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Man hatte Luke Maddison in ein Einzelzimmer gelegt, und eines Morgens las er auf der Fieberkarte über seinem Bett, daß sein Name Smith war.
»Wie lange heiße ich schon Smith?« Seine Stimme klang außerordentlich kräftig, wenn man daran dachte, daß er nur wenige Tage vorher kaum imstande war, zu flüstern.
Die gutmütige Krankenpflegerin lächelte ermutigend.
»Wenn wir den Namen der Leute nicht kennen, nennen wir sie Smith – mit Vorliebe, Bill«, sagte sie. »Aber Sie werden nett und vernünftig sein und uns Ihren richtigen Namen nennen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, ich glaube nicht. Smith ist doch ein sehr schöner Name, der von so viel netten Leuten getragen wird. Wenn mein Name in Wirklichkeit Smith wäre, würde ich vielleicht ein besserer Mensch sein«, fügte er halb spöttisch hinzu.
Seit sie ihn in das Einzelzimmer gelegt hatten, war der große, dicke Schutzmann, der so oft in seinen Fieberträumen eine Rolle gespielt hatte, verschwunden. An dem Tage, an dem man glaubte, er würde sterben, war ein Beamter geholt worden, um seine Aussagen aufzunehmen; aber er hatte nichts erzählt, was auch nur den geringsten Wert gehabt hätte. Außerdem hatte er einen der Detektive sagen hören, daß er als Zeuge von gar keiner Bedeutung für die Staatsanwaltschaft wäre. So konnte er sich gönnen, still zu liegen, die Stunden vorbeistreichen zu lassen, zu sehen, wie das blasse Sonnenlicht an der grünen Wand entlangstrich, wie die Nacht kam und dann wieder der Tag. Von seinem Zimmer aus konnte er das entfernte Geräusch der Straßenbahnen hören; lernte ihre Klingelzeichen, ihr Kommen und Gehen unterscheiden. Seine Gedanken beschäftigten sich nur wenige Augenblicke mit Margaret, und mit aller Kraft versuchte er, diese Gedanken zu vertreiben. Einmal hatte er die Absicht, Steele holen zu lassen, aber das Erscheinen des Prokuristen an seinem Bett würde seine Identität verraten haben, und er war doch bemüht, den Namen der Bank um jeden Preis reinzuhalten – oder war es Margarets Name? Wieder und wieder sagte er sich, daß er nicht einen Finger aufheben würde, um Margaret zu retten – aber er wußte, er log. Um Margarets willen war er zufrieden, Bill Smith zu bleiben.
Man gab ihm Zeitungen, aber er weigerte sich, sie zu lesen. Es gab noch einen Grund, warum »Bill Smith« ein so angenehmer Ausweg war. Hatte Maddisons Bank wirklich die Zahlungen eingestellt, dann war dies ein weiterer Grund, warum er nie wieder Luke Maddison sein durfte. Er war eigenartig apathisch, es war ihm gleichgültig, was mit der Bank vorgegangen war. Hatte an nichts und niemand Interesse. Es hatte eine Zeit gegeben, wo er glaubte und hoffte, er würde sterben und so die vollständige Vergessenheit finden, nach der sein Herz schrie. Aber sein Herz schmerzte ihn beinah nicht mehr. Bald würde die Zeit kommen, wo er das Hospital verlassen konnte, und dann? Er war gleichgültig, auch der Zukunft gegenüber. Was kam es auch darauf an? Vielleicht würde er Blumen verkaufen wie das hübsche, junge Mädchen, das er eines Nachmittags in St. James Street im Schneetreiben gesehen hatte. Vielleicht könnte er Soldat werden; er war ja noch nicht zu alt. Vielleicht in ferne Gegenden gehen; er lächelte schwach. »Und Löwen schießen?« fragte in seinem Innern eine sarkastische Stimme.
Er machte sich keinerlei Gedanken über das, was kommen würde. Es war am sechzehnten oder siebzehnten Tage seines Krankenlagers – er wußte die Zahl selbst nicht einmal genau –, als die Schwester das Zimmer betrat.
»Ein Freund von Ihnen möchte Sie sprechen. Er sagt, er kennt Sie.«
»Ein Freund?« wiederholte Luke stirnrunzelnd. »Er muß mich sicherlich mit einem anderen verwechseln.«
»Nein, er fragte direkt nach Ihnen. Er wollte den Mann sprechen, der bei der Messerstecherei verletzt worden war; ich habe ihm natürlich nicht gesagt, daß Sie Smith heißen, denn das stimmt ja nicht.«
»O doch, Schwester, das stimmt schon – ich bin aber neugierig, wer das wohl sein könnte. Lassen Sie ihn, bitte, hereinkommen.«
Wer konnte das sein? Im ersten Augenblick – es war ja Wahnwitz – hatte er an Margaret, Margaret um Verzeihung flehend, gedacht. Er würde selbst über diesen törichten Gedanken gelacht haben, wenn Lachen ihm nicht so unsägliche Schmerzen in der Brust bereitete.
Er hatte den Mann, der hereinkam, niemals gesehen. Sein schäbiges Äußeres wurde durch einen Kragen von so blendender Weiße hervorgehoben, daß Luke – und nicht mit Unrecht – annahm, man hatte ihn ebenso wie die schreiende Krawatte erst zu diesem Zweck gekauft. Ein Mann mit einem sehr schmalen, scharfgezeichneten Gesicht; seine Augen durchsuchten unter den schweren Augenlidern hervor das ganze Zimmer, bevor er leise an das Bett heranschlich.
»Danke bestens, Schwester.« Seine Stimme klang heiser und erinnerte Luke an Lewing. Er fragte sich, ob dieser Mann vielleicht ein Verwandter von jenem wäre.
»Ist das Ihr Freund?« fragte die Krankenschwester.
»Das ist er, es stimmt schon, Miß«, sagte der Mann kopfnickend.
Die Schwester verschwand, und der Besucher beugte sich über Luke. Seine Kleider rochen muffig, als ob sie an einem feuchten Platze aufbewahrt worden wären.
»Joe läßt sagen, daß er dir weiterhelfen will, weil du ihn nicht verpfiffen hast.«
»Was habe ich nicht?« fragte Luke.
»Verpfiffen. Frag doch nicht so dämlich! Wenn du 'rauskommst, geh mal zu ihm.« Er steckte ein schmutziges Stück Papier unter das Kopfkissen, und Luke erkannte ein ihm gut vertrautes Knistern. »Fünf Pfund für dich. Joe läßt sagen, er wird für dich sorgen.«
»Gott segne ihn!« sagte Luke nachdrücklich, »wenn es jemals einen Mann gab, für den gesorgt werden müßte, so bin ich es.«