so hart, als hätte ihn der Schmied zu Walden aus lauter Eisen zusammengehämmert! aber um des Friedens willen wolle er's bei ihm versuchen.

Als er von Grießach zurückkam, sah er sauer drein. »Wiedersagen mag ich nicht, was sie zu eurer Botschaft gesprochen. Ich selber habe nichts als Ärger für meinen guten Willen gehabt: meine Schwägerschaft, schalten sie mich, sei mir mehr wert als der Bruder!« Damit ritt er davon.

»Er will nicht im Guten!« rief Grim, »was nun?« »Dem Vater, meine ich, sollten wir die Geschichte nicht länger verhehlen,« sprach Kari, »denn sie könnte uns über den Kopf wachsen am Ende!«

Von dieser Sache hatten sie ihren Stiefbruder, den Rolf, nicht unterrichtet: seit Kari im Haus war, hielt der sich mehr bei seiner Mutter Hrodny zu Borg auf als beim Vater, und das war auch nötig, da sie zu altern begann …

Das graue Haupt schüttelte mißmutig Njal, als die Söhne ihm von dem Handel erzählten. »Hättet ihr mich vorher gefragt, ich hätt' euch geraten, rührt die alte Geschichte nicht auf! Jetzt aber, da ihr's getan habt, geht's um die Ehre, und da wird euch freilich nichts anderes bleiben, als daß ihr nun selber fordert, was euch gebührt, obwohl es mir klar ist: nichts werdet ihr ohne Waffengewalt von Thrain erreichen! Und das könnte zu einer Fehde führen, wobei mehr Leute das Leben verlieren als er und ihr!« »Hört den Vater!« rief Skarphedin, und seine Augen erblitzten, »friedfertig ist er, aber wenn's hart auf hart geht, zeigt sich's, daß er den Kopf auf dem Nacken nicht weniger hoch trägt als andere!«

*

Die Morgensonne schien durch die Lukenfenster in die Wohnstube zu Grießach. Auf der Bank drinnen ausgestreckt, gähnte Hrapp. Da wischte Hallgerd hinein. »Auf, Faulpelz,« rief sie, »von Bergthorsbühl kommen deine Erretter geritten: die willst du doch wohl begrüßen!« Er sprang auf und stürzte hinaus.

Vor der Türe stand Thrain im Helme und langte nach dem Speer. Um ihn scharten sich Grani Gunnarssohn, zwei seiner Brudersöhne, junge Burschen noch, und die Knechte: alle in Waffen.

Vom Tal unten trabten die Njalssöhne her. Vor dem Hoftore stiegen sie ab, banden die Gäule ans Gatter und schritten zum Hause hinauf. Skarphedin im Helm an der Spitze, die Streitaxt im Gurt: ihm folgten der Reihe nach Kari, Helgi und Grim. Als sie denen unter der Tür in Reichweite nahe gekommen, blieb er stehen und wandte sich um zu den Seinen. »Es scheint, daß man hier die Gäste nicht grüßt: so heißen wir uns denn selber bei euch willkommen!«

Hallgerd drängte sich zwischen den Männern hervor. »Den Trollen sollst du willkommen sein, Bluthund mit deiner Streitaxt, nicht uns!« keifte sie. Skarphedin lächelte. »Führt hier Hrapps Kebsweib das Wort für dich, Thrain?« Hallgerd schnellte auf.

Da trat Helgi vor. »Dir, Hausherr, gilt unser Ritt: willst du uns büßen, frage ich dich, was wir an Wunden und Schmach für dich litten?« Verächtlich sah Thrain von der Schwelle herab. »Daß ihr mit eurer Schmach und den Wunden Handel treiben würdet, dachte ich nicht: einmal schon wies ich euch ab – wie lange soll diese Bettelei denn noch währen?«

Hrapp grinste. »Habt ihr noch nicht genug? Entschieden hat zwischen uns das Schicksal schon lang: die Schelle erhielt der, dem sie gebührte, und wir kamen frei!«

»Laßt euch mit dem Lumpen in kein Wortgefecht ein!« rief Skarphedin, »rot anstreichen wollen wir ihm den grauen Balg zu seiner Zeit, Brüder!« »Da wird meine Axt dir eher im Schädel stecken!« gröhlte Hrapp.

»Dungbärtler ihr!« schrie Hallgerd, »wischt euch den Mist von den Schnauzen! Ohnebartsöhne, fahrt ab!« Skarphedin sah ihr in die glühenden Augen und ein grimmiges Lächeln glitt über sein starres Gesicht. »Wir gehen schon, aber verlaßt euch darauf, wir kehren wieder!« »Da sollt ihr eine heiße Brühe zu löffeln bekommen!« Und nun brüllten sie alle zumal ihnen nach, bis sie hinter dem Gatter verschwanden …

»Habt ihr Zeugen dafür, wie sie euch geschmäht haben?« So fragte Njal, als ihm die Söhne zu Nacht berichteten, wie es ihnen in Grießach ergangen. – »Die brauchen wir nicht,« sagte Skarphedin, »denn dieser Streit wird auf dem Waffenthinge verhandelt werden von uns!« …

Im Spätherbst verschied zu Grießach, nachdem sie den ganzen Sommer über gehustet, Thrains Weib Gerd, schier unbemerkt, wie wenn am hellen Tage leise ein vergessenes Licht lischt, denn wenig hatte sich selbst die Mutter um sie gekümmert. Nur Höskuld wich nicht von der Leiche, solang sie im Haus lag, und bei der Nacht weinte er vor sich hin, bis er einschlief. Aber unter Tags sah er aus klaren Augen wie immer.

Nicht lange danach feierten sie auf Bergthorsbühl Karis Hochzeit mit Helga. Er hatte sich ein Gut in der Nähe gekauft, doch hielt er sich die meiste Zeit bei Njal auf wie seine Söhne.

 

Der Kampf am Eise

s war gegen Wintersende. Noch war der Waldstrom von dickem spiegelglattem Eise bedeckt; nur in der Mitte hatte der Strudel eine mächtige Rinne, speerwurfbreit, offen gehalten, aber auch über die noch führten Eisbrücken stellenweise hinüber.

Auf einer solchen ritt Thrain eines Morgens, als die Tage schon länger wurden, mit seinen Gefährten westwärts auf Besuch zu seinem Bruder Ketil. Über eine Woche saßen sie dort, acht Mann stark, zu Gast, darunter Grani, Hrapp und die zwei Sigfusenkel, die jungen. Ketils Nachbar, Runolf der Sandgodensohn, war auch zugegen, und die beiden redeten Thrain oft zu, sich mit Helgi und Grim zu versöhnen und ihnen die Unbilde zu büßen. Er aber entgegnete stets: niemals werde er auch nur einen Pfifferling zahlen, und im übrigen sei er gerüstet, es mit allen aufzunehmen, die ihm was wollten. Und als sie beim Abschied ihm rieten, zur Vorsicht einen andern Weg als hierher auf der Heimfahrt zu nehmen, zuckte er voll Ärgers die Achseln. »Von dem alten Ohnebart verhext scheint ihr mir, daß ihr so voller Furcht steckt!«

Auf Bergthorsbühl aber hatte Skarphedin durch Landstreichervolk jederzeit Kunde von allen Wegen und Stegen, die Thrain ritt …

Eines Nachts wachte Njal an einem leisen Geklirr auf. Er trat hinaus. Der Mond schien hell, und er sah vier dunkle Gestalten zum Hoftor hinabziehen: Kari und seine Söhne waren's in Waffen. »Wohin, Skarphedin?« rief er. Der kehrte sich um und bleckte die Zähne. »Auf die Schafsuche, Vater!« »Soso,« sagte Njal, »auf die Schafsuche wieder einmal! da wird's wohl auch ebenso werden wie damals, als eine Männerhatz daraus ward!« Er ging ins Haus zurück. Skarphedin verzog spöttisch den Mund. »Schaut unsern Alten: es scheint, er hat was gewittert!« »Wie war das damals?« fragte Kari, »was meint er?« »Da habe ich Gunnars Vetter Sigmund, den Skalden erschlagen!« »Warum?« »Umgebracht hatte er unsern Ziehvater Thord, Thrain aber saß abseits am Weg und sah zu!« »So gilt's jetzt, ihm all seine Schulden auf einmal zu zahlen?« Skarphedin nickte.

Sie schritten weiter.

Im ersten Morgengrauen dämmerten steil die Rotewandfelsen vor ihnen: darunter blinkte das breite Bette des Waldstroms im Eise. »Hier werden sie am ehesten über den Fluß setzen wollen!« sagte Skarphedin. Er trat den andern voran in den Schatten einer engen Schlucht und saß auf einen Felsblock nieder, die Axt über den Knien.

Schweigend kauerten sie nebeneinander. Heller wurde es. Purpurrot glühten Schäfchenwolken hoch über der Kluft auf, und jetzt erstrahlte hinter dem blaugrünen Gletscher des Inselferners die Sonne. Auf einen Schlag sprühte die Schneedecke ringsum von Funken, und weithin tat sich das Flußtal vor ihnen auf. »Da kommen sie!« flüsterte Helgi.

Auf der andern Seite des Stromes ritt Thrain mit den Seinen im Schritte heran, gemächlich plaudernd und lachend. Da reckte Hrapp neben ihm plötzlich den Arm. »Schaut, drüben am Berg in der Schlucht: Helmspitzen blitzen! im Hinterhalt liegen dort welche!« »Das gilt uns!« rief Grani. – »Schon möglich,« sprach Thrain, »und dann werden's die Njalssöhne sein!«

Zur Schlucht hervor sprangen drüben die Männer und rannten zum Flusse hinab. »Eins, zwei – vier!« zählte Grani, »sind sie verrückt? wir sind acht!« »Herab von den Gäulen und ihnen entgegen!« schrie Thrain. Sie glitten aus den Sätteln und traten aufs blanke Eis am Ufer des Stromes.

Drüben rannten indessen die vier auf die Eisbrücke zu weiter oben am Strom. Skarphedin blieb zurück. – »Was hast du?« schrie Kari. – »Mein Schuhnestel riß!« »Nur vorwärts, Gesellen!« rief Helgi, »er kommt uns schon nach!«

Seinen Schuh hatte Skarphedin hastig gebunden und schaute auf: weit voraus waren ihm die anderen schon. Da riß er die Axt aus dem Gurt, rannte stracks auf die offene Rinne im Strom zu und schwang sich mit gewaltigem Satz übers Wasser: schlug, die Füße gestreckt, jenseits aufs Eis und schoß mit geschwungenem Beil wie ein Pfeil von der Sehne dahin den Feinden entgegen. Grad hatte Thrain den Helm abgelegt und den Mantel von sich geworfen, da schnellte Skarphedin auf ihn zu, schlug ihm die Axt in den Schädel bis auf die Zähne, wendete und sauste im Schwung jählings weiter. Von der Eisbrücke kamen die Seinen gerannt. »Das war ein Weitsprung, Skarphedin!« schrie Kari, »dein Teil geschafft hast du, jetzt kommen wir dran!« Er schmetterte mit dem Schild einen Knecht nieder und stach ihm das Schwert durch den Leib. Grim stürzte auf Hrapp los: der schwang die Axt gegen ihn. Da schlug ihm Helgis Stahl den Arm im Handgelenk durch: aufs Eis klatschte das abgehauene Glied samt der klirrenden Waffe. Hrapp wankte. »Da liegt eine Faust, die hat vielen den Tod gebracht!« rief er. – »Sie soll es nie mehr!« knirschte Grim und rannte ihm den Speer in die Brust.

Vom Strande her schleppte Skarphedin die Brudersöhne Thrains am Kragen. »Da hab' ich ein paar Wolfsjunge lebend gefangen!« »Und hier ist der dritte!« rief Kari und stieß Grani Gunnarssohn vor sich her: – »Schlagt das Gezücht tot!« schrie Grim, »so richten sie keinen Schaden mehr an!« »Dazu fürcht' ich die Milchbärte denn doch zu wenig!« sprach Skarphedin, »auch wird es dem Vater schwerlich gefallen, wenn wir in Sigfus' Sippe stärker aufräumen wollten, als not tut! Lauft, Jungen, lauft, und du, Grani, dank's deinem Vater und Högni, wenn du mit dem Leben davonkommst!«

Lange starrte Njal stumm ins Feuer, als er von der Rache seiner Söhne an Thrain erfahren. Endlich sprach er: »Tadeln kann ich euch nicht; denn eurer Mannespflicht nur kamt ihr nach, den Schimpf mit Blut abzuwaschen. Aber schnell ist der Schaden geschehn, und lang wird's brauchen, bis er wieder gut gemacht ist – wenn je diese Wunde verwächst!«

Danach schickte er einen Boten zu Ketil und ließ ihm sagen, es wäre an der Zeit, daß sie sich über die Totschläge am Waldstrom besprächen, denn er, sein Tochtermann, sei ja Thrains Bruder zugleich, und so wäre er am besten zum Mittelsmanne zwischen den Sippen geeignet. Das sah Ketil ein und machte sich sogleich nach Bergthorsbühl auf. Dort wogen sie's untereinander ab, Schwiegervater und Sohn, und wurden einig: unterbleiben sollte die Klage am Althing. Dafür sollte Njal mit vollem Manneswert alle Erschlagenen büßen außer dem Mordhrapp, und so sollten die Sippen zu gutem Ende versöhnt sein. Aber damit allein, meinte Njal, wäre es noch nicht getan. »Schwüre welken und verwehn nur zu leicht wie die Blätter im Wind! ein festeres Band als mit Worten bloß wollte ich zwischen uns knüpfen, und da hab' ich mir etwas ersonnen: ob der uns nicht dazu helfen könnte, den Thrains Tod am schwersten getroffen – ich meine Höskuld, den Knaben!« Aber hierüber wolle er zu gelegener Zeit mit ihm reden: fürs erste bäte er ihn, er solle den Jungen als Pflegesohn zu sich nehmen.

Damit war der Tochtermann einverstanden, und da seine Brüder einsahen, daß es schwer werden würde mit Waffen gegen die Njalssöhne aufzukommen, und daß sie mit ihrer Klage am Thing kaum mehr erreichen würden, als was Njal ihnen freiwillig bot, so wurde der Vergleich ohne Rechtsstreit zwischen den Sippen selber geschlossen.

Hallgerd aber blieb in Grießach wohnen und verwaltete das Gut für den Enkel.

Zornig ward Högni auf Haldenende über den Bruder, daß er gegen die Njalssöhne ausgezogen war. »Wie darf einer von uns die Hand gegen Skarphedin heben, der uns zur Vaterrache verholfen, und wenn's zehnmal unsere Gesippen sind, mit denen er streitet!« Er konnte es nicht verwinden, und als bald darauf Rannweig hochbetagt starb, mietete er sich ein Schiff und fuhr auf Wiking ins Ausland.

 

Der Pflegesohn

s war zu Sommers Anfang, ein Jahr nach Thrains Tode. Auf der Wiese hinter dem Gehöfte zu Walden spielte der kleine Höskuld mit den Nachbarskindern, seinen steten Gesellen. Grad rannte er um die Wette mit dem langen Erik und bald hätte er's ihm abgewonnen, da hörte er den Knecht vom Hause her rufen: herein sollte er kommen, sofort.

Als er in die Halle trat, saß auf der Bank neben dem Ohm Ketil ein langer Mann, hager, grauen Haares, bartlos das schmale Gesicht, daraus forschten eng beieinander die dunklen Augen.

»Grüß den Gast, Höskuld,« sprach der Ohm. Der Knabe streckte ihm die Hand hin. Der Fremde zog einen Ring vom Finger, der blitzte. »Willst du den Goldreif hier zum Geschenk von mir nehmen?« Der Junge besah ihn wohlgefällig von allen Seiten und nickte.

Der Alte steckte ihm den Ring an den Finger. »Weißt du auch, wie es zuging beim Tod deines Vaters?« »Skarphedin erschlug ihn,« sagte der Knabe, »aber er ward uns ehrlich gebüßt, und darum soll man nicht mehr davon reden!« »Besser war deine Antwort als meine Frage. Daran seh' ich, daß du ein Mann werden wirst nach meinem Herzen. Weißt du, wer ich bin?« »Nein,« sagte der Knabe. – »Hast du vom Njal schon gehört?« »Ja, die Leute sagen, daß er die Zukunft weiß und daß er nie lügt!« »Der bin ich,« sagte der Gast, »und nun höre: ein Angebot habe ich dir zu machen, um dir deines Vaters Tod doppelt zu büßen! willst du mein Pflegesohn werden?« »Das will ich!« sagte Höskuld.

So übergab ihn denn Ketil dem Njal. Und noch war er nicht lange auf Bergthorsbühl, da mochten ihn dort alle Leute mit seinem hellen Haar und den freundlichen Augen, und so zutraulich wie er jedermann an die Hand ging. Zwischen ihm und den Njalssöhnen aber ward die Freundschaft so fest, daß sie ihn überallhin mitnahmen auf ihren Gängen und Ritten.

Da spottete auf Groß Tempelhof Thorkatla, Mörds Weib: »Sehr weit hast du's ja mit deinen Ränken gebracht, Mann: deiner Müh' danken sie's doch, oder nicht? daß Thrain aus dem Wege geräumt ward, und da sind die beiden Sippen nun enger verbündet als je!« Er biß sich auf die Lippen. »Freilich, schwarz in weiß versteht der alte Schuft mit seinen Tausendkünsten zu wenden, aber warten wir's ab, wie lange die Herrlichkeit hält!« Tückisch erglühten zwischen den schmalen Schlitzen die Augen und er reckte sich auf. »Was er erbaut, Katla, reiße ich nieder: ich komme schon noch zum Zug!«


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