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Margaret liebte, und diese Erkenntnis hatte sich ihr so plötzlich aufgedrängt, daß sie sich wie betäubt fühlte. Wie vollständig hatten sich ihre Gefühle dem Mann gegenüber geändert, mit dem sie als Kind gespielt hatte, den sie als junges Mädchen gern sah, dem sie schließlich in einer Art stiller Neigung zugetan war. Der Aufruhr der Gefühle, den der Tod ihres Bruders in ihr entfachte, hatte alles getötet, alles hinweggefegt und nur bitteren Haß zurückgelassen.
Und jetzt liebte Margaret – liebte zum erstenmal in ihrem Leben – nicht mit den unklaren Gefühlen des jungen Mädchens, nein, mit der Erkenntnis der Frau, mit dem vollen Bewußtsein ihrer Rechte, ihrer Pflichten. Sie konnte es sich nicht erlauben, ihre Zeit mit Reue über die unverständlichen Torheiten und bösen Irrungen der Vergangenheit zu verbringen. Ihre Tage waren ausgefüllt mit Plänen, immer neuen Plänen, wie sie ihrem Mann aus dem Sumpf heraushelfen konnte, in dem er verzweifelt kämpfte.
Kein Lebenszeichen von Gunner Haynes. Bis zwei Uhr morgens hatte sie in ihrem Schlafzimmer gesessen und vergeblich auf das Läuten des Telephons gewartet, das ihr Nachrichten bringen sollte. Auch am nächsten Tage nichts! Als Danty bei ihr vorsprach, war sie ausgegangen. Sie brauchte ihr Scheckbuch nicht, und der Diebstahl der Scheine blieb unentdeckt.
Der nächste Morgen brachte ihr den Spatz – er kam in amtlicher Eigenschaft.
»Haben Sie Anweisung gegeben, daß kein Scheck von Ihrem Mann, der über mehr als tausend Pfund lautet, ausgezahlt wird?«
Sie nickte.
»Ein junger Mensch hat heute morgen einen über zweitausend Pfund vorgelegt. Dummerweise hat Mr. Steele unterlassen, mich sofort zu benachrichtigen, und als ich endlich ankam, war der Vogel schon davongeflogen.«
»War es denn Lukes Handschrift?« fragte sie eifrig. »Wo ist er denn?«
Der Spatz konnte ihr keine Auskunft geben.
»Ich denke, er ist im Ausland? – Ist es eigentlich eine Gewohnheit Ihres Mannes, andere Leute nach der Bank zu schicken und Geld für sich einkassieren zu lassen? – Kommt mir etwas sonderbar vor!«
»Das Geld ist doch nicht ausgezahlt worden?«
»Nein – Steele sagte, wenn es eintausend Pfund gewesen wären, hätte er gezahlt.«
Sie verhielt sich mit Absicht ausweichend, rief aber, als der Detektiv gegangen war, Steele an. Er hatte wenig hinzuzufügen.
»Der Mann, der den Scheck brachte, machte einen ganz anständigen Eindruck.«
»Aber haben Sie ihn denn nicht gefragt, von wem er den Scheck erhalten hätte? Aber, Mr. Steele, Sie haben ihn doch nicht so ohne weiteres gehen lassen?«
»Warum denn nicht? – Nach dem, was Sie mir gesagt hatten, nahm ich an, Sie erwarteten, Ihr Mann würde verschiedene Schecks einsenden.«
Margaret hatte bisher nicht gewußt, wie begriffsstutzig dieser alte Mann manchmal sein konnte.
Als das Gespräch beendet war, setzte sie sich hin, um in Ruhe nachzudenken. Luke war in seine Wohnung eingedrungen, um sich Paß und Kleider zu holen. Der Paß war jetzt in Gunners Besitz; sie mußte zunächst dafür sorgen, daß er einen Anzug fand, falls er unerwartet kommen sollte. Sie fuhr nach seiner Wohnung, traf eine sorgfältige Auswahl und packte die nötigen Toilettengegenstände zusammen, vergaß nicht einmal Rasierzeug und ließ alles in ihren Wagen bringen. Es war das erstemal, daß sie eine solche frauliche Pflicht erfüllte, und diese Arbeit erweckte ein Gefühl der Zusammengehörigkeit mit Luke in ihr, das sie bisher nicht kennengelernt hatte, das ihr aber auch die ständige Sorge und Angst um das Geschick ihres Mannes schärfer und schmerzhafter zum Bewußtsein brachte.
Wenn sie wüßte, wo Gunner Haynes zu erreichen wäre, würde sie ihn aufsuchen, würde sogar Danty Morell willkommen heißen. Sein Besuch fiel ihr ein, als sie sich an ihren Schreibtisch setzte, um Schecks für den Haushalt auszuschreiben. Versehentlich nahm sie das unrichtige Scheckbuch heraus und bemerkte sofort, daß einige Blätter fehlten. Sie ließ sich mit der Bank verbinden und erfuhr, daß der vorgelegte Scheck einer von diesen war. Danton Morell war also auch dabei beteiligt!
Ihr erster Gedanke war, nach Inspektor Bird zu schicken. Aber die Polizei durfte um keinen Preis hinzugezogen werden. Sie suchte die Nummer Dantons im Telephonbuche, doch als sie schon im Begriff war, bei ihm anzuklingeln, entschloß sie sich plötzlich, ihn selbst aufzusuchen.
Sie wartete nicht auf ihren Wagen, sondern ließ ein Taxi holen, gab ihrem Diener gewisse, sehr bestimmte Anweisungen und fuhr nach der Half Moon Street. Pi Coles, der ihr die Tür öffnete, starrte diese unerwartete Erscheinung voller Verwunderung an.
»Kommen Sie herein, Miß«, sagte er verlegen, »der Herr ist drinnen.«
Danton hörte ihre Stimme und kam ihr auf dem Vorplatz entgegen.
»Das ist ein unerwartetes Vergnügen, Margaret«, sagte er. »Ist etwas vorgefallen?«
Sie antwortete erst, als sie im Zimmer war.
»Bevor ich Ihnen sage, warum ich komme«, begann sie, »halte ich es für angebracht, Ihnen mitzuteilen, daß mein Diener, falls ich nicht in drei Viertelstunden zurück sein sollte, Mr. Bird anrufen und ihm mitteilen wird, wohin ich gegangen bin.«
Er runzelte die Stirn.
»Was soll das heißen?« fragte er rauh. »Das ist ein sonderbares Benehmen – warum, zum Teufel, sollten Sie nicht in drei Viertelstunden zurück sein?«
»Wo sind die übrigen Schecks, die Sie aus meinem Scheckbuche gestohlen haben, als Sie gestern bei mir waren?« fragte sie.
Sie sah, wie sein Gesicht rot wurde.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte er laut. »Ich soll Schecks gestohlen haben? Was für Unsinn reden Sie da?«
»Sie kamen in mein Haus, und Sie waren lange genug in meinem Wohnzimmer, um zehn Schecks zu entwenden. Einer davon ist heute in der Bank vorgelegt worden, auf Lukes Namen ausgestellt und von ihm unterzeichnet. Nach meiner Anordnung wurde er nicht ausbezahlt.«
Aus seinem Gesicht wich die Farbe.
»Nicht ausbezahlt . . .« stammelte er, und seine Bestürzung verriet seine Mitschuld.
»Die Schecks haben weniger Interesse für mich als mein Mann«, sagte sie ruhig. »Wo ist er?«
Er bemühte sich vergeblich, seine Selbstbeherrschung zurückzugewinnen und zwang sich zu einem Lächeln.
»Wirklich, meine liebe Margaret . . .« begann er.
»Sie werden mich mit Mrs. Maddison anreden, wenn Sie mir etwas zu sagen haben«, sagte sie. »Ich wünsche, daß Sie die Schecks zurückgeben, und ich will auch, daß Sie mir genau sagen, wo Luke ist.«
»Soviel ich weiß, ist er bei einem entlassenen Sträfling namens Haynes«, antwortete er grob, und zu seinem Erstaunen nickte sie.
»Ich glaubte das auch und ging hin, um mit ihm zu sprechen – aber er war fort. Mr. Haynes schien darüber überrascht zu sein, und jetzt weiß ich, daß Luke nicht freiwillig fortging. Dann dachte ich noch, er wäre seiner Wege gegangen, um von Mr. Haynes loszukommen. Aber der Scheck sagt viel. Wo ist Luke?«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es nicht.«
»Dann werde ich das tun, was ich gern vermieden hätte«, sagte sie. »Ich gehe zur Polizei und werde Sie anklagen, die Blankoschecks gestohlen zu haben, und es dann Mr. Bird überlassen, ob er Sie mit Lukes Verschwinden in Zusammenhang bringen will oder nicht.«
Sie wendete sich zur Tür, aber er erfaßte ihren Arm.
»Um Gottes willen, Margaret, bedenken Sie, was Sie tun!«
Sie sah, er war in Unruhe; seine Stimme zitterte vor Angst und Schreck.
»Ich schwöre Ihnen, ich weiß nicht, wo Luke ist. Er war auf einem Flußschiffe, wo Connor ihn festhielt. Der Hund hat mir nicht gesagt, daß Maddison einen Scheck unterzeichnet hat, nur daß er in den Fluß sprang und entkommen oder ertrunken ist. Das ist die Wahrheit. Ich wußte nichts davon, bis Connor ihn gefunden hatte. Ich schwöre Ihnen, das ist die reine Wahrheit!«
»Wo ist Connor?« fragte sie.
»Ich weiß es nicht. Er war heute morgen hier und erzählte mir, daß es Luke gelungen war, auszureißen. Ich glaubte ihm nicht, wahrscheinlich hat er mich angelogen. Das ist alles, was ich weiß.«
Danty sah, sie war unentschlossen, und er suchte sie von ihrer Absicht abzubringen. Er zweifelte nicht, daß sie schließlich tun würde, was sie ihm angedroht hatte.
Sie wußte nicht, was sie tun sollte.
»Können Sie Haynes aufsuchen?«
»Haynes aufsuchen?« schrie er fast. »Bilden Sie sich vielleicht ein, daß ich mit dem Kerl zusammenkommen möchte! Er ist ein gefährlicher Mensch, Margaret – –«
»Mrs. Maddison«, sagte sie kalt.
»Er ist gefährlich – Sie sollten nichts mit ihm zu tun haben.«
Er versuchte nicht mehr, den Diebstahl der Schecks zu leugnen.
»Sie wissen also nicht, wo Mr. Maddison ist?«
»Nein, Mrs. Maddison –« er hatte ihre Zurechtweisung beherzigt – »ich habe keine Ahnung, Connor hat die ganze Nacht nach ihm gesucht.«
Als sie nach Hause kam, fand sie den Spatz vor der Tür auf sie warten. Sie wunderte sich über die große Handtasche, sagte aber kein Wort, auch nicht, als er in dem kleinen Arbeitszimmer den Inhalt der Tasche auf den Tisch legte. Sie erkannte die zerdrückten Sachen nicht.
»Diese Kleider wurden im Besitz eines Flußdiebes gefunden, der sie heut morgen verkaufen wollte«, erklärte der Spatz. »Der Mann wußte nicht, daß der Name Ihres Gatten in die innere Tasche eingenäht war.«
»Der Name meines Mannes?« wiederholte sie atemlos und erblaßte. »Wo hat er die Sachen her?«
»Das möchte ich auch gern wissen. Er hat uns erzählt, daß er gestern abend einen Mann, völlig durchnäßt, am Rande des Flusses auflas und ihn mit zu sich nach Haus nahm. Wir haben seitdem festgestellt, daß es sich trotz der in manchen Einzelheiten übereinstimmenden Beschreibung nicht um Mr. Maddison handeln kann, der ja doch, wie ich annehme, im Ausland ist.«
Klang nicht seine Stimme etwas sarkastisch? Sie glaubte, einen Unterton von Ironie mitschwingen zu hören . . . und antwortete klugerweise nicht.
»Der Mann sagte, die Kleider wären ihm geschenkt worden, aber das ist natürlich die übliche, abgedroschene Geschichte. Ich glaube, der Anzug ist gestohlen worden, während der Besitzer im Bett lag. Können Sie vielleicht eine Aufklärung darüber geben?«
Sie schüttelte den Kopf.
Es war ein erbärmliches Geständnis, aber sie wußte, sie war nicht einmal imstande, einen alten Anzug ihres Mannes wiederzuerkennen. Es handelte sich um den Anzug, den er angezogen hatte, als er in seine Wohnung eingebrochen war.
»Kennen Sie ihn nicht wieder?«
Sie schüttelte hilflos den Kopf.
»Es kann auch nicht ein alter Anzug gewesen sein, den Ihr Mann vielleicht weggegeben hat, denn das Lieferdatum stand unter Mr. Maddisons Namen. Der Anzug war kaum einen Monat alt.«
Er sah sie scharf an.
»Die Angelegenheit mit Ihrem Mann erscheint mir in vielen Dingen rätselhaft, und ich glaube, Mrs. Maddison, Sie sind in irgendwelche Schwierigkeiten geraten. Ich würde Ihnen gern helfen, wenn ich nur könnte.«
Sie wollte etwas sagen, aber er kam ihr zuvor.
»Erzählen Sie mir nichts, bevor Sie nicht gehört haben, was ich weiß. Vier, fünf verschiedene, ganz interessante Einzelheiten –« und er zählte sie an seinen Fingern ab – »Ich weiß, daß Ihr Mann am Tage nach der Trauung verschwand. Ich weiß, daß in seiner Wohnung eingebrochen wurde. Ich weiß, daß man in dem Einbrecher denselben Mann wiedererkannte, der am Nachmittag bei der Taffanny-Sache mitgeholfen hatte. Ich weiß, daß aus seiner Wohnung neben anderen Dingen sein Paß gestohlen wurde. Ich hatte später mit seinem Diener gesprochen, der mir erzählte, daß sich in einer Schublade des Schreibtisches ein Paß befunden hätte. Sollte es nun eine Möglichkeit geben – wissen Sie, das ist eine der phantastischen Theorien, mit denen die Schriftsteller mächtig viel Geld verdienen –, sollte es nun eine Möglichkeit geben, sagte ich mir, daß dieser Mann vielleicht Mr. Maddison ist, dann sind die einzigen Menschen, die ihm helfen können–wir von der Polizei. Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, daß er nicht der Mann ist, Taffanny zu berauben. Sollte es sich vielleicht um eine Art von . . . hm . . . Doppelgänger handeln, können wir Ihnen, glauben Sie mir das, Mrs. Maddison, mehr als nützlich sein.«
Sie schwieg. Mit bedauerndem Kopfschütteln verabschiedete sich der Detektiv; den Anzug nahm er wieder mit und – eine Überzeugung, die nicht mehr zu erschüttern war.
Ein merkwürdiger Zufall, daß er die zerdrückten Sachen in das Haus brachte, wo im Schlafzimmer ein sorgfältig gepackter Koffer stand, der für Luke einen anderen Anzug enthielt.
Sie überlegte unruhig, wo sie den Koffer möglichst leicht erreichbar und unauffällig unterbringen konnte, und entschied sich schließlich, ihn in der Handgepäckabgabe eines Bahnhofes abzugeben. Sobald man Lukes Aufenthalt entdeckt hätte, konnte man ihm den Schein zukommen lassen; sie wartete aber bis zum Einbruch der Dunkelheit, um ihren Plan zur Ausführung zu bringen.
Der Abend sah auch Danton Morell in großen Sorgen. Am Nachmittag, kurz nachdem ihn Margaret Maddison verlassen hatte, machte er eine Entdeckung, die ihn vor Angst fast von Sinnen brachte. Seine Macht über Margaret hatte er verloren; sie konnte jeden Augenblick zur Polizei gehen, und gerade jetzt war er ängstlich bemüht, seine Bekanntschaft mit Scotland Yard nicht zu erneuern. Es stand sehr schlecht mit ihm; er schuldete eine große Summe, die er am nächsten Tage in der City bezahlen mußte. Seine Lage war jetzt, wo auch noch die Möglichkeit hinzukam, mit der Polizei in Konflikt zu kommen, äußerst gefährlich.
Danton Morell war in vieler Hinsicht ein vorsichtiger Mann. So verschwenderisch er auch war, hatte er sich doch eine bedeutende Summe beiseite gelegt, die er trotz aller Versuchung nie angerührt hatte. Dies Geld, das in zwei, drei Banken unter falschem Namen in Depot gegeben war, hatte er am Morgen abgehoben. Er hatte nichts weiter zu tun, als seinen sorgfältig ausgearbeiteten Fluchtplan zur Ausführung zu bringen. In der Nähe Londons lag ein kleiner Flugplatz, auf dem dann und wann Schauflüge stattfanden, und Danty hatte in weiser Voraussicht die Gesellschaft finanziert, der die Flugzeuge gehörten. Er rief dort an und ließ sich eine Maschine reservieren, einen großen mehrsitzigen Eindecker, den die Gesellschaft kürzlich erworben hatte. Er gab die notwendigen Anweisungen für Tanken und sorgfältiges Überholen der Maschine. Sein erstes Ziel sollte die Schweiz sein. Danty hatte nicht die geringste Absicht, einen Begleiter mitzunehmen, aber es sollte sich herausstellen, daß er nicht der einzige angstgepeitschte Mann an jenem Tage in London war.
Danty suchte in aller Eile die Papiere heraus, deren Zurücklassen böse Folgen für ihn haben könnte, und richtete seine Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Kassette, die den gefährlichsten Teil seiner Korrespondenz enthielt. Das Schloß war aufgebrochen! Entsetzt riß er den Deckel auf, schüttelte den Inhalt auf den Tisch . . . Das Paket Briefe, das er wahnsinnig genug gewesen war aufzubewahren, war verschwunden! Und der kleine Zettel mit Rex' Worten gleichfalls.
Seine Hände zitterten derartig, daß er kaum die Papiere halten konnte, die er durchflog. Unnötig, sich den Kopf zu zerbrechen, wer wohl der Täter gewesen war, wer die Kassette aufgebrochen hatte! Der Gunner war in der Nachbarschaft gesehen worden. Pi Coles hakte es ihm erzählt. Der Gunner war es, der seine Wohnung durchsucht, der die Papiere entwendet hatte. Danty Morell sah den Tod mit grinsendem Gesicht vor seinen Augen, war wie gelähmt, unfähig, einen Gedanken zu fassen. Als an die Wohnungstür geklopft wurde, sprang er von seinem Stuhl auf, die zitternde Ruine eines Mannes, und wagte nicht zu öffnen.
Es klopfte von neuem, und er zwang sich zur Ruhe, ging zur Tür und fragte, wer da wäre. Als er Connors Stimme erkannte, hätte er vor Freude aufschreien können.
»Was ist los mit Ihnen?« fragte Connor, als sie im Zimmer waren.
»Ich habe einen verdammt unangenehmen Schreck gehabt und fühle mich nicht besonders wohl. Wissen Sie, daß man hinter den Blankoscheinen her ist?«
Auch Conny sah nicht übermäßig glücklich aus.
»Weiß schon. Ein Scheck, den ich nach der Bank geschickt habe, ist nicht ausbezahlt worden, und jetzt ist fast ganz Scotland Yard auf der Suche nach dem Boten. Sie wissen nämlich, wer es gewesen ist, und das ist das Schlimmste dabei. Sie sind da auch mit drin, Danty!«
»Wir beide, glaube ich«, knurrte der andere. »Ich mach' mich dünn heute abend!«
»Sie haben doch keine Möglichkeit, aus London 'rauszukommen.« Connor lachte roh. »Wie wollen Sie's denn machen?«
Es lag Danty auf der Zunge, ihm etwas vorzuschwindeln, aber gerade jetzt hatte er Connors Hilfe nötig. Connor scheute nicht davor zurück, in dringenden Fällen einen Revolver zu gebrauchen und – haßte Gunner Haynes.
»Mit Flugzeug von Elford«, sagte er. »Wir müssen uns beim Gunner bedanken. Er hat uns verpfiffen.«
»Er hat ja niemals was anderes gemacht«, sagte Connor, ohne sich weiter zu ereifern. »Wohin geht's denn?«
»Schweiz«, war Dantys kurze Antwort.
»Paßt mir sehr gut!«
Connor blickte auf die Papiere, die auf dem Tisch lagen.
»Großes Reinemachen, was?« fragte er bedeutungsvoll. »Wieviel Geld haben Sie?«
Danty log. Wenn es sich um Geld handelte, brachte er es nicht fertig, die Wahrheit zu sagen.
Die Besprechung war von kurzer Dauer. Sie kamen überein, sich sofort auf den Weg nach dem Flugplatz zu machen und dort die letzten Vorbereitungen für ihre Reise zu treffen.
Die Fahrt durch die Vorstädte Londons wurde schweigend zurückgelegt. Von Zeit zu Zeit hob Danty die Gardine an dem kleinen Fenster in der Rückwand des gemieteten Autos und spähte auf die dunkle Straße hinaus.
»Was haben Sie denn?« knurrte Connor.
»Ein Wagen, ein Zweisitzer, ist hinter uns!«
»Ja, und?« fragte der andere ironisch. »Wollen Sie die Straße für sich allein haben?«
Als Danty einige Minuten später wieder hinausblickte, war der Wagen verschwunden.
Die Vorbereitungen für den nächtlichen Flug hatten nicht so schnell gemacht werden können. Man hatte sich erst jetzt mit dem Piloten, der auf Urlaub in Midland war, in Verbindung setzen können.
»Es ist gut, daß wir selbst hierhergekommen sind, sonst hätte die Sache vielleicht nicht geklappt«, sagte Connor, als sie zurückfuhren. »Wann, sagten Sie, wollen Sie wieder hier sein?«
»Gegen Mitternacht.«
»Wonach gucken Sie denn?« fragte Connor einige Minuten später. »Wieder der kleine Wagen?«
Er schob seinen Begleiter beiseite und sah selbst hinaus. »Ein Lastkraftwagen . . . hat der vielleicht was mit uns zu tun?«
Danty schwieg. Niemand konnte sich die Angst vorstellen, die ihn gepackt hielt. Hinter ihm schritt der grausige Schatten der Vergeltung, und in jedem Augenblick erwartete er, Gunner Haynes' Raubvogelgesicht in der Dunkelheit auftauchen zu sehen.
Er kehrte nicht mehr in seine Wohnung zurück. Ein telephonischer Anruf brachte Pi Coles mit einem Mantel und warmem Schal – das war sein einziges Gepäck – in den Park. Er lohnte ihn freigebig ab. Nichts war mehr zu tun, als die letzten Stunden zu verbringen, bevor er England für immer verließ.
Er rief noch einmal den Flugplatz an. Befriedigt hörte er, daß der Pilot eingetroffen sei. Gern hätte er den Stark einige Stunden früher festgesetzt, aber einmal mußte er sein Wort halten. Er wußte, Connor war ein gefährlicher Mann, und es war nicht im geringsten sein Wunsch, statt eines Feindes zwei hinter sich zu wissen.
Mehrere Male, als er durch die weniger belebten Straßen Pimlicos schlenderte, hatte er das Gefühl, als ob man ihm folgte; als er sich aber einmal in verzweifeltem Bravado umdrehte und einen Mann zur Rede stellte, der hinter ihm ging, handelte es sich nur um einen harmlosen Passanten, der versuchte, eine Hausnummer zu finden.
Er hatte noch etwas zu tun – Rache zu nehmen! In einer Teestube schrieb er ein Telegramm, erreichte auf einem weiten Umwege die Hauptpost und gab es auf. Die Adresse lautete: Inspektor Bird. Scotland Yard, und der Inhalt war:
»Der Mann, der am Taffanny-Einbruch beteiligt war, ist Luke Maddison. Er versucht, heute nacht aus London zu entkommen. Seine Frau und Gunner Haynes sind über sein Doppelleben informiert.«
Und er unterschrieb mit seinem vollen Namen.
Er wußte, das Telegramm würde trotz der späten Stunde ausgetragen werden. Jetzt machte er sich auf den Weg, um seinen Kumpan zu treffen, und fühlte sich zufriedener, als er es den ganzen Tag über gewesen war.