Edgar Wallace
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Edgar Wallace

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28

Margaret ahnte, daß Danton nach dem Telephongespräch selbst kommen würde, und war nicht überrascht, als sie klingeln hörte. Sie ging auf den Treppenabsatz und rief dem Diener, der nach der Tür eilte, zu:

»Wenn es Mr. Danton Morell ist, führen Sie ihn, bitte, herauf.«

Das erste, was ihr an Danty auffiel, war eine gewisse Unordentlichkeit in seinem Äußeren, die sie sonst nie an ihm bemerkt hatte. Gewöhnlich war er ein peinlich sorgfältiger Mann; jedes Haar lag glatt auf seinem Kopfe; seine Anzüge waren stets fleckenlos. Aber jetzt war sein Haar nicht gebürstet, Rock und Beinkleid waren verschieden, alles erweckte den Eindruck, als ob er sich in großer Eile angezogen hätte.

Sie fühlte die Feindseligkeit und die veränderte Haltung ihr gegenüber im Augenblick seines Eintretens.

»Margaret, es tut mir leid, daß ich eine unangenehme Pflicht erfüllen muß«, sagte er hastig. »Es betrifft Ihren Gatten; er muß wahnsinnig geworden sein und scheint sich recht in die Patsche gebracht zu haben. Was auf der Welt hat ihn dazu veranlaßt?«

»Wozu?« fragte sie harmlos.

Er lächelte.

»Es hat keinen Zweck, mir vorzumachen, Sie wüßten es nicht, meine Liebe. Luke hat sich mit einer Gaunerbande eingelassen. Ich weiß nicht, was ihn dazu bewog oder wer das Weib ist, die dazwischen steckt.« Er fügte das mit aller Absicht hinzu und war enttäuscht, als sie lächelte.

»Sie denken immer an Frauen, Danton. Vielleicht war es dieselbe Dame, die Sie in Paris entdeckten? Entsinnen Sie sich, Ihr Diener telegraphierte mir doch darüber!«

»Ich schwöre Ihnen . . .« begann er, aber sie wehrte ab.

»Es lohnt nicht, darüber zu streiten. Was wollen Sie jetzt noch?«

Danton zuckte mit den Schultern.

»Gut, da ist ein Mann namens Connor, der sehr beleidigt zu sein scheint, daß Sie heute abend die Verabredung, die Sie mit ihm hatten, nicht eingehalten haben. Er sagt, Sie hätten ihm tausend Pfund versprochen –«

»Ich habe nichts versprochen, und es würde mir nicht im Traume einfallen, ihm tausend Pfund zu geben«, sagte Margaret und fügte zu: »Auch Ihnen nicht.«

Sie sah, wie er zusammenzuckte. Bis dahin hatte sie nicht gewußt, welche große Rolle das Geld in Danton Morells Leben spielte.

»Es hat keinen Sinn, sich aufzuregen«, sagte er. »Es würde Ihnen und Luke nur schaden, wenn Sie sich mit Connor verfeinden. Er ist einer der mächtigsten Bandenführer in London, und unglücklicherweise weiß er, daß Luke der Mann war, der neulich den Diebstahl bei Taffanny ausführte. Was wollen Sie nun machen?«

»Ich weiß es noch nicht«, sagte sie.

»Connor braucht Geld – einige tausend Pfund. Es liegt mir natürlich daran, Ihnen die Schande zu ersparen, und da der Mann zu mir kam, mich um Rat fragte, hielt ich es für das beste, als Vermittler hierherzukommen. Sie haben dem Unrechten Geld gegeben, Margaret. Haynes kann Ihnen nicht helfen – übrigens glauben Sie doch nicht etwa, daß Luke das Geld bekommt, das Sie ihm für ihn mitgegeben haben?«

Als sie nicht antwortete, fuhr er fort:

»Ich habe gar nichts damit zu tun, und wenn es Ihnen Spaß macht, sich mit Connor zu verfeinden, so ist das ganz und gar Ihre Sache. Aber – –«

Sie unterbrach ihn.

»Bilden Sie sich ein, ich würde mir zweitausend Pfund von Ihrem Freunde erpressen lassen?«

»Er ist nicht mein Freund«, beteuerte Danty, »und von Erpressung kann überhaupt keine Rede sein. Wie es scheint, hat sich Luke das Geld von Connor geborgt.«

Sie lachte leise und sah ihn belustigt an.

»Wie wenig überzeugend Sie sein können, Mr. Morell! Schön, ich sage Ihnen hiermit, daß ich weder Ihnen noch Mr. Connor auch nur einen Schilling geben werde. Wir können uns alle unnützen Auseinandersetzungen darüber ersparen.«

»Den Rat gab wohl Haynes, nicht zu zahlen, he?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte sie ruhig, »Inspektor Bird. Nachdem Sie telephoniert hatten, sprach ich mit ihm und stellte ihm einen angenommenen Fall vor – er wird herkommen.«

Im selben Augenblick klingelte es scharf an der Haustür.

»Ich glaube, das ist er«, sagte sie und empfand es wie eine Genugtuung, daß Danton Morell auffallend erblaßte.

»Sie werden ihm doch nichts sagen?« fragte er unruhig. »Ich meine, daß ich das Geld verlangt habe – wegen Connor? Es wird alles 'rauskommen – Sie werden sehen – über Luke, meine ich. Sein Name wird als Genosse von Mördern und als Juwelendieb in ganz London breitgetreten werden.«

Er sprudelte eine Menge Unzusammenhängendes hervor, während sie schon das Zimmer verließ, um den Spatz zu begrüßen.

In den ersten Tagesstunden war Mr. Bird immer in der fröhlichsten Laune. Er war in Scotland Yard gewesen, als Margaret ihn anrief, und war keineswegs überrascht, als er beim Eintreten in das Wohnzimmer Danton Morell verwirrt und schuldbewußt vor dem kleinen Feuer stehen sah, das im Kamin brannte.

»Schön, schön, es ereignen sich immer noch Wunder. Ich war seit Jahren nicht in einer Gesellschaft! Daß ich Sie hier treffe, Danty!« Er kicherte.

Seine Augen beobachteten Margaret.

»Wenn Sie glauben, ich werde Sie tadeln, daß Sie mit schlechter Gesellschaft verkehren, so irren Sie sich, Mrs. Maddison. Ich weiß, Sie sind eine der ersten Damen der Gesellschaft und tun natürlich viel Gutes in Verbrecherkreisen. Was gibt's, Danty? – – – Haben Sie Ihren Onkel verloren und möchten nun Fahrgeld haben, um aus London fortzukommen? – Was würden Sie tun, wenn jemand Geld von Ihnen verlangt, damit er den Mund hält? – Danty würde so etwas Niedriges gewiß nicht tun, nicht wahr, Danty? Er hat nie etwas verbrochen, außer . . . jetzt ist er gebessert. Das Stehlen hat er aufgegeben und ist zur Fondsbörse übergegangen.«

»Ich bin nicht an der Fondsbörse«, ließ sich Danty zu einer Antwort reizen.

»Ich dachte, Sie wären heute eingetreten«, sagte der Spatz freundlich. »Ich sah Fahnen in der City. Vielleicht hat auch der König von Belutschistan das Bürgerrecht erworben!«

Er blickte Margaret fragend an und las die Antwort in ihren Augen.

»Gut, Danty, wir wollen Sie nicht länger aufhalten. Mrs. Maddison und ich haben einige Gedanken über Erpressung auszutauschen. Wie geht es Connor?«

»Ich habe Connor seit Monaten nicht gesehen«, sagte Danton heiser.

Der Geheimpolizist rieb sich sein dickes Kinn.

»Das ist komisch. Ich glaubte, er hätte Sie heute nacht in Ihrem Hause aufgesucht und wartet dort noch auf Ihr Zurückkommen. Werde alt, vermute ich – man bekommt solche Sinnestäuschungen in meinem Alter –, ich bilde mir oft ein, Gauner zu sehen, wenn es nur Börsenmakler sind, oder nicht einmal das.«

Mit sehr unangenehmen Gefühlen stieg Danty Morell die Treppe hinunter, mehr geängstigt als verärgert. Es war keine Droschke in Sicht, aber einige Häuser entfernt hielt nahe am Fußsteig ein Wagen, der verdächtige Ähnlichkeit mit einem Polizeiauto hatte. Er eilte daran vorbei und war froh, als er um die Ecke biegen und aus dem blendenden Licht der Wagenlampen herauskommen konnte.

Connor saß mit Pi Coles beim Kartenspiel, als er nach Haus kam.

»Nun, hatten Sie Glück?«

Für Dantys Geschmack war dieser Mensch zu zuversichtlich; ihm wäre ein zweifelnder und hoffnungsloser Ton in seiner Frage lieber gewesen.

»Ich habe kein Geld bekommen, wenn Sie das meinen. Der Spatz war dort.«

Connor fuhr hoch, seine zusammengekniffenen Augen hefteten sich auf seinen Verbündeten.

»Das klingt mir wie eine verdammte Lüge«, sagte er, aber Danty fühlte sich nicht beleidigt.

»Er war noch nicht da, als ich hinkam, aber ich hatte kaum angefangen zu reden, da erschien er. Sie hatte nach ihm geschickt.«

Jetzt war Connor überzeugt. Seine Lippen spitzten sich, als wenn er eine unhörbare Melodie pfiffe.

»Wurde mein Name dabei genannt?« fragte er nach einigem Überlegen.

»Ja, der Spatz nannte ihn. Er sagte, er wüßte, daß Sie in meiner Wohnung wären und auf mich warteten.«

Connor legte sich nachdenklich und stirnrunzelnd im Stuhl zurück.

»Ich glaube, das ist auch Schwindel«, sagte er mehr zu sich selbst. »Vielleicht? – er geht mir seit einer Woche nach – nicht er selbst, aber einer von seinen Bluthunden. Hat sie geschwatzt?«

Danty antwortete erst, als er seinen Rock aufgehängt hatte.

»Das tat sie nicht und wird es auch nicht tun. Ich kenne sie! Sie hat einen Vogel und bildet sich ein, sie hätte ihren Mann schlecht behandelt, und sie wird ihn zu retten versuchen, ohne die Polizei in Anspruch zu nehmen.«

Connor nahm eine Zigarre aus der Tasche, biß die Spitze ab und zündete sie an. Er paffte bedächtig und starrte auf die Decke; nach einer Weile sagte er:

»Da mache ich nicht mit. Ich will nichts mit einer Frau zu tun haben, die so schlau ist, die Polizei zu rufen. Manchen Sie's nur weiter, Danty, und geben Sie mir meinen Anteil. Fünfundzwanzig Prozent ist ganz schön, damit bin ich zufrieden!«

Danty starrte ihn an.

»Ich mache die Arbeit, und Sie wollen den Nutzen davon haben, he? Meinen Sie es so? Wann haben wir denn diese Gesellschaft gegründet?«

Connor hatte ein breites Lächeln.

»Ich habe das Geschäft eingeleitet; das ist meine Antwort! Ich kann mich nicht hineinmischen, weil mein Name jetzt bekannt ist und der Spatz dazwischen steckt. Sie verstehen mit diesen Leuten umzugehen und Sie sind gerieben genug, um sich nicht in Gefahr zu bringen.«

Er erhob sich, nahm Rock und Hut und wandte sich zur Tür. Auf der Schwelle blieb er stehen und blickte den anderen an.

»Fünfundzwanzig Prozent«, sagte er. »So und nicht anders, oder ich werde unangenehm!«

Danty folgte ihm auf den Vorplatz.

»Wo wohnt der Gunner?«

Connor schüttelte den Kopf.

»Ich werde es auskundschaften und Ihnen morgen früh Bescheid geben«, sagte er. »Er hat irgendwo eine versteckte Höhle.«

Danty ging zurück und schloß die Tür. Gewöhnlich besprach er seine Angelegenheiten nicht mit Pi Coles, aber der kleine Mann war schlau und verständnisvoll. Er hatte alles mögliche betrieben, vom Diebstahl bis zum schweren Verbrechen, und hatte eine überraschend gute Bildung. Er war einer von den seltenen Leuten, die ihren häufigen Aufenthalt im Gefängnis zum Lesen und Studieren ausgenutzt hatten; denn obgleich er den gewöhnlichsten Dialekt sprach und sein Englisch ganz minderwertig war, konnte er fließend Französisch und Spanisch – seine Kenntnisse waren vorteilhaft für ihn gewesen, als er ein Jahr in einem französischen Gefängnisse abzusitzen hatte.

Zum ersten Male ließ Danty ihn in seine Karten blicken. Vorher war er nie mitteilsam über Luke Maddison und dessen Frau gewesen, aber jetzt ging er aus sich heraus. Pi Coles hörte aufmerksam zu, und als Danton Gunner Haynes erwähnte, schüttelte er den Kopf.

»Ich würde ihm aus dem Wege gehen, wenn ich du wäre«, sagte er. »Hast du ganz vergessen, was damals geschehen ist?« Er nickte bedeutungsvoll.

Danton hatte nichts vergessen, aber er bildete sich ein, die Verbrechernatur genau zu kennen. Solche Männer wie Gunner Haynes verzeihen, selbst wenn man ihnen ihre Frauen stiehlt. Haynes mit seiner philosophischen Anschauung trug ihm diesen kleinen Zwischenfall wahrscheinlich nicht nach. Außerdem, das Mädchen war tot und konnte die Geschichte nicht verraten, die des Gunners Rache heraufbeschworen hätte.

Wußte er denn gar nichts von ihm – etwas, wodurch er ihn in seine Gewalt bringen könnte, irgendein altes Verbrechen, an dem sie beide beteiligt waren?

Danty war ein Kleinigkeitskrämer; er sammelte viel unnützes Zeug. In seinem Schlafzimmer befand sich ein Sicherheitsschrank, in dem er seine kostbarsten Andenken aufbewahrte. Briefe, mit Schuhbändern zusammengebunden; alte Zeitungsausschnitte, die sich auf seine Heldentaten bezogen; und in einer Schreibmappe ein kleiner Papierzettel mit einer kritzligen Handschrift, den er besser vernichtet hätte, als er in seine Hände kam. Doch er verbrannte nicht gern etwas, sonst wären jene tollen Briefe längst Asche, jene Briefe von dem Mädchen, dessen Herz er gebrochen hatte.

Er fand gewisse Andenken, Briefe von dem Gunner aus den Tagen, als sie Genossen waren, aber nichts, was ihn belastet hätte, nichts, was er jetzt gebrauchen könnte. Er schlug den Schrank zu und verschloß ihn. Dann ging er zu Pi zurück, der indessen einen nagelneuen Gedanken ausgebrütet hatte.

»Du kannst den Gunner aus dem Spiele lassen«, sagte er. »Angenommen, Maddison steckt bei Haynes, was hindert dich denn, an Maddison heranzukommen – über Haynes hinweg? Und was kann dir seine Frau noch nutzen? Du brauchst Maddison nur mit einem Scheckbuche nach dem Kontinent zu befördern, dann bist du für dein ganzes Leben versorgt.«

Danty hörte stirnrunzelnd zu. Diese Möglichkeit war ihm nicht eingefallen. Er legte sich gegen drei Uhr morgens zu Bett, aber erst gegen sieben schlief er ein. Als er am Mittag aufwachte, hatte Connor durch einen Boten einen Brief geschickt. Nach Connors Gewohnheit stand keine Adresse darauf. Danty riß den Umschlag auf und nahm einen Zettel heraus, der aus einem billigen Notizbuchs stammte, und las:

»L. M. wohnt bei G. H. 974 Pennybody Gebäude, Clerkenwell.«


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