Edgar Wallace
Hands up!
Edgar Wallace

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27

Mr. Connor traf zur verabredeten Stunde ein, lohnte sein Taxi kurz vor der Brücke in der Nähe des Teiches ab und schlenderte dem Wasser zu. Es drohte zu regnen und ein kalter Wind wehte – es war kein Abend, der romantische Paare hierhin gelockt hätte.

Aber Mr. Connor war nicht romantisch veranlagt, im Gegenteil sehr realistisch. Er konnte Margaret Maddisons Widerstreben, nach seiner Werft zu kommen, vollständig verstehen und seine eigene Dummheit nicht begreifen, ihr diesen Vorschlag gemacht zu haben. Sie wäre nur in Begleitung der Polizei gekommen, wie der Gunner gemeint hatte, wenn dies überhaupt ihre Absicht gewesen wäre.

Er fand einen Klappstuhl, schlug ihn auf und setzte sich. Hier war die Aussicht auf ein gutes Einkommen. Er hätte sogar den Gunner dafür segnen mögen, daß er sich in seine Angelegenheiten gemischt hatte . . . gerade in dem kritischsten Augenblick für Luke Maddison. Er blickte nach links und rechts. Niemand war zu sehen. Die Polizei, das wußte er, machte nur selten auf diesem Wege die Runde.

Neben ihm war ein Rasenstreifen, der durch ein niedriges Gitter vom Fußwege getrennt war. Er war in Betrachtung all der Aussichten versunken, die ihm seine Entdeckung gebracht hatte, als sich plötzlich eine Hand schwer auf seine Schulter legte und etwas Kaltes seinen Nacken berührte.

»Kein Wort, oder ich schieße«, sagte eine dumpfe Stimme hinter ihm. »Nicht umsehen, mein Junge!«

»Was soll das heißen?« knurrte Connor, der – man mußte ihm gerecht werden – weniger Angst als Ärger empfand.

»Hands up! Wollen mal sehen, wen ich da habe«, sagte der Fremde befehlend. »Dreh dich jetzt um!« Connor gehorchte.

Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und er hätte seinen Angreifer erkennen können, wäre das Gesicht unbedeckt gewesen; aber wo das Gesicht sein sollte, war ein schwarzer Fleck.

»Überfall durch einen maskierten Straßenräuber!« murmelte der andere, während seine freie Hand Connors Taschen befühlte.

»Sie brauchten Ihr Gesicht nicht zu verdecken, Gunner«, knurrte Connor. »Ich würde Sie überall erkennen.«

Der andere sagte nichts; seine Hand fuhr in die innere Tasche von Connors Rock und zog etwas daraus hervor. Connor griff nach seinem Handgelenk, aber der Lauf des Revolvers traf ihn so unsanft unters Kinn, daß seine Zähne zusammenschlugen.

»Sie kommen wegen des Passes, nicht wahr? Ich war ein Dummkopf, auf Ihren Brief 'reinzufallen. Aber es macht keinen Unterschied, Gunner, Sie können der Frau, die Sie herschickt, sagen – –«

»Du schwatzt zuviel«, sagte der Maskierte.

Er steckte seine Hand in Connors Seitentasche, zog eine Pistole hervor und warf sie in das dunkle Wasser. Connor hörte das Aufspritzen des Wassers, als sie hineinfiel.

»Wahrscheinlich spart dir das zehn Jahre«, sagte der Angreifer freundlich. »Was ich gerne tue, ist: anderen Zuchthausstrafe ersparen!«

Er faßte in die Hosentasche seines Opfers und zog eine Handvoll Banknoten hervor.

»Mehr Reichtum, als der größte Geizhals sich träumen läßt«, sagte er, während er das Geld in seiner eigenen Tasche unterbrachte. »Gespart zum Ankauf eines Wagens oder so was Ähnliches?«

»Sie werden noch von mir hören«, drohte Connor. »Bilden Sie sich nicht ein, daß ich mir das gefallen lasse!«

Er hörte ein leises Lachen, aber es klang so wenig heiter, daß er schauderte.

»Was hält mich ab, ein Ende mit dir zu machen? Nichts!« sagte der Mann mit der Maske. »Ich rate dir, Connor, zu deinem eigenen Besten: Kein Geschrei wegen dieser kleinen Angelegenheit!«

»Maddison steckt dahinter – aber ich werde ihn mir langen!« stieß Connor zwischen den Zähnen hervor. »Ich mache keinen Spaß . . .«

»Du schwatzt zuviel«, sagte der andere wieder, packte sein Opfer an den Schultern und schwenkte ihn so schnell herum, daß Connor taumelte. Und ehe er sein Gleichgewicht wiedergewonnen hatte, gab ihm der Fremde einen so heftigen Stoß, daß er ins Wasser stürzte.

Als sich Connor herausgearbeitet hatte, war der Mann verschwunden.

Die Nacht war nicht geeignet, in nassen Kleidern herumzulaufen, aber sie waren beinahe wieder trocken, als Connor einen neuen Plan gefunden hatte. Er wußte jetzt genau, warum ihn der Gunner an jenem Tage aufgesucht hatte – er war wegen des Passes gekommen, aber das Dazwischenkommen von Inspektor Bird mit der jungen Dame hatte es ihm unmöglich gemacht, das Dokument zu erlangen.

Connor hatte eine Menge Pläne, aber er verwarf sie alle. Dann erinnerte er sich des einzigsten Menschen, der ihm Hilfe leisten könnte. Daß er das Oberhaupt einer Rivalenbande war, kam in diesem Falle nicht in Betracht. Kaum hatte er diesen Gedanken gefaßt, so rief er Danty Morells Wohnung an. Der war einer der gerissensten Menschen, viel schlauer als er selbst – ein Mann, der mit den verwöhntesten Lebemännern in Verbindung stand und von dem man sagte, er hätte Geld genug, um sich zur Ruhe setzen zu können, obgleich er angeblich immer noch der Führer der Bande war.

Danty lag im Bett, als der Anruf kam. Er verwünschte alle Fernsprecher und ging mit bloßen Füßen an den Apparat. Er war mit Connor nicht genug bekannt, um dessen Stimme zu erkennen, aber dieser verlor keine Zeit und sagte ihm, wer er sei.

»Was ist los?« fragte Danty mißtrauisch.

Er wußte, es bestand Feindschaft zwischen den beiden Banden, aber er selbst hatte es immer verstanden, weder seine eigenen Leute zu ärgern, noch die feindliche Bande unnötig zu reizen.

»Es ist eine große Sache und viel Geld zu machen. Können wir uns sofort sprechen?« fragte Connor.

Danty überlegte eine volle Minute.

»Gut, kommen Sie her«, sagte er schließlich.

Er war nicht besonders über die Zusammenkunft begeistert, da er bemerkt hatte, daß sein Haus von Zeit zu Zeit unter Beobachtung stand. Er weckte Pi Coles und erzählte ihm, wer kommen würde. Der dicke, kleine Mann schüttelte den Kopf.

»Connor ist ein gerissener Hund. An deiner Stelle würde ich ihm aus dem Wege gehen.«

Von Zeit zu Zeit hatte es hitzigen Krieg zwischen den beiden Banden gegeben, aber Danty hielt sich von ihren Unternehmungen so fern, daß er einen unparteiischen Standpunkt einnehmen konnte. Er ließ sich nie südlich des Flusses sehen, ehe nicht die Fehden beendet waren, und es war eine stillschweigende Übereinkunft zwischen den beiden Banden, ihn ungeschoren zu lassen.

Danty hatte davon geträumt, alle seine alten Beziehungen abzuschütteln und zu vergessen, daß er jemals Flußräuberei getrieben und daraus eine kleine, aber beständige Einnahme gehabt hatte.

Als Connor kam, war er angekleidet. Pi, sein Diener, der eine Viertelstunde lang zum Fenster hinausgesehen hatte, berichtete, daß der Mann die Half Moon Street entlang kam.

»Er ist allein«, sagte er, und Danty fühlte seine Unruhe schwinden.

Connor war in liebenswürdiger Stimmung – was aber nichts bedeutete. Liebenswürdigkeit gehörte zu seinem »Geschäft«.

»Eigentlich unverschämt, Sie aufzusuchen, Mr. Morell«, sagte er, »aber es ist etwas vorgefallen, und ich hoffe, Sie werden mir helfen. Wenn ich sage ›mir helfen‹,« fügte er bedachtsam hinzu, »meine ich, daß Sie auch sich helfen. Meine Leute und Ihre stehen nicht immer auf gutem Fuße, aber ich denke, das wird nichts ausmachen.«

Danty bedeutete ihm mit der größten Höflichkeit, daß er über dem Widerstreit der Parteien stände. Er schob ihm selbst eine Kiste mit Zigarren hin, und Connor zündete sich behutsam und gedankenvoll eine an.

»Ich weiß zufällig eine Menge von Ihnen, Morell – es ist bekannt, daß Sie der geriebenste Bursche in London sind. Sie kennen doch Mr. Maddison – er erwähnte Ihren Namen.«

Danty machte große Augen.

»Maddison?« sagte er langsam. »Woher kennen Sie ihn denn?«

Connor grinste.

»Ich will Ihnen nichts vorlügen. Bis gestern kannte ich ihn nicht.« Dann fragte er ganz unvermittelt: »Wieviel Geld hat er?«

Bei dieser Frage stutzte Morell.

»Bin ich denn ein Auskunftsagent?« fragte er spöttisch. »Er ist reich, mehr kann ich Ihnen nicht sagen, und das wissen Sie jedenfalls selbst.«

Er hätte noch hinzufügen können, daß Lukes Reichtum für ihn augenblicklich eine Quelle großen Ärgers war.

Er war neugierig, warum sich der Bandenchef für Luke interessierte und wie er mit ihm zusammengekommen war, doch Connor zeigte vorläufig keine Lust, ihn aufzuklären.

»Die Sache ist die, Morell: wenn der Mann reich ist und wir ordentlich was aus ihm herausziehen können, sind Sie bereit, halbpart zu machen?«

Danty antwortete nicht. Er hatte durchaus nicht die Absicht, sich diesem Manne anzuvertrauen, der vielleicht wirklich freundschaftlich gesinnt war, der aber auch möglicherweise eine Falle für ihn bereit hielt.

»Gut, ich werde es Ihnen sagen«, sagte Connor, »weil Sie nun einmal mit darin stecken, ob Sie wollen oder nicht. Wenn Sie mitmachen, gibt es nur einen Weg: Wir teilen!«

»Vielleicht sind Sie so gut und erklären sich deutlicher?« sagte Morell.

Der andere nickte.

»Das gehört sich«, sagte er. »Erinnern Sie sich, daß Lewing getötet und ein anderer schwer verletzt wurde?«

»Ich erinnere mich«, antwortete Morell.

»Wissen Sie, daß vor zwei Tagen Taffanny beraubt wurde und ein bärtiger Mann mit einem Haufen Brillanten davonkam?«

Danty nickte wieder.

»Wissen Sie, daß das derselbe Mann ist – der Kerl, der im Krankenhause lag, und der, der den Wagen fuhr? Und wissen Sie, daß es Mr. Luke Maddison war?«

Danty starrte ihn mit offenem Munde an.

»Unsinn!« sagte er höhnisch. »Maddison ist in Spanien.«

Der andere lachte.

»In Spanien soll er sein? Ich will Ihnen sagen, wo er ist. Er hat sich bei Gunner Haynes versteckt. Und noch mehr – seine Frau weiß, daß die Polizei hinter ihm her ist.«

Luke Maddison ein Dieb! Von der Polizei gesucht? Der Gedanke war so phantastisch, daß Danty ihn nicht zu fassen vermochte. Doch Connor fing an zu erzählen. Er gab keine Auskunft über die Umstände, unter denen Luke seine Persönlichkeit offenbart hatte; aber als Danty von dem vermeintlichen Betrug des Verbündeten Connors hörte, konnte er sich leicht alles zusammenreimen.

»Wir wollten mit ihm abrechnen, da kam Gunner Haynes dazwischen und brachte ihn fort. Natürlich glaubte ich die Geschichte nicht, bis einer meiner Leute einen Paß fand.«

»Sie schrieben an Mrs. Maddison?«

Connor nickte.

»Wir bekamen eine gefälschte Antwort – ich könnte mich ohrfeigen, daß ich den Schwindel nicht durchschaut habe. Dann fing mich der Gunner im Park ab und nahm mir den Paß weg.«

Danty überlegte schnell. Er wußte, daß diese Geschichte auf Wahrheit beruhte, daß Luke auf irgendwelche merkwürdige Weise in einen Diebesbandenkrieg verwickelt war und sich jetzt vor der Polizei verbergen mußte. Den Grund, warum der Paß so nötig für ihn war, konnte er sich denken – ihn zu bekommen, war der Zweck seines Einbruchs in seine eigene Wohnung gewesen. Mit dem Paß in der Hand wäre es ein leichtes für ihn, nach dem Kontinent zu gehen, und mit seinem Verschwinden aus London schwand auch die Hoffnung, ihn mit dem Taffanny-Einbruch in Verbindung zu bringen. Und Margaret kannte – wenn auch nicht alles – so doch den wesentlichsten Teil von Connors Geschichte.

Denken und Handeln war bei Danty eins. Er ging in den Korridor ans Telephon und rief Margaret an. Sie war gewiß schon im Bett, aber er würde darauf bestehen, sie zu sprechen.

Zu seiner Überraschung war sie selbst am Apparat.

»Sind Sie es, Margaret?«

»Wer ist dort?« fragte sie schnell.

»Danton«, sagte er. »Hören Sie; etwas sehr Wichtiges – ist heute abend ein Mann namens Haynes bei Ihnen gewesen?«

Sie zögerte, ehe sie antwortete.

»Ja«, sagte sie schließlich, »aber ich glaube nicht, daß irgend –«

»Hören Sie zu, bitte«, bat er. »Haben Sie ihm Geld gegeben? Das ist sehr wichtig.«

Wieder zögerte sie.

»Antwort, bitte!« wiederholte er.

»Ja«, sagte sie. »Ich gab ihm etwas Geld – nicht für ihn selbst – –«

Es kam ihr zu spät zum Bewußtsein, daß sie einen Fehler gemacht hatte.

»Für jemand anders?« fragte Danty eifrig.

Er wartete, aber er hörte, daß sie den Hörer an den Apparat hing. Er ging schleunigst zu Connor zurück.

»Er hat den Paß, und er hat Geld bekommen; das will sagen, daß er morgen früh mit dem ersten Zuge nach dem Kontinent abfahren wird. Sie müssen einige von Ihren Leuten morgen früh am Bahnhof haben, damit sie die Schranken bewachen und Maddison zurückschrecken, wenn er versucht, England zu verlassen.«

Er rief nach Pi Coles.

»Bring mir meine Schuhe«, sagte er; und als der Mann wieder aus dem Zimmer war: »Ich gehe zu Mrs. Maddison, um die erste Rate unserer Pension zu holen. Wieviel dachten Sie, daß Sie von ihr bekommen hätten, wenn sie auf Ihre Werft gekommen wäre?«

»Ich rechnete auf tausend«, sagte Connor, und Danty lachte in sich hinein.

»Wenn dieser Spaß nicht hunderttausend wert ist, dann überhaupt nichts!« sagte er.


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