Edgar Wallace
Hands up!
Edgar Wallace

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10

Am Mittag des nächsten Tages sprach Mr. Danton Morell bei Margaret vor und brachte ihr alle erhaltenen Neuigkeiten – und das waren nicht viele.

»Er scheint aus London verschwunden zu sein, aber ich würde mich darüber nicht besonders aufregen.«

Margaret Maddison saß mit weißem Gesicht an ihrem Schreibtisch und spielte gedankenlos mit einem Federhalter. Sie hatte nicht mehr schlafen können, seit Lukes Diener gegen Mitternacht angerufen und sie um Auskunft über seinen Herrn gebeten hatte. Am frühen Morgen hatte sie sich gezwungen, in Lukes Büro anzurufen – mit dem einzigen Erfolg, daß sie mit ihren eigenen Besorgnissen nun auch Mr. Steele angesteckt hatte.

»Er will Sie selbstverständlich ängstigen«, sagte Danty mit halbem Lächeln. »Das gehört doch zu seinem Plan. Ich möchte behaupten, daß, wenn Sie dem alten Steele sagen, Sie wären bereit, ihm einen Scheck über –«

»Ich habe Mr. Steele bereits gesagt, daß ich ihm einen Scheck über jeden nur gewünschten Betrag geben würde«, warf sie ein.

Ihre Stimme klang kühl und hart. Danty wurde unruhig. Augenscheinlich war er auf dem falschen Wege, aber es war nicht leicht, jetzt den richtigen zu finden.

»Dann haben Sie, wenn ich so sagen darf, außerordentlich töricht gehandelt. Schließlich, Sie kennen ja den Mann. Sie wissen genau, wie Rex über ihn dachte, Sie sind in die ganze Sache mit offenen Augen hineingegangen und –«

»Ich weiß.« Sie war ungeduldig. »Ich würde es noch einmal machen, glaube ich – vielleicht in anderer Weise. Ich bin sehr – sehr brutal gewesen.«

Sie stand auf und ging langsam nach dem Kamin, nahm eine Zigarette aus der emaillierten Dose auf dem Sims und steckte sie an, um sie sofort wieder ins Feuer zu werfen.

»Ich bin in Sorge, Danton«, gab sie zu. »Ich kann nicht richtig hassen. Ich habe nicht einmal mehr die Einbildung, daß ich recht gehandelt habe.«

»Steele hat Ihren Scheck natürlich genommen?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, er sagte, es wäre nicht mehr nötig. Luke muß ihm wohl alles erzählt haben. Er sprach sehr scharf mit mir, beinahe grob.«

»Werfen Sie ihn hinaus«, entgegnete Danty prompt. »Vergessen Sie doch nicht, daß Sie Besitzerin der Bank –«

»Die Bank gehört mir nicht«, unterbrach sie ihn. »Mein Anwalt rief mich heut morgen an und sagte mir, daß man in der Eile vergessen hätte, die Bank mit in den Vertrag einzuschließen – und ich bin froh darüber. Ich werde selbstverständlich an Luke jeden Pfennig zurückgeben, den ich von ihm erhalten habe.«

»Sind Sie verrückt!«

Er schrie ihr beinahe diese Worte ins Gesicht.

Diesen Danton hatte sie noch nicht gesehen und sie starrte ihn in sprachloser Verwunderung an. Im gleichen Augenblick wurde er sich seines Fehlers bewußt.

»Seien Sie, bitte, nicht böse«, sagte er beinahe unterwürfig. »Ich denke doch nur an Sie; ich denke daran, wie leicht sein Verschwinden nur ein Trick sein kann, wovon ich übrigens vollständig überzeugt bin. Das sieht Ihnen völlig ähnlich, ihm jetzt das ganze Geld wieder zurückgeben zu wollen. Aber, falls Sie das tun, was dann? Sie sind mit ihm verheiratet, und es ist kaum anzunehmen, daß er Ihnen einen Grund zur Scheidung geben wird. Das einfache Resultat Ihrer Großmut würde nur sein, daß Sie pfenniglos sind und völlig von seiner Gnade und Barmherzigkeit abhängen.«

Geraume Zeit saß sie still und blickte in das Feuer. Es war schwierig, zu wissen, woran Margaret dachte: ihr Gesicht war unbewegt, und der Blick in ihren Augen erzählte ihm nichts.

»Ich wollte ihn bis ins Innerste treffen, wollte ihn verletzen, und hatte doch dabei so große Angst. Wenn er nur irgendetwas gesagt, wenn er mich verwünscht hätte . . . aber kein Wort . . . es war furchtbar!«

Sie schloß die Augen, als ob sie versuchen wollte, die Erinnerung an Lukes Gesicht zu verjagen.

»Er wird heute nacht schon wieder da sein«, sagte Danty ermutigend, »und dann können Sie die ganze Angelegenheit besser allein regeln. Ich fange langsam an, zu bedauern, daß ich Ihnen jemals einen Rat gegeben habe . . . und ich habe, bei Gott, nicht an mich gedacht.«

»Aber natürlich nicht.« Sie hielt ihm impulsiv ihre Hand hin, und er ergriff sie. Er war wieder Herr der Situation.

Aber er war unruhig und bemühte sich auf dem Heimwege vergeblich, irgendeine nur mögliche Erklärung für Lukes Verschwinden zu finden. Er hatte sich ein Bild über Luke Maddisons Charakter gemacht, und seiner Anschauung nach würde der Mann, den er haßte, nur einen von zwei gegebenen Wegen einschlagen: nach der ungeheuren Enttäuschung, die ihm Margaret zugefügt hatte, entweder eine einzig richtige Vernunft beweisen und seine Anwälte konsultieren, oder denselben Weg gehen, den Rex Leferre durchschritten hatte.

Ein Zeitungsplakat erregte seine Aufmerksamkeit; er klopfte an die Glasscheibe und ließ das Taxi halten, um eine Zeitung zu kaufen. »Mord im dunkeln London«, lautete die Überschrift des Artikels, und Danty hatte immer an derartigen Vorfällen Interesse. Die Szene der Tragödie war ihm fremd. In den Tagen, als Mr. Danton Morell noch nicht zur oberen Gesellschaft gehörte, hatte sein Arbeitsfeld hauptsächlich in Nord-London gelegen. Borough und Lambeth waren für ihn terra incognita.

»In einer Messerstecherei, die, wie man annimmt, durch Streit zwischen Mitgliedern zweier verschiedener Banden entstanden war, wurde ein Mann mit Namen Lewing getötet. Sein Begleiter, dessen Identität die Polizei bis jetzt noch nicht feststellen konnte, hat eine gefährliche Wunde in der Brust davongetragen und liegt in hoffnungslosem Zustand im St.-Thomas-Hospital. Das Überfallkommando ist eifrig damit beschäftigt, Süd-London zu durchsuchen, um die Täter zu finden, von denen man annimmt, daß sie Mitglieder einer gefährlichen Verbrecherbande sind, die hauptsächlich in Borough ihr Unwesen treibt.«

Danty ließ die Zeitung fallen. Es handelte sich hier um eines der alltäglichen Verbrechen, die kein Interesse für die besseren Klassen haben, und gerade jetzt stand er ja auf dem Punkte, ein Mitglied dieser zu werden.

Man muß erwähnen, daß er keinen festgefügten Plan hatte, welche Rolle er in der jetzigen Situation spielen sollte. Er konnte sicherlich leichter zu Geld kommen, wenn Luke abwesend war und diese törichte Frau Verfügungsrecht über dessen Vermögen hatte, als wenn er dasselbe Ziel unter den kalten blauen Augen Lukes, der ihn haßte, verfolgen müßte. Luke hatte bei ihrer letzten Unterredung, als man über Rex und die Fälschung sprach, deutlich durchblicken lassen, daß er Rex mehr als ein Opfer als den eigentlichen Täter betrachtete.

Lukes Verschwinden war für ihn eine fühlbare Erleichterung. Er konnte kaum annehmen, daß sein Verhältnis mit Margaret das gleiche bleiben würde, wenn sie ihren Mann liebte und sich durch ihn beeinflussen ließ. Dantys Plan war, mit allen Mitteln darauf hinzuarbeiten, daß Luke aufhörte, ein Faktor in ihrem Leben zu sein – und dieser Plan war gut. Und etwas kam hinzu – der ständig wachsende Zauber, den Margaret auf ihn ausübte. Niemals sah er sie, ohne daß der Wunsch, für sie etwas anderes zu sein als ein vertrauter Freund, in ihm stärker wurde. Einmal hatte er ihre Hand »zufällig« absichtlich berührt. Sie ließ ihre Hand lange genug neben der seinigen liegen, und er faßte den Mut, einen Schritt weiterzugehen. Aber dann hatte sie ihm keinen Zweifel mehr über ihre Gefühle für ihn gelassen. Margaret hatte eine Aufrichtigkeit, die einen manchmal aus der Fassung bringen konnte.

»Hoffentlich fangen Sie nicht an, auf törichte Gedanken zu kommen, Danton, und sich einzubilden, in mich verliebt zu sein«, hatte sie gesagt.

Aber das war in den Tagen geschehen, als Rex noch am Leben war und ihr Herz noch schneller schlug, wenn sie Luke Maddisons Schritte hörte.

Danty zuckte die Schultern. Frauen sind veränderlich, aber gerade ihre Unbeständigkeit ist einer ihrer größten Reize.

Er stieg aus dem Taxi und war im Begriff, den Chauffeur zu bezahlen, als er hinter sich hörte:

»Morgen, Mr. Morell.«

Danty blickte sich langsam um. Woher war der Spatz so plötzlich aufgetaucht? Er hatte eine äußerst beunruhigende Weise, ganz plötzlich auf der Bildfläche zu erscheinen. In Wirklichkeit hatte Mr. Bird auf dem Bürgersteig gestanden und war nur einen Augenblick lang durch das Taxi verdeckt worden.

»Ich möchte eigentlich mal eine kleine Unterhaltung mit Ihnen haben«, strahlte er ihn freudig an. »Haben Sie etwas von Mr. Maddison gesehen?«

Danty lag es auf der Zunge, jede Kenntnis von Luke Maddisons Handlungen abzustreiten, aber:

»Seit der Trauung nichts mehr«, sagte er.

»Vielleicht ist er allein auf die Hochzeitsreise gegangen«, begann der Spatz und lachte über das ganze Gesicht. »Ich kann mich mit diesen neumodischen Gewohnheiten nicht vertraut machen. Ich glaube, Sie sind auch nicht lange auf der Hochzeitsreise gewesen, Mr. Morell?«

Seine scharfen, hellen Augen, halb verborgen hinter den Polstern der Augenlider, fixierten Danton Morell unerbittlich. Aber Danty wich nicht aus.

»Ich bin niemals verheiratet gewesen«, sagte er.

Er hätte sehr leicht die Unterhaltung abbrechen können, indem er den Detektiv stehen ließ und das Haus betrat – es war ein taktischer Fehler, daß er sich in dieses Kreuzverhör hatte hineinziehen lassen.

»Das Vergnügen steht Ihnen dann noch bevor«, fuhr der Spatz vergnügt fort. »Ich habe kürzlich mit Gunner Haynes über Sie gesprochen.«

Trotz all seiner Selbstbeherrschung fühlte Danton Morell, wie er erblaßte.

»Wirklich?« sagte er herausfordernd. »Wer ist denn Gunner Haynes?«

»Ein ganz gewöhnlicher Verbrecher«, entgegnete der Spatz melancholisch. »Ich muß mit solchen Menschen zusammenkommen – das ist ja mein Beruf. Aber es gibt eine Menge Dinge, die mir bei dem Gunner gefallen. Zuerst mal habe ich ihn gern, weil er niemals einen Revolver bei sich hat, zweitens bewundere ich sein außerordentliches Gedächtnis! Hat ein Gedächtnis wie ein altes Pferd, der gute Gunner! Er ist so eine Art von Mensch, der sich noch an die Farbe der Socken erinnern kann, die er an dem Tage trug, als der Waffenstillstand unterzeichnet wurde. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn er an diesem Tage graue getragen hätte. Was für eine Farbe hatten denn Ihre Socken an diesem Tage, Mr. Morell?«

Es lag etwas so Vielsagendes in dieser Frage, daß Dantons Atem stockte. Am Tage des Waffenstillstandes hatte er im Peterhead-Gefängnis gesessen, wo er achtzehn Monate abzumachen hatte. Hatte der Gunner ihn erkannt und ihn verraten? Er wies den Gedanken ebenso schnell von sich, wie er gekommen war. Wenn Gunner Haynes wußte, daß er am Leben war, zu erreichen war, würde er dies niemals einem Polizeibeamten mitgeteilt haben. Ganz sicher hätte er in seiner eigenen Weise mit ihm abgerechnet.

»Ich kann Ihnen wirklich nicht sagen, was ich damals für Socken getragen habe«, er zog die Worte lang. »Haben Sie Interessen in Wollwarengeschäften?«

Mr. Bird nickte feierlich.

»Ganz besonders in grauen Socken«, sagte er; »graue, wollene Socken mit einer kleinen, breiten PfeilspitzeDie breite Pfeilspitze ist das Zeichen, das in den englischen Gefängnissen sämtliche Ausrüstungsgegenstände tragen. am Knöchel.«

Er war in ausgezeichneter Laune, und es war schwer, wenn nicht unmöglich, in seinen Worten eine persönliche Anspielung zu finden. Bevor Danton antworten konnte, fuhr er fort:

»Ich befürchte, Sie können mir keinerlei Auskunft geben? Ich würde so gern wissen, warum Mr. Maddison gestern seiner Wege gegangen ist und wohin. Ich habe nämlich die Absicht, ihm ein Geburtstagsgeschenk zukommen zu lassen. Wie lange wollen Sie noch in London bleiben, Mr. Morell?«

Die Frage folgte ganz unerwartet, und die Augen hinter den schweren Lidern schienen aufzublitzen, als Danty antworte.

»Vielleicht noch einen Monat.«

»Ich dachte, Sie würden vielleicht schon nächste Woche abreisen.«

Mit einem kurzen Kopfnicken wandte er sich ab und ging in seiner schwerfälligen Weise davon. Danty biß sich auf die Lippen und blickte hinter ihm her. Er hatte eine Warnung erhalten. Und es war ihm lieber, diese durch die Polizei zu bekommen als auf eine sicher weniger freundliche Weise von Gunner Haynes.

Er dachte immer noch über die Worte des Detektivs nach, als er sich zum Essen umkleidete. Es konnte nicht der Gunner gewesen sein – eine reine Vermutung von Bird, der hoffte, auf diese Weise etwas von ihm zu erfahren.

Margaret und er speisten an diesem Abend zusammen; als sie ihn am Nachmittag angerufen hatte, glaubte er, daß sie die Verabredung rückgängig machen wollte, und hatte schon überzeugende Gründe bei der Hand, um sie von einem solchen Entschluß abzubringen.

Am Abend war sie viel munterer; ihr Entschluß hatte sich wieder gefestigt. »Sie werden sicher morgen von ihm hören«, sagte Danty lächelnd, als sie ihren Kaffee tranken, »er gehört nicht zu den Menschen, die sich von der City von London, wo das Geld verdient wird, entfernen können!«

Sie seufzte.

»Ich befürchte, Sie haben recht«, war ihre leise Antwort.

Und zu gleicher Zeit standen zwei hervorragende Chirurgen an der Seite eines Bettes im St.-Thomas-Hospital. Einer von ihnen schob sein Stethoskop zusammen und blickte mit bedauernder Miene auf den bewußtlosen Patienten.

»Sie haben seinen Namen nicht ausfindig machen können?«

Der Polizeibeamte, der an der Seite des Bettes saß, schüttelte den Kopf.

»Nein, Sir.«

Der Arzt wandte sich seinem Kollegen zu.

»Lungenentzündung, ohne jeden Zweifel, Sir John«, sagte er kurz. »Die Lunge ist durchbohrt worden – die Symptome von Lungenentzündung waren ja zu erwarten, denken Sie nicht auch so?« Er winkte einen dritten, den Arzt des Krankenhauses, heran, der sich mit einem anderen Patienten in dem Krankensaal beschäftigte.

»Der arme Kerl hier wird wahrscheinlich heute nacht sterben«, sagte er beinahe gleichgültig. »Ich wüßte nicht, was Sie noch weiter für ihn tun könnten, ausgenommen natürlich, es ihm so behaglich wie möglich zu machen. Als Mitglied einer Bande macht er mir eigentlich einen zu guten Eindruck.«

Der bewußtlose Mann lächelte und stammelte ein Wort.

»Klang beinahe wie ›Margaret‹«, sagte der Arzt interessiert. »Schade, daß Sie nicht wissen, wer er ist, man hätte dann seine Frau benachrichtigen können – jetzt würde wohl kaum noch Zeit dazu sein!«


 << zurück weiter >>